G7 und Eurogruppe beschließen Milliarden-Geschenk für die Banken

Zwei Gipfeltreffen führender Industriestaaten haben am Wochenende beschlossen, den angeschlagenen Banken und Finanzmärkten öffentliche Gelder in unbegrenzter Höhe zur Verfügung zu stellen.

In Washington trafen sich am Freitagabend die Finanzminister und Notenbankchefs der USA, Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Italiens (G7), in Paris am Sonntag die 15 Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe (der EU-Länder, die den Euro als gemeinsame Währung führen) und Großbritanniens.

Vorangegangen war eine turbulente Woche, in deren Verlauf die Aktienkurse rund um die Welt einen Fünftel ihres Werts verloren. Der New Yorker Dow Jones sank zwischen dem 6. und 10. Oktober um 18,1%, der Londoner FTSE 100 um 21,0%, der Frankfurter DAX um 21,6% und der Tokioter Nikkei um 24,3%. Insgesamt verzeichneten die Weltbörsen in den vergangenen vier Wochen einen Wertverlust von fast 11 Billionen Dollar. Das entspricht nahezu dem gesamten jährlichen Bruttosozialprodukt der USA oder der EU.

Die Regierungen der führenden Industriestaaten reagierten auf die Panik an den Börsen, indem sie den für die Krise verantwortlichen Banken einen Blankoscheck auf die Staatskasse ausstellten.

Die G7-Finanzminister verabschiedeten in Washington einen Fünf-Punkte-Plan, dessen Kosten sich weder genau beziffern noch abschätzen lassen, die aber mit Sicherheit gigantisch sein werden.

Als erstes verpflichteten sie sich, keine Bank Pleite gehen zu lassen, die für das Finanzsystem wichtig ist. Als zweites wollen sie sicherstellen, dass die Finanzinstitute ausreichend Zugang zu Liquidität haben, indem sie zum Beispiel staatliche Garantien für Geldgeschäfte abgeben. Als drittes wollen sie dafür sorgen, dass die Banken über genügend Kapital verfügen, indem sie staatliche Anteile an den Banken erwerben. Als viertes wollen sie die Einlagen der Kunden garantieren und als fünftes die Bilanzierungsregeln lockern, so dass faule Kredite nicht sofort abgeschrieben werden müssen.

Der Fünf-Punkte-Plan passt auf eine A4-Seite. Die Festlegung der Einzelheiten, die praktische Durchführung und die Finanzierung bleiben den einzelnen Staaten überlassen. Es soll lediglich darauf geachtet werden, dass die Hilfen des einen Staates anderen Staaten nicht schaden.

Die Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe griffen am Sonntagabend die Vorschläge der G7 auf und einigten sich auf einen "Instrumentenkasten" zur Unterstützung der Banken in Europa. Zu den "Instrumenten" zählen Liquiditätshilfen, Kapitalspritzen und neue Bilanzierungsregeln für die Banken. Auch hier bleiben Auswahl, Durchführung und Finanzierung der "Instrumente" den nationalen Regierungen überlassen. Es gibt also weder ein gemeinsames europäisches Vorgehen noch eine gemeinsame Finanzierung.

Als Vorbild diente der Eurogruppe das Paket von 500 Milliarden Pfund (635 Milliarden Euro), das die britische Labour-Regierung bereits letzte Woche zur Unterstützung der Banken beschlossen hatte.

Die deutsche Regierung legte am Montag ihrerseits ein Paket von 480 Milliarden Euro vor, das bis Ende der Woche im Eilverfahren vom Parlament verabschiedet werden soll. 400 Milliarden Euro sind für staatliche Bürgschaften für Kredite zwischen den Banken vorgesehen, 80 Milliarden für frisches Kapital an die Geldinstitute.

Frankreich plant ein Unterstützungspaket von 360 Milliarden Euro - 320 Milliarden für notleidende Kredite und 40 Milliarden zur Versorgung der Banken mit frischem Kapital. Spanien will Kredite zwischen den Banken bis zu einer Gesamtsumme von 100 Milliarden Euro garantieren.

Diese Summen betragen bis zum Doppelten des jährlichen Staatshaushalts der betroffenen Länder und sind - auf den Kopf der Bevölkerung umgerechnet - drei bis vier Mal so hoch wie das 700-Milliarden-Dollar-Paket, das die US-Regierung vorletzte Woche verabschiedete.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Montag bekannt gegeben, sie werde in Zukunft gemeinsam mit der britischen und der Schweizer Notenbank den Geschäftsbanken Dollarliquidität in beliebiger Höhe zur Verfügung stellen. Bisher hatte sie stets nur Dollars in begrenzter Menge ausgegeben.

Ein Fass ohne Boden

Das erste, was an den am Wochenende beschlossenen Paketen auffällt, ist ihr unverhüllter Klassencharakter.

Seit nunmehr drei Jahrzehnten wird jede soziale Forderung mit der Begründung abgebügelt, es sei kein Geld in den öffentlichen Kassen. Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen wurden gesenkt, Löhne gedrückt und Arbeitsrechte beseitigt, weil - wie es hieß - nur hohe Unternehmensgewinne Wachstum und damit Wohlstand für alle garantieren könnten. Die britische Labour Party, die deutsche Sozialdemokratie und die Gewerkschaften hatten sich diesen Argumenten angeschlossen.

Nun, da die Bereicherungs- und Spekulationsorgie der Finanzoligarchie in die größte Krise seit 1929 geführt hat, sind die öffentlichen Kassen plötzlich randvoll. Hunderte Milliarden werden ausgeschüttet, um die Spekulationsverluste der Banken auszugleichen. Dabei werden die Millionen- und Milliardenvermögen, die dank niedrigen Steuern und grenzenloser Spekulation angehäuft wurden, nicht angetastet. Die Rechung muss letztlich die arbeitende Bevölkerung zahlen - in Form weiterer Kürzungen, steigender Arbeitslosigkeit und Inflation.

Die Regierungen haben den Bankern buchstäblich den Schlüssel zur Staatskasse ausgehändigt. Die Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben, welche die vergangenen drei Jahrzehnte geprägt hat, setzt sich mit der Finanzkrise in gesteigertem Tempo fort.

Mit der Verpflichtung, keine wichtige Bank Pleite gehen zu lassen, haben sich die Regierungen offen zu Geißeln der mächtigsten Finanzinteressen gemacht. In den Ausschüssen, die die Unterstützungspakete ausarbeiten und umsetzen, arbeiten Banker und Regierungsbeamte eng zusammen.

In den USA wird das Finanzministerium von Henry Paulson, dem früheren Chef von Goldman Sachs geleitet, einer Bank, die zu den Profiteuren der Krise gehört. In Deutschland arbeitet Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann aufs engste mit den Vertretern der Regierung zusammen.

Dabei ist die Finanzkrise ein Fass ohne Boden. Die Börsen haben zwar am Montag positiv auf die Beschlüsse vom Wochenende reagiert. Die Verluste vom Freitag (nicht aber die der ganzen Woche) wurden weitgehend ausgeglichen. Doch die Stimmung blieb skeptisch.

So wertete die Süddeutsche Zeitung die Beschlüsse von Washington zwar positiv. Erstmals hätten die G7 "eine globale Antwort auf die globale Krise des Finanzsystems gegeben". Doch die Mängel des Plans seien "so gravierend, dass der Aktionsplan der G7 auch als letztes Aufbäumen der Staatengemeinschaft gegen die Implosion ihres Finanzsystems in die Geschichte eingehen könnte".

SpiegelOnline zitiert Finanzexperten, die auf den Crash von 1987 verweisen: "Damals stürzte der Aktienmarkt nach Zwischenphasen der Erholung immer wieder in ein neues Tief."

Die Regierungen begründen ihre milliardenschweren Unterstützungspakete damit, dass nur so wieder Vertrauen hergestellt und der Finanzfluss zwischen den Banken in Gang gesetzt werden könne, ohne den die gesamte Wirtschaft zum Stillstand käme. Nach dieser Auffassung handelt es sich bei der gegenwärtigen Krise lediglich um eine Liquiditäts- und Vertrauenskrise, die sich legen wird, sobald die Geldzirkulation wieder in Gang kommt.

In Wirklichkeit erleben wir aber das Platzen einer gigantischen Spekulationsblase, die durch das Hineinpumpen neuer gewaltiger Summen durch Regierungen und Notenbanken leicht in eine rasende Inflation umschlagen kann.

Während der letzten Wochen und Tage ist immer wieder deutlich geworden, dass sogar die Banken selbst keine Ahnung haben, wie viele Risiken noch in ihren Bilanzen schlummern. So wird die Gesamtsumme der Derivate, die gegenwärtig im Umlauf sind, auf 516 Billionen Dollar geschätzt. Allein der Markt für Kredit- und Anleihenderivate hat ein Volumen von 56 Billionen Dollar. Dabei handelt es sich um reine Papierwerte, um Wetten auf zukünftige Entwicklungen, die als mögliche Verlustbringer in den Bilanzen der Banken liegen.

Die Regierungen geben sich große Mühe, Vertrauen und Ruhe zu verbreiten. Sie stellen die am Wochenende beschlossenen Rettungspakete als Beweis dafür dar, dass sie alles im Griff haben. Tatsächlich sind diese Pakete Ausdruck wachsender Panik. Und was in der Öffentlichkeit als "globale Antwort auf eine globale Krise" dargestellt wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck zunehmender Konflikte zwischen den einzelnen Staaten.

Seit die US-Regierung begonnen hat, ihre Banken mit Hunderten Milliarden an Steuergeldern zu unterstützen, fürchten die anderen Länder Wettbewerbsnachteile, wenn sie nicht nachziehen. Einer Bank, die eine finanzkräftige Regierung im Rücken hat, fällt es in der allgemeinen Panik leichter, neue Anleger zu gewinnen als einer Bank ohne öffentliche Rückendeckung. Deshalb geben Regierungen finanzielle Verpflichtungen ab, die sie niemals einhalten können. Vor allem kleinere und wirtschaftliche schwächere Länder stehen dabei auf der Verliererseite.

Die Finanzkrise greift zudem in rasantem Tempo auf die reale Wirtschaft über. "Der nächste Tsunami der Realwirtschaft rollt bereits heran", warnt Die Zeit. Das wird die Reibereien und Konflikte zwischen den mächtigsten Industriestaaten weiter verschärfen.

Stefan Kornelius sieht in der Süddeutschen Zeitung bereits eine Krise der gesamten Weltordnung. "Die Selbstentwertung der USA entfaltet im Vakuum der Vorwahlzeit ihre ganze Dynamik", schreibt er. "Europa, politisch bereits um eine Entkopplung bemüht, kämpft mit seinen eigenen Verstrickungen. Die Leitidee des Westens verblasst, neue Akteure halten sich in den Kulissen bereit. Die Finanzkrise wandelt sich zu einer Weltordnungskrise, davon zeugen die panischen Konferenz-Bemühungen in Washington und Paris."

Solche Krisen - die Ablösung alter Machtkonstellationen durch neue - haben sich in der Geschichte nie friedlich vollzogen. Die gegenwärtige Finanzkrise ist Ausdruck und Ergebnis einer tiefen Krise der gesamten kapitalistischen Ordnung.

Siehe auch:
Absturz an der Wall Street und wachsende Anzeichen einer globalen Rezession
(11. Oktober 2008)
Chaos auf den Märkten paralysiert EU
( 9. Oktober 2008)
Die internationale Finanzkrise und die Illusion eines geläuterten Kapitalismus
( 20. September 2008)
Die Wall Street-Krise und der Niedergang des amerikanischen Kapitalismus
( 17. September 2008)
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