Wachsende Spannungen vor dem Weltwirtschaftsgipfel

Am heutigen Freitag treffen sich in Washington die Staats- und Regierungschefs der G20 zu einem Weltwirtschaftsgipfel, um Antworten auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise zu beraten.

Die zwanzig größten Industrie- und Schwellenländer verkörpern zusammen 85 Prozent des weltweiten Wirtschaftsprodukts und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass der Gipfel zu konkreten Ergebnissen gelangen wird. Dafür sind die Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen den Teilnehmern viel zu groß.

Der französische Außenminister Bernard Kouchner, der in Washington auch die Europäische Union vertritt, hat bereits gewarnt, der Gipfel sei lediglich "der Anfang eines sehr langen Prozesses". Die "schwierige Arbeit", die am Wochenende beginne, müsse hartnäckig fortgeführt werden. Als mögliches Problem nannte Kouchner den scheidenden US-Präsidenten und Gastgeber des Gipfels, George W. Bush.

Trotz der geringen Aussichten auf ein konkretes Ergebnis ist der Gipfel nicht ohne politische Bedeutung. Im Mittelpunkt steht nicht Bush, sondern sein Nachfolger Barack Obama - der gar nicht an dem Treffen teilnimmt.

Obama hat erklärt, er werde nicht zum Gipfel kommen, um jede Verwischung der Verantwortlichkeiten zwischen ihm und Bush zu vermeiden. Er schickt aber einige seiner engsten Berater, darunter die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright. Außerdem wird er von der amerikanischen Regierung ständig auf dem Laufenden gehalten, wie Bush-Berater Dan Price bekannt gab.

Insbesondere die europäischen Teilnehmer betrachten den Gipfel als Gelegenheit, ihre Forderungen an den zukünftigen amerikanischen Präsidenten zu stellen und herauszufinden, zu welchen Zugeständnissen er bereit ist. Die Europäische Union hat verlangt, dass bereits in hundert Tagen - ein Monat nach der Amtsübernahme Obamas - ein weiterer Gipfel stattfindet, der konkrete Beschlüsse fassen soll.

Nach der achtjährigen Präsidentschaft Bushs, die durch eine einseitige und aggressive Verteidigung amerikanischer Interessen geprägt war, hoffen die Gipfelteilnehmer, sie könnten mit dem Wechsel im Weißen Haus ihren eigenen Interessen wieder stärker Geltung verschaffen. Sie verlangen mehr oder weniger offen, dass die USA Macht und Einfluss abgeben und auf ihre Rolle als alleinige Supermacht verzichten.

Sie glauben, die USA seien durch die Finanzkrise und die militärischen Probleme in Irak und Afghanistan derart geschwächt, dass sie nicht um Zugeständnisse herumkommen. Sie hoffen, Obama werde Einsicht zeigen, seine Versprechen aus dem Wahlkampf wahr machen und zu einer engeren Zusammenarbeit in der Außenpolitik, insbesondere mit Europa bereit sein.

Hinter der offiziellen Kulisse des Gipfels - den gemeinsamen Fototermine, Banketten und nichts sagenden Erklärungen - wird es heftige Auseinandersetzungen über diese Fragen geben. Die Auswirkungen der Finanzkrise und der weltweiten Rezession verschärfen die Spannungen, die sich seit langem entwickelt haben.

An den Finanzmärkten werden fast täglich Milliardenwerte vernichtet und die Rezession gefährdet ganze Industriezweige. Unter diesen Bedingungen ist keine Regierung der G 20, am allerwenigsten die amerikanische, bereit, die eigenen nationalen Finanz- und Wirtschaftsinteressen dem Prinzip der internationalen Zusammenarbeit zu opfern. Das gilt auch für Obama, der enge Beziehungen zur Wall Street unterhält.

Hinter der Auseinandersetzung über Rettungspakete, neue Regeln für die globalen Finanzmärkte und die internationale Kontrolle von Finanzinstituten, die im Mittelpunkt des Washingtoner Gipfels stehen, verbirgt sich ein erbitterter Kampf um wirtschaftliche Vorteile, Einfluss und Profite.

Zwei Artikel aus der deutschen Presse sind in dieser Hinsicht symptomatisch. Ihr feindseliger Ton gegenüber den USA ist umso bemerkenswerter, als die Partnerschaft mit Amerika in Deutschland lange Zeit den Rang einer offiziellen Staatsdoktrin einnahm.

Der Spiegel wirft der amerikanischen Regierung in seiner jüngsten Ausgabe vor, sie verteidige"im Interesse der Wall Street ihre Vorherrschaft auf den Kapitalmärkten" und blockiere deshalb das europäische Drängen auf schärfere Kontrollen für Banken und Börsen.

Es gehe der US-Regierung in erster Linie darum, die hohen Profite "ihrer global operierenden Finanzindustrie" zu verteidigen. Die Finanzindustrie habe 2007 rund 30 Prozent zu den gesamten Unternehmensgewinnen der USA beigetragen. "Diese Profitabilität," schriebt Der Spiegel, "die sonst nur im Drogenschmuggel und im Rotlichtmilieu erreicht werden kann, will bei den derzeit Regierenden niemand gefährden - trotz Billionen-Desaster und verstaatlichter Institute, trotz Millionen geplatzter Immobilienkredite und einer implodierenden Wall Street. Würden sich die Deutschen durchsetzen, wären die hohen Gewinnmargen Vergangenheit."

Ähnlich wertet auch die Süddeutsche Zeitung vom 13. November die Auseinandersetzung über neue internationale Finanzregeln ein. Sie schreibt: "Ein noch größeres Hindernis auf dem Weg zu einer neuen Finanzarchitektur ist die Rolle der USA und Großbritanniens: Sie werden Macht und Einnahmen einbüßen. Wenn der Staat mehr kontrollieren wird und die Geldhäuser und ihre Manager mehr Verantwortung übernehmen müssen, dann schmelzen die Gewinne der Branche."

Die Forderungen nach neuen Regeln für die Finanzmärkte, wie sie vor allem von Frankreich und Deutschland erhoben werden, sind alles andere als selbstlos. Sie dienen nicht dazu, Arbeiter, Sparer und Eigenheimbesitzer vor Spekulanten und vor den Auswirkungen der Finanzkrise zu schützen, sondern die europäischen Konzerne gegen die Wall Street und die City of London - die beiden wichtigsten Finanzzentren der Welt - zu stärken.

Eng damit verbunden ist das Bemühen der Europäer, sich aus der politischen Abhängigkeit der USA zu befreien und eine eigenständige Rolle als imperialistische Großmacht zu spielen.

Ein Kommentar, der am 12. November in der Süddeutschen Zeitung erschien, spricht dies offen aus. Er fordert die europäischen Regierungen auf, den Regierungswechsel in Washington für eine "veränderte transatlantische Strategie" zu nutzen. Die Welt habe sich verändert. "Neue Mächte wachsen in Asien und in Südamerika heran. Russland meldet sich als Großmacht zurück. Und die Europäische Union spielt im Kreis der Großen inzwischen eine tragende Rolle. Es gibt keine alleinige Supermacht mehr."

Die USA blieben zwar wichtig für Europa. "Aber es darf nicht mehr allein bei den Amerikanern liegen zu bestimmen, was es bedeutet, Partner zu sein", fordert die Süddeutsche Zeitung. "Wer nur abwarten will, was der neue Mann im Weißen Haus eines Tages von den Europäern verlangt, der landet am Ende wieder in einer Beziehung, wo der eine der Koch und der andere der Kellner ist." Europa müsse folgende Bedingungen für eine neue Partnerschaft stellen: "Kein Missbrauch der Nato mehr als ‚Instrumentenkasten’ für amerikanische Interessen, keine Spaltung Europas mehr in ‚alt’ und ‚neu’ und keine Missachtung der Vereinten Nationen und des Völkerrechts."

Die Zeitung bezweifelt allerdings, ob Europa "politisch schon einig genug ist, um den USA auf Augenhöhe entgegentreten zu können". Die Schuld sieht sie im Osten der EU. Die neuen Mitgliedsländer wünschten sich "die USA als Führungsmacht im alten Stil". Doch diese Forderung aus der Vergangenheit tauge "wenig bei der Bewältigung der Herausforderungen der Gegenwart. ... Die Stunde ist günstig, wenn Europa sie nutzt."

Der Kampf um wirtschaftlichen und politischen Einfluss, um Absatzmärkte, Rohstoffe und strategische Vorteile hat im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege ausgelöst. Heute führen die wachsenden Konflikte zwischen den Großmächten wieder in dieselbe Richtung. Die Krise des kapitalistischen Systems bedroht nicht nur Millionen mit Arbeitslosigkeit und dem Verlust ihrer Ersparnisse und Altersrenten, sondern auch mit neuen imperialistischen Kriegen.

Siehe auch:
EU bereitet sich auf Obama vor
(11. November 2008)
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