Generalstreik und Ausweitung der Proteste erschüttern Regierung in Griechenland

Der Generalstreik am Mittwoch legte große Teile Griechenlands lahm. Flüge fielen aus und das öffentliche Transportsystem wurde weitgehend zum Stillstand gebracht. Der Eisenbahnverkehr, das U-Bahnnetz und der Busverkehr waren vom Ausstand betroffen. Schulen, Banken und Krankenhäuser wurden ebenfalls bestreikt. In Athen demonstrierten 10.000 Menschen gegen die rechte Regierung von Premierminister Costas Karamanlis.

Nicht nur auf dieser zentralen Demonstration kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizeikräften und Jugendlichen. Auch vor dem Athener Gerichtsgebäude, in dem die beiden, in die Erschießung des Studenten Alexandros Grigoropoulos verwickelten Polizisten vernommen wurden, kam es zu Konflikten. Gymnasiasten skandierten "Bullen! Schweine! Mörder!" Bereitschaftspolizei feuerte Tränengas in die auf das Parlamentsgebäude Athens vorrückende Menge. Viele Geschäfte blieben geschlossen und hatten ihre Schaufenster vernagelt.

Eine Gruppe von etwa 100 Roma griff eine Polizeistation im Vorort Zefyri an. Bei Demonstrationen in Thessaloniki, Kavala und Patrus kam es zu schweren Zusammenstößen. Zwei Universitäten in Athen sind weiterhin besetzt. Die Dozenten der Universitäten und die Gymnasiallehrer streiken seit dem 8. Dezember, am 9. Dezember schlossen sich ihnen die Lehrer der Volksschulen an.

Die Behörden schätzen, dass neben vielen Autos in Athen auch mehr als 200 Geschäfte und 50 Banken beschädigt wurden. Der Handelsverband Athens beziffert die Schäden der viertägigen Gewaltwelle auf 1,3 Milliarden Euro.

"Die Beteiligung am Streik ist umfassend" sagte Stathis Anestis, Sprecher des Gewerkschaftsbundes GSEE. "Das ganze Land steht still."

Der Streik, an dem sich 2,5 der 5 Millionen Lohnabhängigen Griechenlands beteiligten, war bereits vor einiger Zeit vom Gewerkschaftsbund GSEE und der Gewerkschaft der Angestellten des öffentlichen Dienstes ADEDY geplant worden. Die Gewerkschaften riefen ursprünglich zum Streik auf, um gegen die Sparmaßnahmen der Regierung und für höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen zu kämpfen. Der Streik fiel nun jedoch mit der heftigen Reaktion der Bevölkerung auf den Tod Alexandros Grigoropoulos’ zusammen, der zum Brennpunkt der weitverbreiteten Wut auf die Karamanlis-Regierung und die Polizei wurde.

Karamanlis und die Partei Neue Demokratie haben im griechischen Parlament, das dreihundert Sitze umfasst, nur die Mehrheit einer Stimme. Seine Regierung verabschiedete kürzlich ein 28 Milliarden Euro Rettungsprogramm für die Banken, während sie gleichzeitig Renten und Sozialleistungen kürzt und Privatisierungen durchdrückt.

Amnesty International (AI) hat die Regierung Griechenlands dazu aufgefordert "die unrechtmäßige und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt der Polizei" zu stoppen. Es gebe zunehmend Hinweise auf Polizeigewalt und Übergriffe auf friedliche Demonstranten, bemerkt AI.

Der Oppositionsführer der Panhellenistischen Sozialistischen Partei (PASOK), George Papandreou, hat zu vorgezogenen Neuwahlen aufgerufen. Die Regierung, so Papandreou, habe bewiesen, dass sie unfähig sei die Öffentlichkeit vor den Protestierenden zu schützen. "Diese Regierung ist nicht dazu in der Lage die Öffentlichkeit vor der Anarchie zu schützen", sagte er.

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) verurteilte ebenfalls die "blinde Gewalt Vermummter". Ein Führer der KKE beschuldigte die Oppositionskoalition der Radikalen Linken (SYRIZA) - ein Gemisch aus abtrünnigen Stalinisten und radikalen Gruppen - gegenüber den Anarchisten "zu nachsichtig" zu sein.

Die fünfzehnprozentige Arbeitslosigkeit und die besonders unter der Jugend vorherrschende soziale Unzufriedenheit, heizen die Situation stark auf. Neuwahlen hätten das Ziel, die momentan unkontrollierbare Situation wieder in den Griff zu bekommen.

Zoe Albani, Psychologe und Jugendberater am Institut IEKEP, sagte dem Guardian, es gebe "viel Frustration, Wut und Zorn unter der Jugend. So viele Träume bleiben unerfüllt. Wenn jemand einen Job bekommt, so verdient er 500 Euro im Monat. Davon kann man nicht leben. Viele Jugendliche, die 26 oder 27 Jahre alt sind, leben immer noch bei ihren Eltern. Sie möchten Kinder haben, aber es geht nicht."

Christos Kittas, der sein Amt als Dekan der Athener Universität nach den Unruhen aufgab, erklärte dem Independent : "Alle haben unsere Kinder im Stich gelassen. Ich beobachte jeden Tag, wie die Studenten uns und den Behörden gegenüber, feindlicher auftreten."

Odysseas Korakidis war an den Protesten in Athen beteiligt und sagte der Nachrichtenagentur Reuters, "die Forderung nach sozialer, wirtschaftlicher und politischer Veränderung ist sehr weit verbreitet. Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn jemand zwei Jobs braucht um 800 oder 1.000 Euro im Monat zu verdienen. In andern Ländern ist das unvorstellbar!"

"Es geht nicht nur um unsere Kinder. Es geht auch um die miserable Bildung und um die wirtschaftliche Lage. Das trieb uns auf die Straße", sagte einer der Protestierenden. "Es ist unser Glaube und unsere Hoffnung, dass wir am Beginn einer Rebellion gegen das System stehen."

Eine junge Frau sagte dem Guardian, sie habe zwei akademische Abschlüsse, arbeite jedoch als Kellnerin. "Es gibt hier keine Möglichkeiten für junge Leute, aber ich glaube, das ist nicht nur in Griechenland so. Die wirtschaftliche Lage überlässt viele junge Menschen in Europa der Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit."

Es geht um mehr als nur die Stabilität Griechenlands. Etliche Kommentatoren in den britischen Medien schrieben den Ereignissen des letzten Wochenendes Bedeutung für ganz Europa zu.

Ian Traynor vom Guardian schrieb, dass die Feuer Athens womöglich nur die ersten Ausbrüche von Massenunzufriedenheit waren. In dem Maße, wie "die schweren Zeiten Furcht und Verzweiflung anheizen" könnten die Unruhen den ganzen Kontinent erschüttern.

Er zitierte Thanos Dokos, den Direktor des führenden außenpolitischen Think Tank Athens mit den Worten: "Die Leute befürchten Steuererhöhungen, Arbeitsplatzverluste und stagnierende Löhne. Die Mittelschicht und die unteren Schichten sind erschöpft."

Ambrose Evans-Pritchard schrieb im Telegraph, die Krise sei "in Spanien viel weiter entwickelt", da Spanien Griechenland im Krisenzyklus zwei Jahre voraus sei. "Die Sache wird noch übler werden, wenn Europa im nächsten Jahr weiter in die Rezession rutscht. Der IWF erwartet, dass in Spanien die Arbeitslosigkeit auf 15 Prozent steigt... Es wird auch in Spanien Unruhen geben [Geplänkel in Barcelona gab es bereits]. Ohne Zweifel werden die sich die Dinge in Großbritannien ebenfalls verschlechtern."

Politisch aufschlussreicher ist, dass der Guardian nicht nur vor den Folgen der Rezession warnt, sondern auch davor, dass die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich die politische und soziale Unzufriedenheit antreibt. "Es wäre etwas Anderes, wenn alle gleichermaßen betroffen wären", heißt es in einem Leitartikel des Blattes. "Aber es gibt natürlich einige Leute in Griechenland, denen es tatsächlich sehr gut geht, einschließlich jener Leute mit guten Beziehungen zur Regierung, einer in Skandale, auch finanzielle Skandale, verwickelten Regierung ..."

"Die allgemeine Lehre" dieser Unruhen sei es, so der Guardian, "dass die Regierungen zukünftig, wenn die Rezession einschneidend wird, Ähnliches oder Schlimmeres erleben könnten, obwohl sie auf Probleme mit ihren Bürgern, besonders der Jugend, eingestellt sind. Griechenlands Schwierigkeiten sind nicht das Ergebnis der Rezession, deren Auswirkungen dem Land ja erst noch bevorstehen. Das heißt jedoch nicht, dass die Unruhen in Griechenland kein Anzeichen dafür sind, was sich überall ereignen könnte, wenn die Regierungen in die kommende Rezession gehen, ohne der Frage der Gleichheit erneute Aufmerksamkeit zu widmen."

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