Erfolgreicher Wahlkampf der PSG

Intensive Debatten über sozialistische Perspektiven

Am heutigen Samstag erreicht der Europa-Wahlkampf der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) mit einer zentralen Wahlveranstaltung in Berlin seinen Höhepunkt. Seit sechs Wochen verteilen Mitglieder und Wahlhelfer der PSG im Ruhrgebiet, in Berlin, Leipzig, Frankfurt, München, Hamburg und andern Städten Tausende Exemplare des PSG-Wahlprogramms. (Siehe: http://www.gleichheit.de/website/positionen/europawahlaufruf.html).

Die PSG-Wahlhelfer sprachen mit vielen Hundert Arbeitern und Jugendlichen und luden sie zu Diskussionsveranstaltungen ein, auf denen eine Vielzahl politischer Fragen gestellt und debattiert wurden.

Die Europawahl findet vor dem Hintergrund einer beispiellosen, weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise statt. Die Diskussionen haben gezeigt, dass die Insolvenz von General Motors, der drohende Bankrott von Wohlworth, Karstadt und Kaufhof, die Kürzungen und Stellenstreichungen bei Opel, Volkswagen, Daimler etc. und die wachsende Verarmung großer Teile der Bevölkerung die Menschen stark beschäftigen.

Der Wahlkampf der PSG diente dazu, klarzumachen, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, die Krise zu lösen: Die kapitalistische Lösung bedeutet Massenarbeitslosigkeit, Armut, Diktatur und Krieg. Die einzig fortschrittliche Lösung ist die sozialistische, und sie erfordert den Aufbau einer neuen Partei, die sich auf die politischen Lehren aus dem Kampf gegen Sozialdemokratie und Stalinismus stützt und die Arbeiterklasse über alle Grenzen hinweg, auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms mobilisiert.

Auf allen Veranstaltungen erklärten PSG-Kandidaten die Auswirkungen und Gefahren der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Sie erläuterten den betrügerischen Charakter von Parteien wie der "Linken" in Deutschland und der NPA (Neue Antikapitalistische Partei) in Frankreich und erklärten die dringende Notwendigkeit, dass Arbeiter selbständig ins Geschehen eingreifen müssen, um die Zukunft zu sichern.

Im Zentrum der Diskussionen stand der Aufbau einer neuen Führung, die weder von Sozialdemokratie und Stalinismus, noch von der alten Gewerkschaftsbürokratie abhängig ist. Darüber gab es lebhafte Auseinandersetzungen.

Auf der Münchner Veranstaltung erklärte ein älterer Besucher: "Ihr habt ja praktisch in allem Recht, aber ihr habt keinen Einfluss, weil ihr außerhalb der Gewerkschaften arbeitet." Er könne nicht verstehen, warum sich die PSG so entschieden gegen die Politik der Gewerkschaften ausspreche. "Sind denn die Gewerkschaftsorganisationen nicht trotz aller ¤Schwächen’ ihrer Führer wichtig, um die Rechte der Arbeiter zu verteidigen?"

Dem widersprachen mehrere Teilnehmer. Sie betonten, es sei im Gegenteil gerade entscheidend, den Arbeitern über den Charakter der Gewerkschaften reinen Wein einzuschenken. Diese haben sich im Zuge der Globalisierung aus einer reformistischen Führung der Arbeiterbewegung in Juniorpartner von Unternehmern und Konzernvorständen verwandelt.

Ulrich Rippert im Gespräch mit Studenten Ulrich Rippert im Gespräch mit Studenten

"Man muss den Arbeitern unter allen Umständen die Wahrheit sagen", erklärte Ulrich Rippert, der PSG-Vorsitzende und einer der beiden Redner der Münchner Veranstaltung. "Die großen Industriebetriebe beschäftigen heute ein Heer hauptamtlicher Betriebsräte. Diese verstehen sich als Co-Manager und sitzen im Aufsichtsrat, wo sie sämtliche Kürzungen abnicken. Wer glaubt, die Gewerkschaften durch Druck von unten wieder in Interessenvertreter der Arbeiterklasse zu verwandeln, verkennt vollkommen die Auswirkungen und Veränderungen der Globalisierung", erklärte Rippert.

Er erläuterte: "Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Auflösung der Sowjetunion und der Rechtswende der Gewerkschaften: Beides hat seine Ursache in der Globalisierung der Produktion: Die Globalisierung hat den national operierenden Gewerkschaften jeden Handlungsspielraum entzogen. Wo sie früher noch beschränkt fähig waren, Maßnahmen zu Gunsten der Beschäftigten durchsetzen, stehen sie heute auf Seiten der Unternehmer und verteidigen die Konkurrenzfähigkeit ihres Standorts gegen konkurrierende Betriebe. Das heißt, sie spielen die Belegschaften gegeneinander aus."

Ulrich Rippert machte deutlich, dass die Gewerkschaften heute in keiner Weise mehr die Interessen der Arbeiter verträten, im Gegenteil: "Gerade die Gewerkschaftsfunktionäre in den Betrieben setzen die Entscheidungen der Unternehmensführung um und ermöglichen die Durchsetzung von Entlassungen und Lohnsenkungen gegen die Beschäftigten."

Die Rechtswende der Gewerkschaften sei nicht nur Ergebnis von persönlicher Korruption, sondern logische Konsequenz des reformistischen Programms, das den Kapitalismus nicht stürzen, sondern schrittweise verbessern wolle - ein undurchführbares Unterfangen. Deshalb predigten die gleichen Gewerkschaftsführer, die früher den Kapitalismus im Namen sozialer Reformen verteidigt hätten, heute den Verzicht auf diese Reformen, um den Kapitalismus zu retten.

"Heute können Arbeiter unter der Führung der Gewerkschaften keinen einzigen Schritt mehr vorwärts machen", sagte Rippert. Deshalb dürfe die Führung solcher Kämpfe nicht mehr den bürokratischen Apparaten überlassen werden. Stattdessen sei es notwendig, unabhängige, demokratisch gewählte Streikkomitees und Arbeiterräte aufzubauen.

Auch in der Frankfurter Versammlung wurde das Thema Gewerkschaften angesprochen. Im Zusammenhang mit dem General-Motors-Bankrott sprach der PSG-Kandidat Dietmar Gaisenkersting über das Beispiel der amerikanischen UAW, wie auch der IG Metall und des Opel-Betriebsrats.

Versammlung in Frankfurt mit Dietmar Gaisenkersting (links) und Helmut Arens Versammlung in Frankfurt mit Dietmar Gaisenkersting (links) und Helmut Arens

Gaisenkersting erklärte: "Die amerikanische Autogewerkschaft UAW tritt jüngst sowohl bei Chrysler wie bei General Motors als Aktionär auf, das heißt, dass Gewerkschaften mittlerweile selbst zu Unternehmern werden und im Eigeninteresse gegen die Arbeiter vorgehen."

Man könne die Gewerkschaften überhaupt nicht mehr als Arbeiterorganisationen bezeichnen, sagte Gaisenkersting. "Einkommen und Privilegien der Gewerkschaftsbürokraten sind gänzlich losgelöst vom Schicksal der Arbeiter, die sie zu vertreten vorgeben. Diese Funktionäre sind vollständig in die Strukturen der Unternehmensleitungen und des Staates integriert. Die amerikanische UAW, die heute die Aktienmehrheit am ¤Neuen Chrysler’ hält, übernimmt unmittelbar die Verantwortung für Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung und Leistungskürzung bei der betrieblichen Kranken- und Rentenkasse."

Auch in Europa spielten die Gewerkschaften keine andere Rolle: "Bei Opel haben Vertreter der IG Metall die Hälfte der Aufsichtsratssitze inne und arbeiten Hand in Hand mit dem Unternehmensmanagement und der Regierung. In England hielten Vertreter der englischen Gewerkschaften vor der kürzlichen Welle von Massenentlassungen bei BMW den geplanten Arbeitsplatzabbau bis zum letzten Augenblick vor ihren Mitgliedern geheim."

Gaisenkersting erklärte, mit den modernen Produktionsanlagen wäre es leicht möglich, umweltfreundliche und erschwingliche Autos, wie auch ein öffentliches Transport- und Verkehrssystem für die Zukunft zu schaffen. Doch dazu müsse das Privateigentum an der Autoindustrie abgeschafft und in demokratisch durch Arbeiter kontrolliertes Gemeineigentum überführt werden.

Teilnehmer der Frankfurter Veranstaltung hatten Einwände gegen die Forderung nach einer Arbeiterregierung, die die Banken und Industrie in Gemeineigentum überführen soll. Sie wollten wissen, in wieweit sich diese Forderung von dem unterscheide, was in der DDR und den stalinistischen Staaten in Osteuropa bestand. "In Osteuropa gab es doch bereits das Beispiel von Regierungen, die den Kapitalismus durch Verstaatlichung abschafften. Hat nicht Gorbatschow selbst am Ende die Verstaatlichungen wieder aufgegeben?"

Eine andere Frage lautete: "Waren Russland und die DDR nicht schon immer Ausbeuterstaaten? War es am Ende nicht einfach die subjektive Entscheidung der Machthaber, dass es Zeit sei, die rote Fahne einzuholen?"

Darauf erklärten Gaisenkersting und weitere Vertreter der PSG das Wesen der stalinistischen Regime: Diese hatten nichts mit "Sozialismus" zu tun, weil in diesen Staaten nicht die Arbeiterklasse, sondern eine privilegierte Bürokratie die Herrschaft ausübte. Im Gegensatz zu den Kapitalisten waren diese Bürokratien nicht Eigentümer der Produktionsmittel, welche verstaatlicht waren. Aufgrund ihrer nationalen Beschränktheit und Isolation vom Weltmarkt nahmen die bürokratischen Regime jedoch schon seit den 1980er Jahren Kurs auf eine Restauration kapitalistischer Eigentumsverhältnisse.

Im PSG-Wahlprogramm heißt es dazu: "In Osteuropa und der Sowjetunion hat nicht der Sozialismus versagt, sondern der Versuch einer privilegierten Bürokratie, mit despotischen Methoden im nationalen Rahmen eine angeblich sozialistische Gesellschaft zu errichten."

Wie PSG-Mitglieder erklärten, stellt die Wiedereinführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse seit 1989 einen gewaltigen gesellschaftlichen Rückschritt dar, was sich besonders deutlich an der verheerenden Krise in Osteuropa zeigt. In den ehemals stalinistischen Staaten ist einerseits die große Bevölkerungsmehrheit in Armut abgesunken, auf der andern Seite hat sich eine kleine Elite von ehemals stalinistischen Bürokraten als Neureiche erfolgreich an der Börsen-Bonanza beteiligt.

Gaisenkersting erklärte, eine Zeitlang habe es so ausgesehen, als sei nach der weltweiten Durchsetzung des Marktprinzips alles möglich: "Neue Dimensionen des Reichtums schienen Wirklichkeit zu werden, und nichts und niemand vermochte den globalen Siegeszug des westlichen Kapitalismus aufzuhalten, - bis zu jenem 15. September 2008, dem Tag, an dem Lehman Brothers pleite ging und die Kernschmelze des Weltfinanzsystems einsetzte."

Seither sei offen sichtbar, dass "die gleichen Widersprüche, die im letzten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen, Faschismus und `zig Millionen Toten geführt hatten, heute wieder aufbrechen".

In Hamburg wurde vor allem die Frage diskutiert, was die Partei für Soziale Gleichheit von der Linkspartei unterscheide. Einige Linke-Mitglieder im Publikum erklärten sich praktisch mit allem einverstanden, was die PSG vertrat, behaupteten jedoch, dies sei auch in der Linken zu verwirklichen.

Die PSG-Kandidaten Christoph Vandreier und Helmut Arens, die in Hamburg die Versammlung leiteten, widersprachen dem entschieden. Die Wahlkampagne, wie auch die ganze Politik der PSG - so betonten sie - gehe davon aus, dass der Kapitalismus gescheitert sei, während die Linke den Kapitalismus im Gegenteil "kontrollierbar machen" und dadurch retten wolle.

Helmut Arens wies darauf hin, dass der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, auf riesigen Wahlplakaten verkündet: "Setzen wir dem Kapitalismus endlich Grenzen". "Wäre es unser Plakat", so Arens, "würde es heißen: Setzen wir dem Kapitalismus ein Ende!" Gleichzeitig betonte er, dass sich die auf den Kapitalismus beschränkte Reformpolitik der Linkspartei direkt aus ihrer stalinistischen Tradition ergebe.

Mehrere Wahlhelfer berichteten, dass die Wahlkampagne der PSG vor allem deshalb auf reges Interesse stieß, weil es die einzige Partei ist, die offen ausspricht, dass der Kapitalismus gescheitert ist, und nicht - wie die Linke - falsche Hoffnungen schürt, die Marktwirtschaft sei durch Eingriffe zu regulieren und zu retten.

Viele Menschen, die auf der Straße angesprochen wurden, äußerten sich in der Tat äußerst skeptisch und ablehnend, nicht nur über die Europäische Union - die sie als Ausführungsorgan von Privatisierungen und Deregulierung im Interesse diverser Unternehmer-Lobbies wahrnehmen - sondern über die etablierten Politiker überhaupt, die völlig abgehoben von den Sorgen und Nöten ihres alltäglichen Lebenskampfs seien.

Immer wieder berichteten Menschen an PSG-Wahlständen über krasse Fälle von Sozialkürzungen und Lohndumping, die sie selbst erlebt hatten. So müssen zum Beispiel viele Rentner zusätzlich Harz IV beantragen, weil sie von ihrer Rente nicht leben können. In Bochum berichtete ein junger Hilfsarbeiter im Straßenbau, er habe einen Stundenlohn von 5,50 Euro und verdiene bei einer 40-Stundenwoche keine 800 Euro netto.

In Köln schilderte ein ehemaliger selbständiger Gebäudereiniger seine Erfahrungen. Er musste Insolvenz anmelden, arbeitet jetzt in zwei Mini-Jobs auf 400 Euro-Basis, und verdient bei einer 35-Stunden-Woche nicht einmal 800 Euro. Deshalb habe er zusätzlich Hartz IV beantragen müssen, um über die Runden zu kommen. Eine Zeitlang habe er noch einen dritten Job ausgeübt. Dabei habe er zuweilen von morgens drei Uhr bis abends zwanzig Uhr durchgearbeitet. In einem Monat habe er da schon mal 430 Stunden zusammen bekommen.

Insgesamt stießen die Politik und Perspektiven der PSG auf großes Interesse und nicht selten auf entschiedene Zustimmung.

Siehe auch:
Europawahlplattform der Europäischen Linken: Fromme Wünsche und rechte Politik
(5. Juni 2009)
Eine sozialistische Antwort auf die kapitalistische Krise
( 1. Mai 2009)
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