Hessen: Die Linkspartei war zu allem bereit

Das Scheitern der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti, im Bündnis mit den Grünen die Landesregierung in Wiesbaden zu übernehmen, wirft ein grelles Licht auf die Rolle der Linkspartei. Während die SPD-Rechten ihre Bedingungen diktierten und die Koalition schließlich in letzter Minute platzen ließen, war die Linkspartei buchstäblich als einzige Partei zur bedingungslosen Unterstützung Ypsilantis bereit.

Immer wieder betonte in den vergangenen Tagen der Landesvorstand, die Linkspartei stehe ohne Wenn und Aber hinter Ypsilanti und werde ihre Kandidatur unterstützen. Am vergangenen Freitag, also noch vor den Abstimmungen auf den Landesparteitagen der SPD und der Grünen, empfahl die Linkspartei - obwohl nicht Koalitionspartner - aufgrund einer Mitgliederbefragung ihren sechs Abgeordneten die Wahl Ypsilantis.

Und nur einen Tag nach Vorstellung des Koalitionsvertrags von SPD und Grünen am 24. Oktober schwärmte der hessische Landesfraktionsvorsitzende Willi van Ooyen vor Pressevertretern, wie viele Formulierungen der Linken in diesem Papier wiederzufinden seien und welch "positiven Ansatz" es bedeute, dass nun die "soziale Gerechtigkeit als Prinzip etabliert" worden sei. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als der Landesvorstand noch gar nicht das Koalitionspapier beraten hatte. Dies fand erst Sonntagnachmittag statt.

Als gestern Mittag bekannt wurde, dass vier SPD-Abgeordnete des rechten Flügels die Wahl von Andrea Ypsilanti verhindern, reagierte Willi von Ooyen entsetzt. In einer ersten Stellungnahme sagte er: "Das ist ein schwarzer Tag für Hessen." Es sei ein beispielloser Vorgang, dass SPD-Vertreter der hessischen CDU und deren "Stahlhelmfraktion im Landtag" unter dem geschäftsführenden Ministerpräsident Roland Koch den Weg ebneten, "eine unsoziale und ökologiefeindliche Politik fortzusetzen".

Am Tag zuvor hatte der Landesvorstand der Linkspartei einmütig dem rot-grünen Koalitionsvertrag zugestimmt. In einer anschließenden Erklärung heißt es: "Der Landesvorstand hat den Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in einer intensiven Diskussion politisch bewertet."

Dann folgt die für die Linkspartei übliche Wortspielerei, mit der sie versucht, ihren Anhängern Sand in die Augen zu streuen. "Der Landesvorstand war einhellig der Meinung, dass der vorliegende Koalitionsvertrag noch keinen Politikwechsel bedeutet", heißt es in der Erklärung, um aber sofort hinzuzufügen, dass der Koalitionsvertrag dennoch "einen erkennbaren Richtungswechsel" der Regierungspolitik in Hessen darstelle und daher die Linkspartei an ihrer Unterstützung für Ypsilanti festhalte.

Was von diesem "erkennbaren Richtungswechsel der Regierungspolitik", der "noch keinen Politikwechsel" darstellt, zu halten ist, wird deutlich, wenn man den ausgehandelten rot-grünen Koalitionsvertrag genauer unter die Lupe nimmt. Hinter einer Sammlung vager Reformversprechen verbirgt sich die Fortsetzung derselben unsozialen Sparpolitik, die von den großen Konzernen und Banken diktiert wird.

Streckenweise liest sich der 111-seitige Koalitionsvertrag wie ein Sammelsurium an reformistischen Rezepten, wie man den Kapitalismus besser, effektiver und zugleich erträglicher gestalten könnte, aufgeblasen mit zahlreichen Marketing-Begriffen und kombiniert mit vagen sozialen Versprechen. Des Langen und des Breiten wird dargelegt, wie der Mittelstand und die Existenzgründer gefördert, wie Investitionen in Umwelttechnologie und erneuerbare Energien, in die Tourismusförderung usw. getätigt werden sollen.

Rot-Grün beabsichtige, 50.000 neue Arbeitsplätze im hessischen Umweltsektor bis 2013 zu schaffen, die Mindestlöhne auf die Leiharbeit auszuweiten, bessere Bildungschancen durch eine Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse, höhere Ausgaben für Bildung und eine Aufstockung der "Lehrerversorgung auf 105 Prozent" zu erreichen, mehr Gleichberechtigung für Menschen aus Immigrantenfamilien und Frauen durchzusetzen usw. usf.

Manche dieser Forderungen klingen fortschrittlich, sind aber völlig im Einklang mit gängigen Auffassungen auch von konservativen Politikern und Wirtschaftsführern: So steht im Zentrum der Forderungen nach besserer Bildung mehr Eigenständigkeit der Schulen und Hochschulen in Budgetfragen und eine bessere Verzahnung mit der Wirtschaft, eine zweifelhafte Forderung, die auch von CDU-Bildungsministern befürwortet wird und zu größerer Aufspaltung zwischen armen und reichen Regionen führen wird.

Auch Investitionen in Umwelttechnologie sind seitens der Wirtschaftselite längst als profitträchtige Maßnahme anerkannt worden. Das Vorhaben, die öffentliche Infrastruktur mit "Contracting-Finanzierung" zu verbessern, läuft auf die zeitweise Auslagerung von öffentlichen Dienstleistungen an Privatunternehmen hinaus, Dinge, die längst gängige Praxis sind und nirgendwo zur Verbesserung der Infrastruktur, sondern zu Billiglohnarbeit, Abbau von Arbeitsplätzen des öffentlichen Diensts und Qualitätsabbau geführt haben.

Was von den vielen schönen Forderungen nach "sozialer Gerechtigkeit" zu halten ist, wird im Kapitel zu "Haushalt und Finanzen" klargemacht. Die Regierung Koch habe ein Loch von 1,5 Mrd. Euro hinterlassen, und auch eine rot-grüne, von der Linken tolerierte Regierung sei entschlossen, einen ausgeglichenen Landeshaushalt zu erreichen, wenn vielleicht auch etwas später als das von Koch avisierte Jahr 2011.

Die Konsolidierung des Landeshaushalts "duldet keinen Aufschub mehr". Man wolle keinen "sozialen Kahlschlag wie die Regierung Koch", aber: "Ein Abbau des Defizits wird sich nur erreichen lassen, wenn die Ausgaben des Landes auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Zudem sollen neue Maßnahmen nur dann beschlossen werden, wenn durch Umschichtungen im Haushalt eine entsprechende Kompensation erreicht wird." Schließlich wird auf den notwendigen "umfassenden Kassensturz" verwiesen und angekündigt, für die Jahre 2009 und 2010 einen Doppelhaushalt vorzulegen.

Auch im innenpolitischen Bereich hätte eine Ypsilanti-Regierung, trotz Bekenntnissen zu mehr Demokratie, nichts Wesentliches an der Politik der Koch-Regierung geändert. Neben ein paar kosmetischen Maßnahmen, wie die Abschaffung von DNA-Tests für unter Vierzehnjährige, der automatischen Kennzeichenerfassung und des freiwilligen Polizeidiensts, bekennt sich die Koalitionsvereinbarung zum hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und tritt für eine Stärkung der Polizei und die Einstellung von mehr Polizisten ein.

Insgesamt ist das Koalitionsprogramm völlig harmlos für die kapitalistische Elite. Die Kritik seitens verschiedener Unternehmensvertreter sowie der beiden SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger und Jürgen Walter bezogen sich hauptsächlich auf die Verzögerung des Flughafenausbaus Frankfurt, an dem zahlreiche Gewinnerwartungen von Unternehmen hängen, und die Absicht, den Flughafenausbau in Kassel-Calden vorläufig auf Eis zu legen.

Die Bereitschaft der Linken, soziale Angriffe mit zu tragen, wurde in Hessen sogar schon im Voraus verabredet: Wie der hessische Grünen-Vorsitzende Al-Wazir in einem Interview mit Spiegel Online am 29. Oktober zu Protokoll gab, hatte die Linkspartei "ausdrücklich erklärt, dass sie bereit ist, einem Doppelhaushalt für 2009 und 2010 zuzustimmen".

Das heißt, die Linkspartei hatte sich verpflichtet, Sozialkürzungen und einschneidende Sparmaßnahmen im Interesse der Haushaltskonsolidierung zu unterstützen.

Trotz dieser Unterwürfigkeit der Linkspartei hat nun die SPD-Rechte Ypsilanti gestoppt und damit erneut deutlich gemacht, was von der Behauptung der Linken, man könne die SPD reformieren, zu halten ist.

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