Erfolgreiche Veranstaltungen der ISSE zur internationalen Finanzkrise

Mit einer Vortragsserie unter dem Titel "Die Finanzkrise - Bankrott des Kapitalismus" beendeten die International Students for Social Equality (ISSE) ihr Programm für das Jahr 2008. Die Veranstaltungen in Leipzig, Würzburg, Frankfurt, Essen, Karlsruhe und Berlin waren gut besucht. Allein in Leipzig diskutierten 50 interessierte Teilnehmer mit Peter Schwarz, der den Vortrag hielt, über die Krise des Kapitalismus. Insgesamt nahmen an den verschiedenen Veranstaltungen des ISSE-Programms mehr als 500 Studenten und Arbeiter teil.

Im Zentrum des Vortrags stand die Frage nach den Ursachen der internationalen Wirtschaftskrise und den politischen Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben.

"Die Krise ist keine Abnormität, kein Betriebsunfall eines ansonsten lebensfähigen kapitalistischen Systems, sondern das Ergebnis des historischen Niedergangs dieses Systems", sagte Schwarz. "Es ist nicht möglich, diese Krise durch Reparaturmaßnahmen am kapitalistischen System zu lösen - seien es Milliardengeschenke an die Banken, Steuersenkungen oder eine Steigerung der Massenkaufkraft. Die Krise treibt alle gesellschaftlichen und internationalen Gegensätze auf die Spitze. Die kommende Periode wird durch scharfe Klassenkämpfe und internationale Spannungen geprägt sein. Sie stellt die Menschheit vor die Alternative: Sozialismus oder Barbarei. Darauf gilt es sich vorzubereiten."

Um das Ausmaß der heutigen Krise zu verstehen, müsse man sie im historischen Rahmen betrachten, betonte Schwarz. Der Weltkapitalismus habe in den letzten 140 Jahren drei Phasen durchlaufen. Die erste - von 1871 bis 1914 - sei trotz konjunktureller Auf und Abs eine Periode des organischen Wachstums gewesen. Doch unter der Oberfläche hätten sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems verschärft, bis sie 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs explodierten.

Die zweite Periode - von 1914 bis etwa 1947 - sei durch heftige Krisen, Klassenkämpfe und zwei Weltkriege bestimmt gewesen. In dieser Periode, so Schwarz, "verdankte der Weltkapitalismus sein Überleben weniger seiner eigenen Stärke, als der Krise der Führung der Arbeiterbewegung, die mit der stalinistischen Degeneration der Kommunistischen Parteien akute Formen annahm."

In Russland habe im Oktober 1917 zum ersten Mal eine Arbeiterregierung die Macht übernommen. Die Strategie der Oktoberrevolution habe auf dem Verständnis beruht, "dass der Kapitalismus im Weltmaßstab reif war für die sozialistische Revolution. Russland war zwar wirtschaftlich rückständig, aber auf kapitalistischer Grundlage konnte es keinen Fortschritt mehr geben."

"Auf sich gestellt konnte die Oktoberrevolution aber keinen dauerhaften Erfolg haben", fuhr Schwarz fort. "Sie benötigte Zugang zu den Ressourcen der Weltwirtschaft. Doch sie blieb länger als erwartet isoliert." Die wirtschaftliche Isolation, verschärft durch die Folgen von sieben Jahren Krieg und Bürgerkrieg, habe die Sowjetunion zurückgeworfen, die Arbeiterklasse geschwächt und eine konservative Schicht gestärkt. Die Bürokratie habe sich der Hebel der Verwaltung, der Wirtschaft, des Staatsapparats bemächtigt. Sie habe in Stalin ihren Führer gefunden und die alten Bolschewisten in den Moskauer Prozessen zu Zehntausenden liquidiert. Trotzki, der neben Lenin wichtigste Führer der Oktoberrevolution und Gründer der linken Opposition, sei 1940 ermordet worden.

Unter Stalins Führung hätten sich die Kommunistische Internationale und ihre Sektionen schließlich zur wichtigsten Ursache proletarischer Niederlagen verwandelt. Die schlimmste dieser Niederlagen sei die kampflose Kapitulation der Kommunistischen Partei Deutschlands vor Hitler im Januar 1933 gewesen. "Obwohl Hunderttausende kommunistische Arbeiter und viele Sozialdemokraten bereit waren, gegen die Nazis zu kämpfen, rührten die Partei-Führer keinen Finger. Hitlers Machtübernahme und weitere, durch den Stalinismus verschuldete Niederlagen der Arbeiterklasse in Frankreich und Spanien führten schließlich zum Zweiten Weltkrieg."

Der Zweite Weltkrieg habe dieselben Ursachen gehabt wie der Erste, erklärte Schwarz, die "Widersprüche der internationalen kapitalistischen Interessen". Er zitierte Trotzki, der 1940 geschrieben hatte: "Im Gegensatz zu den offiziellen Geschichten, die konstruiert wurden, um die Leute zu betäuben, ist der Hauptgrund des Krieges sowie aller anderen gesellschaftlichen Übel - Arbeitslosigkeit, die hohen Lebenshaltungskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung - das Privateigentum an den Produktionsmitteln zusammen mit dem bürgerlichen Staat, der auf dieser Grundlage beruht."[1]

Erst "die gewaltige Zerstörung von Menschenleben, Produktionsmitteln und Werten durch zwei Weltkriege" habe es dem Kapitalismus schließlich ermöglicht, sich wieder zu stabilisieren, fuhr Schwarz fort. "Nach drei Jahrzehnten ununterbrochener sozialer, wirtschaftlicher, politischer und militärischer Erschütterungen fand der Kapitalismus (zumindest in den führenden Industrieländern) ein neues Gleichgewicht. Es beruhte - buchstäblich - auf den Knochen von 100 Millionen Kriegs- und KZ-Toten und den Trümmerfeldern des zerbombten Europa und Asien."

Aber in diesem Gleichgewicht seien bereits die Keime der heutigen Krise beinhaltet gewesen. Die Bourgeoise habe - gestützt auf die Theorien von Keynes und anderen Ökonomen - kein Mittel gefunden, die Widersprüche ihres Gesellschaftssystems auf Dauer zu bändigen. Sie habe sie nur vorübergehend beruhigt, während sich unter der Oberfläche die alten Widersprüche von neuem entwickelten.

Die USA hätten als eigentliche Siegermacht des Zweiten Weltkriegs den Dollar zur Leitwährung eines neuen internationalen Währungssystems gemacht und dem Kapitalismus in Europa wieder auf die Beine geholfen. Für politische Stabilität hätten die Sozialdemokraten und Stalinisten gesorgt.

Bereits in den 60er Jahren habe das Nachkriegssystem neue Krisenerscheinungen gezeigt. Als Folge kam es zwischen 1968 und 1975 "zu einer Welle revolutionärer Erschütterungen, die die ganze Welt erfassten: Studentenproteste und Generalstreik in Frankreich; Prager Frühling in der Tschechoslowakei; Bürgerrechtsbewegung und Studentenproteste in den USA; Studentenproteste, Novemberstreiks und Ende der CDU-Herrschaft in Deutschland; Niederlage der USA in Vietnam; Sturz der faschistischen Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland, usw." Der Kapitalismus habe sich nur dank der Unterstützung der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien und mittels großer sozialer Zugeständnisse an die Arbeiter retten können.

Mitte der 1970er Jahre habe die Bourgeoisie dann mit der Gegenoffensive begonnen. Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien starteten massive soziale Angriffe auf die Arbeiterklasse und sorgten gleichzeitig "für die Deregulierung der Finanzmärkte. Sie reagierten auf den Fall der Profitrate, eine der Hauptursachen der Krise der 60er und 70er Jahre, indem sie die Schleusen für zügellose Geschäfte des Finanzkapitals öffneten."

"Für das Verständnis der heutigen Krise sind diese historischen Zusammenhänge sehr wichtig", betonte Schwarz. "Die Auswüchse des Finanzsektors, die hohen Summen, die an den Börsen und Finanzmärkten gehandelt werden, die Derivate und anderen phantasievollen Finanzinstrumente sind kein ‚Wahnsinn’, sie sind von der Bourgeoisie entwickelt worden, um der Krise der 1970er Jahre zu entkommen. Vom Standpunkt der Kapitalisten waren sie unerlässlich, um ihre Klasseninteressen gegen die Arbeiterklasse zu verteidigen."

Auch die Globalisierung stehe in diesem Zusammenhang. "Mit der Auslagerung der Produktion in Länder, in denen die Arbeiterklasse zu Hungerlöhnen ausgebeutet wird, hat die Bourgeoise der gewerkschaftlichen Politik den Boden entzogen. Die Gewerkschaften haben darauf reagiert, indem sie enger an die Bourgeoisie gerückt sind und sich in Co-Manager verwandelt haben."

Die Globalisierung habe aber einen fortschrittlichen Kern: "Die modernen Kommunikationstechniken, günstigen Transportmöglichkeiten und globale Arbeitsteilung haben zu einer enormen Steigerung der Arbeitsproduktivität geführt. Es ist heute möglich, mit relativ geringem Arbeitsaufwand alle Güter zu produzieren, die für den Lebensunterhalt der Menschheit nötig sind. Aber unter kapitalistischen Verhältnissen ist es unmöglich, diese Möglichkeiten rationell zu nutzen. Weil jeder Aspekt des Wirtschaftslebens der Bereicherung der Kapitalbesitzer untergeordnet ist, führt die Erhöhung der Arbeitsproduktivität zu Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen, anstatt zu höherem Lebensstandard und kürzeren Arbeitszeiten."

Die Globalisierung habe den Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat, den Trotzki als Ursache des Ersten und Zeiten Weltkriegs bezeichnet hatte, auf die Spitze getrieben. Unter ihrer Wucht seien nicht nur die Sowjetunion, die DDR, der ganze Ostblock zusammengebrochen, die USA, einst der größte Gläubiger der Welt, könnten ihrem wirtschaftlichen und sozialen Niedergang nur noch mit militärischer Aggression begegnen. "Und die herrschende Klasse in Deutschland reagiert gleich wie die amerikanische. Mit Angriffen auf die sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerung und wachsendem Militarismus."

Überall auf der Welt stelle die Krise heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung, beendete Schwarz seinen Beitrag. "Das größte Problem ist heute das Fehlen einer Partei, die die Arbeiterklasse auf die kommenden Klassenkämpfe vorbereitet. Die SPD, die Grünen und die Linkspartei stehen alle auf der Seite des Kapitals." Der Aufbau einer solchen Partei sei das Ziel der Partei für Soziale Gleichheit und der World Socialist Web Site.

Die Teilnehmer in den verschiedenen Städten beschäftigte in der anschließenden Diskussion die Frage, ob der Bankrott des Kapitalismus wirklich so weitgehend sei, dass die sozialistische Revolution die einzige Zukunftsperspektive darstelle. Manche äußerten Zweifel: Gibt es wirklich keine Lösung der Krise mehr im Rahmen des Kapitalismus und warum nicht? In dem Zusammenhang fiel die Frage: Warum ist eine neue Partei notwendig? Was unterscheidet eine revolutionäre Partei von anderen Parteien? Ist das sicherste Mittel gegen politische Degeneration und bürokratische Unterdrückung nicht eine Bewegung ohne jegliche Parteistrukturen, wie es die Anarchisten vertreten?

Ein älterer Teilnehmer verließ empört den Saal, als das Wort Revolution fiel, um sich in einen der Nachbarräume zu begeben, wo die Linkspartei ebenfalls eine Veranstaltung zur internationalen Finanzkrise abhielt - ohne revolutionäre Schlussfolgerungen.

Die meisten Arbeiter und Jugendlichen, die zu den Vorträgen gekommen waren, wollten die Diskussion aber fortsetzen und regelmäßig die WSWS verfolgen. Sie hinterließen ihre Adresse oder e-mail, um zu weiteren Veranstaltungen eingeladen zu werden.

 

1 Leo Trotzki, "Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution", in "Das Übergangsprogramm", Essen 1997, S. 213

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