Börsenkurse fallen wegen Anzeichen globaler Rezession

An den Börsen in den USA und in Europa stürzten die Kurse gestern stark ab. Dahinter stehen immer stärkere Anzeichen einer schweren Rezession in den USA.

An der Wall Street fiel der Dow Jones um 7,8 Prozent oder 733 Punkte, der zweitstärkste Rückgang des Index’ an einen einzigen Tag nach Punkten. Von den 30 Industrietiteln im Dow konnte nur CocaCola leicht im Plus schließen, weil die Firma höhere Profite als erwartet bekannt gegeben hatte.

Der Standard & Poors 500 Index ging mit neun Prozent noch stärker zurück, während die Technologiebörse Nasdaq 8,4 Prozent verlor. Die Aktien in diesen Indizes tendierten fast durchweg schwächer. Im Nasdaq kamen auf einen Gewinner acht Verlierer.

Nachdem er letzte Woche beispiellos um 8 Prozent gefallen war, löschte der Einbruch des Dow Jones gestern die Gewinne von 936 Punkten vom Montag fast wieder aus. Die Erholung vom Montag war das Ergebnis der Ankündigung der Bush-Regierung, den 700 Mrd. Dollar Rettungsplan für die Wall Street mit 2,25 Billionen Dollar Staatsgeldern zur Stützung der Großbanken und Finanzfirmen aufzustocken.

Der gestrige Niedergang an den Märkten stützt die wachsende Erkenntnis, dass das Rettungspaket ein Abgleiten der USA in die Rezession nicht verhindern wird. Die Konsumausgaben sind stark zurückgegangen, der Geschäftsklimaindex bleibt schwach und wichtige amerikanische Exportmärkte in Europa und anderen Regionen sind angesichts geringen Wachstums der Weltwirtschaft in Gefahr. Keine der Maßnahmen der Bush-Regierung nimmt die tieferen Ursachen der Krise des amerikanischen Kapitalismus in Angriff.

"Nichts, was die Regierung getan hat, wird eine Verschlechterung der Wirtschaftslage verhindern", sagte Stuart Hoffman, Chefökonom der PNC Bank zur New York Times.

"Man kann sagen, dass wir von der alten Krise inzwischen zu einer neuen Krise übergegangen sind", sagte Howard Silverblatt, ein angesehener Index-Analyst von Standard & Poor’s. "Die Kreditkrise ist in gewissem Ausmaß unter Kontrolle, aber jetzt haben wir Rezession, Arbeitslosigkeit und steigende Herstellungskosten am Hals."

Der Bericht des US-Handelsministeriums über den Umsatz des Einzelhandels im September von gestern sagt aus, dass die Umsätze um 1,2 Prozent zurückgegangen sind. Das ist ein fast doppelt so großer Rückgang, als Ökonomen erwartet hatten. Es ist der dritte Monat in Folge, in dem die Konsumausgaben zurückgegangen sind.

Der besonders starke Rückgang des Absatzes der Autohändler ist ein Indiz dafür, wie stark die Finanzkrise die arbeitende Bevölkerung getroffen hat. Es wurden 3,8 Prozent weniger Autos verkauft. Auch der Umsatz von Kaufhäusern und Einkaufszentren hat stark gelitten. Deshalb fielen gestern die Kurse von Wal-Mart um 6,3 Prozent, von Target um acht Prozent und von Staples um 7,7 Prozent.

Die Federal Reserve hat gerade ihr "Beige Buch" veröffentlicht, eine regelmäßige Befragung von Unternehmen im ganzen Land. Daraus ergibt sich, dass die Ausgaben der Privathaushalte in allen zwölf Stadtregionen, die von der Untersuchung abgedeckt waren, zurückgegangen sind. Einzelhandel, Autoverkäufe und Tourismus sind in den meisten Regionen zurückgegangen, während Wohnungsbau und die Bauwirtschaft "sich abschwächten oder auf niedrigem Niveau stagnierten". Die Unternehmen seinen zu "einer pessimistischeren Einschätzung der wirtschaftlichen Aussichten" gekommen.

Andere negative Indikatoren waren Zahlen zur verarbeitenden Industrie in New York, die auf dem niedrigsten Niveau liegen, seit der Index in 2001 begründet wurde.

Der Chef der New Yorker Finanzbehörde William Thompson, erklärte in einer anderen Veröffentlichung, dass die Krise die Stadt 165.000 Arbeitsplätze kosten könnte, darunter 35.000 In der Finanzwirtschaft. Die vorausgesagte Zahl von 165.000 bedrohten Arbeitsplätzen ist doppelt so hoch, wie die Zahl, die Thompson noch im Juli erwartete. Er sagte, die revidierten Zahlen spiegelten "die Ausbreitung der wirtschaftlichen Probleme in andere Teile der Industrie wider, weil das Land in eine allgemeine Rezession abgleitet."

Thompsons Äußerung ist eine im Chor derer, die vor einem bevorstehenden Anstieg der Arbeitslosigkeit warnen. Am Montag sagte Microsofts Bill Gates, er erwarte eine "ziemlich schwere Rezession", die zu neun Prozent Arbeitslosigkeit führen werde. Gates gab diese Einschätzung bekannt, noch bevor die Aktien seiner Firma am Dienstag und Mittwoch elf Prozent ihres Wertes verloren. Andere Technikwerte fielen ebenfalls stark zurück. Ebay verlor 14 Prozent und Dell 11 Prozent.

Das Gespenst der Großen Depression

Die Präsidentin der Federal Reserve von San Francisco, Janet Yellen, bestätigte in einer Ansprache vor Unternehmensvorständen im Silikon Valley, dass sich die USA offiziell in einer Rezession befänden. Sie nannte jüngste Daten der Fed, die zeigen, dass die Wirtschaft im dritten Quartal schwächer war als erwartet, "wahrscheinlich mit einem Null-Wachstum", während für das vierte Quartal "ein Minuswachstum wahrscheinlich ist". Sie schloss mit den Worten: "Die amerikanische Wirtschaft scheint sich in der Tat in einer Rezession zu befinden." Das scheine "nicht mehr umstritten zu sein".

Bemerkenswerterweise wurde Yellens Rede auf der zentralen Web Site der Fed nicht wiedergegeben. Der Vorsitzende der Federal Reserve, Ben Bernanke, hielt seine gestrige Rede vor dem New Yorker Wirtschaftsclub in einer anderen Tonlage. Bernanke versuchte die Märkte mit der Ankündigung zu beruhigen, dass der Leitzins noch in diesem Monat erneut gesenkt werden könnte, und dass die politischen Entscheidungsträger die Lehren aus der großen Depression gelernt und die kritischen Fehler vermieden hätten, die ihre Vorgänger in den 1930er Jahren gemacht hatten. Erneut warb er für das Rettungsprogramm.

Diese Platitüden verfehlten allerdings ihre Wirkung, weil viele an der Wall Street nervös darauf reagierten, dass der Notenbankchef offen die große Depression ins Gespräch brachte.

Peter Cardillo, Chef-Marktanalyst bei Avalon Partners in New York, sagte dem Wall Street Journal, dass er den Vergleich der aktuellen Krise mit den 1930er Jahren ausgesprochen "beunruhigend fand". "Wie kann man erwarten, dass der Markt darauf nicht reagiert?", fragte er. "Hört hin, was er sagt!"

Bernanke betonte zwar, er sei zuversichtlich, dass die Wirtschaft aus der Krise mit "neuer Kraft" hervorgehen werde. Aber seine Rede gab eine düstere Prognose. "Die Stabilisierung der Finanzmärkte ist ein erster wichtiger Schritt, aber selbst wenn sie sich stabilisieren, was wir hoffen, wird die allgemeine Wirtschaftserholung nicht auf dem Fuße folgen", sagte er. Letztlich werden die Aussichten für die Wirtschaftsaktivität über die nächsten paar Quartale hinaus stark davon abhängen, dass die Finanz- und Kreditmärkte wieder normal zu funktionieren beginnen."

Es bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen der Bush-Regierung den "normalen" Finanzparasitismus wiederbeleben, der die amerikanische Wirtschaft zuletzt dominiert hat.

"Blue Chip"-Werte waren gestern mit am schwersten von dem Einbruch an der Wall Street betroffen. Die Citigroup und American Express gaben beide etwa dreizehn Prozent nach. Ein einflussreicher Bankanalyst von Oppenheimer & Co trug zu der Verkaufs-Rally mit der Warnung bei, dass die amerikanischen Banken trotz Bushs Rettungsaktion noch nicht aus dem Schneider seien.

Ein wichtiger Faktor bei den Panikverkäufen gestern war die Aktivität der Hedge Fonds, die Aktienpakete verkaufen mussten, um an Bargeld zu kommen, weil ihre Broker die Bezahlung von Aktien verlangten. Solche Zwangsverkäufe von Großinvestoren tragen wiederum dazu bei, die Aktienpreise zu drücken, was wiederum die Deckungssumme verringert, die offene Kredite der Finanzunternehmen absichert. Das verstärkt erneut die Forderung von Gläubigern, die Aktien zu bezahlen. Das führt zu einer Beschleunigung der Abwärtsspirale an den Finanzmärkten.

Außerdem ist noch die Frage offen, wie das Rettungspaket bezahlt werden soll. Am Dienstag berichtete das Finanzministerium, dass die Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2008 ein Haushaltsdefizit von 454,8 Mrd. Dollar aufgehäuft hat, gegenüber 161,5 Mrd. Dollar im Jahr davor. Bloomberg.com zufolge hat der Chefökonom von Morgan Stanley, David Greenlaw vorhersagt, dass dieses Defizit auf zwei Billionen Dollar ansteigen könnte, wenn der volle Umfang der Kosten des Rettungsplans bekannt wird. Das entspräche dann etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA - und wäre doppelt so groß, wie das Rekorddefizit von neun Prozent des BIP im Jahre 1983.

In seiner Rede in New York wies Notenbankchef Bernanke auf eine weitere ernste Gefahr für die amerikanische Wirtschaft hin, nämlich auf die Wachstumsschwäche ihrer großen Handelspartner, die zwangsläufig zu einem Rückgang der US-Exporte führen wird.

Entwicklungen in Europa gestern bestätigten diese Befürchtungen. Die wichtigsten Börsen erlitten deutliche Einbrüche: der Londoner FTSE 100 um 7,2 Prozent, der französische CAC-40 um 6,8 Prozent und der deutsche Dax um 6,4 Prozent.

Die Schwäche der britischen Märkte hatte auch mit dem Bekanntwerden der Arbeitslosenzahlen zu tun, die für den Zeitraum von Juni bis August auf 5,7 Prozent gestiegen waren, ein Anstieg von 0,5 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Quartal. 164.000 Arbeitslose reihten sich neu in die Schlangen der offiziellen Arbeitslosen ein, der größte Vierteljahresanstieg seit siebzehn Jahren. Der Financial Times zufolge erwarten viele Beobachter 2009 einen Anstieg der britischen Arbeitslosenrate auf über sieben Prozent.

Der Rückgang des weltweiten Wachstum drückt auf die Nachfrage nach Waren, was zu niedrigeren Preisen führt. Der Reuters-Jeffries CRB Index, ein Index für die Weltwarenpreise, verzeichnete gestern ein Zwei-Jahres-Tief. Seit seinem Höchststand im Juli ist er um fast 40 Prozent zurückgegangen. In den letzten drei Monaten sind die Preise für Rohöl, Platin, Kupfer und Zink um 35 bis 45 Prozent gefallen, während landwirtschaftliche Produkte wie Soja und Mais um mehr als 50 Prozent gefallen sind.

Der Bergbaukonzern Rio Tinto hat angekündigt, wegen schwächerer Nachfrage aus China die Produktion in mehreren seiner Aluminiumwerke zu reduzieren. Rio Tinto Chef Tom Albanese erklärte, dass die chinesische Wirtschaft "nach Jahren rasanten Wachstums eine Atempause einlegt". Die Aktien des Bergwerksgiganten sanken nach dieser Ankündigung um sechzehn Prozent. Auch die Werte anderer Energie und Rohstofffirmen fielen gestern zurück, darunter von die von Alcoa (um 12,8 Prozent) und Exxon Mobil (um 14 Prozent).

Die Finanzkrise hat die tiefen Widersprüche ans Licht gebracht, die das kapitalistische System schon seit langer Zeit plagen. Da hilft auch das verzweifelte Hoffen der Entscheidungsträger in Europa, Asien und anderen Gegenden nichts: Wenn die USA in eine tiefe und längere Rezession geraten, dann wird das unvermeidlich zu einem kräftigen Abschwung der Weltwirtschaft führen.

Siehe auch:
Das trügerische Hoch an der Wall Street - was die Geschichte lehrt
(16. Oktober 2008)
Wall Street fordert freie Verfügung über Geld des Finanzministeriums
( 14. Oktober 2008)
G7 und Eurogruppe beschließen Milliarden-Geschenk für die Banken
( 14. Oktober 2008)
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