Nationale Fiat-Kundgebung in Turin:

Arbeiter protestieren gegen Konzernspitze und Gewerkschaftsführung

Am Samstag, den 16. Mai, demonstrierte die nationale Fiat-Belegschaft in Turin. Über 10.000 Fiat-Arbeiter aus allen Landesteilen folgten dem gemeinsamen Aufruf der italienischen Metallgewerkschaften und marschierten durch die Innenstadt zur Konzernzentrale in Lingotto. Vorneweg ging die Belegschaften der von Schließung bedrohten Werke in Termini Imerese, Sizilien, und Pomigliano D’Arco bei Neapel.

Diese zwei Werke sollen laut Fiat-Vorstandschef Sergio Marchionne geschlossen werden, wenn es zur Übernahme von Chrysler und Opel durch Fiat kommt. Die beiden Betriebe in Sizilien und Neapel fahren schon seit Monaten Kurzarbeit. Hunderte befristeter Arbeiter und Leiharbeiter sind bereits entlassen, und große Teile der Produktion wurden an Zulieferbetriebe ausgelagert.

Nach dem letzten Streik in Pomigliano D’Arco wurden 316 Arbeiter in ein anderes Werk in Nola strafversetzt, wo sie unter schlechteren Bedingungen und für weniger Lohn arbeiten müssen. Der Beschluss über diese Versetzung soll die Unterschrift des nationalen FIOM-Gewerkschaftsführers Gianni Rinaldini tragen, der Mitglied von Rifondazione Comunista ist. Die FIOM ist die Metallgewerkschaft der CGIL, der als Gewerkschaftsbund Rifondazione nahe steht.

Die Fiat-Arbeiter aus allen Landesteilen, die durch Turin marschierten, waren sichtlich voller Zorn und entschlossen, für ihre Arbeitsplätze, Löhne und Rechte zu kämpfen. Doch die Gewerkschaftsfunktionäre wollten die Demonstration nur benutzen, um Druck für ihre einzige Forderung zu machen, die darin bestand, einen Runden Tisch der Metallgewerkschaften mit der Betriebsleitung und der Regierung von Silvio Berlusconi zu verlangen, an dem über die Zukunft der italienischen Fiat-Standorte verhandelt werden soll.

Als der christliche Gewerkschaftsführer Giuseppe Farina auf der Abschlusskundgebung in Lingotto zu sprechen begann, rief eine Gruppe von Arbeitern: "Venduti" [Ihr seid gekauft] und "Vergogna" [Schande]. Die Rufe breiteten sich rasch aus, und die Arbeiter begannen, auf die Melodie von "Guantanamera" die Worte "wir wollen arbeiten" zu singen. Darauf skandierten sie den Slogan: "Il potere dev’essere operaio" [die Macht muss den Arbeitern gehören].

Die Unruhe ging vor allem von den süditalienischen Arbeitern aus, die in den Bussen der so genannten Basisgewerkschaften Slai-Cobas angereist waren und in einem eigenen Block marschierten. [Slai-Cobas - Sindacato dei Lavoratori Autorganizzati Intercategoriale - Comitati di Base].

Mehrere Cobas-Vertreter aus Neapel verlangten, dass einer von ihnen am Mikrophon sprechen dürfe. Um das zu verhindern, setzte Gianni Rinaldini sofort zu seiner Schlussrede an. Da bestiegen einige Arbeiter und Cobas-Leute die mobile Bühne und versuchten, Rinaldini das Mikrophon wegzuziehen. Sofort griff der FIOM-Ordnungsdienst ein, und es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Rinaldini von der Bühne stolperte.

Der Vorfall wurde als Vorwand für eine Medienkampagne gegen die aufgebrachten Arbeiter benutzt. Noch am gleichen Abend verurteilte die Presse einhellig die Cobas, sie hätten Rinaldini von der Bühne geworfen. Die Cobas-Führung verwahrten sich offiziell gegen den Vorwurf und betonten, sie hätten Rinaldini im Gegenteil wieder hoch geholfen, damit er seine Rede beenden konnte.

Die rechte Presse forderte von den Gewerkschaften, sich von den "gewaltbereiten Elementen" zu distanzieren. Dieselben Medien, die die extrem rechte und offen rassistische Politik Berlusconis unterstützen, warfen den Arbeitern "Intoleranz" vor. Doch auch aus den Reihen von Rifondazione gab es empörte Reaktionen. Der Rifondazione-Vorsitzende Paolo Ferrero verurteilte die Tumulte und erklärte: "Solche Protestaktionen schwächen nur die Arbeiter und stellen ein ernsthaftes Hindernis dar, denn es ist jetzt notwendig, dass wir Fiat zwingen, seine Produktionspläne zu ändern."

Der Tumult auf der Demonstration vom Samstag stellt eine offene Misstrauenserklärung vieler Arbeiter gegen die offizielle Gewerkschaftsführung im Allgemeinen und gegen Gianni Rinaldini im Besonderen dar. Es ist eine Fortsetzung der Entwicklung, die sich vor einem Jahr in den Parlamentswahlen zeigte, als ein großer Teil der Arbeiterklasse Rifondazione Comunista die Unterstützung verweigerte. Damals musste Rifondazione, die aus der stalinistischen KPI hervorgegangen war, eine so gewaltige Wahlschlappe einstecken, dass sie nicht einen einzigen Abgeordneten mehr ins Parlament schicken konnte.

Seither hat sie ihre Rechtswende angesichts der globalen Wirtschaftskrise noch fortgesetzt. Rifondazione Comunista hat sich vergangenen Sommer gespalten. Ein Flügel unter Nichi Vendola, dem Regionalpräsidenten von Apulien, ist ausgetreten und hat die Sinistra della libertà gegründet, eine Sammlungsbewegung, die sich bewusst als Gegenstück zu Berlusconis Partei Popolo della libertà versteht und für sämtliche Oppositionellen, auch für konservative und katholische Strömungen, offen sein will. Dafür sind sie bereit, auch die letzten Reminiszenzen, die an Kommunismus erinnern könnten, hinter sich zu lassen. "Wir wollen die Freiheitslinke nicht als Erinnerung an die Vergangenheit, sondern als Versprechen auf die Zukunft", wie es Nichi Vendola formulierte.

Im Unterschied dazu besteht die alte Rifondazione Comunista darauf, sich weiterhin als "Kommunisten" zu bezeichnen und - in Worten - wieder einen etwas radikaleren Anstrich zu geben. Für die Europawahlen kandidiert Rifondazione auf einer "Lista dei Comunisti", gemeinsam mit der Partei der italienischen Kommunisten (Pdci) von Oliviero Diliberto und der Gruppe "Socialismo 2000".

Der Name "Kommunisten" bedeutet jedoch keineswegs, dass Rifondazione heute wieder die Interessen der italienischen Arbeiter gegen die Angriffe der bürgerlichen Parteien verteidigen würde - im Gegenteil. Sie ist nicht nur bereit, mit der Demokratischen Partei bei den Wahlen zu paktieren, wo sie keine eigenen Kandidaten stellt, sondern sie ist auch bereit, mit Berlusconi selbst zusammen zu arbeiten. Das zeigt ihre Politik bei Fiat, wo sich Ferrero und Rinaldini für den nationalen Runden Tisch mit den Unternehmern und mit der Berlusconi-Regierung stark machen.

Muss man wirklich daran erinnern, dass Berlusconi soeben im Parlament die Kriminalisierung der Einwanderer und ihre Bestrafung mit Tausenden von Euro durchgesetzt hat? Er hat die Einführung von faschistoiden Bürgerwehren sanktioniert und das Militär im Innern der Städte eingesetzt. Dies alles stellt gerade für Arbeiter, die ihre Rechte und Arbeitsplätze verteidigen, eine unmittelbare Bedrohung dar.

Das Schicksal der Fiat-Arbeiter letztlich von Berlusconi und dem Fiat-Chef Sergio Marchionne abhängig zu machen, kommt einer völligen Entwaffnung der Arbeiter gleich und ist Bestandteil einer immer engeren Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit Regierung und Staat.

Doch auch die Slai-Cobas-Vertreter haben keine tragfähige Antwort und fortschrittliche Perspektive für die Arbeiterklasse. Ihre Politik beschränkt sich darauf, durch Protestaktionen Druck auf die offizielle Gewerkschaftsführung auszuüben und einen "gemeinsamen Kampf" mit ihr zu fordern. Ihre Hoffnung die bürokratischen Apparate der Gewerkschaften nach links zu drücken, führt dazu, dass all ihre Proteste am Ende in der opportunistischen und nationalistischen Politik der Gewerkschaften stecken bleiben.

Die Arbeiterklasse muss ihre politische Unabhängigkeit von der alten Führung herstellen, indem sie für eine internationale, sozialistische Perspektive eintritt. Sie muss sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in allen anderen Ländern zusammenschließen, um gemeinsam alle Arbeitsplätze zu verteidigen. Gerade die weltweit operierenden Automobilkonzerne verbinden Belegschaften in Italien, Amerika, Deutschland, Frankreich, Polen, Russland und auf der ganzen Welt.

Diese Perspektive wird im gegenwärtigen Europawahlkampf von den Sektionen des Internationalen Komitee der Vierten Internationale vertreten, die sich mit eigenen Kandidaten an der Europawahl beteiligten.

Im Wahlmanifest der Vierten internationale ist ein ganzes Kapitel der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse gewidmet. Darin heißt es:

"Die Arbeiterklasse ist nicht für die kapitalistische Krise verantwortlich. Sie hat sich nicht an den riskanten Spekulationsgeschäften beteiligt und keine Millionen in die eigenen Taschen gescheffelt. Wir unterstützen alle Initiativen - Streiks, Betriebsbesetzungen und Massendemonstrationen -, die dazu angetan sind, das Selbstvertrauen der Arbeiter zu stärken und der selbstherrlichen Macht der Absahner in Politik und Wirtschaft Einhalt zu gebieten. Solche Kämpfe können nur Erfolg haben, wenn sie unabhängig von den sozialdemokratischen Parteien und den Gewerkschaften stattfinden. Ihre Führung darf nicht den bürokratischen Apparaten überlassen werden. Stattdessen müssen unabhängige, demokratisch gewählte Streikkomitees und Arbeiterräte aufgebaut werden, die den Arbeitern direkt verantwortlich sind."

Siehe auch:
GM-Europa und der globale Kampf für die Verteidigung der Arbeitsplätze
(14. Mai 2009)
Fiat plant Massenentlassungen und Werkschließungen in ganz Europa
( 8. Mai 2009)
Der Preis des Opportunismus - zum Kollaps von Rifondazione Comunista
( 24 April 2008)
Loading