500-Milliarden-Euro-Rettungspaket für Banken verabschiedet

Selbstentmachtung des Parlaments

Die Öffentlichkeit war letzte Woche Zeuge eines beispiellosen Vorgangs in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Der Bundestag verabschiedete am Freitagmorgen das 500-Milliarden-Euro-Paket für die Banken, das so genannte "Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes" mit 476 Ja-Stimmen bei 99 Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Unmittelbar im Anschluss winkte auch der Bundesrat das Gesetz durch. Bereits am frühen Nachmittag setzte Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift unter das Werk. Es trat somit schon am gestrigen Montag in Kraft.

Noch nie ist ein Gesetz in der Bundesrepublik so schnell verabschiedet worden. Von der Ankündigung durch CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder am Abend des 12. Oktober in der Talkshow "Anne Will" - auch das ein Novum - bis zur Unterschrift des Bundespräsidenten am Freitag vergingen keine sechs Tage.

Um das zu ermöglichen, mussten alle Parlamentarier auf ihre in der Verfassung verbrieften Rechte verzichten - was sie auch taten, einschließlich der Fraktion der Linken und der Grünen.

Die Frankfurter Rundschau schrieb von der "klassischen Logik des Ausnahmezustandes" und verglich das "ökonomische Notstandsgesetz von 2008" mit der "Notstandsverfassung von 1968".

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sprach sogar von einem "Ermächtigungsgesetz". Mit dem "Ermächtigungsgesetz" hatte sich der Reichstag am 23. März 1933 selbst entmachtet und Adolf Hitler diktatorische Vollmachten zugestanden. Dieser Vergleich hielt Sarrazin jedoch nicht davon ab, dem Gesetz am Freitag im Bundesrat zuzustimmen.

Auch in den Reden, die am Freitag im Bundestag gehalten wurden, fand sich keine Spur von Selbstkritik. Im Gegenteil, die Regierungsparteien feierten ihre Kapitulation vor den Banken. Sie hätten in der vergangenen Woche alles gegeben, um diesen beispiellosen Gesetzgebungsakt möglich zu machen. Bis in die frühen Morgenstunden sei täglich gearbeitet worden.

SPD-Fraktionschef Peter Struck dankte den Parlamentariern während der Bundestagsdebatte für die Kooperation. Er nannte das verkürzte Verfahren eine "Zumutung für das ganze Haus" und sprach von einem "beispiellosen Kraftakt", den alle gemeinsam vollbracht hätten.

Sein Kollege, der Fraktionschef der CDU/CSU Volker Kauder, erklärte stolz: "Es ist auf uns in dieser Woche angekommen, und wir sind dem auch gerecht geworden."

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nannte die Woche " ein eindrucksvoller Beleg für die Handlungsfähigkeit unserer Verfassungsorgane" und "ein eindrucksvoller Beleg für die oft beschworene Solidarität der Demokraten".

Und FDP-Chef Guido Westerwelle behauptete wider besseres Wissen: "Es ist ein Paket, das Deutschland dient und nicht einigen wenigen." Alle Abgeordneten seien verpflichtet, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden". Deshalb stimme die FDP zu.

Die beiden anderen Oppositionsparteien im Bundestag, Grüne und Linke, stimmten dem Gesetz nicht zu.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ereiferte sich: "Dieses Paket ist ein 500-Milliarden-Euro-Blankoscheck." Das Gesetz sei mit Hilfe der Bankmanager entstanden und atme daher den Geist: "Gib mir das Geld und misch dich nicht ein." Die Regierung habe vor den Bankern kapituliert. "Sie sitzen mit weißen Fahnen hier im Plenum", rief Künast mit Blick auf die Regierungsbank.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken Gregor Gysi klagte, wenn der Vorstand der Deutschen Bank entscheide, was der Bundestag zu tun habe, sei die Demokratie "schwer verletzt".

Das nennt man Chuzpe. Die Fraktionen der Grünen und der Linken hätten das Gesetz verhindern können, wenn sie sich zu Beginn der Woche geweigert hätten, dem Eilverfahren zuzustimmen. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich am Montagvormittag als erstes das Einverständnis aller Fraktionschefs eingeholt, den "500-Milliarden-Blankoscheck" bis zum Freitag auszustellen - also auch das von Künast und den beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Letzterer hatte seine Zustimmung bereits am Sonntag in der Talkshow bei Anne Will signalisiert.

Normalerweise benötigen Gesetze bis zur Verabschiedung mehrere Monate. Die versammelten Fraktionschefs aller Bundestagsparteien hatten Merkel aber am Montag versichert, sie verzichteten auf alle Fristenregelungen. "Ein beispielloser Vorgang", schreibt die Frankfurter Rundschau über diese "Verletzung der Demokratie".

Auch das Land Berlin, das von der SPD und den Linken regiert wird, stimmte in der anschließenden Sondersitzung des Bundesrats dem Gesetz zu. Normalerweise enthält sich ein Bundesland der Stimme, wenn ein Koalitionspartner nicht einverstanden ist.

Finanzminister Steinbrück dankte den versammelten Ministerpräsidenten der Länder ausdrücklich für ihre Kooperation. "Ein solches Verfahren ist nur bei außergewöhnlichen Situationen gerechtfertigt. Es ging um Gefahrenabwehr, um die Abwehr von Schaden für die Bundesrepublik Deutschland."

Geldgeschenk an die Finanzelite

In der Bundestagsdebatte beschwerten sich Sprecher aller Parteien über das Finanzgebaren der Banken und ihrer Manager. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) verglich einige Finanzakteure gar mit der Mafia. Manche Banken hätten sich wie "konkurrierende sizilianische Clans" verhalten, sagte er. Doch der Bundestag beschloss dennoch mit überwältigender Mehrheit, diesen Clans die unvorstellbare Summe von 500 Milliarden Euro in den Rachen zu schmeißen. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt umfasst in diesem Jahr 283 Milliarden Euro.

400 Milliarden Euro dienen dazu, für Geschäfte zwischen den Banken zu bürgen. Die Bürgschaften gelten für Verbindlichkeiten, die bis Ende 2009 eingegangen werden. Aufgrund einer Laufzeit von bis zu drei Jahren laufen die letzten Bürgschaften also erst Ende 2012 aus.

Weitere 70 Milliarden Euro, die per Beschluss des Bundestagshaushaltsausschusses auf 80 Milliarden Euro erhöht werden können, dienen dazu, bis Ende 2009 das Eigenkapital der Banken aufzustocken, indem sich der Fonds per Aktienkauf an den Finanzinstituten beteiligt oder deren faule Kredite aufkauft.

Steinbrück und die Bundesregierung hoffen, dass sie die 400 Milliarden für Bürgschaften niemals einlösen müssen, und stellen nur 20 Milliarden Euro für geplatzte Kredite bereit. Da sich die Bundesregierung das Geld für den Fonds über Bundesanleihen, Schatzbriefe oder Obligationen leiht, würden höhere Verluste eine folgenschwere Kettenreaktion auslösen, die bis zum Staatsbankrott führen könnte.

"Es ist ein düsteres Szenario, das sich der Berliner Koalition bietet", bemerkt Der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe. "Dass ihr Hilfsprogramm wirkt, ist alles andere als gesichert, und die Realwirtschaft droht kommendes Jahr in eine ernste Rezession abzugleiten." Müsste die Regierung "die gesamte Summe für die Rettung aufwenden", zitiert das Nachrichtenmagazin den Berliner Ökonomen Henrik Enderlein, "könnte bereits die Grenze der Belastbarkeit erreicht sein".

Nach Ansicht des Spiegels ist der Tiefpunkt der Finanzkrise noch längst nicht erreicht. Er weist auf die faulen Kreditkartenschulden in den USA hin, die sich Schätzungen zufolge im kommenden Jahr auf 100 Milliarden Dollar vervierfachen werden und die ähnlich wie die Sub-Prime-Hypotheken gebündelt und international verkauft wurden. Dasselbe gelte für Autokredite, "die noch lascher vergeben wurden".

Noch dramatischer sei die Lage "im globalen Casino für Versicherungen von Firmenkrediten". Allein das Marktvolumen für Kreditderivate - so genannte Credit Default Swaps (CDS) - habe sich in den vergangenen vier Jahren auf die unvorstellbare Summe von 55 Billionen Euro verzehnfacht. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der gesamten Welt. Nun drohe auch diese Blase zu platzen.

Doch "selbst wenn die weltweite Rettungsaktion für die Finanzindustrie gelingt", prophezeit Der Spiegel, "der Preis wird beträchtlich sein. Um die gigantischen Pakete zu finanzieren, werden die Bürger bluten müssen. Je nach Szenario könnte es für viele Jahre steigende Inflationsraten, höhere Steuern oder einen wirtschaftlichen Abschwung mit Einkommensverlusten und Massenarbeitslosigkeit geben."

Entgegen den Beteuerungen der Regierung, der Parteien und zahlreicher Medien handelt es sich bei dem 500-Milliarden-Euro-Paket also nicht um eine "alternativlose" Maßnahme, die das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herstellt und "Schaden vom deutschen Volk abwendet". Es handelt sich um ein Geldgeschenk an die Finanzelite, die durch ihre Bereicherungsorgie die gegenwärtige Krise verursacht hat und die weiter daran verdient.

Die Vergleiche mit den Notstandsgesetzen von 1968, den Notverordnungen der frühen dreißiger Jahre und dem Ermächtigungsgesetz von 1933 müssen deshalb Ernst genommen werden. In der vergangenen Wochen wurden "nur" die demokratischen Rechte des Bundestags mit Füßen getreten, der seiner Selbstentmachtung bereitwillig zustimmte. Doch wenn, wie Der Spiegel schreibt, "die Bürger bluten müssen", wenn, wie jetzt allgemein angenommen wird, die Exporte einbrechen, die Wirtschaft in eine Rezession sinkt, die Arbeitslosigkeit drastisch ansteigt und es dagegen Proteste gibt - dann wird auch die Bevölkerung die eiserne Hand des Staates zu spüren bekommen.

Geheimhaltung

Genauso undemokratisch wie das Gesetzgebungsverfahren ist auch das Gesetz selbst. Trotz den Beschwerden über Banker und Finanzmanager, in die selbst rechte Regierungsvertreter einstimmen, ist es darauf ausgerichtet, die Interessen der Finanzelite zu schützen und vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Irgendwelche Maßnahmen zum Schutz der wirklichen Krisenopfer - Arbeitslosen, Sparern, die ihre Guthaben verlieren, kleine Haubesitzer, die in Zahlungsverzug geraten - sind dagegen nicht vorgesehen.

Eine "Finanzmarktstabilisierungsanstalt" (FMSA) wird den 500 Milliarden Euro schweren Fonds verwalten. Sie arbeitet völlig abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Geführt wird die FMSA, auch "Banken-Treuhand" genannt, von einem nur dreiköpfigen Leitungsausschuss. Diese drei Personen, die das Finanzministerium im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank benennt, entscheiden über die Stützungshilfen. Bei Fällen von grundsätzlicher Bedeutung entscheiden fünf Personen auf Vorschlag der FMSA, ein Lenkungsausschuss mit je einem Vertreter des Kanzleramts, des Finanz-, Wirtschafts- und Justizministeriums sowie der Länder.

Auf Drängen der FDP wird die FMSA von neun Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Bundestags kontrolliert. Diese tagen aber geheim und sind zu strikter Geheimhaltung verpflichtet. Auch für viele Fondsbestimmungen gelten Verschwiegenheitspflichten, auch gegenüber dem Parlament. Die Öffentlichkeit wird also nie erfahren, warum und unter welchen Auflagen einzelne Banken Milliardengelder aus der Staatskasse erhalten.

Das Gesetz ist zudem äußerst vage gehalten. Der am häufigsten vorkommende Satz lautet: "Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf, nähere Bestimmungen erlassen über ...".

So steht im Gesetz nichts über die Auflagen, an die die Staatshilfen geknüpft sind. Steinbrück hatte behauptet, die Managergehälter der Banken, die Hilfe aus dem Fonds in Anspruch nehmen, würden auf jährlich maximal 500.000 Euro gesenkt. Der Staat wolle auch auf Bonuszahlungen, Ausschüttungen an Aktionäre, Geschäftspolitik sowie Kreditvergabe Einfluss nehmen. Doch dazu wird es kaum kommen. Das Finanzministerium hat bereits klargestellt, dass jede Vereinbarung über eine staatliche Hilfe "bilateral" und "im Einzelfall unterschiedlich" getroffen werde.

Siehe auch:
Die Diktatur der Banken
(16. Oktober 2008)
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