Offene Fragen im Fall Mannichl

Am 13. Dezember wurde der Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl in seinem Wohnort Fürstenzell von einem Unbekannten mit einem Messer niedergestochen und schwer verletzt.

Mannichl konnte sowohl den Täter als auch den Tathergang gut beschreiben. Der Mann, der bei dem Polizeichef klingelte, war zwischen 25 und 35 Jahre alt, kahl geschoren und hatte eine auffällige Tätowierung. Er beschimpfte den 52-jährigen Polizeidirektor mit den Worten: "Schöne Grüße vom nationalen Widerstand" und "Du linkes Bullenschwein trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum". Dann stach er zu. Laut Zeugenaussagen hatte der Täter auch Komplizen, die vermutlich in einem Wagen in der Nähe warteten.

In den Monaten zuvor war gegen Mannichl auf rechtsradikalen Internetseiten systematisch gehetzt worden. Der Passauer Polizeichef war durch seinen persönlichen Einsatz gegen Neonazis zu einem regelrechten Feindbild dieser Kreise geworden.

Unter anderem war die Polizei unter Mannichls Führung gegen rechte Aufmärsche vorgegangen und hatte dabei eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz aus dem Grab des Altnazis Friedhelm Busse entfernen lassen, die der berüchtigte NPD-Aktivist Thomas Wulff dort deponiert hatte.

Im August 2008 räumte Mannichl ein Zeltlager der Gruppe "Blood Brothers Niederbayern". Am Volkstrauertag desselben Jahres beobachtete er persönlich eine Kundgebung der NPD in Passau und verhinderte eine nicht genehmigte Kranzablage auf dem Soldatenfriedhof. Mannichl sitzt auch für eine unabhängige Wählervereinigung im Gemeinderat, wo er sich ebenfalls gegen ein als Neonazi-Treffpunkt bekanntes Lokal einsetzte.

Der Verdacht drängt sich daher auf, dass der Anschlag auf den Polizeichef von Rechtsextremen ausging. Die Polizei veröffentlichte einen Tag nach der Tat eine Meldung, wonach die Aussagen des Täters "auf eine politische Motivlage aus dem rechten Spektrum" hindeuten.

Der Fall erregte bundesweites Aufsehen. Feige Angriffe von Neonazi-Gruppen auf Ausländer, Asylbewerber und andere Minderheiten sind in Deutschland schon lange keine Seltenheit mehr. Doch der Mordanschlag auf einen hohen Repräsentanten des Staates bedeutet eine dramatische Eskalation. Zahlreiche Medien sprachen von einer "neuen Dimension brauner Gewalt".

Es wurde eine 50 Mann starke Sonderkommission, die SOKO "Fürstenzell", eingerichtet, um die Tat aufzuklären. Seither gingen etwa 250 Hinweise aus der Bevölkerung ein. Der 33 Jahre alte Manuel H. und die 22 Jahre alte Sabine H. aus München wurden vorübergehend festgenommen. Sie gehören den "Freien Nationalisten München" an, die auch in Verbindung zu dem 2003 vorbereiteten Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung der Münchner Synagoge stehen. Beide wurden in der Nähe des Tatortes gesehen. Ebenso wie zwei andere Verdächtige aus dem Raum Passau wurden sie allerdings nach kurzer Untersuchungshaft wieder auf freien Fuß gesetzt.

Nach nur zwei Wochen wurde dann die SOKO wieder aufgelöst, ohne dass es eine Spur des oder der Täter gab, der Fall durch das bayrische Landeskriminalamt übernommen, das ihn routinemäßig behandeln wird. Das wirft viele Fragen auf.

Da sticht ein glatzköpfiger und markant tätowierter Mann einen hohen Polizeibeamten nieder. Aus der Bevölkerung gehen zahlreiche Hinweise einer großen Sonderkommission zu und das Opfer kann darüber hinaus auch eine recht genaue Beschreibung abgeben. Das Umfeld, aus dem der Täter kommt, ist eingrenzbar und wird von staatlichen Behörden penibel überwacht. Die Polizeibehörden in Deutschland und im benachbarten Österreich sagen, sie hätten sämtliche Personen, die durch rechtsextreme Taten aufgefallen sind, erkennungsdienstlich behandelt. Darüber hinaus ist spätestens seit dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD bekannt, dass die NPD und andere rechtsextreme Gruppen vom Verfassungsschutz unterwandert und die Behörden über ihre Aktivitäten bestens unterrichtet sind.

Trotzdem laufen der Täter und seine Komplizen noch immer frei herum. Die Ermittler beginnen nach zweiwöchiger Untersuchung, die keinerlei Ergebnisse zu Tage bringt, wieder "bei Null" und konzentrieren sich dabei weniger stark auf den vermutlichen rechtsextremen Täterkreis.

Ist der Täter den Ermittlungsbehörden wirklich nicht bekannt, oder wird hier versucht, den Täter zu decken? Was weiß der Verfassungsschutz über das Attentat auf Mannichl? War der Täter selbst vielleicht sogar ein V-Mann?

Am rechten Rand der Union haben sich Stimmen gemeldet, die raten, die Rechtsextremen nicht wegen der Tat zu behelligen. So betonte die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in der rechts-liberalen Plattform eigenümlich frei, dass im Fall Mannichl "ein rechtsextremistischer Hintergrund lediglich vermutet werden" könne. Sie warf Presse und Politik vor, sie seien "zu hysterischer Hochform" aufgelaufen. Sie verharmloste die rechte Gewalt und stellte sie den "68er-Radaubrüdern" und der "Autonomen Linken" gegenüber.

In den vergangenen Jahren ist in mehreren Fällen bekannt geworden, dass Geheimdienstagenten die rechten Parteien nicht nur beobachten, sondern als Agents provocateurs darin arbeiten, das heißt zu rechtsradikalen Gewalttaten anstiften, daran teilnehmen und rechte Organisationsstrukturen aufbauen.

2003 war das Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, weil die NPD derart stark von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war, dass ein großer Teil des Beweismaterials von diesen stammte. Der bayrische Innenminister Joachim Hermann hat erst kürzlich wieder mit der Begründung von einem erneuten Verbotsverfahren abgeraten, dass noch immer zahlreiche V-Leute in der NPD säßen.

Die Liste von Straftaten, die von V-Männern begangen wurden oder an denen solche beteiligt waren, ist lang.

1993 kamen bei einem Brandanschlag auf ein Haus in Solingen, in dem Asylbewerber wohnten, fünf Menschen ums Leben. Drei der Täter hatten in einer Karateschule trainiert, die von Bernd Schmitt, einem Verfassungsschutzinformanten geführt wurde.

Zwei Jahre später versuchte ein Skinhead einen Nigerianer im Scharmützelsee in der Nähe von Berlin zu ertränken. Einige Zeit später wurde bekannt, dass er zu dieser Zeit als V-Mann für den Brandenburger Verfassungsschutz gearbeitet hatte.

1997 warben mecklenburgische Verfassungsschützer das NPD-Mitglied Michael Grube an und zahlten ihm für Spitzeldienste monatlich 500 bis 700 Mark. Bei seiner Selbstenttarnung 1999 gab der 21-jährige Grube brisante Informationen preis. Auf Anraten seiner beiden V-Mann-Führer "Klaus" und "Jürgen" hatte er sich zum NPD-Kreisvorsitzenden für Wismar und Nordmecklenburg wählen lassen und unter seiner Führung wuchs der Kreisverband von 12 auf 50 Mitglieder. Dennoch verließ Michael Grube Anfang 1999 die NPD und gründete zusammen mit anderen militanten Neonazis die Sozialistische Volkspartei (SVP). Mit Mitgliedern dieser Organisation verabredete er einen Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen, der im März 1999 in die Tat umgesetzt wurde.

Es ist bekannt, dass in Bayern die Rechten sehr aktiv sind. Die NDP hat dort mit rund 1.000 Mitgliedern einen ihrer stärksten Landesverbände. Das sind fast so viele wie in Sachsen. Und wie dort öffnet sich die NPD auch in Bayern für andere rechte Organisationen und Kameradschaften.

Der NPD-Kreisverband Passau war im Rahmen der bayerischen Landtagswahl äußerst aktiv. Die NPD organisiert Infostände und größere Veranstaltungen, und es finden regelmäßig "politische Stammtische" und gelegentlich auch "Gesprächskreise für interessierte Bürger" statt.

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