SPD-Rechte stoppen Ypsilanti

Nur einen Tag vor der geplanten Wahl Andrea Ypsilantis zur hessischen Ministerpräsidentin wurde sie von Abtrünnigen aus den eigenen Reihen gestoppt. Vier Mitglieder der eigenen Landtagsfraktion verweigerten der hessischen SPD-Vorsitzenden ihre Unterstützung.

Damit sind die Pläne einer von der Linkspartei tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung zur Abwahl des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) zum zweiten Mal gescheitert. Im März hatte die Darmstädter SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger schon einmal der SPD-Landesvorsitzenden die Gefolgschaft verweigert. Gestern wurde sie von drei weiteren Abgeordneten unterstützt.

Alle vier "Rechtsabweichler" traten gestern Mittag gemeinsam vor die Presse und gaben im Wesentlichen zwei Gründe für ihre Opposition gegen Ypsilantis rot-rot-grüne Zusammenarbeit an. Erstens lehnten sie jede Art Zusammenarbeit mit der Linkspartei ab, und zweitens seien sie einer Politik verpflichtet, die sich an den Interessen der Wirtschaft und des Mittelstandes orientiere. Alle Vier machten aus ihrem vehementen Antikommunismus keinen Hehl.

Anführer der Oppositionellen ist der stellvertretende Landesvorsitzende Jürgen Walter. Der vierzigjährige Jurist ist ein ausdrücklicher Vertreter von Wirtschaftsinteressen und kämpft seit mehreren Jahren vehement für den Ausbau des Frankfurter Flughafens, ein Projekt, das in der Bevölkerung auf großen Widerstand stößt.

Als es 2006 um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl ging, hatte Walter die Landesvorsitzende Ypsilanti herausgefordert. Er war ihrer Orientierung auf die Grünen vehement entgegengetreten und hatte stattdessen eine Zusammenarbeit mit der CDU in einer Großen Koalition angestrebt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Als die Regierungsübernahme von Ypsilanti im Frühjahr scheiterte, hatte er seine Forderung wiederholt, sich die "Möglichkeit einer Großen Koalition" offen zu halten.

Privat hat er diese Koalition bereits geschlossen. Im Sommer hat er die Pressesprecherin der hessischen CDU, Ester Petry, geheiratet.

Neben Walter und Metzger bekundeten Carmen Everts und Silke Tesch ihre Opposition gegen Ypsilanti.

Everts ist wie Walter Juristin. Sie begründete ihre Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit der Linkspartei damit, dass sie eine Doktorarbeit über Extremismus geschrieben habe.

Silke Tesch ist Sprecherin der SPD-Fraktion für Mittelstand, Dienstleistungen und Handwerk sowie stellvertretende Vorsitzende im Rechtsausschuss. Auf der Pressekonferenz begründete sie ihre Opposition mit den Worten: "Ich habe im Wahlkampf immer wieder gesagt: Nicht mit der Linken". Immer wieder sei sie in ihrem Wahlkreis auf diesen "Wortbruch" angesprochen worden und könne daher den Kurs von Ypsilanti mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren.

Walter, Everts und Tesch haben ihr "Gewissen" reichlich spät entdeckt. Alle drei hatten zuvor wochenlang versichert, sie würden am 4. November für Ypsilanti stimmen. Walter hatte sogar den Koalitionsvertrag mit den Grünen mitverhandelt, den er inzwischen lautstark verdammt. Er ging auf Distanz zu Ypsilanti, nachdem diese ihren Vertrauten Hermann Scheer zum Wirtschaftsminister auserkoren hatte, ein Amt auf das Walter selbst Anspruch erhoben hatte. Das Ressort für Verkehr und Europa, das sie ihm stattdessen anbot, lehnte er ab.

Die SPD-Führung in Berlin ist von der Entwicklung in Hessen völlig überrumpelt worden, heißt es in Presseberichten. Es habe im Präsidium "ungläubiges Erstaunen" gegeben, berichten Sitzungsteilnehmer. Mit dem Vorgehen der vier hessischen Parteifreunde habe im Willy-Brandt-Haus niemand gerechnet. Ihr Verhalten wurde in der Präsidiumssitzung als "seltsam und nicht loyal" bezeichnet.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering bezeichnete den gescheiterten Machtwechsel in Wiesbaden als "schweren Schlag" für die hessische SPD. Im Partei-Präsidium habe die Nachricht am Montagvormittag eine "Mischung aus Betroffenheit und Empörung" ausgelöst, sagte Müntefering.

Am selben Montag war in der Bild -Zeitung ein Interview mit Müntefering erschienen, in dem er seine Unterstützung für die Wahl Ypsilantis mit den Stimmen der Linken erklärte. Das Blatt zitiert den SPD-Chef mit den Worten: "Ich drücke die Daumen." Die Abhängigkeit von der Linkspartei sei "natürlich ein Problem", aber es gelte, Hessen "wieder vernünftig" zu regieren. Lieber wäre ihm allerdings eine Koalition mit den Linken gewesen.

Einige Kommentare spekulieren darüber, ob es sich bei dieser Aussage um ein Manöver der Parteiführung gehandelt habe, gewissermaßen um den politischen Todeskuss für Ypsilanti, oder ob die SPD-Spitze tatsächlich von den Ereignissen überrascht wurde.

Doch derartige Spekulationen haben wenig Bedeutung.

Fakt ist, dass Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier im Sommer einen politischen Putsch in der SPD-Führung organisiert haben, um jede Art von Anpassung an den wachsenden Druck von Seiten der Bevölkerung gegen die unsoziale Politik der Agenda 2010 und Hartz IV zu verhindern. Ihr ausdrückliches Ziel ist es, die SPD in die Lage zu versetzen, die Agenda-Politik weiterzuentwickeln und zu verschärfen.

Angesichts der Krise der Union, die im Wahldebakels der CSU in Bayern sichtbar wurde, bietet sich die SPD der herrschenden Elite als die Partei an, die auch unter Bedingungen der verschärften Finanz- und Wirtschaftskrise in der Lage ist, weitere Sozialkürzungen durchzusetzen.

Die SPD-Linken fürchten, ein solcher Kurs werde noch mehr Arbeiter und Jugendliche von der SPD wegtreiben und letztlich zur Entstehung einer radikaleren Alternative auf der Linken führen. Sie sind deshalb zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei bereit, die sich an Worten an die soziale Empörung anpasst, während sie überall dort, wo sie Regierungsverantwortung trug oder trägt - in Sachsen Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin - als verlässliche Stütze der bürgerlichen Ordnung dient.

Die jüngsten Ereignisse in Hessen bilden den Auftakt für einen weiteren Rechtsruck der SPD und verschärfen gleichzeitig die parteiinternen Konflikte bis an den Rand einer Spaltung.

Siehe auch:
SPD-Parteitag im Schatten der Finanzkrise
(22. Oktober 2008)
Die Finanzkrise und das Comeback von Gerhard Schröder
( 17. September 2008)
Der Putsch der SPD-Rechten und die Rolle der Linkspartei
( 13. September 2008)
Führungswechsel in der SPD: Putsch der Partei-Rechten
( 9. September 2008)
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