Eröffnungsbericht von Nick Beams auf der SEP-Sommerschule

Der Wirtschaftszusammenbruch von 2008 und seine revolutionäre Bedeutung

Teil 4

Nachfolgend bringen wir den 4. und abschließenden Teil des Eröffnungsberichts von Nick Beams auf der Sommerschule der SEP im Januar 2009 in Sydney. Beams ist Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Australien) und Mitglied der Internationalen Redaktion der WSWS. Der 1., 2. und 3. Teil wurden am 27. und 28. Februar, bzw. am 3. März veröffentlicht.

Unsere Analyse zu den Ursprüngen der jetzigen Situation führt uns zum Schluss, dass nichts Geringeres als eine internationale sozialistische Revolution die Krise der kapitalistischen Produktionsform überwinden kann. Dies ist darüber hinaus der einzige Weg, um eine Katastrophe für die Menschheit abzuwenden. Diese Auffassung ist der Grund für unser Bemühen, das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse anzuheben.

Die Bourgeoisie hat einen vernichtenden ideologischen Kollaps erlitten. Die gesamte Ideologie des "Freien Marktes", auf der ihre Angriffe gegen die Arbeiterklasse in den vergangenen drei Jahrzehnten beruhten, liegt in Scherben. Infolge dessen erleben wir den verzweifelten Versuch, die Illusion zu schüren, die Krise könne innerhalb des kapitalistischen Rahmens gelöst werden. Verschiedene Keynesianer, "linke" und selbsternannte marxistische Wirtschaftswissenschaftler werden für diese Aufgabe herangezogen. Und darüber hinaus bemüht sich die Bourgeoisie aktiv, unter den verschiedenen radikalen Gruppen neue Stützen für ihre Herrschaft zu finden.

An der ökonomischen Front finden wir ein typisches Beispiel in einer Erklärung, die am 1. Januar von etwa 20 "linken" Wirtschaftswissenschaftlern unterzeichnet wurde und aus dem Schwarz Center for Economic Analysis der New School und dem Political Economy Institute der Universität Massachusetts stammt.

Sie beginnt mit der Warnung, dass die Welt heute mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert sei, wie es sie seit der Großen Depression nicht mehr gegeben habe. Dabei gehe von den Finanzmärkten auf verschiedene, mit einander verbundene Weise ein Druck auf die Realwirtschaft aus, dem ökonomische Stabilisierungsmechanismen und Institutionen nicht gewachsen seien.

"Rasches und koordiniertes Handeln durch die Obama-Regierung, die Regierungen anderer Länder und internationale Finanzeinrichtungen kann diese Krise abwenden, wenn ihr Handeln vor allem darauf zielt, den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Kommunen zu dienen, und weniger darauf, gescheiterte Institutionen und vergangene Praktiken zu schützen, die die Krise mit verursacht haben."

Diese "Linken" möchten in Obama gern eine Art neuen Roosevelt sehen. Aber die ganze Lage des amerikanischen Kapitalismus hat sich in den vergangenen 75 Jahren zutiefst verändert. Als Roosevelt 1933 an die Macht kam, war Amerika noch eine aufsteigende Wirtschaftsmacht. Das ist vorbei. Nun sind die Vereinigten Staaten das höchstverschuldete Land der Welt. Obama verspricht, große Ausgaben zu tätigen, die vorwiegend den Unternehmen nützen, aber da ihm die amerikanische Verschuldung um die Ohren fliegen könnte, hat er bereits deutlich gemacht, dass bei den Sozialmaßnahmen Kürzungen anstehen.

Eine ähnliche Erklärung gab es bereits im vergangenen September von einer Gruppe, die sich selbst Europäische Ökonominnen und Ökonomen für eine alternative Wirtschaftspolitik in Europa nennen. Ebenso wie ihre amerikanischen Kollegen stützen sie ihre politischen Empfehlungen erklärtermaßen auf die Analyse, die Keynes in der Depression der 1930er Jahre entwickelt hatte.

"Unsere Vorschläge für eine alternative Wirtschaftspolitik, um der Finanzkrise und der drohenden Rezession in Europa etwas entgegenzusetzen, nehmen ihren Ausgangspunkt bei John Maynard Keynes und seiner berühmten Idee, die staatliche Politik solle die 'Euthanasie des Rentiers' begünstigen. [...] In einem alternativen Szenario sollten Kredite nicht für kurzfristige finanzielle Gewinne vergeben werden, sondern vielmehr produktive Investitionen fördern, um Vollbeschäftigung herzustellen und zum Kampf gegen Armut und Ausgrenzung beizutragen."

Die Wirtschaftswissenschaftler stellen dann eine Reihe von Reformen vor, darunter einen Privatisierungsstopp bei den Rentenkassen, mehr demokratische Kontrolle über Finanzinstitutionen und ein Ende all jener Finanzpraktiken, die die wachsende soziale Ungleichheit begünstigt haben. Eine Politik zugunsten von Vollbeschäftigung und sozialem Zusammenhalt würde "die Finanzen verändern und den Finanzsektor als wichtiges und unverzichtbares Element in diesen neuen Rahmen einbetten. Dies wäre nicht das Ende des Kapitalismus sondern das Ende des finanzgesteuerten Kapitalismus".

Dieses reformistische Programm krankt an der Grundannahme, dass die gewaltige Ausdehnung der Finanzgeschäfte in den vergangenen drei Jahrzehnten ein irgendwie unglücklicher Auswuchs einer ansonsten gesunden Realwirtschaft sei; dass der Finanzsektor, der eigentlich einer produktiven Wirtschaftsaktivität dienen sollte, wegen laxer Regeln und neoliberaler Ideologie außer Kontrolle geraten sei und nun wieder gezügelt werden müsse.

Damit ignorieren sie die großen Strukturwandel, die der weltweite Kapitalismus in den letzten 30 Jahren durchgemacht hat. Zu Beginn der 1980er Jahre wurden im US-Finanzsektor zwischen fünf und zehn Prozent der Unternehmensgewinne realisiert. 2006 waren es 40 Prozent. Dies zeigt eine qualitative Veränderung der amerikanischen Wirtschaft an. Sie nahm ihren Ursprung in der Akkumulationskrise Ende der 1970er Jahre. Die neue Akkumulationsform basiert auf Finanzoperationen, angeheizt von einer großen Zunahme der Verschuldung. Die Staatsschulden der USA, die 1980 noch 163 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betrugen, stiegen auf 346 Prozent des BIP im Jahre 2007. Die Verschuldung der Privathaushalte wuchs im gleichen Zeitraum von 50 auf 100 Prozent des BIP.

Der größte Zuwachs fand jedoch im Finanzsektor statt. Hier stieg die Verschuldung von 21 Prozent des BIP im Jahr 1980 auf 83 Prozent im Jahr 2000 und schließlich 116 Prozent im Jahr 2007.

Diese Zahlen zeigen die bedeutende Rolle des Finanzsektors bei der Profitakkumulation und die Rolle der Neuverschuldung in dem gesamten Prozess. Diese Wandlung in der Akkumulationsform, die eine ganze Reihe von neuen Finanzinstrumenten, insbesondere Derivate, hervorgebracht hat, ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Für Großbritannien geht man beispielsweise davon aus, dass die Zahl der Arbeitsplätze im Finanzsektor seit 1984 um 22 Prozent gestiegen ist. Und in neun von elf britischen Regionen gibt es zumindest eine Kommune, in der jeder fünfte Bewohner im Bereich Business- und Finanzdienstleistungen tätig ist.

Einer Studie aus dem Jahr 2003 zufolge hat sich in den meisten OECD-Ländern der Einkommensanteil aus dem Finanzsektor "dramatisch erhöht". Demnach ist dieser Anteil von den 1960er und 70er Jahren bis zu den 1980er und 90er Jahren in Großbritannien um 143 Prozent, in den Vereinigten Staaten um 92 Prozent, in Korea um 112 Prozent und in Frankreich um 155 Prozent gestiegen.

Aber das Finanzwesen ist keineswegs ein kranker Auswuchs am ansonsten gesunden Körper der kapitalistischen Wirtschaft. In seinem Wachstum kommen vielmehr all die Widersprüche zum Ausdruck, die dieser Produktionsform innewohnen. Die Zirkulation des Kapitals verläuft von G zu G' - wobei G, ein erstes Vorschießen von Geld, als G’, eine erhöhte Summe, zurückkommt. Geldkapital ist der Ausgangs- und Bezugspunkt des gesamten Prozesses.

"Eben weil die Geldgestalt des Werts seine selbständige, handgreifliche Erscheinungsform ist, drückt die Zirkulationsform G... G', deren Ausgangspunkt und Schlusspunkt wirkliches Geld, das Geldmachen, das treibende Motiv der kapitalistischen Produktion, am handgreiflichsten aus. Der Produktionsprozess erscheint nur als unvermeidliches Mittelglied, als notwendiges Übel zum Behuf des Geldmachens." (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 24, S. 62)

Mit anderen Worten, nicht der finanzielle Aspekt ist der realen Produktion äußerlich, sondern vielmehr ist die Produktion, wie Marx es ausdrückte, ein "bloßes Mittel zur Verwertung des vorgeschossenen Werts".

Darum tritt die historische Krise des kapitalistischen Systems als Finanzkrise in Erscheinung, denn der Prozess der Finanzierung selbst hat all die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsform verschärft und auf die Spitze getrieben.

Der Aufstieg des Finanzwesens ist untrennbar mit der Entwicklung einer Akkumulationsform verbunden, die alle Teile der Weltbevölkerung in den globalen Kapitalumlauf eingebunden hat.

Im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ging Rosa Luxemburg zu Unrecht davon aus, der Grund, warum der Kapitalismus zusammenbrechen werde, bestehe darin, dass die imperialistischen Mächte alle nicht-kapitalistischen Weltgegenden vereinnahmt hätten.

Auch wenn diese spezifische Einschätzung falsch war, hat die Geschichte bestätigt, dass sie zu Recht auf die entscheidende Rolle der weniger entwickelten Weltgegenden aufmerksam machte.

Das Kapital konnte die letzte Akkumulationskrise überwinden, indem es die Billigarbeit in China, Indien und anderen Regionen in seinen Weltkreislauf einband. Doch dabei konnte der grundlegende Widerspruch nicht gelöst werden. Vielmehr wurden Bedingungen geschaffen, dass diese Widersprüche in noch explosiverer Form wieder auftreten würden. Der tendenzielle Fall der Profitrate konnte für eine gewisse Zeit durch die Superausbeutung der Arbeitskraft in China und anderswo aufgehalten werden, wie auch durch verschlechterte Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse in den entwickelten Ländern über den Zeitraum der vergangenen 30 Jahre.

Dieser Prozess schuf jedoch eine große Masse an fiktivem Kapital, das Anspruch auf den akkumulierten Mehrwert erhebt. Wie können diese Erwartungen erfüllt werden? Es gibt kein weiteres China, das nur darauf wartet, dem Kapitalismus frisches Blut in die Arterien zu pumpen. Und selbst wenn es eins gäbe, könnte der Wirtschaftsauftrieb, der von den extrem niedrigen Arbeitskraftkosten ausging, die ein Dreißigstel jener in den entwickelten Ländern betrugen, nicht wiederholt werden.

Ganze Teile des Kapitals müssen durch Rezession und Wirtschaftskrise, durch Handelskrieg und - wenn nötig - selbst durch Krieg vernichtet werden. Und auf der ganzen Welt spielen die "Linken" eine führende Rolle dabei, ihre "eigene" Bourgeoisie im Krieg gegen die anderen zu unterstützen.

Schon werden ideologische Vorbereitungen getroffen. In der jüngsten Ausgabe der Nation findet sich ein Artikel von William Greider, der Konjunkturmaßnahmen einzelner Staaten für wirkungslos hält, da "die Erholung auf komplexe Weise durch die Globalisierung und ihre negativen Folgen auf die Wirtschaft verhindert wird". Das Konjunkturpaket der Obama-Regierung könnte seiner Ansicht nach Fabriken in China helfen, aber nichts an der hohen Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten ändern.

Und was ist die Lösung? Ein weltweites Konjunkturpaket. Aber was, wenn die anderen Länder nicht mitziehen? "Die Vereinigten Staaten könnten das Vorhaben mit einer entscheidenden Bedingung verknüpfen: Wenn die Handelspartner nicht zum gemeinsamen Handeln bereit sind, wird Washington unilateral vorgehen."

So viel zu den "linken" Kritikern von George W. Bush. Und was würde ein solches Programm beinhalten? Eine nationale Wirtschaftspolitik und Besteuerung, die multinationale Unternehmen davon überzeugt, größere Teile ihrer wertschöpfenden Produktion im Land zu lassen, und "notfalls auch Zollschranken, die der unbegrenzten Wareneinfuhr Einhalt gebieten". Zurück zum nationalen heimischen Herd - eine Rückbesinnung auf die "beggar thy neighbour"-Politik, bzw. auf das nationale Sankt-Florians-Prinzip.

Nicht zufällig tritt der Zusammenbruch des Kapitalismus in Form einer globalen Finanzkrise auf, denn, wie Marx schon erklärte, war das Kreditsystem das Mittel, mit dem der Kapitalismus die Beschränkungen in seiner Entwicklung überwand. "Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise." (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 457)

Es handelt sich also, wie Marx feststellte, um einen "dem Kreditsystem immanenten doppelseitigen Charakter: einerseits die Triebfeder der kapitalistischen Produktion, Bereicherung durch Ausbeutung fremder Arbeit, zum reinsten und kolossalsten Spiel- und Schwindelsystem zu entwickeln und die Zahl der den gesellschaftlichen Reichtum ausbeutenden Wenigen immer mehr zu beschränken; andrerseits aber die Übergangsform zu einer neuen Produktionsweise zu bilden".

Wo stehen wir in der Geschichte? Fraglos stellt das Jahr 2008 einen grundlegenden Wendepunkt in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung dar. Es handelt sich nicht einfach um eine sehr tiefe Rezession, sondern um das Ende einer ganze historischen Epoche. Der historische Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsform bedeutet, dass wir einmal mehr in eine Periode von Krieg und Revolution eintreten.

Soziale und politische Kämpfe werden sich auf der ganzen Welt entwickeln. Dies wird unsere Partei vor neue Möglichkeiten und Aufgaben stellen.

Unsere zentrale Aufgabe in der kommenden Periode besteht darin, in diese Kämpfe eine marxistische Perspektive einzuführen. Dies können wir, weil unsere Bewegung - und zwar nur unsere Bewegung -die historischen Lehren aus den strategischen Erfahrungen der Arbeiterklasse im vergangenen Jahrhundert gezogen hat.

Ende

Siehe auch:
Weltwirtschaftsforum in Davos von Trübsinn
(3. Februar 2009)
Ratlosigkeit und Spaltung beherrscht
( 13. Januar 2009)
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