Kann China die Bankenrettungspakete der USA und Europas finanzieren?

Nachdem die amerikanische und europäische Regierungen sich verpflichtet haben, enorme Rettungsaktionen für ihre jeweiligen Bankensysteme durchzuführen, stellt sich die offensichtliche Frage: wo wollen sie das Geld hernehmen? Insbesondere die USA sind so verschuldet, dass schätzungsweise 1,3 Billionen Dollar an neuen Obligationen ausgegeben werden müssen, nur um die ursprünglich ins Auge gefassten 700 Milliarden Dollar teure Rettungsaktion für die Wall Street abzudecken. Da die Währungsreserven zusammenschmelzen, wenden sich einige Augen auf China und andere asiatische Länder als mögliche Finanzierungsquelle, die Währungsreserven im Umfang von 4,35 Billionen Dollar besitzen.

Ein Kommentar im Forbes Magazin vom 14. Oktober fragte danach, wer die Rechnung für die amerikanischen und europäischen Rettungspakete begleichen werde, und gab die Antwort: "Zunächst einmal Ausländer". Es heißt in dem Kommentar, die französische Regierung habe angekündigt, sie wolle Geld auf den internationalen Kreditmärkten aufnehmen. Sie habe den Steuerzahlern versprochen, sie müssten nicht einen Cent bezahlen- zumindest jetzt noch nicht. "Das ist natürlich möglich", schreibt Forbes und verweist auf die Zentralbanken und staatlichen Investitionsfonds in Asien, im Nahen Osten und Russland. Zwar seien die Renditen von US- und deutschen Schatzbriefen gegenwärtig "nicht attraktiv", fährt Forbes fort: "Dennoch können die westlichen Regierungen sich in Ruhe darauf verlassen, dass Länder wie China diese neu aufgelegten Schuldverschreibungen immer noch kaufen möchten."

China hat sicherlich ein großes Interesse daran, die amerikanische Wirtschaftskraft und auch die Europas zu erhalten - die größten Märkte für chinesische Produkte. Darüber hinaus sieht es oberflächlich betrachtet so aus, als könne der Besitzer der höchsten ausländischen Währungsreserven - etwa 1,9 Billionen Dollar - leicht in die Bresche springen. Allerdings haben Vertreter Chinas Berichten widersprochen, die als Zentralbank dienende Bank des chinesischen Volkes denke darüber nach, weitere 200 Milliarden Dollar an US-Schuldverschreibungen aufzukaufen, um der Regierung Bush zu helfen, das 700 Milliarden Dollar Rettungspaket zu finanzieren.

Eine nähere Untersuchung der chinesischen Währungsreserven zeigt, dass das Finanzpotential Chinas erheblich beschränkter ist. Analysten schätzen, dass zwischen 60 und 70 Prozent der 1.9 Billionen Dollarreserven bereits in Dollarvermögenswerten wie Obligationen des US-Schatzministeriums und Schuldverschreibungen von regierungskontrollierten US-Firmen angelegt sind, wozu vor allem die Hypothekengiganten Fannie Mae und Freddie Mac zählen. Das ist der Grund, weshalb China nur noch zwischen 600 und 760 Milliarden Dollar als Reserven hält - einige davon sind in Euro notierte Vermögenswerte -, die es in neuen amerikanischen Schuldverschreibungen anlegen könnte. Das ist nur ein winziger Teil der gesamten US Staatsverschuldung, die die 10-Billionen-Dollar-Marke Ende September überschritten und sich damit seit 2000 verdoppelt hat.

Im August besaßen zwei Länder - Japan (585 Milliarden Dollar) und China (541 Milliarden Dollar) - mehr als 40 Prozent der im Ausland befindlichen US-Schatzbriefe. Japan hatte seine Anteile seit dem Höchststand von 600 Milliarden Dollar im letzten Jahr bereits zurückgefahren, weil es große finanzielle Verluste befürchtete. Während China fortfuhr, sein Portfolio aufzustocken, erklärten einige Vertreter Chinas, dies sei ein großes Entgegenkommen gegenüber Washington. Peking befürchtet, dass weitere Ankäufe von US-Schuldverschreibungen zu großen Verlusten führen könnten, da seine Dollaranlagen an Wert verlieren.

Sogar wenn China bereit wäre, den USA und Europa bei der Finanzierung der Bankenrettungsaktionen zu helfen, würde diese Hilfe nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen. Das Wall Street Journal gab am 29. September zu, dass die Abhängigkeit der USA von ausländischen Gläubigern "politisch schwer zu verdauen war". Es rief in Erinnerung, dass die wichtigste Waffe, mit der Großbritannien 1956 durch Washington gezwungen wurde, die Kontrolle über den Suezkanal aufzugeben, "dessen Drohung [war], die finanzielle Unterstützung für Großbritannien zu kappen, dessen Wirtschaft durch den Zweiten Weltkrieg stark gelitten hatte". Nachdem das Wall Street Journal seinen Lesern versichert hatte, dass sie USA in einer besseren Verfassung seien als das Vereinigte Königreich der Nachkriegszeit, fuhr es fort: "Auch so haben ausländische Machthaber einen großen Einfluss. Wenn sie die Schulden der US-Regierung in großen Mengen abstoßen würden - oder nicht mehr bereit wären, neue zu kaufen - würden die Zinsen, die Käufer von Schatzbriefen anlocken sollen, in die Höhe schnellen. Die bereits schwache US-Wirtschaft würde dadurch einen weiteren Schlag erhalten."

Europäische Kommentatoren haben ähnliche Befürchtungen ausgedrückt. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Andrew Graham argumentierte am 15. Oktober im Guardian, die Welt könnte um eine Rezession herumkommen, falls China seine Billionen ausgebe. Daher solle China in die Gemeinschaft der G7 aufgenommen werden. Er gab jedoch zu, dass dies den chinesischen Einfluss auf Kosten des "angelsächsischen Modells" verstärken würde. Ein Kommentar der BBC vom 15. Oktober mit dem Titel "Wird China dem Westen aus der Patsche helfen?" kam zu dem Schluss, dass Peking sich mehr um die Verlangsamung seines Wachstums kümmern und seiner Kreditvergabe an andere Länder "voraussichtlich Ketten anlegen" werde.

In zunehmendem Maße wird China gezwungen sein, seine Ressourcen zu benutzen, um die eigene Wirtschaft zu stützen. Die jüngsten offiziellen Statistiken zeigen, dass das Wachstum von Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal auf 9 Prozent zurückging - das ist schlimmer als die erwarteten 9,7 Prozent und liegt ein ganzes Stück unter den 11,9 Prozent von 2007. Eine Kabinettssitzung am Samstag vergangener Woche rief dazu auf, die hohen Wachstumsraten zu halten. Die voraussichtlichen Schritte dazu umfassen Senkungen der Zinsrate und des Diskontsatzes, Steuererleichterungen für Exportgüter, Subventionen für die Landwirtschaf und erhöhte Ausgaben für die Infrastruktur. Dem Bankökonomen von Standard Chartered China Stephen Green zufolge hat das Finanzministerium 400 Milliarden Dollar in der Zentralbank des Landes zur Finanzierung dieses Pakets zur Stimulation der Wirtschaft deponiert.

Diese Zahl liefert einen Schlüssel dafür, wie viel erforderlich ist, um das Wachstum der chinesischen Wirtschaft soweit aufrecht zu erhalten, dass es nicht zu einem starken Anwachsen der Arbeitslosigkeit kommt und eine soziale Explosion vermieden wird. Sheman Chan, einem Analysten von Moody's Economy.com zufolge käme eine Wachstumsrate unter acht Prozent in China - die für den Rest der Welt noch recht hoch wäre - "einer Rezession in fortgeschritteneren Wirtschaftsländern gleich", weil es nötig sei, pro Jahr mehr als 24 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.

Weltweite Krise

Die Krise, die sich zur Zeit entwickelt, trifft nicht allein die USA oder Europa, sondern die ganze Welt und erschüttert seit langem etablierte Wirtschaftsbeziehungen, in denen China eine wichtige Rolle gespielt hat. Während der letzten zwei Jahrzehnte ist China zum Hauptlieferanten für billige Arbeitskraft geworden und hat dadurch die schwächelnden Profitraten großer Firmen auf der ganzen Welt gestützt. China, Japan und andere asiatische Staaten führten die großen Gewinne aus ihren Exporten zurück in die USA und hielten den Wert ihrer Währungen niedrig - ein Prozess, der dazu beitrug, das gewaltige Staats- und Handelsbilanzdefizit der USA zu finanzieren. Der Strom billigen Geldes ermöglichte es der US-Zentralbank Federal Reserve, ihre Niedrigzinspolitik aufrecht zu erhalten. Das nährte die Immobilienblase und die Konsumption auf Kredit in den USA, was wiederum einen Markt für chinesische Waren schuf.

Der Zusammenbruch dieser Prozesse hat nicht nur drastische Konsequenzen für die amerikanische Wirtschaft, sondern ebenso für China. Was die Wertschöpfung angeht, so ist die chinesische Wirtschaft jetzt fast auf dem gleichen Niveau wie die amerikanische. Aber sein Pro-Kopf-Einkommen rangiert in der Welt an 100ster Stelle. Seine 1,3 Milliarden Menschen konsumierten 2007 nur für 1,2 Billionen Dollar - verglichen mit den 9,7 Billionen der 300 Millionen Amerikaner. Mit anderen Worten, Chinas Industrie ist weit mehr auf ausländische Märkte ausgerichtet als auf den beschränkten heimischen Markt. Rezessionen in den USA und in Europa würde in China unweigerlich zu Überkapazitäten führen, was zunehmende Lagerbestände, fallende Preise, Betriebsschließungen und einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hätte.

Es kommt bereits zu sozialen Unruhen. China produziert 70 Prozent des Spielzeugs der Welt, aber mehr als die Hälfte der Spielzeugfirmen des Landes haben in den letzten sieben Monaten dieses Jahres die Produktion eingestellt. Letzte Woche ging die Spielzeugfirma Smart Union aus Hongkong in Konkurs, was 6.500 Menschen ihren Arbeitsplatz kostete. Danach folgte die Ankündigung des Elektrozubehör Herstellers BEP, ebenfalls aus Hongkong, 1.500 Beschäftigte zu entlassen. Tausende der Arbeiter dieser beiden Firmen führten Protestaktionen durch, die erst beendet wurden, nachdem die Behörden versprochen hatten, sie würden die Löhne ausbezahlen. Aber wie will die Regierung Zehntausende oder Millionen von entlassenen Arbeitskräften bezahlen?

Eine Lawine von Arbeitsplatzverlusten zeichnet sich bereits am Horizont ab. Chen Cheng-jen, der Vorsitzende des Unternehmerverbands von Hongkong, erklärte der South China Morning Post am 19. Oktober, dass ein Viertel kleiner und mittlerer Hongkonger Firmen, die im Delta des Pearl River, eine der Hauptexportzonen Chinas, investiert haben, im Januar ihre Betriebe schließen wolle, womit 2,5 Millionen Arbeiter ihre Arbeit verlieren. Andere ausländische Firmen im Delta des Pearl River stehen vor ähnlichen Problemen, wodurch überall unter den 45 Millionen Industriebeschäftigten dieser Region Unruhe entsteht. In anderen Wirtschaftszonen, wie dem Jangtsedelta bei Shanghai, ist es nicht anders.

Die globale Finanzkrise ruft auch in China Zeichen der Instabilität hervor, die dazu führen, dass spekulatives Kapital heraus fließt. Glenn Maguire, der Asienspezialist der Société Generale SA erklärte Bloomberg.com, dass seit Juli jeden Monat 10 bis 20 Milliarden Dollar "heißen Geldes" China verlassen haben könnten. Die chinesische Zentralbank warnte in Juni vor "massivem Kapitalabfluss", wenn der Yuan gegenüber dem Dollar beträchtlich an Wert verlöre, wodurch es wie bei der Asienkrise 1998-98 zu Turbulenzen des Finanzsektors kommen könne.

Zweifellos wird es auf dem Gipfel der G-20 im nächsten Monat erheblichem Druck auf Peking geben, damit es dazu beiträgt, das Weltfinanzsystem zu stabilisieren. Da es jedoch mit seiner eigenen drohenden Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun haben wird, wird es nicht in der Lage sein, die großen Rettungspakete der USA und Europas z unterschreiben, auch wenn es die dazu notwendigen finanziellen Mittel hätte. Die astronomischen Kosten dieser Pakete werden von der Arbeitern in den USA und in Europa in Form grausamer Kürzungen der Sozialausgaben und einer starken Absenkung des Lebensstandards zu tragen sein, genauso wie die chinesischen Arbeiter gezwungen sein werden, für die Anarchie des globalen Kapitalismus durch einen gewaltigen Anstieg der Arbeitslosigkeit und Armut zu bezahlen.

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