Iran:

Straßenproteste lassen nach - aber im Regime nehmen Konflikte zu

Die Protestbewegung im Iran ist am Montag weitgehend von den Straßen Teherans verschwunden. Die Auseinandersetzungen innerhalb des iranischen Regimes gehen allerdings weiter. Mirhossein Mussawi und die anderen besiegten Kandidaten hatten im Zusammenhang mit der Wahl vom 12. Juni Einspruch gegen angebliche Wahlfälschungen erhoben.

Weniger als 1.000 Demonstranten kamen auf dem zentralen Teheraner Haft-e Tir Platz zusammen und wurden sofort von Bereitschaftspolizei mit Tränengas und Knüppeln zerstreut. "Es gibt Anzeichen, dass der Enthusiasmus der Protestierenden nachgelassen hat", schrieb die Los Angeles Times aus Teheran. Die Polizei verhaftete einen jungen Mann in grünem Hemd, der offiziellen Farbe von Mussawis Wahlkampagne, ohne dass die Umstehenden dagegen protestiert hätten, wie das in den vergangenen Tagen bei ähnlichen Gelegenheiten üblich war.

Die relative Ruhe in der iranischen Hauptstadt wurde mit massiver Polizeipräsenz auf allen wichtigen Plätzen in der Innenstadt von Teheran erzwungen. Am Sonntag wurden keine Proteste gemeldet. Die Polizei war in ähnlicher Stärke wie am Vortag aufmarschiert.

Die staatlichen Meiden haben über den Tod von dreizehn Menschen bei der Demonstration am Samstag berichtet. Das war der Tag nach der Predigt des obersten Führers des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, vor einem Massenpublikum in der Teheraner Universität. Zwanzig andere seien verwundet worden. Khamenei hatte gefordert, die Straßenproteste zu beenden und das Wahlergebnis zu akzeptieren, das dem Amtsinhaber 63 Prozent der Stimmen zusprach und seinem Herausforderer Mussawi 34 Prozent.

Die politische Opposition behauptet, die Demonstranten seien von Sicherheitskräften getötet worden, vor allem von der Basij Miliz. Die Regierung machte für die Toten "bewaffnete Terroristen" verantwortlich und beschuldigte westliche Regierungen und Medien, die Gewalt zu schüren.

Die Polizei nahm staatlichen Medien zufolge bei der Demonstration am Samstag 457 Personen fest. Ein Sprecher der iranischen Justiz sagte am Montag im Staatsfernsehen, es würden Sondergerichte für die bei den Protesten Verhafteten geschaffen.

Am Montag gab der Wächterrat, der von der Regierung mit der Untersuchung der Wahl betraut worden war, zu, dass "in fünfzig Städten mehr Stimmen abgegeben worden sind, als es Wahlberechtigte gibt". Er schätzte, es gehe um drei Millionen von insgesamt vierzig Millionen abgegeben Stimmzetteln. Dieses Eingeständnis rief in den westlichen Medien eine neue Welle von Vorwürfen des Wahlbetrugs hervor.

Ein Sprecher des Wächterrats bestritt, dass der Stimmenüberhang ein klarer Beweis für Betrug sei. Er nannte als mögliche Ursache Menschen, darunter auch Wanderarbeiter, die nicht in ihrem eigenen Wahlbezirk abgestimmt hätten, was nach iranischem Wahlrecht möglich ist. Er fügte hinzu, dass die Stimmen für das Gesamtergebnis der Wahl auch gar nicht entscheidend gewesen wären, weil Ahmadinedschads Vorsprung viel größer war.

Das Innenministerium kündigte an, die Einzelergebnisse aller Wahllokale zu veröffentlichen, um alle "Zweideutigkeiten" auszuräumen, berichtete das staatliche Press TV.

Mussawis Forderung nach Neuwahlen wegen Wahlbetrugs - die von den amerikanischen und europäischen Medien aufgegriffen und propagandistisch verstärkt wurde - stand im Zentrum der Massenproteste der vergangenen Wochen, die weitgehend von städtischen Mittelschichten und privilegierteren Schichten bestimmt waren. Diese wurden von den "Reform"versprechen des Oppositionskandidaten angezogen.

Die "Reformen" beinhalten neben vagen Versprechen auf größere persönliche Freiheiten auch die Ankündigung, die Spannungen zwischen Teheran und Washington zu verringern, den Iran starker für ausländisches Kapital zu öffnen, staatliche Industrien schneller zu privatisieren und die begrenzten Sozialprogramme abzuschaffen, mit denen sich Ahmadinedschad Unterstützung in der Bevölkerung gesichert hatte.

Mussawi selbst ist ein langjähriger hoher Vertreter des Regimes und ist als Reformer wenig glaubwürdig. Er war fast die ganzen 1980er Jahre Premierminister und für die brutale Unterdrückung linker und anderer Dissidenten verantwortlich. In diese Zeit fällt auch der iranisch-irakische Krieg, der Hunderttausende Menschenleben gekostet hat.

Hinter Mussawi steht Irans Milliarden schwerer Ex-Präsident Ajatollah Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, der 2005 die Wahl gegen Ahmadinedschad verloren hatte. Die New York Times zeichnete am Montag ein Portrait des Ex-Präsidenten, in dem sie ihn als jemanden charakterisierte, der "für eine Öffnung zum Westen, für die Privatisierung von Teilen der Wirtschaft und für die Ausstattung gewählter ziviler Institutionen mit mehr Macht eintritt". Die Zeitung bewertete dieses Programm gegenüber dem gegenwärtigen Regime als positiv, da das letztere "wenig getan hat, um die stagnierende Wirtschaft zu modernisieren".

Die Sympathie der New York Times nährt sich aus der Hoffnung, dass ein Sieg der "Reformer" dazu führen könnte, dass der Iran die amerikanischen Kriege an den Grenzen des Landes im Irak und in Afghanistan unterstützen und das Land für amerikanisches Kapital öffnen würde.

Das erklärt, warum die amerikanischen Medien - allen voran die Times - die iranischen Wahlen schon als gefälscht hinstellten, als die Wahllokale kaum geschlossen waren. Hinter dem Enthusiasmus der Medien für die "grüne Revolution" im Iran stehen die US-Regierung und ihre Geheimdienste. Diese haben sich nur mühsam zurückgehalten und es der unterwürfigen Presse überlassen, Washingtons Linie zu den Wahlen zu propagieren.

Das Ziel der USA ist nicht, die islamische Republik zu stürzen oder eine blühende Demokratie herbeizuführen, sondern die Spitze des Regimes auszuwechseln, um es den amerikanischen Interessen geneigter zu machen. So wie die USA die Ahmadinedschad feindliche Fraktion des klerikalen Establishments fördern, haben sie zuvor die so genannten Farben-Revolutionen gelenkt, die zu US-freundlichen Regimes in Serbien, Georgien und in der Ukraine geführt haben. Sie haben aber kein Interesse daran, dass die Ereignisse im Iran eine breite Bewegung auslösen, die auch die iranische Arbeiterklasse auf den Plan rufen würde.

Präsident Obama hält an seiner Position fest, dass die USA "nicht so erscheinen sollten, dass sie sich in iranische Angelegenheiten einmischen". Das hindert seine Regierung nicht daran, in der Region eine Politik zu verfolgen, die genauso räuberisch ist wie die von Bush.

Am Sonntag und Montag äußerte sich Obama nicht zu den Ereignissen im Iran. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte am Montag, der Präsident sei "bewegt von dem, was er im Fernsehen gesehen hat"; er sei "besorgt" und habe Fragen zu dem Wahlergebnis. Für Dienstagnachmittag ist eine Pressekonferenz im Weißen Haus angesetzt, auf der sich Obama wohl zum Iran äußern wird.

Einige Republikaner haben Obama kritisiert, weil er verdeckte amerikanische Operationen im Iran nicht öffentlich durchgeführt und Mussawi nicht offen unterstützt habe. Einer von ihnen war der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister, Paul Wolfowitz, ein wichtiger Drahtzieher des Irakkriegs. Er sagte zu CNN, die von Mussawi geführte Opposition habe "klar gemacht, dass sie die Unterstützung der Welt braucht", und Obama müsse "herausfinden, ob er [Mussawi] mit uns reden will".

Der Feldzug zur Unterstützung der "Reformer" scheint allerdings ins Stocken zu geraten. Obwohl Ex-Präsident Rafsandschani an der Spitze des Expertenrats steht, der das Recht hat, den obersten Führer des Iran zu berufen und abzulösen, hat das Gremium Khamenei Unterstützung zugesagt. Fünfzig seiner 86 Mitglieder haben ein Dokument unterzeichnet, in dem sie erklären, die "Unruhen und Aufstände" als Reaktion auf das Wahlergebnis seien von "Feinden des Iran" gelenkt. Am Samstag erklärte das Gremium seine entschiedene Unterstützung für Khameneis Rede vom Vortag und forderte die Anerkennung der Wahl und ein Ende der Proteste.

Als Warnung an Rafsandschani nahm die Polizei dessen älteste Tochter Faezah Haschemi, die am Samstag zu Demonstranten gesprochen hatte, und vier weitere Familienmitglieder fest. Alle fünf wurden nach einigen Stunden wieder freigelassen, aber die iranischen Medien berichteten ausführlich über ihre Festnahme.

Rafsandschani ist wegen seines enormen Reichtums ziemlich unbeliebt, und seinen Familienmitgliedern wird vorgeworfen, sich an Insider-Deals zu bereichern. Es wurden schon Forderungen laut, sie wegen Korruption vor Gericht zu stellen.

Mussawi selbst ist seit mehreren Tagen nicht mehr öffentlich aufgetreten. Auf seiner Web Site veröffentlichte er eine Erklärung, dass die Iraner das Recht hätten, gegen Lügen zu demonstrieren. Gleichzeitig ermahnte er die Protestierenden, "keine Gewalt anzuwenden", und nannte die Basij-Milizen, denen man gewalttätige Angriffe auf die Demonstrationen vorwirft, "unsere Brüder" und "Beschützer unserer Revolution und unseres Regimes".

Mehrere Anzeichen deuten darauf hin, dass einige seiner Anhänger aus dem politischen Establishment sich zurückgezogen haben. "Nichts ist mehr sicher", sagte Hassan Baghernedschad, ein hoher Mitarbeiter in Mussawis Wahlkampfstab, der Washington Post. "Einige haben die klare Stellungnahme des obersten Führers akzeptiert, andere nicht. Wir müssen abwarten."

Obwohl die Proteste nachließen, wurde berichtet, dass zwei große Gewerkschaften im Iran die Unterdrückung der Demonstranten durch das Regime verurteilt hätten. Die Gewerkschaft der Autoarbeiter im Werk Khodro in Teheran, die im vergangenen Jahr einen großen Streik durchgeführt hatten, kündigte symbolische Streikaktionen an.

Die Gewerkschaft erklärte: "Wir, die Arbeiter von Iran Khodro ... werden auf jeder Schicht die Arbeit eine halbe Stunde niederlegen, um gegen die Unterdrückung der Studenten, Arbeiter, Frauen und der Verfassung zu protestieren. Wir erklären unsere Solidarität mit der Bewegung des Volkes des Iran."

Die Gewerkschaft der Busfahrer gab eine ähnliche Erklärung ab, in der es hieß, sie stelle sich "an die Seite all derer, die sich in den Kampf für eine freie und unabhängige Zivilgesellschaft geworfen haben". Die Erklärung verurteilte "Unterdrückung und Drohungen" und forderte die Anerkennung von "Gewerkschaften und sozialen Rechten".

Ohne Zweifel fürchten beide konkurrierenden Fraktionen, dass Spaltungen an der Spitze Raum für eine unabhängige Intervention der Massen geben könnten. Die Proteste einer relativ privilegierten Schicht, die Mussawi unterstützt, könnten zu einer Bewegung der Arbeiterklasse gegen Arbeitslosigkeit und Inflation auswachsen und sich gegen das Regime insgesamt richten.

Dabei ist gerade eine solche unabhängige Bewegung der iranischen Arbeiter nötig, um einen wirksamen Kampf für demokratische Rechte und soziale Gleichheit zu führen. Die iranische Geschichte enthält bittere Lehren, vom Sturz von Ministerpräsident Mossadeq mithilfe der CIA 1953 bis hin zum Schicksal der Revolution von 1979. Diese Erfahrungen zeigen, dass die Arbeiterklasse kein Ziel erreichen kann, wenn sie sich der einen oder anderen Fraktion der Bourgeoisie unterordnet. Wenn die Kämpfe der Arbeiterklasse einer angeblich "progressiven" Fraktion der Bourgeoisie untergeordnet werden, sind neue Niederlagen unvermeidlich.

Die vordringliche Aufgabe ist der Aufbau einer unabhängigen Partei der iranischen Arbeiterklasse, die für ein sozialistisches Programm kämpft. Diese Partei muss Arbeitsplätze, Lebensstandard und demokratische Rechte verteidigen und zu dem Zweck Volksversammlungen organisieren.

Dieses Programm kann nur durchgesetzt werden, wenn sich die iranische Arbeiterklasse mit den Arbeitern im gesamten Nahen Osten und weltweit verbündet und gemeinsam für ein Ende des Kapitalismus kämpft. Die Verwirklichung dieser historischen Aufgabe erfordert den Aufbau einer iranischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Siehe auch:
Für eine sozialistische - und nicht eine "Farben"-Revolution
(23. Juni 2009)
Für Arbeitermacht und einen sozialistischen Iran
( 18. Juni 2009)
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