Wahldebakel der CSU in Bayern

Mit herben Verlusten der regierenden CSU war gerechnet worden. Doch als am Sonntagabend das Ergebnis der bayrischen Landtagswahl bekannt wurde, übertraf es sämtliche Erwartungen, auch die der Meinungsforscher. Statt 60,7 wie vor fünf Jahren haben gerade noch 43,4 Prozent der Wähler für die CSU gestimmt. Berücksichtigt man die geringe Wahlbeteiligung von 58 Prozent, so hat nur jeder vierte Wahlberechtigte der Partei seine Stimme gegeben, die den Freistaat seit 46 Jahren allein regiert.

Man muss weit in die Geschichte zurückgehen, um ähnlich hohe Stimmenverluste bei einer Landtagswahl zu finden. Lediglich 1950 war die CSU noch tiefer gefallen, weil ihr die ebenfalls konservative Bayernpartei zahlreiche Wähler abgeworben hatte. Und die CDU hat 2001 in Berlin einen ähnlichen Absturz erlebt, als sie infolge des Bankenskandals 17 Prozent der Wählerstimmen einbüßte. "Debakel", "Desaster", "Erdbeben" und "Trümmerhaufen" waren die häufigsten Begriffe, mit denen das bayrische Wahlergebnis kommentiert wurde.

Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis der Bayernwahl ist, dass die SPD nicht vom Niedergang der CSU profitieren konnte. Sie unterbot ihr bisher schlechtestes Ergebnis aus dem Jahr 2003 ein weiteres Mal und erreichte nur noch 18,6 Prozent. Die Hoffnung, mit der Übernahme der Parteiführung durch Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering könne der Niedergang der SPD gestoppt werden, hat sich in Bayern nicht erfüllt.

Gewinner der Wahl sind die Freien Wähler, die mit 10,2 Prozent erstmals in den Landtag einziehen, die FDP, die nach 14-jähriger Abwesenheit mit 8 Prozent in den Landtag zurückkehrt, und die Grünen, die ihren Stimmenanteil leicht auf 9,4 Prozent verbessert haben. Die Linke, die erstmals antrat, erzielte 4,3 Prozent und scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.

Die CSU, die in der letzten Legislaturperiode mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit regierte, hat ihre Mehrheit im Landtag verloren und ist in Zukunft auf einen Koalitionspartner angewiesen. Rein rechnerisch wäre auch eine Koalition der vier anderen Parteien möglich. Doch die FDP hat einer solchen Koalition bereits eine Absage erteilt und sich für eine Zusammenarbeit mit der CSU ausgesprochen. Auch die Freien Wähler sind zu einer Koalition mit der CSU bereit.

Die Freien Wähler hatten bisher vor allem auf kommunaler Ebene eine Rolle gespielt. Bei der letzten Landtagswahl waren sie zwar angetreten, hatten aber nur einen Stimmenanteil von 4 Prozent erreicht. Sie zählen rund 40.000 Mitglieder und werden oft als "bürgerliche Protestbewegung" bezeichnet. Viele ihrer Führer sind ehemalige CSU-Leute, die mit der selbstherrlich regierenden Partei in lokalpolitischen Fragen aneinander geraten sind. Bei der letzten Kommunalwahl im Frühjahr 2008 haben die Freien Wähler fast 20 Prozent der Stimmen erzielt. Sie stellen seither 15 von 71 Landräten und 800 Bürgermeister in Bayern.

Da sich die Freien Wähler selbst nicht als Partei, sondern als Wählervereinigung verstehen, verfügen sie über kein klar umrissenes Programm. Sie stehen aber in vielen Fragen der CSU nahe. Ihr Vorsitzender, Hubert Aiwanger, ist Landwirt und versteht sich als Sprecher der "kleinen Leute" und der Bauern.

Die FDP wird in Bayern von Martin Zeil geführt, einem Gefolgsmann des rechtslastigen Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle. 1980 hatte er zusammen mit Westerwelle die Jungen Liberalen auf Bundesebene gegründet.

Vom Niedergang der CSU haben also hauptsächlich rechte und konservative Parteien profitiert. Auch kleinere konservative sowie ultrarechte Gruppen - ÖDP (2%), Bayernpartei (1,1%), Republikaner (1,4%) und NPD (1,2%) - erhielten etliche Prozentpunkte. Auf der anderen Seite hat Die Linke etwa 3 Prozentpunkte mehr hinzugewonnen, als die SPD verloren hat.

Viele Stimmberechtigte - 3,9 von 9,3 Millionen - sind, wie schon bei der letzten Wahl, einfach zuhause geblieben, weil sie ihre Interessen nirgends vertreten sahen oder keinen Sinn darin sahen, zur Wahl zu gehen.

Ursache des CSU-Debakels

Die meisten Analysen des Wahldebakels der CSU bleiben an der Oberfläche. Als Ursache genannt werden das Zögern des damaligen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Edmund Stoiber, 2005 in die Bundesregierung zu gehen, das den Niedergang der CSU eingeleitet habe; Stoibers gescheiterter Versuch, eine milliardenteure Transrapid-Anbindung an den Münchener Flughafen zu bauen; die Provinzialität seiner Nachfolger Günther Beckstein und Erwin Huber; die Verkürzung der Gymnasialzeit bei mangelnder finanzieller und personeller Ausstattung der Schulen: oder einfach die Vielschichtigkeit der modernen bayrischen Gesellschaft, die sich in einer Vielfalt von Parteien widerspiegeln müsse.

Viele dieser Faktoren mögen eine Rolle spielen, doch sie treffen nicht den Kern der Sache. Was das bayrische Wahlergebnis prägt, ist die tiefe Kluft, die sich zwischen der Masse der Bevölkerung und dem gesamten politischen Überbau aufgetan hat. Nicht eine Partei hat eine Antwort auf die Fragen und Sorgen, die viele Menschen bewegen.

Die Wahl fand vor dem Hintergrund der größten Finanzkrise seit 1929 statt. Eine Weltrezession, die auch Europa und Deutschland erfasst, scheint zunehmend unabwendbar. Die halbstaatliche BayernLB hat zudem Milliardenverluste mit amerikanischen Subprime-Hypotheken gemacht, für die die Staatskasse jetzt aufkommen muss. Bayern zählt zwar nach wie vor zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Deutschlands mit einer relativ niedrigen Arbeitslosigkeit. Doch der Angriff auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleitungen hat auch hier längst begonnen und wird sich mit der kommenden Rezession verschärfen.

Doch auf diese Probleme hatte im Wahlkampf keine Partei eine Antwort, sie wurden noch nicht einmal diskutiert. Die CSU ruhte sich auf den längst verdorrten Lorbeeren der Vergangenheit aus und beschwor die vermeintliche Stärke Bayerns. Die SPD trägt als Autorin der Agenda 2010 und als Mitglied der Bundesregierung Hauptverantwortung für die soziale Misere. Die Linkspartei träumt von einer Rückkehr zur Reformpolitik der 1970er Jahre und kann damit kein Vertrauen erwecken, da Viele spüren, dass radikalere Maßnahmen notwenig sind. Sie richtet sich an enttäuschte Gewerkschafts- und SPD-Funktionäre, die um den sozialen Frieden fürchten und offene Klassenkämpfe vermeiden wollen.

Ein Großteil der Wähler bleibt unter diesen Umständen zuhause, während die so genannten "Volksparteien" zerfielen und rechte Demagogen die Unzufriedenheit der Mittelschichten ausnutzten.

Deutlicher war diese Entwicklung am Sonntag im benachbarten Österreich zu beobachten, wo zeitgleich zur Bayernwahl Parlamentswahlen stattfanden. Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) erlitten ein Wahldebakel und erreichten gemeinsam nur noch 55 Prozent, während die rechtslastigen Freiheitlichen und Jörg Haiders BZÖ massiv zulegten und zusammen fast 30 Prozent erzielten.

Bundesweite Auswirkungen

Die Wahlniederlage in Bayern hat nicht nur die CSU erschüttert, sondern auch ihre Schwester CDU.

Die Wählerstimmen der CSU haben bisher maßgeblich zu den Wahlergebnissen der Union im Bund beigetragen, wo beide Parteien zusammenarbeiten. So hatte die CSU bei der Bundestagswahl 2005 in Bayern, wo jeder siebte Bundesbürger lebt, 49 Prozent der Stimmen gewonnen, während es Angela Merkels CDU im übrigen Bundesgebiet nur auf 28 Prozent brachte. Überträgt sich der Niedergang der CSU auf die Bundestagswahl 2009, hat die Union kaum eine Chance, über 40 Prozent zu kommen und die von ihr angestrebte Koalition mit der FDP zu bilden.

Das Wahldebakel der CSU hat zudem die Krise der Union offen gelegt, die durch die relativ hohen Popularitätswerte der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden bisher notdürftig verdeckt wurde.

Ähnlich wie die SPD unter Bundeskanzler Schröder, hat die Union bei Landtagswahlen nur noch Verluste erlitten, seit Merkel an der Spitze der Regierung steht. Die Bayernwahl ist die zehnte Landtagswahl in Folge, bei der die Union Stimmen verloren hat. Anfangs waren es nur zwei bis drei Prozentpunkte, doch ab 2007 wurden die Verluste zusehends größer: 4 Prozent in Bremen, 12 Prozent in Hessen, 6 Prozent in Niedersachsen, 5 Prozent in Hamburg und nun 17 Prozent in Bayern. Ähnlich hohe Verluste werden ihr für die anstehenden Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen prophezeit. Kommt es in Hessen zu dem von Andrea Ypsilanti (SPD) angestrebten Regierungswechsel, verlöre die Große Koalition sogar ihre sichere Mehrheit im Bundesrat.

Hatten sich Merkels innerparteiliche Rivalen bisher mit Angriffen zurückgehalten, kommt die Kanzlerin nun vermehrt unter Beschuss aus den eigenen Reihen. Vor allem der rechte, wirtschaftsliberale Flügel der Union, der sich bisher an der CSU orientierte, meldet sich zu Wort.

So machte Hans Michelbach, der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsunion, die Politik der Großen Koalition in Berlin für die bayrische Wahlniederlage verantwortlich. "Die fortschreitende Sozialdemokratisierung der CDU bringt die Union um ihre Glaubwürdigkeit", klagte er. "Die Hochsteuerpolitik und die Erbschaftssteuer treiben den Mittelstand weg von der Union." Michelbach verlangte einen "deutlichen Richtungswechsel" und forderte: "Die Kanzlerin muss den Schmusekurs mit der SPD beenden und zu einem klaren Kurs für mehr Wachstum und Beschäftigung zurückkehren."

Selbst eine rechte Abspaltung von der Union - etwa unter ihrem früheren Wirtschaftssprecher Friedrich Merz - wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Diese Rechten sind durch das Debakel der CSU zwar geschwächt. Aber die sklavische Unterstützung der großen Koalition durch die SPD und das Fehlen einer ernsthaften, linken Alternative gibt ihnen den nötigen Manövrierraum, um sich neu zu formieren. Die Beispiele Italiens und Österreichs, wo eine Mitte-Links-Regierung bzw. eine Große Koalition den Ultrarechten die Möglichkeit verschafft hat, sich neu zu formieren und gestärkt zurückzukehren, sollten als Warnung dienen.

Siehe auch:
Bayern-Wahl zeigt innere Zerrissenheit der Union
(26. September 2008)
Loading