Lehren aus Hessen

Die Linkspartei und das Debakel der SPD

Seit Jahren versprechen Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und die Linkspartei ihren Anhängern, man könne in Zusammenarbeit mit der SPD eine Politik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung verwirklichen. Darin besteht das A und O ihrer Perspektive. Das gesamte Programm der Linkspartei ist darauf ausgerichtet, die SPD vom Einfluss der Wirtschaftsverbände zu brechen und für eine Politik sozialer Reformen zu gewinnen.

In Berlin kann man das Ergebnis dieses Programms in der Praxis überprüfen. Dort bildet die Linke seit sieben Jahren gemeinsam mit der SPD die Landesregierung. Die Politik des Berliner Senats wird allerdings nicht durch die Verheißungen der Linken bestimmt, sondern durch den eisernen Sparkurs des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD). Die Linkspartei trägt diesen Sparkurs mit und bemäntelt ihn mit linken Phrasen. Die Folgen sind ein bespielloser Kahlschlag im öffentlichen Dienst, der Zerfall von Schulen, Universitäten und Krankenhäusern und die Ausbreitung von Armut.

Die jüngsten Ereignisse in Hessen haben nun erneut gezeigt, dass die Perspektive der Linkspartei in eine Sackgasse führt.

Sie wollte in Wiesbaden das Berliner Experiment wiederholen, ohne allerdings selbst in die Regierung einzutreten. Sie erklärte sich bereit, die SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu unterstützen, und ihren Haushalt zu verabschieden. Sie stellte Ypsilanti einen Blankoscheck aus, obwohl bereits absehbar war, dass die Politik der rot-grünen Regierung durch das gewaltige Haushaltsloch von 1,5 Milliarden Euro bestimmt sein würde.

Nun ist ihr das ganze Projekt um die Ohren geflogen, bevor es zu seiner Verwirklichung kam. Am Montag, einen Tag vor der geplanten Wahl Ypsilantis, zog der rechte SPD-Flügel die Notbremse. Vier Abgeordnete, die enge Beziehungen zu Wirtschaftskreisen unterhalten, fielen der eigenen Partei in den Rücken und entzogen Ypsilanti ihre Unterstützung.

Wie dies bei schmutzigen Intrigen oft der Fall ist, rechtfertigten sich die Vier mit moralischen Argumenten. Sie könnten eine Zusammenarbeit mit der Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, erklärten sie auf einer Pressekonferenz. Und das, obwohl sie vorher Ypsilantis Pläne monatelang mitgetragen und - im Falle des stellvertretenden Parteivorsitzenden Jürgen Walter - sogar den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt hatten!

Die Gewissensfrage war vorgeschoben. Tatsächlich hatten der rechte SPD-Flügel und die hinter ihm stehenden Wirtschaftsverbände keine Probleme, mit der SED zusammenzuarbeiten, solange diese die Bevölkerung in der DDR in Schach hielt. Schon Kanzler Helmut Schmidt (SPD) unterhielt enge Beziehungen zu SED-Chef Erich Honecker, und die Wirtschaft machte dabei gute Geschäfte. Und auch für die rigorose Sparpolitik des "rot-roten" Berliner Senats sind sie des Lobes voll.

Die Gründe, weshalb Ypsilanti in letzter Minute gestoppt wurde, sind weit profaner. Den Energie- und Chemiekonzernen sowie dem Flughafenbetreiber Fraport, die in der hessischen Wirtschaft den Ton angeben, gingen einige im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zu weit. Das gilt insbesondere für die Verzögerung des Ausbaus des Frankfurter Flughafens und das angestrebte Nachtflugverbot sowie für die Abschaltung zweier Reaktoren im Kernkraftwerk Biblis. Die SPD und die Grünen hatten diese Punkte mit Rücksicht auf ihre eigene Klientel vereinbart, die im von Einfamilienhäusern geprägten Südhessen unter dem Fluglärm leidet und die Folgen eines Unfalls im betagten Biblis-Reaktor fürchtet.

Alle vier oppositionellen Abgeordneten gehören zum Wirtschaftsflügel der hessischen SPD. Ob bei ihrer "Gewissensentscheidung" auch Geld oder die Aussicht auf einen lukrativen Job eine Rolle spielten, ist nicht bekannt, ist aber auch nicht die entscheidende Frage. Wichtiger ist, dass sie die Berliner Parteiführung hinter sich wussten. Die neue SPD-Spitze um Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier hat keine Zweifel daran gelassen, dass sie eine von der Linkspartei tolerierte Regierung in Hessen als Belastung für den Bundestagswahlkampf 2009 empfindet.

Nun wird es voraussichtlich im Januar zu Neuwahlen kommen. CDU und FDP rechnen sich dabei gute Chancen aus, während die Umfragewerte der SPD abgesackt sind. Als Alternative ist eine Große Koalition von CDU und SPD in Diskussion. In beiden Fällen würde der verhasste CDU-Ministerpräsident Roland Koch, der im Januar mit Verlusten von 12 Prozent eine verheerende Wahlniederlage erlitten hatte, auf Jahre hinaus im Amt bleiben.

Die Linkspartei trägt dafür einen hohen Grad an Verantwortung. Ihr gesamter Wahlkampf und ihre Unterstützung für Ypsilanti waren darauf ausgerichtet, Illusionen in die SPD zu schüren und die eigenen Wähler in eine Falle laufen zu lassen. Die Partei für Soziale Gleichheit hatte in ihrem Wahlaufruf zur Hessenwahl im Januar ausdrücklich davor gewarnt.

Die Linkspartei, schrieben wir, "wärmt alte sozialdemokratische Rezepte wieder auf, die in Deutschland und international längst gescheitert sind. Auf diese Weise versucht sie zu verhindern, dass Schlussfolgerungen aus dem Bankrott der SPD gezogen werden." Wir warfen Lafontaine und der Linkspartei vor, sie versuchten, "all diejenigen, die sich enttäuscht von der SPD abwenden, im Rahmen reformistischer Politik zu halten und über ‚rot-rote’ Regierungen wieder in die Sozialdemokratie zurückzuführen."

Diese Warnung hat sich bestätigt. Die jetzige Lage war voraussehbar. Dass es mit der SPD "keine Politik gegen die Wirtschaft gibt", ist nicht erst bekannt, seit es Kanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren öffentlich verkündet hat. Der Linkspartei-Vorsitzende Oskar Lafontaine beklagt sich jetzt über die "Doppelmoral" der SPD. Dabei kennt er diese Partei wie kaum ein anderer - er war schließlich dreieinhalb Jahre lang ihr Vorsitzender.

Die Ereignisse in Hessen zeigen, dass die arbeitende Bevölkerung ihre Interessen nur verteidigen kann, wenn sie mit der SPD und der Linkspartei bricht und ihre eigene unabhängige Partei aufbaut, die Interessen der Gesellschaft höher stellt als die Profitinteressen der Wirtschaft.

"Die Behauptung, die kapitalistische Ausbeutung könne human und sozial gestaltet werden, ist Betrug", schrieben wir im Wahlaufruf zur hessischen Landtagswahl. "Sie dient dazu, die Arbeiterklasse einzulullen und revolutionäre Kämpfe zurückzuhalten, während die Rechten um Schäuble, Beckstein und Koch die demokratischen Rechte immer schärfer angreifen und einen Polizeistaat errichten."

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