Italien: Explosion eines Güterzugs löst wütende Proteste gegen Berlusconi aus

In der Nacht zum Dienstag löste die Explosion eines Bahnkesselwagens mit Flüssiggas im Stadtzentrum von Viareggio an der Küste der Toskana eine Katastrophe aus, der bisher achtzehn Menschen zum Opfer gefallen sind, unter ihnen vier Kinder.

Ein Güterzug mit vierzehn Kesselwagen war bei der Durchfahrt durch den Bahnhof entgleist, weil offenbar bei einem der vordersten Wagen die Achse gebrochen war. Flüssiggas breitete sich aus, und es kam zu drei gewaltigen Explosionen, die eine Druckwelle und einen riesigen Feuerball auslösten. Die meisten der achtzehn Toten sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Vierzig Menschen wurden verletzt, die meisten schwer, viele mit Verbrennungen dritten Grades. Zwanzig Menschen waren am Donnerstag noch in kritischem Zustand.

Das Feuer brachte zwei Gebäude zum Einsturz und zerstörte den Bahnhof und viele andere Häuser. Ganze Straßenzüge wurden verwüstet. Sieben Menschen wurden vom Feuer im Schlaf überrascht und verbrannten bei lebendigem Leib.

Etwa tausend Anwohner wurden noch in der Nacht evakuiert, da die übrigen dreizehn Waggons des entgleisten Zuges ebenfalls voller Flüssiggas waren und erst leer gepumpt werden mussten. Auch in der benachbarten Stadt Lucca wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Das Auspumpen der Waggons dauerte auch am Donnerstag noch an.

Am Dienstagabend kam es in Viareggio zu tumultähnlichen Szenen, als der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi den Schauplatz des Infernos besuchen wollte. Wie Amateurfilme auf YouTube zeigen, schrieen die Menschen dem Premier "Schande", "Dummkopf", "Hau ab!" und "Dreckskerl" zu. Die Menge konnte nur mit Mühe zurück gehalten werden (Siehe: http://www.youtube.com/watch?v=okKointz14Q).

Je mehr über das Unglück herauskommt, desto stärker wächst die Empörung über die Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit der Behörden. Schon die Auswirkungen der Wirtschaftskrise haben ein weit verbreitetes Misstrauen und tiefe Unzufriedenheit ausgelöst. Nächste Woche richtet Berlusconi den G-8-Gipfel in Italien aus. Er hat ihn in die Erdbeben geschüttelte Region von L’Aquila verlegt, um bei der Bevölkerung zu punkten.

Die Regierung kündigte zwei Untersuchungen über das Unglück in Viareggio an. Seit Dienstag ermittelt die Staatsanwaltschaft, außerdem hat der Minister für Infrastruktur und Transport, Altero Matteoli, eine Untersuchungskommission eingesetzt. Die Zeitung Repubblica zitierte Generalstaatsanwalt Beniamino Deidda mit den Worten: "Dieser Zwischenfall ist weder durch das Schicksal, noch durch einen Zufall bedingt, sondern durch bestimmte Handlungen oder Unterlassungen, die genau untersucht werden müssen."

Die Eisenbahnergewerkschaften erheben schwere Vorwürfe gegen die Staatlichen Eisenbahnen und organisierten am Mittwoch einen einstündigen nationalen Streik, um bessere Sicherheitsvorkehrungen zu fordern. Gewerkschaftsvertreter sagten, bei Güterwagen könne es leicht zu einem Achsbruch kommen, was auch schon oft passiert sei. Die damit verbundenen Gefahren würden bisher unterschätzt.

Offensichtlich führen Sparmaßnahmen im öffentlichen Bereich, Deregulierungen und Privatisierungen dazu, dass das Niveau der Sicherheitskontrollen sinkt. In Italien ist - wie in ganz Europa - der Gütertransport auf Schienen in den letzten Jahren stark abgebaut worden. Hunderte Eisenbahner wurden frühpensioniert oder umgeschult, Dutzende Güterbahnhöfe geschlossen. Kostendruck und Personalabbau im öffentlichen Bereich schaffen eine Lage, in der sich im Endeffekt keiner wirklich verantwortlich fühlt.

Der betroffene Tankwagen gehörte einem privaten Transportunternehmen namens Gatx Rail Europe, einer österreichischen Tochter der Gatx Corporation in Chicago, und war in Deutschland angemeldet. Gatx Rail Europe ist einer der größten privaten Anbieter für Tankwagen-Transporte. Ihre Waggons unterliegen den Sicherheitsbestimmungen der EU.

Während ein Vertreter der staatlichen Eisenbahnen erklärte, die Plaketten an den Waggons würden beweisen, dass Techniker die Sicherheit vor der Abfahrt überprüft hätten, erklärte Professor Carlo Vaghi von der Universität Bocconi, ein Experte für Verkehrswesen, diese Checks würden oft vernachlässigt.

In letzter Zeit ist es wiederholt zu Unfällen und Beinahe-Unfällen gekommen. Allein im Monat Juni kam es in der Toskana zu fünf Zwischenfällen, bei denen die unzureichende Wartung der Züge eine Rolle spielte.

Am 22. Juni gab es in Vaiano einen Unfall, bei dem ein Tankwagen mit Fluorwasserstoffsäure betroffen war, was ebenfalls eine gewaltige Katastrophe hätte auslösen können. Nur großes Glück hat damals die Region davor verschont. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann es zu einem Unfall wie in Viareggio kommen würde.

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