Hoffnungen und Illusionen kennzeichnen die europäischen Reaktionen auf Obamas Wahlsieg

Noch nie wurde die Wahl eines amerikanischen Präsidenten in Europa mit derart großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme verfolgt. Die beiden großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Deutschlands, ARD und ZDF, hatten in Washington eigene Wahlstudios eingerichtet und berichteten Nonstop bis in die frühen Morgenstunden.

Dutzende Reporter sendeten Live-Interviews mit amerikanischen Wählern, die in langen Warteschlangen vor den Wahllokalen standen. Viele Moderatoren und Kommentatoren machten aus ihrer Unterstützung für Obama keinen Hehl. Im ARD-Sonderstudio in New York stand neben der Moderatorin der frühere Innenminister Otto Schily (Grüne) und streckte seine Obama-Plakette in Richtung Kamera.

Noch in der Wahlnacht schickte Bundespräsident Horst Köhler ein Glückwunschtelegramm an Obama und betonte die enge Verbindung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Obama könne bei seinen großen Herausforderungen auf Deutschland "als verlässlichen Partner und langjährigen Freund" zählen. Der Bundespräsident sprach von einer neuen Initiative für eine "kooperative Weltpolitik".

In vielen Städten fanden in Gaststätten, Hotels und Kultureinrichtungen deutsch-amerikanische Wahlpartys statt. In Hamburg wurde zu einer solchen Veranstaltung mit dem Slogan eingeladen: "Die Party beginnt um 22 Uhr und geht solange, bis Obama gewinnt."

Im Spiegel -Bericht über diese Veranstaltung heißt es: "An der Theke mischt sich unter den Enthusiasmus aber auch Verbitterung - viele Gäste sind in leise Gespräche vertieft, statt Dauerjubel immer wieder betretene Gesichter. Die Heimat der Tapferen und Stolzen, sie schämt sich: ‚Was ist das für ein Land, in dem sich mehr als 40 Millionen Amerikaner keine ausreichende Krankenversicherung leisten können?’, fragt Sarah aus New York. Die blonde Studentin verliert das Lächeln, mit dem sie zuvor noch herumstehende Kneipenbesucher angesprochen hatte: ‚Heute sind wir in aller Welt als Kriegstreiber bekannt, als Umweltsünder, eigentlich sind wir ein großer Witz’, schimpft die 22-Jährige. Zwei Kriege gingen auf das Konto der Amerikaner, eine Welt sei im Ungleichgewicht dank einer einzigen Nation..."

"Amerika ist von einer Last befreit", schreibt der Außenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung. Doch die Begeisterung darüber bleibt nicht auf die USA beschränkt. Ein hörbares Aufatmen gehe durch Europa, bemerkt Die Zeit und fügt hinzu: "Vielleicht ist das nur Erleichterung, dass die bleierne Zeit der Bush-Jahre vorüber ist."

Nie zuvor habe ein US-Präsident das Ansehen und den Ruf Amerikas so beschädigt wie George W. Bush, heißt es weiter in der Die Zeit, die der SPD nahe steht und zu deren Herausgebern Ex-Bundeskanzler Hemut Schmidt (SPD) gehört, der sich mit seinen knapp neunzig Jahren noch immer in politische Debatten einmischt.

Die Zeit wörtlich: "Nie zuvor hat Amerika binnen einer Doppelamtszeit derart an Macht verloren. Angriffskrieg, Abu Ghraib, Guantánamo, Abrüstungsstopp, Klimablockade, Rekorddefizit, New Orleans, Bestechungsskandale, Wirtschaftskrise - wer will den Amerikanern verdenken, dass sie Veränderung wollten und wollen? Die ganz große Reform, die das Land benötigt und die auch John McCain ankündigte, trauten die Wähler nach diesen Jahren Bushs Parteigänger nicht zu.

Barack Obama ist es gelungen, die Wahl zu einem Referendum über George Bushs Politik zu machen. McCain betonte zwar immer wieder, dass der amtierende Präsident gar nicht auf dem Wahlzettel stand. Doch es half ihm nichts: Obama schaffte es, McCains Kandidatur zur drohenden dritten Amtszeit George Bushs zu stilisieren."

Auch in Frankreich beschränkte sich die Begeisterung nicht nur auf dort lebende Amerikaner. Im Pariser Studentenviertel Quartier Latin habe die Nachricht vom Wahlsieg Obamas "wahre Enthusiasmusstürme ausgelöst" schreibt Spiegel-Online. Die Kommentatoren der französischen Zeitungen überschlagen sich mit lobenden Superlativen. Libération kommentiert die Wahl als "ideologische Entscheidung" für ein "anderes Amerika". Le Monde lobt den "großen Sieg". Der Figaro feiert eine "historische Wahl".

Präsident Sarkozy rühmte den "brillanten Erfolg" Obamas und richtete "im Namen aller Franzosen" seine Glückwünsche aus. Er habe sich schon 2006 während seines eigenen Wahlkampfes auf einer Amerika-Reise mit Obama getroffen, erklärte Sarkozy und fügte hinzu: "Ich habe nie an den Erfolg von Hillary Clinton geglaubt."

Neben der Erleichterung über das Ende der Bush-Ära sind viele Kommentare von beinahe grenzenlosen Illusionen in eine Obama-Regierung geprägt. So schreibt Spiegel-Online unter der Überschrift "Die Wiederauferstehung des amerikanischen Traums", das Wahlergebnis sei auch eine Verpflichtungserklärung der Amerikaner an den Rest der Welt.

"Obama ist ihr Angebot einer Wiedergutmachung nach all den Jahren der vorsätzlichen politischen Provokation, der völkerrechtswidrigen Angriffe, der Doktrin vom amerikanischen Recht auf den militärischen Erstschlag. Die Bush-Doktrin wurde gestern Nacht abgewählt. Der Alleingang der westlichen Supermacht dürfte fürs Erste beendet sein."

Es wird nicht lange dauern, bis derartige Hoffnungen und Illusionen mit der Wirklichkeit zusammenprallen. Schon in seiner Berliner Rede im Sommer hatte Obama deutlich gemacht, dass er von den Europäern vor allen Dingen erwarte, dass sie ihre "pazifistischen Hemmungen" fallen lassen und sich stärker als bisher an der Seite der USA in Afghanistan und in anderen Kriegen engagieren.

Auch die Aktienmärkte reagierten auf das Wahlergebnis zurückhaltend. Der Deutsche Aktienindex (DAX) eröffnete am Mittwoch mit deutlichen Kursverlusten, die im Laufe des Tages nur teilweise wieder aufgeholt wurden. Obamas Wirtschaftskompetenz sei noch wenig erkennbar und "die Finanzkrise ist durch seinen Wahlsieg ja nicht weg", zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Börsenhändler.

Englands Premierminister Gordon Brown begrüßte den Wahlsieg überschwänglich und betonte: "Ich kenne Barack Obama, uns verbinden viele gemeinsamen Werte. Beide sind wir davon überzeugt, dass unsere Regierungen den Menschen helfen können, möglichst unbeschadet durch die Turbulenzen der Weltwirtschaft zu kommen. Ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit mit Obama in den kommenden Monaten und Jahren."

Der konservative Oppositionsführer David Cameron erklärte: "Amerika hat Geschichte geschrieben und der Welt bewiesen, dass es eine Nation ist, die nach Veränderung strebt. Barack Obama ist der erste einer Generation von Führern, die diese Veränderungen bewerkstelligen werden."

Die britische Elite ist vor allem aus zwei Gründen über das Wahlergebnis erfreut. Erstens hofft sie, Obama werde dazu beitragen, das ramponierte Ansehen der USA in der Welt zu bessern - für ein Land, das derart stark von seinem Washingtoner Verbündeten abhängt, ein zentrales Anliegen. Cameron unterstrich dies mit den Worten: "Barack Obamas Wahlsieg ermöglicht es den Menschen, Amerika als das zu sehen, was es meiner Meinung nach ist: ein Leuchtturm der Möglichkeiten, der Freiheit und der Demokratie."

Zweitens wird Obamas Wahlsieg mit der Hoffnung verbunden, er werde Großbritannien aus dem Irak-Debakel befreien, in das es als Preis für die "special relationship" mit Washington geraten ist. Dadurch könnte das Militär stärker auf Afghanistan konzentriert werden, wo London bereits stark engagiert ist.

Darüber hinaus hofft die Labour-Regierung, das eigene politische Image aufzupolieren und den unpopulären Ruf eines Handlangers von Wirtschaftsinteressen und Neokonservativen loszuwerden, wenn sie sich mit einem Mann verbindet, der seinerseits mit dem Begriff "Wandel" verbunden wird. "Die enge Beziehung zwischen den USA und Großbritannien ist für unser Wohlergehen und unsere Sicherheit sehr wichtig", betonte Brown. "Barack Obama führte einen begeisternden Wahlkampf, indem er die Politik mit progressiven Inhalten und seiner Zukunftsvision belebte."

Zwischen der Begeisterung großer Teile der Bevölkerung über den Wahlsieg Obamas und den Reaktionen der europäischen Regierungen besteht ein wichtiger Unterschied. Während viele Menschen den Wechsel im Weißen Haus als Ende einer verhassten Regierung begrüßen, die mit ihrer arroganten und aggressiven Kriegspolitik die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzte, verfolgt die herrschende Elite Europas mit ihrer Unterstützung für Obama ganz andere Ziele. Sie hofft, durch eine Zusammenarbeit mit dem neuen amerikanischen Präsidenten ihre eigenen Interessen in Afghanistan und anderen Ländern der Welt besser verfolgen zu können.

Siehe auch:
US-Wahlen: Die Klassenfragen
(5. November 2008)
Vor den US-Wahlen
( 4. November 2008)
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