Südkorea: Politische Lehren der Besetzung von Ssangyong

Am 5. August stürmten mehrere Tausend südkoreanische Bereitschaftspolizisten und gedungene Schläger die Ssangyong-Fabrik in Pyeongtaek. Gewaltsam beendeten sie eine 77-tägige Besetzung des Werks durch Hunderte Arbeiter, die für die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze kämpften. Am nächsten Tag akzeptierten die Koreanische Metallarbeitergewerkschaft KMWU und der Koreanische Gewerkschaftsverband (KCTU) die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen durch die Firma.

Die Folgen der Niederlage bei Ssangyong sind jetzt schon verheerend. Mit der Wiederaufnahme der Produktion haben 2.600 Arbeiter ihre Arbeitsplätze verloren oder verlieren sie in allernächster Zeit. Die Regierung führt einen Rachefeldzug gegen die Betriebsbesetzer, und 64 Arbeiter sollen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt werden. Die Zerschlagung der Besetzung gibt anderen Firmen grünes Licht für die Vernichtung von Arbeitsplätzen und Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben.

Die Lehren aus dieser bitteren Erfahrung müssen Arbeiter in ganz Südkorea und weltweit ziehen. Der Staat hat die Besetzung von Ssangyong zerschlagen, was beweist, dass die Verteidigung des Rechts auf einen Arbeitsplatz eine revolutionäre Aufgabe ist. In der Krise des Kapitalismus sind die elementarsten Rechte der Arbeiterklasse nicht mehr mit den Interessen der Wirtschaft vereinbar. Jeder Kampf um Arbeitsplätze wird zwangsläufig zu einem politischen Kampf, der nicht nur gegen eine einzelne Firma geführt wird, sondern gegen die Regierung, die Wirtschaftselite und ihre Komplizen in den Gewerkschaften.

Die Ssangyong-Besetzung begann am 22. Mai, als das von den Gläubigern eingesetzte Management die Absicht verkündete, 36 Prozent der Belegschaft abzubauen, um die Liquidation abzuwenden. Die Arbeiter reagierten darauf mit der Besetzung des Betriebes in Pyeongtaek und forderten den Verzicht auf alle Entlassungen und jede Produktionsverlagerung, sowie Arbeitsplatzsicherheit für alle Beschäftigten.

Die Besetzung war eine direkte Herausforderung der rechten Regierung unter Präsident Lee Myung-bak von der Grand National Party. Lee versucht, größere "Arbeitsmarktflexibilität" durchzusetzen, d.h. das Recht, Arbeiter nach Belieben zu feuern. Er verlangt ein Einfrieren der Löhne, um die internationale Konkurrenzfähigkeit der koreanischen Unternehmen zu stärken und besonders die wachsende Konkurrenz chinesischer Hersteller abzuwehren.

Aber die Lee-Regierung zögerte länger als einen Monat, Polizei gegen die Besetzung einzusetzen, weil sie befürchtete, dass ein solches Vorgehen angesichts steigender Arbeitslosigkeit und einer sozialen Krise eine breite Rebellion provozieren könnte. Lee ist keineswegs in einer starken Position, sondern wird weithin abgelehnt. Nur Monate nach der Übernahme ihrer Amtsgeschäfte stand die Regierung vergangenes Jahr am Rande des Zusammenbruchs, als Einfuhr amerikanischen Rindfleischs Massenproteste provozierte.

Für die Eindämmung der Ssangyong-Besetzung war Lee vollkommen auf die koreanischen Gewerkschaften angewiesen. Nur mit ihrer Hilfe konnte er verhindern, dass der Arbeitskampf zu einem Anziehungspunkt für andere Arbeiter wurde, die ebenfalls vom Verlust ihrer Arbeit und Lohnkürzung bedroht waren. KMWU und KCTU haben mit dem Management keine Meinungsverschiedenheiten in der Frage, dass Arbeitsplätze zu streichen seien, um die Profitabilität wieder herzustellen. Ihr einziges Ziel bei den Verhandlungen war, für einige Arbeiter, die entlassen werden sollten, eine Verwendung in anderen Teilen des Unternehmens zu erreichen, oder sie auf unbestimmte Zeit in unbezahlten Urlaub zu schicken.

Die Gewerkschaften hatten zu keinem Zeitpunkt auch nur die geringste Absicht, eine breite Offensive zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und -bedingungen zu führen. In den vergangenen drei Monaten haben sie in mehreren Fällen, bei denen Unternehmen umstrukturiert wurden, einen miesen Kuhhandel auf Kosten der Arbeiter abgeschlossen. Im Mai stimmten die Gewerkschaften bei dem Autozulieferer Shinchang Electrics einer zwanzigprozentigen Lohnsenkung zu. Im Juli wurde bei der bankrotten General Motors-Daewoo-Gruppe für die gesamte Belegschaft ein Lohnstopp vereinbart. Kia-Motors versucht jetzt, eine vergleichbare Vereinbarung zu erreichen.

Der KCTU und seine Mitgliedsgewerkschaften, wie die KMWU, verdanken ihr Renommee den späten 1980er Jahren. Damals organisierten sie unter Bedingungen der Illegalität militante Lohnkämpfe und wuchsen schnell an. Aber ihre politische Perspektive ging nie über den Kampf gegen die Militärdiktatur und für schrittweise Reformen hinaus. D.h. sie entsprachen dem Programm von Demokraten wie Kim Dae Jung.

Als die Wirtschaftskrise von 1997-98 sämtliche so genannte asiatische Tigerstaaten traf, wurden die Grenzen dieses Programms nur allzu deutlich. Der heute legale KCTU half Präsident Kim Dae Jung, die Forderungen des IWF nach wirtschaftlichen Umstrukturierungen durchzusetzen. Dazu gehörte auch die praktische Abschaffung der lebenslangen Beschäftigung.

In den letzten zehn Jahren haben die Gewerkschaften jeden wichtigen Kampf der Arbeiter sabotiert, erst unter Kim und dann unter Präsident Roh Moo-hyun. Heute haben 33 Prozent der Arbeiter nur noch Zeitverträge oder andere prekäre Arbeitsverhältnisse. Sie verdienen durchschnittlich 40 Prozent weniger als Festangestellte, oft nicht mehr als drei Dollar in der Stunde. In der globalen Rezession, die verheerende Auswirkungen auf die koreanische Wirtschaft hat, arbeiten die Gewerkschaften jetzt mit den Unternehmen und der Lee-Regierung bei einer neuen Runde brutaler Umstrukturierungen zusammen.

Die Verwandlung der koreanischen Gewerkschaften ist Teil eines internationalen Prozesses. Die globale Integration der Produktionsprozesse in den letzten drei Jahrzehnten, in welche die koreanische Wirtschaft eingebunden ist, hat jede nationalreformistische Perspektive der Gewerkschaften hinfällig gemacht. Diese Organisationen verteidigen nicht einmal mehr die elementarsten Rechte der Arbeiter, sondern setzen die Forderungen der Unternehmen nach höherer Produktivität im Namen der Verteidigung der internationalen Konkurrenzfähigkeit, in diesem Fall des koreanischen Kapitalismus, durch.

Die Ssangyong-Arbeiter zeigten bei der Besetzung großen Mut und Zähigkeit. Sie wählten ihre eigenen Basisdelegierten und kämpften gegen Schläger, die die Firma angeheuert hatte, um die Besetzung zu zerschlagen. Gegen die Versuche der Gewerkschaften, einen Kuhhandel abzuschließen, bestanden sie auf der Erhaltung aller Arbeitsplätze.

Aber das war nicht genug. Die große Schwäche der Besetzung war ihr Mangel an einer alternativen politischen Perspektive. Angesichts der früheren Verrätereien der Gewerkschaften waren die Arbeiter ihren Gewerkschaftsfunktionären gegenüber zwar misstrauisch, um nicht zu sagen offen feindselig. Aber sie hatten immer noch die Vorstellung, es sei möglich, Druck auf die Firma und die Regierung auszuüben, und so ihre Forderungen durchzusetzen. Deswegen konnte die Gewerkschaftsführung die Besetzung letztlich isolieren und verschaffte der Regierung die nötige Zeit, ihre Kräfte für den entscheidenden Angriff zu formieren.

Was sind die politischen Lehren?

Erstens: Innerhalb des kapitalistischen Systems ist es nicht mehr möglich, auch nur die elementarsten Bedürfnisse der Arbeiterklasse zu befriedigen. Ein ernsthafter Kampf gegen Entlassungen wird schnell zu einem Kampf gegen die Regierung und den kapitalistischen Staat.

Würde die Lee-Regierung gestürzt, wäre es sofort notwendig, sich an andere Teile der arbeitenden Bevölkerung zu wenden, die vor den gleichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen stehen - und nicht an die Demokraten, die das gleiche Programm wie Lee vertreten. Der Kampf gegen Lee erfordert die revolutionäre Perspektive einer Arbeiter- und Bauernregierung. Diese wird ein sozialistisches Programm durchsetzen, das die Enteignung der Autokonzerne beinhaltet.

Zweitens: Der Kampf für Sozialismus ist notwendigerweise international. Die globale Rezession hat zu einer tiefen Krise der internationalen Autoindustrie geführt, die einen scharfen Konkurrenzkampf der großen Autobauer auslöst und eine neue Welle von Fusionen und Umstrukturierungen hervorbringt. Die Arbeiter in Südkorea müssen die nationalistische und protektionistische Perspektive des KCTU zurückweisen, die die südkoreanischen Arbeiter gegen ihre Klassenbrüder und -schwestern in anderen Ländern aufhetzt.

Drittens: Arbeiter müssen neue Organisationen aufbauen, vor allem eine neue Partei. Nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale, die trotzkistische Weltbewegung, ist aufgrund seiner Geschichte und seines Programms darauf vorbereitet, Arbeiter in aller Welt für den Kampf für sozialistischen Internationalismus zu vereinen. Wir fordern alle sozialistischen Arbeiter, Jugendlichen und Intellektuellen in Südkorea auf, sich für den Aufbau einer Sektion des IKVI in Südkorea einzusetzen.

Siehe auch:
Frankreich: Von Massenentlassungen bedrohte Arbeiter drohen ihre Fabriken in die Luft zu sprengen
(23. Juli 2009)
Südkoreanische Arbeiter protestieren an Frankfurter Musikmesse
( 3. April 2009)
Regierung Südkoreas unterdrückt Proteste
( 10. Juli 2008)
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