Die Zukunft der Kunst in einer Zeit der Krise

Wir veröffentlichen hier die redigierte Fassung eines Vortrags, den David Walsh, Kulturredakteur der WSWS, im Jahr 2009 an der Universität von Michigan in Ann Arbor, an der Virginia Commonwealth University in Richmond sowie an der San Diego State University und in Santa Monica, Kalifornien, gehalten hat.

Einleitend möchte ich bemerken, dass in aller Regel die Menschen mit ihren Alltagsangelegenheiten beschäftigt sind und das kulturelle Leben, so wie es sich ihnen darbietet, als gegeben hinnehmen. Die Palette an Büchern und Filmen und Gegenständen sind "gewohnte Dinge", die im Allgemeinen nicht ernsthafter Kritik unterworfen werden.

Die gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Krise rückt in den Fokus, wie unzulänglich das meiste ist, was wir heutzutage zu sehen und hören bekommen. Uns geht es hier darum, die Ursachen einiger bestehender Schwierigkeiten zu ergründen. Unserer Ansicht nach muss man unbedingt historisch an diese Frage heranzugehen.

Wir haben es mit zwei zusammenhängenden Themen zu tun: die Zukunft der Kunst und die Auswirkungen der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise. Ich beginne mit letzteren.

Unabhängig vom Auf und Ab an den Börsen gilt, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch von 2008 umfassend und systemisch bedingt ist. Den Verteidigern des Kapitalismus muss man entgegenhalten, dass die Krise nicht ein Scheitern dieser oder jener Politik bedeutet, oder nur auf die Unehrlichkeit und Habgier von Individuen zurückzuführen ist. Es handelt sich um eine Krise, ja, einen Zusammenbruch, der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wie unsere Bewegung erklärt, hat eine allseits praktizierte Methode globaler Kapitalakkumulation auf der Grundlage von Finanzgeschäften, angeheizt durch eine gigantische Anhäufung von Schulden, Schiffbruch erlitten.

Wirtschaftsfachleute schätzen, dass in den letzten 12 Monaten etwa 50 Billionen Dollar an Werten vernichtet worden sind, das entspricht der Weltwirtschaftsleistung eines Jahres. Die Börsen haben bis Mitte März etwa 30 Billionen Dollar verloren. Für die weltweite Industrieproduktion wird ein Minus von 30 Prozent prognostiziert. Die Preise von Gebrauchsgütern sind um 40 Prozent gefallen.

Ein hochrangiger Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) warnte kürzlich davor, dass die beinahe 400 Millionen Afrikaner, die von weniger als 1,25 Dollar am Tag leben müssen, als Ergebnis des Wirtschaftseinbruchs einen 20-prozentigen Rückgang ihres Einkommens erleiden werden. Die Kindersterblichkeit werde dadurch von 200.000 auf 400.000 im Jahr ansteigen.

Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation der UN, hat schon Anfang des Jahr davor gewarnt, dass 2009 weltweit bis zu 50 Millionen Menschen arbeitslos werden könnten, falls es mit der Wirtschaft weiter bergab gehe. Etwa 200 Millionen Menschen, vor allem in den Entwicklungsländern, könnten in die Armut abgleiten.

"Noch ein Gespenst versetzt Europa in Angst und Schrecken", titelte der rechtsgerichtete Weekly Standard Anfang Februar, in Anspielung auf das Kommunistische Manifest. Der Artikel führte aus, dass die Krise dem Kapitalismus angelastet wird, und warnte, bei einer weiteren Abwärtsentwicklung der Volkswirtschaften einzelner Länder könnte der daraus resultierende Zorn "konkrete ideologische Formen" annehmen, linksgerichtete Formen, "die bestimmt alles andere als erfreulich" wären.

In den USA sind etwa 25 Millionen Menschen arbeitslos oder in Kurzarbeit, also etwa ein Sechstel der erwerbsfähigen Bevölkerung. Im März gingen jeden Tag 30.000 Arbeitsplätze verloren. Seit Dezember 2007 sind fünf Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden. Die Preise für Häuser und Wohnungen sind um 30 Prozent gefallen Auf jedem Sektor der Wirtschaft verschärfen sich die Angriffe auf Löhne, freiwillige Leistungen und Pensionsansprüche, und die Autoindustrie ist dabei der Schauplatz entscheidender Auseinandersetzungen.

Die amerikanische herrschende Elite hat Barack Obama gesponsert, einmal um sozialen Unruhen zuvorzukommen, und auch, um in der Innen- und Außenpolitik eine taktische Neuausrichtung vorzunehmen. Acht Jahre Bush-Regierung hatten den amerikanischen Interessen weltweit geschadet, und die augenfällige Gleichgültigkeit und Brutalität der Administration hat zu Empörung in der amerikanischen Bevölkerung geführt.

Ein Afroamerikaner als Präsident, so das zynische Kalkül, würde ausreichen, die Bevölkerung zufriedenzustellen und ihre Aufmerksamkeit von den himmelschreienden ökonomischen und sozialen Problemen abzulenken. Illusionen und auch Verwirrung sind zweifellos vorhanden, aber die unerbittliche wirtschaftliche Realität wird Klarheit in vielen Dingen schaffen.

Die ersten 100 Tage der Obama-Regierung haben überdeutlich gezeigt, dass sie die Interessen der Finanz- und Unternehmensaristokratie vertritt. Ihre Politik soll den Reichtum der herrschenden Elite verteidigen und die Interessen des amerikanischen Imperialismus weltweit durchsetzen. Billionen für die Banker, doch Sparmaßnahmen und "Verantwortung" für die arbeitende Bevölkerung.

In einem Gastbeitrag schrieb ein in den USA lebender Europäer kürzlich in der Financial Times über die Situation in Amerika: "Ich spüre Furcht, Zorn und ein tiefes Ungerechtigkeitsempfinden, das an die Atmosphäre am Vorabend der französischen Revolution erinnert. Damals war es Brotknappheit, heute sind es Zwangsversteigerungen, und statt Aristokraten sind es heute Banker und Privilegien, etwa die Steuerfreiheit für Aktienoptionen".

Nach dem desaströsen Krieg im Irak, der das Land zerstört und bereits mehr als eine Million Tote gekostet hat, verlagert die Obama-Regierung ihren Schwerpunkt nach Afghanistan und Pakistan. Damit bereitet sie neue Katastrophen für die dortigen Bevölkerungen und für Tausende amerikanische Männer und Frauen vor - das alles, um die Kontrolle über die Energiereserven der Region zu erlangen und die verlorengegangene internationale ökonomische Vormachtstellung Amerikas durch den Einsatz militärischer Mittel wieder herzustellen.

Unsere Studentenbewegung, die International Students for Social Equality, sowie unsere Partei, die Socialist Equality Party, treten für die Interessen der Arbeiterklasse gegen das bestehende wirtschaftliche und politische System ein. Wir stellen uns darauf ein, dass Massen von Menschen die Initiative ergreifen werden, um ihre Arbeitsplätze und ihre Lebensbedingungen zu verteidigen, und dass sie in schärfste Auseinandersetzungen mit der Obama-Regierung und ihren Anhängern geraten werden, auch mit denen auf der liberalen Linken, denen es zur Lebensart geworden ist, die Demokratische Partei gegen Kritik zu verteidigen. Wir sehen diese Kämpfe nicht nur voraus, wir unterstützen sie und wollen ihnen Führung verleihen. Wir appellieren an Studenten, sich als Teil unserer Bewegung der Arbeiterklasse zuzuwenden.

Zur Lösung der Krise schlagen wir ein sozialistisches Programm vor, in dessen Mittelpunkt die Notwendigkeit einer Arbeiterregierung steht sowie die Umwandlung der Banken und anderer Finanzinstitutionen, der Großindustrie und der großen Verkehrs- und Pharmaunternehmen in gesellschaftliche Einrichtungen, die nach demokratischen Grundsätzen geleitet werden. Die Bedürfnisse der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung stoßen auf Schritt und Tritt mit den Interessen der winzigen Elite zusammen. Eine der beiden Seiten muss obsiegen.

Vor zwanzig Jahren, nach dem Fall der stalinistischen Regimes, wurde der Öffentlichkeit lautstark und pausenlos erklärt, der Sozialismus sei tot, die großen historischen Fragen gelöst, und die Welt trete nun ein in eine neue Periode von Frieden und Wohlstand. Unsere Partei wies diese Auffassung seinerzeit entschieden zurück und gründete ihre Perspektiven auf die kommenden unvermeidlichen Erschütterungen des global integrierten Kapitalismus.

Der Marxismus, der wissenschaftliche Sozialismus, ist durch den Ausbruch der Krise bestätigt worden. Im Kapital schrieb Marx: "Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse." [K. Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 790-91, MEW Bd. 23]

Daraus erwächst die objektive Notwendigkeit der sozialistischen Revolution.

Sind die Künstler auf die Krise vorbereitet?

Heute Abend geht es uns vor allem um einige der spezifischen Probleme, denen Künstler gegenüberstehen, bzw. die historisch spezifische Form, die der Kampf für künstlerische Wahrheit heute annimmt.

Alexander Woronski, der sowjetische Literaturkritiker und Gegner Stalins, wies vor 70 Jahren in seinem Essay "Die Kunst, die Welt zu sehen" (1928) darauf hin, dass es schwierig ist für den Künstler, die Welt zu entdecken und mit seiner ganzen Person anzunehmen, die Welt zu sehen, wie sie ist, unabhängig von uns, in ihrer Kompliziertheit und Schönheit, "in ihrer Frische und Unmittelbarkeit".

Er ging auf die Gewohnheiten, Vorurteile, Frustrationen und die vielen anderen Formen des täglichen Drucks ein, die auf uns lasten, "die Schärfe und Frische der Wahrnehmung" mindern und der Realität "so einen eigenartig grauen, trostlosen und erbärmlichen Anstrich" geben.

Gegen diese Kräfte, schreibt Woronski, bewahrt der Künstler "echte, unverfälschte Bilder von der Welt". "Darin vor allem", so Woronski, "besteht der Sinn der Kunst, darin liegt ihre Bestimmung".

Wenn Woronski recht hatte, was ich glaube, dann war es schon immer ein aufreibender Kampf, vermittels der Kunst die Wahrheit zu sagen. Er ist mit geistigen und physischen Anstrengungen verbunden, und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Aber haben wir es heute nicht mit besonderen Schwierigkeiten zu tun? Und mit spezifischen Schwächen? Weshalb empfindet man eine so tiefe Kluft zwischen künstlerischen Bemühungen und dem Charakter des heutigen Lebens, das für den größten Teil der Weltbevölkerung einen täglichen Kampf ums Überleben bedeutet? Weshalb erscheint uns die Kunst so oft blind zu sein für die Krise der menschlichen Gesellschaft, für große historische und soziale Fragen im Allgemeinen?

Wir sind nicht der Meinung, dass die Kunst ihr Hauptaugenmerk auf den Künstler und seine Eindrücke legen soll, sondern auf die unabhängig von uns existierende Welt und ihre Komplexität, die gesellschaftliche Komplexität inbegriffen.

Wir schlagen vor, für etwas anderes zu kämpfen. Vorrangig werden die objektiven Bedingungen selbst Veränderungen erzwingen. Man kann nicht mehr einfach so weiter leben, als sei nichts geschehen. Die Weltsituation hat sich im letzten Jahr dramatisch verändert, und niemand kann davor die Augen verschließen - zumindest niemand, der ernst genommen werden möchte.

Des öfteren haben wir schon darauf aufmerksam gemacht, dass diese Krise alle Schichten der amerikanischen Gesellschaft unvorbereitet trifft.

Große Teile der Bevölkerung sind ebenfalls völlig überrascht, schockiert und bestürzt über die Ereignisse, die ihr Leben verändern. Dieser Schock wird eher früher als später zu Veränderungen im politischen Bewusstsein führen.

Und die Künstler und Intellektuellen, wie vorbereitet sind sie? Wie sehr orientieren sich sich an den wirklichen Geschehnissen?

Genauer gesagt: Gibt es Arbeiten, oder einen einzigen wichtigen Roman, einen Film, ein Theaterstück oder ein anderes Kunstwerk, das die Bevölkerung in irgendeiner Weise auf die herannahende Katastrophe vorbereitet hat? Nicht unbedingt in dem Sinne, dass es konkret vor wirtschaftlichen Entwicklungen warnte, sondern ein Werk, oder Werke, die auf gravierende Funktionsstörungen hinwiesen...wer etwa hat auf die fundamentale Tatsache aufmerksam gemacht, dass die gigantische Akkumulation von Reichtum durch parasitäre und quasi-kriminelle Methoden nicht gut gehen konnte?

Ist das Thema soziale Ungleichheit, das wichtigste soziale Problem im Leben Amerikas in den letzten Jahrzehnten, ein wichtiges Thema gewesen, oder sind wichtige Arbeiten auf diesem Hintergrund entstanden?

Wie sehr wurde der Tatsache, dass der Lebensstandard von Dutzenden Millionen Amerikanern stagniert oder sinkt, bewusste Aufmerksamkeit geschenkt? Angesichts der Geschichte der USA, dem hartnäckig sich haltenden "amerikanischen Traum" und Amerikas vorgeblicher "Ausnahmestellung", erscheint es als lohnend, sich mit den Lebensbedingungen derer zu befassen, deren Leben von großen Veränderungen erschüttert wird. Haben sich die Mythen über das amerikanische Leben bestätigt?

Wo ist der bedeutende Roman oder Film über den Wall Street-Magnaten, den Hedge Fonds-Manager, den Spekulanten, der sich nicht mit banalen Urteilen zufriedengibt, sondern tiefere und vom geschichtlichen Verständnis inspirierte Einschätzungen liefert?

Man könnte noch viele solcher Fragen stellen. Sie haben eher rhetorischen Charakter. Wir kennen die Antworten, im Wesentlichen jedenfalls. Man wird kaum ein einziges wichtiges Werk finden, das eine ernsthafte und umfassende Kritik des amerikanischen Lebens liefert und auf die äußerst negativen Entwicklungen aufmerksam gemacht hat. Ein Werk mit einer kritischen Beschreibung des Lebens, im Kleinen oder Großen, Beschreibungen, die bei Opposition zum Status quo beginnen und Anteilnahme am Schicksal der Masse der Bevölkerung zeigen.

Ich möchte gleich zu Beginn anmerken, dass die Kunstlandschaft keine Ödnis darstellt. Der Funke menschlichen Genius ist ganz offensichtlich nicht erloschen. Ganz im Gegenteil. Es gibt bemerkenswerte einzelne Filme und Filmausschnitte, Romane (oder Passagen), einzelne Gemälde und Ähnliches, die sich vom Üblichen abheben, die dem Leben kraftvoller gegenübertreten. Auch in der Massenkultur trifft man auf wirklich begabte, kreative und tatkräftige Menschen. Die Möglichkeiten, brillante und außergewöhnliche Bilder und Töne hervorzubringen, haben eine qualitativ neue Dimension erreicht; nichts scheint für zeitgenössische Künstler technisch nicht machbar zu sein. Zahlreiche neue Medienformate bieten praktisch unbegrenzte Möglichkeiten der Kommunikation.

Doch ernstzunehmende Schwierigkeiten bleiben bestehen. Es gab beispielsweise eine Reihe ehrlicher Antikriegsfilme über den Irak und den Nahen Osten (Stop-Loss, In the Valley of Elah, Rendition, Battle for Haditha, Grace is Gone, The Situation und andere ). Aber derlei Filme gehen oft bis dahin und nicht weiter, oder bieten dem Zuschauer ein Kuddelmuddel aus linken und eindeutig rechten patriotischen Ideen an.

Schwerlich lässt sich ein wirklich ausgearbeitetes Werk nennen, oder gar ein Gesamtwerk, das sich der wichtigsten Herausforderung an den Künstler uneingeschränkt stellt und sie erschöpfend bewältigt: nämlich, wie lässt sich das Leben in der heutigen Zeit und Welt in allen wichtigen Aspekten erhellen? Ein Werk, in dem der Künstler alles gegeben und der Menschheit maßgeblich zu einem besseren Verständnis ihrer selbst verholfen hat.

Um das zu leisten, braucht man eine zusammenhängende und stimmige Sicht des Lebens und der Gesellschaft, ein genaueres und tieferes Wissen. Der wahre Künstler reagiert nicht nur auf einen beliebigen Reiz von außen, nicht mit Eindrücken oder einer Reihe von Eindrücken, auch wenn sie ehrlich empfunden sind, sondern hat ein Verständnis und ein Gefühl für das Ganze erlangt. Diese besondere Fähigkeit der Einsicht ist nicht ohne Mühe zu erlangen, doch sie macht sich in jedem Aspekt eines Werks, in seiner Struktur, seiner Schichtung, seiner unausweichlichen Wahrheit bemerkbar. Dieses Gefühl hat man beispielsweise in den großen Filmen von Welles, Chaplin und Ford.

Wenn schon der Anspruch, der Menschheit zu einem besseren Verständnis ihrer selbst zu verhelfen, als verquer und anmaßend gilt, ist dies ein Anzeichen dafür, dass wir in einer für die Kunst schwierigen Zeit leben.

Auf dem Gebiet der Romanliteratur gab es ernsthafte Bemühungen, großenteils allerdings erneutes Bearbeiten der gleichen Themen, der Unzufriedenheit und Ängste der Mittelschichten, der Selbstbeobachtungen und des gelegentlichen Selbsthasses der akademischen Schichten, die mal selbstzweiflerisch, mal selbstzufrieden sind, aber selten über den Horizont ihrer Apartmenthäuser und Loftwohnungen hinausblicken.

Der 11. September und seine Nachwirkungen haben zahlreiche Romane hervorgebracht - von Updike, DeLillo, Roth etc. - und andere Arbeiten, was verständlich ist, da es ein einschneidendes Ereignis war. Doch das Fehlen eines historischen Verständnisses der Ereignisse des 11. September hängt mit dem allgemeinen Desinteresse an wichtigen historischen und sozialen Fragen zusammen, wozu auch die Lebensverhältnisse der großen Bevölkerungsmehrheit in den USA gehören. Die Schriftsteller, von denen viele in New York oder im Nordosten des Landes leben, wurden durch die Terrorangriffe aufgeschreckt, aber nicht dazu angeregt, gründlich darüber nachzudenken.

Ernsthafte neue Theaterstücke, deren Besprechung lohnt, gibt es kaum, und die Poetik ist vor allem eine blutleere, akademische Angelegenheit.

Wir haben nun mehrere Jahrzehnte durchlebt, in denen das öffentliche Leben von verabscheuungswürdigem Denken beherrscht war - von der Anbetung des Reichtums und der Selbstsucht, religiöser Bigotterie, Militarismus und Chauvinismus, Law-and-Order-Hysterie, von Schikanen gegen die Armen, etc. Die Konteroffensive gegen die Arbeiterklasse begann in den späten 1970er Jahren und ist seitdem nicht zum Stillstand gekommen.

In diesem Prozess sind verschiedene Liberale und linke Intellektuelle eingeknickt- vielfach ohne großen Widerstand. Sie fanden es angenehm, reich zu sein und im Dunstkreis der Einflussreichen zu leben.

Die Selbstverleugnung der Intelligenz, ihre relativ bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse, gehörten nun der Vergangenheit an. Sie wollten geräumige Eigentumswohnungen und teure Autos, Reservierungen in den besten Restaurants und Häuser in Südfrankreich, Kunstwerke über sich selbst betrachten und produzieren

Zu einem guten Teil verdankten sie den Reichtum direkt oder indirekt der Börse und immer höheren Rekordgewinnen. Möglich war das alles durch die verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse, die Senkung der Löhne und des Lebensstandards, und den resultierenden Anstieg der Aktienkurse.

Niemand schenkte diesen Phänomenen allzu viel Beachtung. Der Reichtum wuchs und wuchs. Kunstgalerien erzielten nie dagewesene Preise für Gemälde, die von dubiosen Erscheinungen als Investition getätigt wurden. Bis zum Wirtschaftseinbruch letzten September gab es beinahe 100 lebende amerikanische Künstler, die bei Versteigerungen für ein einziges Werk eine Million Dollar oder mehr erzielten. In einem kürzlich erschienenen Artikel in Newsweek hieß es, dass bis zum Beginn des Einbruchs ein junger Maler, "der zum ersten Mal in einer wenig bekannten Galerie ausstellte, 10.000 bis 20.000 Dollar pro Bild forderte, und auch erhielt."

Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates New York hat gerade den Hedgefonds-Manager Ezra Merkin angeklagt, weil er 2.4 Mrd. Dollar in Bernard Madoffs Schneeballsystem umgeleitet und dafür beinahe eine halbe Milliarde an Gebühren kassiert hat. Merkin gehört auch zu den größten Sammlern von Gemälden von Mark Rothko. Die ganze Sammlung wird insgesamt auf 150 Mio. bis 200 Mio. Dollar geschätzt. Das ist die New Yorker Kunstwelt.

Noch vor dem Crash stiegen die Hedgefonds ins Filmgeschäft ein. Filmstars warben mit Stimme und Gesicht für Kreditkartengesellschaften, Flugzeuge und Autobauer. Eine verderbte und orgiastische Atmosphäre herrschte vor, in der jeder abkassierte, der nur konnte. Kam irgendjemand in den Sinn, dass das kaputt und auch zum Scheitern verurteilt war?

Wuchernder Reichtum und grenzenlose Selbstgefälligkeit, und kaum kritisches Denken. Wer konnte sich schon gegen diese erstaunliche Geldvermehrungsmaschinerie auflehnen, ganz abgesehen davon, dass die Madoffs und Allen Stanfords und ihre kaum seriöseren Gesinnungsgenossen bei den großen Banken an den Hebeln der Macht saßen?

Die Atmosphäre in Kunst und Kultur wird nicht gereinigt werden, solange über die soziale Gleichgültigkeit, die Kommerzialisierung der Kunst bis zum Gehtnichtmehr, die Banalität eines großen Teils des kulturellen Lebens nicht Bilanz gezogen wird. Wie kam es soweit? Weshalb nahm niemand wahr, was wirklich auf der Welt passierte? Wo war das elementare Mitgefühl für das harte Los anderer, das für die Person des Künstlers unverzichtbar sein sollte?

Ein konkretes Beispiel: die Stadt Detroit, von den Autokonzernen heruntergewirtschaftet. Die Bevölkerung ist traumatisiert. Doch in der Kunst hat dieser Prozess keine Widerspiegelung erfahren, die auf den Rest der amerikanischen Bevölkerung und auf die internationale öffentliche Meinung ausstrahlen würde. Die Intellektuellen haben vielmehr mitgeholfen, die wirklichen Fakten des amerikanischen Lebens zu verschleiern, sie haben geholfen, den Mythos, dass die USA eigentlich ein wohlhabendes Land mit zufriedenen Menschen seien, aufrechtzuerhalten.

All diese Dinge machen sich langsam in den Köpfen der Menschen breit. Die Krise wird sich auf diese oder jene Weise bemerkbar machen. Die Menschen werden sich auf die neue Situation einstellen. Die Gefahr existiert, dass Leute, die vorher nicht groß nachgedacht haben, so weitermachen und einfach zwei Schritte nach links machen, um sich an die neue Situation anzupassen.

In der Vergangenheit haben amerikanische Künstler die allgemeine Verfassung und die Seelenlage des Landes zutreffend erfasst.

Die Periode nach dem Ersten Weltkrieg brachte Werke hervor wie Der große Gatsby, Eine amerikanische Tragödie, die ersten Romane von Hemingway, Dos Passos, The Harlem Renaissance.

Diese Künstler sahen und erfühlten eine Gesellschaft, die auf einen Zusammenbruch hinsteuerte; die Verlogenheit des amerikanischen Traums, den Preis, den Erfolg einforderte, das Schreckliche am amerikanischen Materialismus, Kommerzialismus und Konformismus. Die Künstler verfolgten diese Themen, arbeiteten sie durch.

Die sozialistische Bewegung hatte eine enorme Präsenz. Die moderne Kultur im Allgemeinen, und die moderne amerikanische Kultur im Besonderen, ist ohne den Einfluss und Ansporn, die die marxistische Analyse der Gesellschaft lieferte, nicht vorstellbar. Die Künstler teilten diese Analyse zwar nicht voll und ganz, doch bildete sie ein wichtiges Element in ihrer künstlerischen und geistigen Herangehensweise.

Wer das nicht glaubt, lese die Briefe von Fitzgerald, um nur ein Beispiel zu nennen. Er verfolgte die Entwicklungen in der Kommunistischen Partei in den 1930er Jahren und nannte sich selbst, keinesfalls ironisch, einen "Marxianer". Die stalinistische Degeneration der UdSSR und der Kommunistischen Partei trug zu seiner eigenen wachsenden Demoralisierung bei.

Das galt für die gesamte amerikanische Intelligenz.

Die 'große Enttäuschung', die in den späten 1930er Jahren einsetzte, als die Wahrheit über die stalinistischen Verbrechen ans Licht kam und die zahlreichen revolutionären Gelegenheiten - in Frankreich, Spanien und anderen Ländern - abgewürgt und verraten wurden, spielten ganz ohne Zweifel eine machtvolle Rolle in der Entstehung eines Umfeldes, in dem der Zynismus, soziale Indifferenz und Opportunismus gedeihen konnten.

Jetzt möchte ich mich aber einigen der Entwicklungen zuwenden, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielten und zusätzlich dazu beitrugen, Künstler davon abzuhalten, das Leben in ernsthafter und aufrichtiger Weise zu verarbeiten.

Die antikommunistische Hexenjagd

Die antikommunistischen Säuberungsaktionen in der Arbeiterbewegung, der Filmindustrie und vielen anderen relevanten Bereichen in den späten 1940er und den frühen 1950er Jahren hatten gravierende Auswirkungen auf das kulturelle Leben Amerikas.

Der Antikommunismus zielte darauf ab, die führenden Köpfe der Arbeiterbewegung in den USA aus dem Verkehr zu ziehen, damit den beherrschenden Einfluss der rechten Arbeiterbürokratie zu festigen und die Arbeiterklasse der Demokratischen Partei und bürgerlicher Politik unterzuordnen. Das verschaffte der herrschenden Elite Amerikas freie Hand für ihre Politik der "Eindämmung" (der Sowjetunion) im Kalten Krieg und für ihre konterrevolutionären Machenschaften in aller Welt.

In den 1930er Jahren, zur Zeit der Volksfrontpolitik, hatte sich ein nennenswerter Teil der liberalen Intelligenz mit den Stalinisten verbündet. Da sie über keine revolutionäre Perspektive verfügte, lehnte sich diese liberale Schicht an die Kommunistische Partei und den Stalinismus an und trat für ein schwammiges Programm sozialer Reformen in den USA ein. Die Zeitschrift Nation war in den späten 1930er Jahren ein wichtiges Sprachrohr liberaler, prostalinistischer Propaganda. Sie rechtfertigte sogar die Schauprozesse in Moskau, in denen die meisten aus der alten Garde der bolschewistischen Führer liquidiert wurden.

Die Kommunistische Partei unterstütze Roosevelt, später auch den Kriegseintritt der USA, und prostituierte sich vor den angeblich liberal gesinnten Teilen der herrschenden Elite. Ihre Mitglieder und Sympathisanten schwiegen die Verbrechen Stalins in der Sowjetunion, Spanien und anderen Ländern tot und verleumdeten die Trotzkisten und alle, die diese Verbrechen entlarvten.

Die Bedürfnisse des amerikanischen Imperialismus in den Nachkriegsjahren, als das zeitweilige Bündnis mit der Sowjetunion zerbrach, führten zu einer scharfen Veränderung in der politischen Situation. Mitglieder und Anhänger der Kommunistischen Partei galten jetzt als "ausländische Agenten" und "subversive Elemente", die die "amerikanische Demokratie" im Interesse des Kreml untergraben wollten. Ab 1947 setzten Regierung, FBI, Kongress und Medien eine gigantische Maschinerie in Bewegung, um linksgerichtete Personen aus wichtigen Positionen in Regierung, Filmindustrie, Medien, Universitäten und anderen Bereichen zu verdrängen.

Viele der früheren Verbündeten (und Feinde) der Kommunistischen Partei unter den Liberalen beteiligten sich an dieser Jagd, wollten alte Rechnungen begleichen und selbst auf Kosten der Stalinisten in lukrative Positionen gelangen. Mit ihrer opportunistischen Politik und ihrer Verteidigung Stalins half die Kommunistische Partei mit, ihr eigenes Grab zu schaufeln.

Die Anhörungen des Komitees für unamerikanische Aktivitäten von 1947 bis 1953, die Bespitzelung und Schikanen durch das FBI, die Einführung des Treueeids für viele Regierungsangestellte, die Verabschiedung von Gesetzen gegen subversive Aktivitäten, die Inhaftierung der Hollywood Ten und die strafrechtliche Verfolgung von Führern der Kommunistischen Partei, der Prozess gegen die Rosenbergs und ihre anschließende Hinrichtung - all das diente der Einschüchterung und Verängstigung der Bevölkerung. Und es richtete großen Schaden an in einer Situation, in der der amerikanische Kapitalismus nach den gesellschaftlichen Wirren der 1930er Jahre und der Streikwelle nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen werden konnte, nennenswerte Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zu machen.

Die regelrechte Kriminalisierung sozialistischer Ideen ließ das künstlerische und kulturelle Leben verarmen und an Niveau verlieren und erzeugte bei Künstlern und Intellektuellen eine Selbstzensur. Zwei der bedeutendsten Persönlichkeiten des amerikanischen Kinos, Chaplin und Welles, wurden praktisch aus Hollywood vertrieben. Ferner wurden andere talentierte jüngere Leute in der Filmindustrie wie Polonsky, Losey, Endfield und andere auf die schwarze Liste gesetzt oder mussten das Land verlassen. Das gleiche Schicksal traf auch zahlreiche andere Künstler. Man denke an Dashiell Hammett, den "Erfinder" des realistischen Kriminalromans (Rote Ernte, Der Malteser Falke), der sechs Monate lang inhaftiert wurde und Berufsverbot erhielt. Viele andere "bereuten", wurden gefügig gemacht und als Künstler wesentlich weniger interessant.

Wie sah der Verlust in der Filmindustrie aus? Die Bezeichnung "gesellschaftlich bewusster Künstler" ist oft missbraucht worden, doch sinnvoll benutzt, bezeichnet er einen Menschen, der eine gewisse Kenntnis des menschlichen Verhaltens und Lebens besitzt und beide als historisch bedingt und veränderbar betrachtet. Eine gewisse Flexibilität und sogar "Leichthändigkeit" auf allen Gebieten würde dadurch gefördert: bei geschichtlichen Stoffen, in der "Screwball-Comedy" und im Kriminalroman. Die Menschen sind nicht zu dem vorherbestimmt, was sie in der Gegenwart sind. Alle Möglichkeiten stehen ihnen offen. Eine optimistische, von der Neugierde des Forscherblicks bestimmte Sicht der Dinge sollte gegeben sein. Die Menschheit als aufregendes Projekt in seiner Entwicklung, und der Künstler - der an diesem Prozess teilnimmt - "berichtet" über das Leben, wie es ist. Diese Gedanken- und Gefühlswelt wurde weitgehend aus den Filmen verbannt.

Vieles war danach erlaubt, nur nicht, die Grundlage der Gesellschaft selbst in Frage zu stellen. Linke Ideen übten natürlich auch noch im Amerika der 1950er und 1960er Jahre Einfluss aus, ohne sie wäre die Bürgerrechtsbewegung nicht vorstellbar gewesen. In Grenzen galt dies auch in der Literatur und im Film. Weltweit behielten sozialistische Ideen im Bewusstsein unzähliger Menschen großen Einfluss.

Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre waren Jahre gewaltiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. In vielen Ländern war die Revolution eine realistische Möglichkeit, der Kapitalismus seinem Sturz niemals so nahe. In Frankreich fand der wohl größte Streik der Neuzeit statt. Auch in Italien gab es Massenkämpfe, die zu einem Umsturz hätten führen können.. Argentinien erlebte soziale Erschütterungen. In Portugal strömten die Massen auf die Straßen, um den Sturz der Diktatur zu bejubeln. Das Franco-Regime in Spanien stürzte, ebenso das "Regime der Obristen" in Griechenland. Im Chile Allendes erlitten die Massen eine bittere Niederlage. Eine gewaltige und militante Streikwelle rollte über die USA hinweg, und in den Städten gab es Aufstände.

Das tragische Element bei der Radikalisierung in den 1960ern und 1970ern war die beherrschende Rolle, die die Arbeiterbürokratien und der Stalinismus im Verbund mit dem Maoismus, Zentrismus und dem bürgerlichem Nationalismus immer noch spielten. Diese Kräfte spielten eine zerstörerische, konterrevolutionäre Rolle. Es war also nicht nur die Offensive der herrschenden Klassen, die in die heutige intellektuelle Sackgasse führte, sondern auch die verderbliche Rolle, die diese "linken" Kräfte spielten.

Insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war es nicht möglich, eine Perspektive zu entwickeln, ohne die historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu überprüfen. Unsere Partei ist damit seit 1992 beschäftigt. So vieles hatte sich ereignet, wahrhaft bedeutsame Ereignisse, die einer Erklärung bedurften - das Verschwinden ganzer Länder von der Landkarte, Bürgerkriege in anderen Ländern, die globale Integration der Wirtschaft, die Auflösung oder der Zerfall von Parteien und Organisationen. Der Bevölkerung wurde ungeniert erklärt, dass die "Geschichte" an ihrem Ende angelangt sei, ohne zu erklären, wie es sich abgespielt hatte, was das alles zu bedeuten hatte. Der Marxismus stand in der Pflicht, eine Erklärung zu geben, und das Internationale Komitee der Vierten Internationale tat dies. Diese Arbeit setzen wir fort.

Die jetzige Krise wird Bedingungen schaffen, in denen viele dieser Probleme endlich angegangen und überwunden werden können. Das Entstehen einer bewusst sozialistischen und revolutionären Strömung unter Künstlern ist eine vordringliche Notwendigkeit.

Aus unserer Sicht brauchen die Künstler heute zuallererst historisches Verständnis und Ehrlichkeit. Die Armseligkeit des heutigen Hollywood etwa hängt vor allem mit der Falschheit und Hohlheit vieler seiner Bilder und Ideen zusammen. Selbst die kritischeren Filme und Fernsehprogramme geben sich genau dann, wenn es darauf ankommt, mit Allgemeinplätzen und konformistischem Denken zufrieden (dazu gehört das Konzept der besonderen Großartigkeit und die Legitimität der "amerikanischen Demokratie"). Kritik geht nicht über einen gewissen Punkt hinaus. Im Allgemeinen streckt sie vor den verschiedenen Formen des ideologischen und finanziellen Drucks die Waffen.

Den Filmemachern und anderen mangelt es an tieferer Einsicht in den sozialen Prozess, ihre Ideen sind nicht zu Ende gedacht. Sie glauben entweder an das bestehende gesellschaftliche System oder finden sich mit ihm ab. (David Simon etwa, der Vater der hochgelobten, sozialkritischen HBO-Fernsehserie The Wire sagte kürzlich gegenüber dem Journalisten Bill Moyers: "Also der Kapitalismus ist die einzige Maschinerie, die Reichtum für die Massen schaffen kann. Ich halte sie für unvollkommen, aber ohne sie geht es nicht. Gottseidank verfügen wir über dieses Werkzeug.". Und das, obwohl die Wirtschaft weltweit zusammenbricht und die Ideologie des "freien Marktes" in Verruf geraten ist)

Ein künstlerisch überzeugendes Werk zu schaffen ist nicht möglich, wenn die brennendsten Fragen der Menschheit ignoriert oder nicht ernsthaft zur Sprache gebracht werden. Kunst hängt von bedingungsloser Ehrlichkeit ab.

Zwischen dem Engagement des Künstlers einerseits, sein Material gründlich durchzuarbeiten, die Welt genau und dynamisch widerzuspiegeln, und dem Endprodukt und seiner Wirkung auf den Betrachter, Leser oder Zuschauer andererseits existiert ein Zusammenhang. Wie Trotzki sagte, ist der Künstler keine leere Maschine, um eine Form zu kreieren, und der Betrachter keine Maschine, sie zu konsumieren. Beide sind lebendige Wesen mit einer Psychologie und Anschauungen, die von sozialen Verhältnissen bedingt sind.

"Eine falsche Idee, ein falscher Inhalt kann keine vollkommene Form finden, d.h. die Idee der Inhalt kann uns ästhetisch nicht tief berühren", schrieb Woronski, in Anlehnung an Belinski und Plechanow. Eine Annäherung ans Leben, die unaufrichtig oder ausweichend ist, die den wirklichen Charakter der sozialen Beziehungen und das Wesen der gesellschaftlichen Ordnung selbst verschleiert, wirkt sich auf die inneren Mechanismen des Künstlers aus; sie verwischt die Dinge, schafft halbherzige Bilder und Gefühle ohne wirkliche Überzeugungskraft. Heutzutage ersetzt Pyrotechnik (ob in der Form filmischer Spezialeffekte, Gewalt und Schwulst oder sprachlicher und visueller Kraftakte) oft echtes Denken und Analyse.

Natürlich muss man dieses Thema mit großer historischer Konkretheit angehen. Hollywood-Regisseure einer bestimmten Periode waren überzeugt von Demokratie, Gerechtigkeit und dem "American Way of Life". Sie waren fähig, relativ ehrliche und wichtige Filme zu drehen, obwohl ihr Denken weitgehend mythologische Einschläge aufwies. Sie glaubten an das, was sie taten, obwohl wir auch dort Schwächen finden, große Lücken, Sentimentalität, das achtlose Vorübergehen an wichtigen Fragen.

Wer ehrlich ist zu sich selbst, könnte keinen Film machen, der den brutalen Krieg im Irak oder Afghanistan verteidigt. Wir brauchen Romane über Banker, doch ein ehrlicher und künstlerischer Roman wäre nicht möglich, wenn man unkritisch den Standpunkt des Bankers übernimmt. Das wäre ein zu schwaches Fundament für Kunst. Die Selbstrechtfertigungen des Bankers würden niemanden berühren, denn Kunst handelt von Kommunikation zwischen lebendigen, denkenden Wesen, die über eigenes Wissen und Erfahrungen über die Welt verfügen.

Wie viele aktuelle Romane oder Theaterstücke zeigen Charaktere, die durchgehend glaubwürdig sind, die wirklich lebendig zu sein scheinen scheinen? Wie viele Charaktere sind ganz "in ihrer Zeit" verortet, Persönlichkeiten, deren Arbeiten und Denken und Fühlen der Komplexität unserer Zeit entsprechen? Groteske und schreckliche Szenen werden häufig gezeigt, oft ohne Zusammenhang, überfrachtet und einseitig, nicht fest verankert in den heutigen Verhältnissen.

Neue künstlerische Formen werden heute aus neuen wichtigen Zielsetzungen entstehen. Es wird viel geredet über die Avantgarde, momentan hat wenig davon Bedeutung. Die Betonung formaler Innovationen ist weitgehend künstlich und erschöpft sich schnell.

So oder so, eine rein künstlerische Avantgarde kann es aus den genannten Gründen nicht geben. Das "rein Künstlerische" kann es genau genommen nicht geben. Die Kunst ist kein immaterielles Element, das aus sich selbst heraus lebt, sondern eine Funktion gesellschaftlicher Menschen, die untrennbar mit ihren Leben und Zeitumständen verbunden sind.

Der wahren Avantgarde heute anzugehören meint vor allem, sich Rechenschaft über das Leben und die Gesellschaft abzulegen und die unumgänglichen kritischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Und wenn der Künstler sich dem Leben voll und ganz und ehrlich stellt, wird der Betrachter oder Leser wohl die Schlussfolgerungen über die Gesellschaft ziehen, die sich aus den Umständen ergeben.

Wir sind zuversichtlich, dass diese Avantgarde, die ihrem Namen wirklich gerecht würde, die angemessenen künstlerischen Formen entwickeln wird.

Frankfurter Schule and Postmodernismus

Die lange währenden Auswirkungen des Antikommunismus auf das amerikanische Leben sind eine Ursache heutiger Schwierigkeiten, aber keinesfalls die einzige. Es gibt weitere Aspekte, die vielleicht komplizierter sind.

Man kommt um eine Diskussion historischer Fragen, wohl auch um eine Diskussion von Persönlichkeiten und Entwicklungen, die Ihnen vielleicht unbekannt sind, nicht herum. Die heutige Situation der Kultur und die gegenwärtige Stimmung unter den Künstlern sind das Ergebnis von Ereignissen lange vor Ihrer Zeit und von Entwicklungen, die in den Schulen und in den zeitgenössischen Medien kaum zur Sprache kommen. Und die Ansichten einer Vielzahl von Denkern, die Ihnen unbekannt sein mögen, sickern ein und finden ihren Weg in die Universitäten und Medien von heute.

Wie ich schon sagte, wurde den sozialistischen Bestrebungen der Künstler (und nicht nur ihren) durch die Konsolidierung des stalinistischen Regimes in der UdSSR, durch den Verrat an den Prinzipien der russischen Revolution und der Verwandlung des sowjetischen kulturellen Lebens in ein "Konzentrationslager", wie Trotzki es nannte, ein schwerer Schlag versetzt. Die Kommunistischen Parteien richteten weltweit unermesslichen Schaden an, indem sie die edelsten Ideen beschmutzten.

Der Kahlschlag fand nicht nur auf theoretischem und geistigem Gebiet statt. Die stalinistische Bürokratie und ihre Geheimpolizei vernichteten sozialistische Intellektuelle und Arbeiter innerhalb der Sowjetunion und überall dort, wo sie außerhalb ihrer Staatsgrenzen linker Oppositioneller habhaft werden konnte. Nach Schätzungen wurden im Jahr 1937 täglich 1.000 Kommunisten in Schnellprozessen abgeurteilt und erschossen. Intellektuelle, Arbeiter und Künstler - Menschen, die ihr ganzes Leben der Sache des Sozialismus gewidmet hatten.

Woronski fiel, wie viele andere auch, den stalinistischen Säuberungen zum Opfer. Zu den Opfern unter führenden Künstlern gehörten der berühmte Regisseur Meyerhold, der Dramatiker Tretjakow, der Schriftsteller Babel, der Dichter Mandelstam, der Romancier Pilnjak und unzählige andere.

Diese Schläge, und die Hitlers und Mussolinis und der europäischen Reaktion, richteten unermesslichen Schaden an. Eine große Anzahl Menschen aus der hervorragenden marxistischen Intelligenz wurde von 1919 - dem Jahr der Ermordung Rosa Luxemburgs - bis 1940 - als Trotzki umgebracht wurde - physisch ausgelöscht. Die erste siegreiche Arbeiterrevolution in Russland 1917 erzeugte eine langjährige und wütende Reaktion der Konterrevolution.

Unsere Bewegung überlebte physisch, für viele Jahre allerdings unter schwierigen Bedingungen. Die noch bestehenden Strömungen, die nach dem stalinistischen und faschistischen Vernichtungsfeldzug gegen den Sozialismus weithin als "marxistisch" galten, hatten mit dem Bolschewismus wenig gemein.

Ich meine damit insbesondere die sogenannte Frankfurter Schule, die Denkrichtung der Kritischen Theorie, zu denen Leute wie Theodor Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und andere gehörten. Auch wenn Ihnen die Namen nicht geläufig sind, sie haben direkt oder indirekt den Kurs beeinflusst, den Akademiker in unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen und auch viele Künstler eingeschlagen haben. In vielen Universitätsbuchhandlungen werden sie ganze Regale mit Literatur zur "Kritischen Theorie" finden.

Wenn Sie hören, dass der Rationalismus der Aufklärung zur rücksichtslosen Herrschaft der Menschheit über die Natur geführt hat, und dass die moderne Wissenschaft selbst bedrohliche und totalitäre Auswirkungen in sich birgt...Wenn Sie lesen oder erfahren, dass die moderne Gesellschaft ein "vollständig verwalteter" Albtraum ist, aus dem es kein Entrinnen gibt...Wenn gesagt wird, dass die Arbeiterklasse verbürgerlicht ist, dass die Arbeiter sogar ihre Ausbeuter und Ausbeutung lieben...Dann sind Sie wahrscheinlich auf den Einfluss der Frankfurter Schule gestoßen

Adorno, Horkheimer, Marcuse und andere waren als deutsche Juden und politische Exilanten Zeitzeugen der größten Tragödie der modernen Geschichte, des Sieges des Faschismus. Wir haben nicht das Interesse oder die Absicht, jemanden zu verteufeln. Der Triumph der Bestialität des Hitlerregimes, im kulturell höchstentwickelten Land Europas, mit allen einhergehenden Konsequenzen, war ein traumatisierendes Ereignis.

Doch auch die marxistische Bewegung ging durch diese Erfahrung, und sie zog daraus bestimmte Schlussfolgerungen über den modernen Imperialismus in der Krise, sowie über die Parteien und Führungen in der Arbeiterklasse, die den Sieg des Faschismus zugelassen hatten. Trotzki kam zu dem Ergebnis, dass der Bruch mit der Kommunistischen Internationale vollzogen und unsere Bewegung, die Vierte Internationale, aufgebaut werden müsse, um ein für allemal dem System ein Ende zu bereiten, das für die Konzentrationslager und andere schrecklichste Verbrechen verantwortlich war.

Die Vertreter der Frankfurter Schule kamen zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Das Streben der sozialistischen Bewegung, an den Verstand der Arbeiterklasse zu appellieren, war ihrer Meinung nach fehlgeschlagen. Sie beurteilten das revolutionäre Potential der Arbeiter zunehmend pessimistischer. Die führenden Köpfe der Frankfurter Schule entschieden, dass die Massenmedien, die Erziehung und die Familie direkt zur Aufrechterhaltung von Unterdrückung beitrugen. [1]

Alle diese Faktoren zählen natürlich. Wir schenken besonders der Kultur und den Massenmedien große Aufmerksamkeit, und deshalb sind wir heute auch hier. Doch wir sind historische Materialisten. Unser Ausgangspunkt sind die bestehende Gesellschaft und der Klassenkampf, die außerhalb von uns, objektiv, relativ unabhängig vom Bewusstsein des Einzelnen existieren. Die großen Veränderungen haben ihren Ausgangspunkt nicht im Bewusstsein - auch wenn sie sich schließlich im menschlichen Denken widerspiegeln -, sondern in diesem objektiven sozialen Kampf und den ökonomischen Tatsachen des Lebens. Die Medien und auch andere Aspekte spielen eine Rolle - sie können bremsen, blockieren, behindern, sie stiften Verwirrung und mystifizieren. Wir kämpfen gegen sie an, sie sind jedoch nicht die letztlich ausschlaggebenden Faktoren.

Zu den wichtigen Werken der Frankfurter Schule gehört Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer, ein Buch, das 1944 erschien, als sich der Krieg bereits dem Ende zuneigte. Die Autoren zogen die düstersten und irrigsten Schlussfolgerungen über die Erfahrung des Nazismus.

Sie behaupten, das Streben der Menschen nach Wissen trage bereits autoritäre Konsequenzen in sich und führe letzten Endes zum Bau von Gaskammern. Die Menschheit bemächtigt sich der Natur, um sie zu steuern und zu beherrschen. "Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann."

Damit werden nicht nur der Marxismus und die Arbeiterklasse abgeschrieben, sondern auch rationales Denken, Wissenschaft und die letzten paar Jahrhunderte historischen Fortschritts überhaupt.

Das Kapitel "Die Kulturindustrie" enthält eine Reihe faszinierender Passagen, doch ihre pausenlos bekundete (und schließlich ermüdende) Feindseligkeit gegenüber dem Massenbewusstsein und der Massenkultur in den USA begründen Adorno und Horkheimer erbärmlich "undialektisch". An kaum einer Stelle zeigen sie ein historisches Verständnis der Probleme und Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft und Kultur.

Der Krieg und die Verbrechen der Nazis trugen dazu bei, dass Dialektik der Aufklärung in diesem besonders verbissenen Ton geschrieben ist, doch ihre Schlussfolgerungen fielen nicht vom Himmel. Herbert Marcuse, auch ein führender Repräsentant der Frankfurter Schule, der die studentische Protestbewegung der 1970er Jahre mit Büchern wie Der eindimensionale Mensch stark beeinflusste, war in einem Essay aus dem Jahr 1973, Über den affirmativen Charakter der Kultur, zu dem Schluss gelangt, dass Kunst und Kultur im Wesentlichen repressiven Charakter haben.

Die Kunst, so Marcuse in diesem Essay, sei besonders problematisch, weil sie die einzigartige Fähigkeit habe, im Unterschied zu Religion und Philosophie die Illusion von Glück in der Gegenwart zu erzeugen. Die Schönheit eines Kunstwerkes hebt die Unzufriedenheit des Individuums mit der Welt vorübergehend auf; auf diese Weise "besänftigt" die Kunst "den Wunsch nach Auflehnung", weil sie das Schöne innerhalb der bestehenden Unterdrückungsverhältnisse als möglich erscheinen lässt..."Die Menschen können sich glücklich fühlen, ohne es überhaupt zu sein."

Marcuse vertritt die Ansicht, die Kultur habe über Jahrhunderte dazu gedient, die Menschen mit dem Widerspruch zwischen den erklärten Idealen der Gesellschaft und ihrer brutalen Realität zu versöhnen und spiele sogar eine erhebliche Rolle für die Bereitschaft von Individuen, "ohne große Bedenken an den Aufmärschen des totalitäten Staates teilzunehmen", d.h., sich bereitwillig in die faschistischen Bewegungen und Armeen einzureihen.

Aus meiner Sicht sind dies falsche Vorstellungen, die ideologisch in der deutschen subjektiv-idealistischen Philosophie wurzeln. Kunst hat einen wirklichen Inhalt, nicht nur die Schönheit der Form. Mit Inhalt ist nicht eine pauschale oder einzelne "Botschaft" gemeint, sondern ""ein lebendiger Komplex von Stimmungen und Ideen, die künstlerischen Ausdruck suchen".(Trotzki). Kunst kann tief und objektiv in die Wirklichkeit vordringen, in ihre Entwicklung und Geschichte, in ihre Widersprüche. Was, wenn Individuen - in der und durch die Kunst - etwas lernen über ihre "Unfreiheit", über ihre soziale Existenz, was, wenn ihre Unzufriedenheit sich dadurch sogar verstärkt?

In verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und der Kultur schließen Denker der Frankfurter Schule von ihrer Schlussfolgerung, dass die soziale Revolution unmöglich ist, zurück und legen dar, weshalb der jeweilige Bereich Rebellion unmöglich macht, weshalb er disziplinierend wirkt, konditioniert, unterdrückt, verstümmelt, entstellt. Marxisten aber verstehen, dass das gesellschaftliche Leben im Kapitalismus Widersprüche enthält, objektive Impulse, die - widergespiegelt im menschlichen Bewusstsein - erziehen, entwickeln, sensibilisieren, vorbereiten, testen, stärker werden.

Die Schlussfolgerungen von Marcuse, Adorno und anderen, dass das kulturelle Erbe der Menschheit im Wesentlichen repressiver Natur sei, dass es letztlich dazu dient, das bestehende ökonomische und politische System zu verteidigen, entsprechen ganz und gar nicht der marxistischen Auffassung, auch wenn sie in den letzten etwa 50 Jahren in breiten Kreisen, vor allem unter Akademikern, als die "linke" Auffassung akzeptiert waren.

Wir verstehen die geistige und materielle Kultur als ein widersprüchliches Phänomen. Kultur verkörpert einerseits alles, was die Menschheit aufgebaut, gelernt und im Kampf für die Verbesserung ihrer Existenz geschaffen hat; andererseits, da die Menschheit sich notwendigerweise durch das Stadium der Klassengesellschaft entwickelt, besitzt Kultur einen Klassencharakter und dient jenen, die die Macht innehaben.

Im Kampf gegen den Kapitalismus gründen wir uns auf das gesamte Erbe menschlicher Kultur, ohne das die Arbeiterklasse sich nicht auf ein höheres Niveau erheben und die Gesellschaft auf höheren Grundlagen neu gestalten kann. Wir verhalten uns zur Kultur natürlich von unserem eigenen Standpunkt aus, verzichten auf einige Elemente, wie etwa die Religion, akzeptieren andere mehr oder weniger uneingeschränkt (wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt etwa) und überarbeiten andere, auch künstlerische Errungenschaften, kritisch.

Die Argumente der Frankfurter Schule wirkten sich auf die Kunst aus, und ihr Einfluss erstreckte sich weit. Es waren sprachgewaltige Persönlichkeiten, mit breitem kulturellem Wissen und dem Anspruch, dem Marxismus nahezustehen, die die Arbeiterklasse und die objektiven Möglichkeiten einer sozialen Revolution abschrieben. Ihre Desorientierung fand Anklang in Teilen der Intelligenz, die sich nur allzu bereitwillig vom schwierigen Kampf für sozialistische Prinzipien verabschiedeten. In der Nachkriegsperiode gewannen die Ideen dieser vordem kaum bekannten Denker eine beträchtliche Anhängerschaft.

Die ernsthafte künstlerische Darstellung des zeitgenössischen Lebens interessierte die Frankfurter Schule wenig. Sie konzentrierte sich auf die psychischen Defizite der Bevölkerung, ihre unterdrückte Sexualität und andere Triebe. Nur ein veränderter Mensch konnte die Freiheit herbeiführen. So dachte vor allem Marcuse, der für eine Wiederbelebung utopischen Denkens eintrat.

Wir lehnen das ab. Auch im Hinblick auf die Kunst stützen wir uns auf die objektive Entwicklung der Gesellschaft, nicht auf unsere Fantasien oder Wünsche. In einer Diskussion über den sowjetischen Futurismus schlug Trotzki halb scherzhaft einmal vor, dass man auch der "Gegenwart" mal eine Chance geben könne. Auch amerikanische Künstler könnten eine ernsthafte Konfrontation mit dem heutigen Leben gut gebrauchen.

Fotografischer Realismus ist nicht das Ziel. Der Künstler muss auch ein Sozialwissenschaftler und ein Psychologe sein, er muss wissen, wonach er Ausschau halten soll, um die verborgensten Entwicklungstendenzen zu erkennen. Der Künstler konzentriert sein Augenmerk auf entscheidende Elemente, ohne sich von unzähligen Details ablenken zu lassen. Seine Anstrengungen entsprechen der Natur und den Eigenschaften des untersuchten Objekts. Auch das Publikum wird die Erfahrung dieses Prozesses machen.

An künstlerischer Erkenntnis dieser Art gibt es nichts Passives, und auch das Publikum wird nicht auf passives Erleben reduziert. Eine ernsthafte Haltung gegenüber der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung wird sie als vorübergehendes Stadium, nur eines in der Entwicklung der Menschheit zeigen. Ein so geartetes Verständnis wird Eingang finden in die Arbeitsweise des Künstlers, nicht in willkürlicher oder konstruierter Art, sondern als notwendiges und organisches Element. Der Ausbruch von Massenerhebungen wird dieser Herangehensweise Auftrieb geben.

Ebenso wenig werden Künstler zu Tolstoi oder Courbet und dem Realismus des 19. Jahrhunderts zurückkehren (auch wenn ein Studium dieser Persönlichkeiten sich nur vorteilhaft auswirken könnte). In der Spontaneität, dem Erfindungsreichtum und der Individualität heutiger Künstler gibt es vieles, was wertvoll und wichtig ist. Wir denken, dass diese Qualitäten eingebracht werden müssen, um dichtere, reichere Bilder einer objektiv existierenden Welt zu schaffen, und je aufschlussreicher die Bilder, desto maßgeblicher und revolutionärer wird ihre Wirkung sein.

Eine Diskussion über die gegenwärtige künstlerische und kulturelle Krise wäre verfehlt, wenn sie die klägliche Rolle der verschiedenen Spielarten des Poststrukturalismus und des Postmodernismus in den letzten Jahrzehnten außer acht ließe.

Besonders die Niederlage des Generalstreiks 1968 erleichterte es den französischen Intellektuellen, die Überreste ihres alten "Marxismus" über Bord zu werfen. Endlich konnten sie "den ganzen Kram" ad acta legen. Ohne irgendwelche Reste von Befangenheit taten die Postmodernisten schließlich den Versuch, Gesellschaft und Geschichte sinnvoll zu deuten, verächtlich ab und ergingen sich in ausuferndem Relativismus und Irrationalismus.

Auf die eine oder andere Weise haben diese Argumente verschiedene Wissenschaftsdisziplinen an den Universitäten jahrzehntelang beeinflusst und ihren Weg in die Gesellschaft allgemein, auch in das künstlerische Denken gefunden. Oft gelten sie als "linke" und "radikale" Sichtweisen. Ein Kernargument dreht sich um die Feindschaft gegenüber objektiver Wahrheit, d.h., der Möglichkeit, die Welt und ihre Eigenschaften zutreffend im Bewusstsein widerzuspiegeln. Der Postmodernismus weist dies kategorisch zurück. Alles hängt von der Perspektive des Betrachters ab; jede Wahrheit ist gesellschaftlich und durch Eigeninteresse konstruiert. Die Ausdrucksweisen sind vielleicht bekannt: "die Krise der Repräsentation", "die Instabilität von Bedeutung", "die Ablehnung von Meta-Erzählungen oder großen Erzählungen".

Die Argumente sind oft kindisch, wenn man sie erst einmal von der aufgeblasenen Sprache befreit. Aus der Tatsache, dass das menschliche Bewusstsein die Welt unvollständig widerspiegelt, annäherungsweise, mit relativer Objektivität, schließen die postmodernen Denker, dass zwischen dem Denken und der objektiven Welt eine absolute Schranke existiert.

Ein Kommentator sagt über Jean-François Lyotard, früher ein Linker, und Autor von Das postmoderne Wissen, er lehne "moderne Vernunft, Aufklärung, vereinheitlichendes Denken und Geschichtsauffassungen" ab, also jeglichen Versuch, den gesetzmäßigen Charakter der Geschichte und Gesellschaft abzuleiten, und noch mehr den Versuch, politische Praxis darauf zu gründen.

Er vertrat die Auffassung, die "Realität besteht aus singulären Ereignissen, die durch eine rationale Theorie nicht exakt repräsentiert werden können. Für Lyotard war dieser Umstand von großer politischer Bedeutsamkeit, da die Politik behauptet, sich auf die exakte Repräsentation der Realität zu stützen." [2]

In der Politik bedeutet das, genau genommen, zügellosem Opportunismus das Wort zu reden, da es unmöglich ist, aus irgendeiner Erfahrung der Vergangenheit allgemeine Schlüsse zu ziehen. Man beginnt immer bei Null, mit leerem Kopf.

Lyotard, so heisst es, sei für Heterogenität, für Pluralität, ständige Innovation, ortsgebundene Regelsysteme und "Mikropolitik" eingetreten. Die postmodernen Denker waren unter sich zwar heillos zerstritten, doch einig waren sie sich darin, dass der Marxismus der Arbeiterklasse in nicht akzeptabler Weise "eine privilegierte Position" einräume, und oft lieferten sie die theoretische Begründung für diverse reformistische soziale Bewegungen, die Protest- und Identitätspolitik praktizieren, die sich auf Kategorien wie Geschlechts- und ethnische Zugehörigkeit stützen, eben "Mikropolitik" in der Praxis.

Der Angriff auf das Konzept der Allgemeingültigkeit hat entsetzliche Folgen für den Künstler gehabt. Wenn jeder über seine eigene Erzählung verfügt, und jede Erzählung gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen kann, wenn Wahrheit völlig relativ ist, wenn die Repräsentation der Welt ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen darstellt, wo ist dann der Platz des Künstlers, der seine Vorstellungs- und Gefühlswelt vermitteln will und glaubt, sie seien wichtig und universell? Kunst ist, wie Erkenntnis überhaupt, von ihrem Wesen her verallgemeinernd.

Die Tätigkeit des Kunstschaffens ist anspruchsvoll: der Künstler geht davon aus, dass er etwas Erhellendes und Originelles zu vermitteln hat. Halbheiten oder halbe Siege gibt es nicht in der Kunst. Der Angriff der Postmodernisten und anderer auf den objektiven Wahrheitsgehalt künstlerischer Repräsentation reduziert die Kunst auf ein Spiel, auf eine rein formale Übung, auf was immer man will, nur keinen ernsthaften Kampf für die Wahrheit, in dem der Künstler bereit ist, den höchsten Preis zu zahlen, und in dem der Einsatz immens hoch ist.

Was sind die Konsequenzen des Postmodernismus für die Kunst? Sehen Sie sich beispielsweise die moderne visuelle Kunst an - kalt, gekonnt, "konzeptionell", völlig gefühlsfremd und distanziert. Diese Stimmungen und Trends, unter anderem die Identitätspolitik, haben Selbstbezogenheit, Narzismus, soziale Gleichgültigkeit und Zynismus gefördert.

* * *

Das sind, in Kurzform, einige der Probleme, die aus unserer Sicht besondere Schwierigkeiten für das schöpferische Leben in der heutigen Zeit hervorrufen, die den Künstler immer noch "gefangen halten".

Die Künstler müssen sich unserer Meinung nach auf die Erforschung der Realität hin orientieren, und die gesamte Kreativität und Tiefe des gefühlsmäßigen Erlebens zur Geltung bringen, deren das Herz und der Verstand fähig sind, um die gegenwärtige Lage der Menschheit in ihrer Kompliziertheit und Dynamik zu repräsentieren. Erledigen sie diese Aufgabe ehrlich, werden sie sich dem Kampf für Sozialismus in der Arbeiterklasse unweigerlich annähern. Die Kunst kann sich nicht selbst retten, ihr Schicksal ist an den Neuaufbau der Gesellschaft auf höherem Niveau gebunden.

Das erfordert eine große geistige Anstrengung, ohne die es nicht geht. Der Künstler braucht ein hohes Maß an Intuition, doch die Intuition ist nicht alles in der Kunst. Die bewusste, rationale, kognitive Seite des Kunstschaffens ist jahrzehntelang unterbewertet worden. Der Künstler muss erneut lernen, kritisch und mit Tiefgang zu denken. Bei diesem Projekt wird sich der Marxismus als unverzichtbar erweisen.

Anmerkungen

1. "Die Frankfurter Schule begann in den frühen 1930er Jahren, psychoanalytische Konzepte in der sozialwissenschaftlichen Analyse zu verwenden, was weitgehend aus einer zunehmend pessimistischen Einschätzung des revolutionären Potentials der Arbeiterklasse resultierte. Freudsche Auffassungen, so hofften sie, könnten sich als hilfreich dabei erweisen, die psychologischen Quellen des instinktiven Konservatismus der Masse zu erklären - 'die fehlgeleitete Liebe für das ihr zugefügte Unrecht', wie Adorno und Horkheimer in Dialektik der Aufklärung schrieben -, wenn sie durch eine überarbeitete marxistische Konzeption der Industriegesellschaft angemessen berichtigt würden." (Marxism and Modernism; an historical study of Lukács, Brecht, Benjamin and Adorno, Eugene Lunn, 1984, University of California Press)

"Die erste Generation der Frankfurter Schule...betonte die negativen und unterdrückerischen Aspekte der Moderne. Dialektik der Aufklärung ließ die marxistische Theorie der Revolution fallen und ersetzte sie durch ein sich selbst erzeugendes, stabilisiertes kapitalistisches System ohne nennenswerte revolutionäre Opposition. Die Theorie der Revolution verliert ihre historische Fundierung im revolutionären Proletariat und wird zum utopischen Ideal. Die kapitalistische Moderne wird daher von der Kritischen Theorie weitgehend als sich selbst erzeugendes und stabilisierendes System der Warenproduktion und Ausbeutung unter der Herrschaft des Kapitals dargestellt." (Postmodern Theory: Critical Interrogations, Steven Best and Douglas Kellner, 1991, The Guilford Press)

2. Ashley Woodward, University of Queensland, The Internet Encyclopedia of Philosophy

Siehe auch:
Wahrheitssuche zwischen den Fronten des kalten Krieges: Zum Tod des Filmregisseurs Frank Beyer (31. Januar 2007)

Kunst und Sozialismus - die wirklichen Grundlagen. Ein öffentlicher Vortrag in Großbritannien von David Walsh ( 21. Februar 2009)

Ein Brodeln unter der Oberfläche - aber nicht mehr Zur Filmreihe: Winter Adé - filmische Vorboten der Wende ( 3. März 2009)

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