Sri Lanka:

Der Fall von Kilinochchi - ein Wendepunkt im Bürgerkrieg

Die Armee Sri Lankas gab nach monatelangen schweren Kämpfen am Freitag die Einnahme der Stadt Kilinochchi im Norden bekannt, dem Regierungszentrum der separatistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE). Der Fall von Kilinochchi ist sehr wahrscheinlich der Beginn der militärischen Niederlage der LTTE. Aber dies kann der Insel keine neue Periode des Friedens und des Aufschwungs bescheren.

Kilinochchi liegt an der Autobahn A9, welche die Hauptstadt Colombo mit der Halbinsel Jaffna im Norden der Insel verbindet. Die LTTE hielt die Stadt und einen Großteil des umliegenden Gebietes mehr als zehn Jahre lang besetzt und nutzte sie als Hauptstadt mit eigenen Gerichten, Polizei und Verwaltungsgebäuden. Die Einnahme der Stadt öffnet nun den Weg für einen neuen Angriff auf die letzte Bastion der LTTE: Mullaithivu an der nord-östlichen Küste.

Die Einnahme Kilinochchis ist der Höhepunkt von mehr als zwei Jahren brutaler Kämpfe, seit Präsident Mahinda Rajapakse den Waffenstillstand von 2002 einseitig aufkündigte und im Juli 2006 erneut den Krieg begann. Die Armee setzte ihre überlegene Truppenstärke und Feuerkraft für einen Zermürbungskrieg gegen die LTTE ein. Nachdem diese aus ihren Stützpunkten im Osten vertrieben worden war, konzentrierte sich das Militär seit Mitte 2007 auf die Wanni-Region. Mit der Einnahme der westlichen Hälfte der Region im letzten Jahr wurden dann die Versorgungslinien der LTTE nach Südindien abgeschnitten.

Da die LTTE verbissen Widerstand leistete, dauerten die Kämpfe um Kilinochchi viele Monate. Eifrig bemüht, ihre Trophäe zu präsentieren, eskortierte das Militär am 4. Januar internationale Korrespondenten in die Stadt. Major General Jagath Dias, der Leiter der Offensive, sagte zu den Medien: "Der Einmarsch in Kilinochchi war sehr schwierig. Es brauchte eineinhalb Monate, um die östlichen Stellungen zu durchbrechen und die Tiger [LTTE] zu vertreiben."

Die bruchstückhaften Berichte und die Fotos zeigen eine ausgebombte Geisterstadt. Die meisten Zivilisten waren bereits vor mehr als einem Monat geflohen. Das Militär setzte wiederholt Artillerie und Kampfflugzeuge ein, um die Bevölkerung in den von der LTTE gehaltenen Gebieten zu terrorisieren. Zu dem Verlauf der Kämpfe gibt es keine genauen und zuverlässigen Angaben, da unabhängigen Journalisten der Zugang in die Gefechtszone verwehrt war. Beide Seiten machen regelmäßig falsche Angaben über die Verluste, doch ist es wahrscheinlich, dass in dem Kampf um die Stadt hunderte von Soldaten und LTTE-Kämpfern getötet und noch weitaus mehr verletzt wurden.

Der entscheidende Schlag gegen die LTTE erfolgte vergangene Woche, als die Stadt Paranthan an der A9 im Norden von Kilinochchi eingenommen wurde. Von drei Seiten eingeschlossen, sah sich die Führung der LTTE gezwungen, die Stadt zu verlassen, wenn sie nicht ganz von der Außenwelt abgeschnitten werden wollte. Das srilankische Militär hat bereits angedeutet, es werde keine Pause einlegen. Das unmittelbar nächste Ziel scheint der Elefantenpass im Süden der Halbinsel Jaffna zu sein, wo die LTTE im Jahr 2000 einen Stützpunkt des Militärs einnahm. Auch drängt die Armee jetzt in Richtung Mullaithivu.

Nachdem sie alles darauf gesetzt hatte, einen militärischen Sieg über die LTTE zu erringen, beutet die Regierung die Einnahme von Kilinochchi nun nach Kräften aus. Präsident Rajapakse brüstete sich am 2. Januar: "Dies ist wahrhaftig ein überwältigender Sieg." Mit den gleichen Worten, mit denen die Bush Regierung ihre neo-kolonialen Okkupationen rechtfertigte, erklärte er: "Unsere heroischen Truppen haben nicht nur die große Festung der LTTE eingenommen, sondern auch einen großen Sieg im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus errungen."

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist genau so wenig ein "Krieg gegen den Terrorismus" wie die US-geführten Besetzungen des Iraks und Afghanistans. Der Konflikt ist das Produkt gezielter anti-tamilischer Diskriminierung, die von der herrschenden singhalesischen Schicht angestachelt wird, um die arbeitenden Klassen zu spalten und ihre eigne Herrschaft aufrechtzuerhalten. Die LTTE, die in den 1970er Jahren entstand, vertritt das Programm des bürgerlichen Nationalismus. Sie strebt einen unabhängigen Kleinstaat für die tamilische Minderheit im Norden und Osten der Insel an.

Trotz der Bemühungen der Regierung, Siegesfeiern zu organisieren, kommt unter der einfachen tamilischen und singhalesischen Bevölkerung, die nach wie vor den Preis für den Krieg zahlt, keine Feierstimmung auf. In den Kämpfen, die nun seit 25 Jahren anhalten, sind bereits mehr als 70.000 Menschen gestorben. Weitaus mehr wurden verletzt oder verstümmelt. Hunderttausende wurden aus ihren Häusern vertrieben und leben seit Jahren unter ärmlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern.

Zwar können die Kämpfe immer noch monatelang dauern, und manch scharfe Wendung kann noch eintreten. Aber wie es scheint, ist die Armeeführung jetzt in der Lage, die verbleibenden Stützpunkte der LTTE im Norden einzunehmen. Wer jedoch darauf setzt, dass diese "Befreiung" der Insel Frieden bringen werde, der muss sich auf eine bittere Enttäuschung gefasst machen. Die LTTE könnte auch ohne Kontrolle über ganze Städte und ohne die Fähigkeit, der Armee in offener Feldschlacht zu begegnen, noch jahrelang einen Guerillakrieg fortsetzen.

In jedem Fall ist die Regierung unfähig, sich den politischen Ursachen des Krieges zuzuwenden, geschweige denn sie zu lösen. Als die Einnahme von Kilinochchi verkündet wurde, erklärte Rajapakse: "Dies ist ein Sieg über den zerstörerischen Separatismus, der versucht, die Menschen auf der Grundlage von Religion und Volkszugehörigkeit zu spalten." Das stellt die Wirklichkeit auf dem Kopf. Ein Vierteljahrhundert lang haben die Regierungen in Colombo diesen reaktionären Regionalkrieg geführt, um die herrschenden singhalesischen Klassen an der Macht zu halten und ihren Besitz zu verteidigen. Mit der Unterdrückung der LTTE werden die regionalen Konflikte unausweichlich in anderer Form wiederkehren.

Außerdem wälzte die Regierung in den letzten beiden Jahren die volle wirtschaftliche Last des Krieges auf die Schultern der arbeitenden Bevölkerung ab. Mit dem Anschwellen des Verteidigungsbudgets wurden die Ausgaben für Bildung, Soziales und Gesundheitsversorgung reduziert und die Steuern erhöht. Rajapakse beschuldigte seine Kritiker und Gegner, protestierende Arbeiter, Studenten und Bauern, sie würden die nationale Sicherheit gefährden und der LTTE in die Hände spielen. Während die Regierung die LTTE als "Terroristen" beschimpft, unterhält das Militär Verbindung zu Todesschwadronen, die seit dem Amtsantritt Rajapakses im November 2005 für die Ermordung und Verschleppung Hunderter Menschen verantwortlich sind.

In seiner Rede vom 2. Januar forderte Rajapakse mehr Opfer. "Unser Mutterland braucht eure Hingabe und Geduld noch etwas länger... bis der Schlussakt dieses falschen Eelam-Kampfs zu Ende ist" und die LTTE "endgültig besiegt ist". Bis die letzten Stützpunkte der LTTE erobert sein werden, wird man diese Forderung nach Opfern noch oft hören. Die Kosten des Krieges haben die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise auf Sri Lanka verschärft und werden unausweichlich Proteste hervorrufen. Dieselbe Militärmaschinerie, die gegen die LTTE aufgebaut und eingesetzt wurde, wird dann gegen die arbeitende Bevölkerung, Singhalesen wie Tamilen. gerichtet werden.

Die Regierung Rajapakse stützt sich stark auf das Militär, das dem politischen Leben in Colombo immer häufiger seinen eigenen Stempel aufdrückt. Die Sicherheitskräfte und die ganze politische Kaste sind von singhalesischem Rassismus durchdrungen. Dies brachte Armeechef Generalleutnant Sarath Fonseka letzten September in einem Interview mit einer kanadischen Zeitung ungeschminkt zum Ausdruck: "Ich glaube fest daran, dass dieses Land den Singhalesen gehört. Wir sind mit 75 Prozent die Mehrheit in diesem Land, wir werden nicht einlenken, und wir haben das Recht, dieses Land zu verteidigen. Sie [die Minderheiten] können in diesem Land mit uns leben. Aber unter dem Vorwand, eine Minderheit zu sein, dürfen sie nicht unangemessene Dinge verlangen."

Wie die "Befreiung" des Nordens aussehen wird, haben die Ereignisse im Osten bereits deutlich gemacht. Die Regierung installierte eine Provinzverwaltung unter der Führung eines paramilitärischen Milizchefs, der für Entführung, Erpressung und Mord berüchtigt ist. Diese "gewählte" Regierung ist einfach die Fassade für eine militärische Besetzung, die das Ziel hat, die Region zu einer Billiglohnarbeits-Zone zu machen. Die Regierung und das Militär bereiten sich darauf vor, im "befreiten Norden" das gleiche zu wiederholen.

Was die LTTE angeht, so sind ihre militärischen Rückschläge Ausdruck ihrer bankrotten politischen Perspektive. Der tamilische Separatismus ist das Spiegelbild des singhalesischen Rassismus der politischen Kaste Colombos. Die LTTE hat es nicht nur versäumt, die werktätige singhalesische Bevölkerung anzusprechen, sondern sie hat auch einen Keil zwischen tamilische und singhalesische Arbeiter getrieben, indem sie letztere für den Krieg verantwortlich machte. Ihre Angriffe auf gewöhnliche Singhalesen, wie der bekannte Bombenanschlag auf die Zentralbank 1996, sind Wasser auf die Mühle der extremen Rechten.

Der Führer des politischen LTTE-Flügels, B. Nadesan, versuchte der düsteren Lage etwas Positives abzugewinnen. In einem Gespräch mit Reuters erklärte er, die Strategie der LTTE sei nicht "auf eine Kleinstadt oder Stadt konzentriert", und: "Der Verlust und die Rückeroberung von Land ist nichts Ungewöhnliches". Er fügte hinzu: "Unser Freiheitskampf wird auch weiterhin Kriegsstädte schaffen, bis unser Kampf sein Ziel erreicht." In einem verzweifelten Versuch, die zerfallende Moral zu heben, führte die LTTE am 2. Januar einen Selbstmordangriff in der Nähe des Luftwaffen-Hauptquartiers durch. Dabei wurden drei Piloten getötet und dreißig weitere Menschen, darunter Zivilisten, verletzt.

Regierung und Militär griffen den Anschlag umgehend auf, um den Boden für weitere Militärschläge vorzubereiten. Am ersten Januarwochenende wurden Tamilen in Colombo und den umgebenden Vororten verhaftetet. Außerdem müssen sich alle Tamilen, die nach 2003 in der Hauptstadt niederließen, zur Registrierung bei der Polizei melden.

Der Ruf der LTTE nach einem unabhängigen Staat Eelam gründete sich immer auf die Hoffnung auf Unterstützung durch eine Großmacht wie die USA, die Europäische Union oder die Regionalmacht Indien. Mit dem Zusammenbruch der Friedensgespräche von 2003 wurde die LTTE effektiv isoliert, besonders auf Betreiben der USA. Für die Bush-Regierung dienten die Friedensgespräche nur der Beendigung eines Konflikts, der den US-Interessen in Südasien, besonders ihre Verbindung zu Indien, gefährlich werden konnte.

Die Hoffnung der LTTE auf die Sympathie von Indien hat sich als Illusion erwiesen. Die indische Regierung verfolgt zwar die weit verbreitete Empörung im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu mit Aufmerksamkeit, aber sie fürchtet vor allem, der Kampf der LTTE könnte separatistische Bewegungen in Indien ermutigen. Im Stillen hat Neu Delhi das srilankische Militär mit Training, Nachrichtendienst und Nachschub versorgt, auch um zu verhindern, dass der regionale Rivale Pakistan sich in Colombo etabliert.

Seit ihrer militärischen Niederlage appelliert die LTTE nur noch verzweifelt an die "internationale Gemeinschaft". Aber die Großmächte, die zuweilen das Militär von Sri Lanka wegen besonderer Grausamkeiten tadeln, haben schon letztes Jahr durch ihr Stillschweigen ihre Unterstützung ausgedrückt, als die Rajapakse-Regierung den Waffenstillstand von 2002 einseitig aufkündigte. Nach dem Fall von Kilinochchi gab Neu Delhi bekannt, es werde die Auslieferung von V. Prabhakaran, des LTTE-Führers, beantragen. Indien macht Prabhakaran für die Ermordung des ehemaligen indischen Premierministers Rajiv Gandhi verantwortlich.

Was für Ereignisse auch immer jetzt konkret bevorstehen, eins ist gewiss: Ein Sieg des Militärs in diesem reaktionären Krieg wird keinerlei grundlegende Bedürfnisse und Nöte der arbeitenden Bevölkerung stillen.

Siehe auch:
Sri Lanka: Armee erleidet Debakel bei Offensive gegen LTTE
(7. Mai 2008)
Sri Lankas Unabhängigkeit: 60 Jahre ethnische Ungleichheit
( 13. Februar 2008)
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