Die Bedeutung des Aufrufs der Socialist Workers Party für eine neue "linke Alternative"

Teil 2

Dies ist der zweite und letzte Teil unserer Antwort auf den Offenen Brief der britischen Socialist Workers Party. Der erste Teil, der am 6. August erschien, ist hier hinterlegt.

Auch heute hat die Socialist Workers Party wenig Argumente in der Hand, die ihre Behauptung stützen könnten, dass die Zukunft im Bruch eines Teils der Bürokratie mit der Labour Party läge. In den letzten zwölf Jahren ermöglichten gerade die Gewerkschaften der Labour-Regierung, ihre Politik des freien Marktes umzusetzen, indem sie jeden Widerstand der Arbeiterklasse isolierten.

Die Gewerkschaft Rail Maritime and Transport Union (RMT) stellte auf der Liste des Bündnisses No2EU Kandidaten gegen Labour für die Europawahl auf. Zu diesem Bündnis gehörten auch die Kommunistische Partei Großbritanniens und die Socialist Party. Dieses Bündnis, das die RMT bei Unterhauswahlen allerdings nicht wieder auflegen will, war so rechtslastig und nationalistisch, dass die SWP zögerte, es zu unterstützen. Sollte bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr die Ablösung der Labour Regierung durch die Tories drohen, und sollte es in dem Zusammenhang tatsächlich zu einer Abspaltung von der Labour Party kommen, dann würde sie auf einer ähnlichen Perspektive erfolgen, wie sie die No2EU vertreten hat.

Das einzige, was die SWP derzeit vorweisen kann, ist ein Zitat von Mark Serwotka, dem Generalsekretär der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes (PCS). Er schlägt vor, dass "Gewerkschaften Kandidaten aufstellen sollten". Die SWP schlägt "einen einfachen Schritt" vor, nämlich die Einberufung einer Konferenz all jener, die "zur nächsten Wahl Kandidaten aufstellen wollen, die Arbeiterinteressen vertreten". Auf solch einer schwammigen Grundlage würde nicht nur der Unterschied zwischen Reform und Revolution "nicht angesprochen", sondern die SWP und andere würden auch gerade jenen Kräften einen neuen Namen verschaffen, die die Arbeiterklasse verraten haben.

Die Einheitsfront

Callinicos und die SWP beschreiben das von ihnen angestrebte Wahlbündnis, das von den Gewerkschaften dominiert würde, üblicherweise als "Einheitsfront besonderer Art". Hierbei handelt es sich um den leicht durchschaubaren Versuch, ihr Manöver mit Formulierungen von Leo Trotzki zu tarnen. Dieser hatte sie in den 1930er Jahren benutzt, als der Faschismus in Deutschland eine unmittelbare und tödliche Gefahr darstellte und die Arbeiterklasse dagegen mobilisiert werden musste.

Trotzki forderte im Unterschied zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) eine Taktik der Einheitsfront. Die KPD, die der stalinistischen Führung der Kommunistischen Internationale untergeordnet war, lehnte das gemeinsame Handeln mit den Sozialdemokraten ab, die sie als "Sozialfaschisten" angeprangerte.

Trotzki kämpfte für eine Einheitsfront der KPD mit der SPD, um gemeinsam gegen die Nazis vorzugehen und die Arbeiterorganisationen zu verteidigen. Auf diese Weise hätte die KPD die Führung bei der Vereinigung der Arbeiterklasse übernehmen können und entweder aufgedeckt, dass die Führung der SPD die gemeinsame Verteidigung gegen den Klassenfeind ablehnt, oder die Überlegenheit der Führung der revolutionären Partei in solchen Massenkämpfen der Arbeiterklasse bewiesen.

Trotzki betonte jedoch, dass es absolut unzulässig sei, die Revolutionäre einer Einheitsfront unter der Führung der reformistischen Bürokratie unterzuordnen oder programmatische Differenzen zu vertuschen. Jedes Wahlbündnis, jede politische Vereinigung mit den Reformisten, oder gar die Bildung einer gemeinsamen Partei, die, um Callinicos zu zitieren, "die Alternative, Reform oder Revolution, nicht anspricht" ist das genaue Gegenteil einer Einheitsfront.

Der welthistorische Verrat der stalinistischen Führung ermöglichte es Hitler, an die Macht zu kommen. Die Weigerung der Dritten Internationale, diesen Verrat zu analysieren, veranlasste Trotzki, zum Aufbau der Vierten Internationale aufzurufen. Die Stalinisten gingen von der ultralinken Politik, die in die Katastrophe geführt hatte, zur rechtsopportunistischen Volksfrontpolitik über. Ihre Grundlage war die Behauptung, die Arbeiterklasse müsse sich im Kampf gegen die größere Gefahr des Faschismus mit den bürgerlich-demokratischen Parteien und Regierungen verbünden und sich ihrer Führung unterordnen.

Tatsächlich war diese Politik jedoch konterrevolutionär. Sie bedeutete den Verzicht auf jede revolutionäre oder sozialistische Forderung und den Verzicht auf die Arbeitermacht. Die "Volksfront" führte in Spanien, Frankreich und im restlichen Europa zu einer Katastrophe nach der anderen - und bereitete dem Zweiten Weltkrieg den Weg.

Die SWP-Politik eines Wahlbündnisses oder gar einer gemeinsamen Partei mit der Bürokratie steht in der Tradition dieser stalinistischen Politik und nicht in der Trotzkis.

Es ist nicht das erste Mal, dass die SWP die Frage des Faschismus als Mechanismus benutzt, um jeden Kampf gegen Labour und die Gewerkschaftsbürokratie zu unterbinden. Im Jahr 1977 gründete sie mit Unterstützung einiger Gewerkschaften und dem Wohlwollen des vormaligen Führers der Jungen Liberalen, Peter Hain, die Anti-Nazi League (ANL). Hain ist heute unter Premier Gordon Brown Minister für Wales und war damals in der Postgewerkschaft Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Auch der stellvertretende Generalsekretär der Metallarbeitergewerkschaft AUEW, Ernest Roberts, und Neil Kinnock, der spätere Vorsitzende der Labour Party, unterstützten die Gründung der Anti-Nazi League.

Die ANL versuchte, die Bestrebungen überwiegend junger Menschen auf den vermeintlich "gemeinsamen Kampf" gegen die National Front, den Vorläufer der heutigen British National Party (BNP) zu richten. Dies geschah zu einer Zeit, als die Arbeiterklasse in direktem Konflikt mit der Labour Regierung unter James Callaghan stand. Callaghan versuchte, die vom Internationalen Währungsfonds diktierten Kürzungsmaßnahmen umzusetzen. Dieser Konflikt fand 1979 seinen Höhepunkt im so genannten Winter of Discontent (Winter der Unzufriedenheit) und dem darauf folgenden Wahlsieg der Konservativen unter Führung von Margaret Thatcher.

Es gibt heute gegenüber den Siebzigern allerdings einen bedeutsamen Unterschied. Während die SWP 1977 lediglich mit dem Segen der Linken in der Labour Party und den Gewerkschaften agierte, spricht sie heute als offizieller Vertreter des Gewerkschaftsverbandes selbst.

Die SWP hat sich über Jahrzehnte hinweg in die obersten Ränge der Gewerkschaftsbürokratie integriert, führende Positionen in mehreren Gewerkschaften übernommen, und damit ihre Nischen-Existenz im akademischen Leben ergänzt. Sie tritt heute nicht mehr nur als Verteidigerin der Bürokratie auf, sondern gilt als offiziell anerkannte Sprecherin ihres linken Flügels.

Parallel zur Herausbildung von Respect wandelte die SWP die ANL 2003 in Unite Against Fascism (UAF) um. Sie schloss dafür ein Bündnis mit der National Assembly Against Racism (NAAR), die politisch von der Gruppe der Farbigen in der Labour Party geführt wird. Das einzige Ziel von UAF ist eine taktisch kluge Stimmabgabe, um zu verhindern, dass "die BNP bei Wahlen in diesem Land Fuß fasst".

Die UAF wird vom TUC unterstützt und von den Gewerkschaften finanziert, und sie arbeitet in Büros, die von der Gewerkschaft PCS gestellt werden. Die PCS wird von dem früheren Respect-Mitglied Mark Serwotka geführt. Vorsitzender der UAF ist der vormalige Bürgermeister von London, Ken Livingstone. Co-Vorsitzender ist Weymann Bennett von der SWP, und der nationale Sekretär der SWP, Martin Smith, sitzt im Präsidium.

Die SWP wurde mit diesen Positionen betraut, weil sie inzwischen allgemein Partei angesehen wird, die gänzlich in die Strukturen der offiziellen Politik eingebunden ist. Die radikale Rhetorik und ihr Einsatz für gewerkschaftliche Kämpfe und für Sozialreformen erwiesen sich nicht als Hindernis für die Aufnahme ins Establishment, sondern in den Augen der politischen Elite sogar als Vorzug, weil die Partei so als nützliches Ventil eingesetzt werden kann.

Im Oktober 2008 machte die World Socialist Web Site auf die Ernennung des SWP- Mitglieds Sabiha Iqbal zur Beraterin der 22-köpfigen Young Muslim Advisory Group (YMAG) aufmerksam (Siehe auch: "Britain: Socialist Workers Party member becomes government adviser"). Die YMAG wurde von der Regierung Brown ins Leben gerufen, die sich damit im Kampf gegen den Einfluss des islamischen Extremismus beraten lassen wollte und Wege erarbeitete, "wie junge Muslime besser am öffentlichen Leben teilnehmen können".

Die damalige Staatssekretärin für Nachbarschaftsfragen, Hazel Blears, sagte über die politische Orientierung Sabiha Iqbals: "Wenn du mit siebzehn nicht die Welt verändern willst, ist es eine Schande." Iqbal gehöre "zur nächsten Führungsgeneration der muslimischen Gemeinschaft".

Offene Verteidigung des Staates

Der Offene Brief der SWP und ihre Rolle in der UAF verdeutlichen, dass sie sich von ihrer einstigen Rolle als linker Deckmantel des Gewerkschaftsapparates heute zu einem offenen Verteidiger des gesamten bürgerlichen parlamentarischen Systems fortentwickelt hat.

Unmittelbar nach den Europawahlen wurde Martin Smith als Sprecher der UAF von Channel 4 und BBC Newsnight interviewt. Statt die Möglichkeit zu nutzen, das gesamte politische Establishment, seine immigrantenfeindliche Politik und die Angriffe auf die Lebensgrundlagen der Arbeiter für das Wachstum der BNP verantwortlich zu machen, rief er alle Parlamentarier dazu auf, die von der BNP ausgehende Bedrohung gemeinsam abzuwenden.

"Das größte Problem" bestehe darin, dass die BNP "einen respektablen Anstrich" erhalte, sagte Smith. Smith erklärte weiter, jede Partei habe das Recht, ihre Meinung zu vertreten, außer der BNP, die "keine legitime demokratische Struktur [sic] verfolgt. Sie hat völlig andere Anschauungen, eine wirklich revolutionäre faschistische Anschauung. Sie wird das Parlament nutzen, um ihre Ansichten zu verbreiten."

Das ist eine interessante Äußerung. Die BNP wird dafür kritisiert, dass sie "revolutionär" sei und das Parlament für eine Politik nutzen wolle, die nicht in die "legitimen demokratischen Strukturen" passt.

In einer Erklärung für Beschäftigte der Medienwirtschaft warnt die UAF in ähnlichem Ton: "Wenn zugelassen wird, dass sich faschistische Parteien in das politische und das Medienestablishment einschleichen... dann nutzen sie die Plattform, die ihnen zugestanden wird, um sich im politischen Mainstream zu konsolidieren. Sie machen ihre rassistischen Argumente hoffähig, drücken das politische Spektrum nach rechts und bauen ihre Organisation vor Ort auf. In dem Maße, wie sie wachsen, wächst auch der Druck auf die Menschen, vor ihnen zu kapitulieren. Die Gefahr heute ist, dass die BNP aus ihrer Isolation ausbricht und zu einer festen Größe in unseren Medien wird" (Hervorhebung hinzugefügt).

Wenn solche Forderungen nach Zensur und dem Verbot faschistischer Tendenzen und ihrer Aktivitäten vom Establishment tatsächlich aufgegriffen werden sollten, dann werden sie unfehlbar in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung und die Linke eingesetzt. Man muss sich nur daran erinnern, dass das Gesetz zur öffentlichen Ordnung (Public Order Act) 1936 ursprünglich unter dem Vorwand eingeführt wurde, Oswald Mosleys Faschisten zu bekämpfen. In seiner Originalform und in späteren Variationen wurde es zur Verhinderung politischer Demonstrationen benutzt. Besonders im Bergarbeiterstreik von 1984-85 wurde es immer wieder eingesetzt. Es verbietet jeden "Zusammenschluss von Personen", die versuchen, "sich Funktionen der Polizei oder der Armee der Krone" anzueignen, und verbietet die Anwendung von "physischer Gewalt zur Erreichung jeglicher politischer Ziele".

Die SWP hat für solche prinzipiellen Überlegungen nichts übrig. Die offene Verteidigung des bürgerlichen Parlamentarismus und ihre Verurteilung der BNP, weil diese nicht Teil der "legitimen demokratischen Struktur" sei, ist bei ihr ein durchgängiges Thema. Der Socialist Worker erscheint regelmäßig mit Schlagzeilen wie "Wie sich die BNP als respektable Partei zu geben versucht" oder "Der Schleier der ‚Respektabilität‘ der BNP fällt".

Das spricht Bände über die politische Ausrichtung der SWP. Sie selber sucht die Anerkennung als Teil der bürgerlichen Respektabilität. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Ein Grund für die wachsende Unterstützung für die BNP ist, dass sie sich als Außenseiter und Gegner des politischen Establishments gibt.

Ein Faktor, der dazu beiträgt, dass solche rechtsextremen Tendenzen weiter wachsen, besteht darin, dass Parteien wie die SWP das Parlament verherrlichen und Lobeshymnen auf die Gewerkschaften und die Labour-Linken singen. Aber die führende Rolle der SWP in der UAF zeigt, dass sie kein Problem damit hat, sich sogar mit bürgerlichen Tendenzen zusammen zu tun, die noch über die Gewerkschaften und die Labour-Bürokratie hinausgehen. Die UAF richtet sich mit ihrem Aufruf, einen "cordon sanitaire" um die BNP zu ziehen, nicht nur an Dutzende Labour-Abgeordnete und "unsere Medien" (der Daily Mirror gehört zu den Unterzeichnern), sondern an alle großen Parteien.

In diesem Licht ist es noch auffälliger, dass sich der offene Brief der SWP erst nach einer langatmigen Warnung vor der Gefahr der BNP der "zweiten Lehre aus der Europawahl zuwendet: der Notwendigkeit eines vereinten Kampfs zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen". Wenn David Cameron von der Konservativen Partei gewählt würde, schreibt die SWP, "wird er versuchen eine Stabilitätspolitik auf Kosten der großen Mehrheit der britischen Bevölkerung durchzuführen".

Selbst dann schildert die SWP die Gefahr, die von den Tories ausgeht, als geringer, als die, die von der BNP ausgeht. Weil die Tories Stimmen verloren hätten, "sind sie sich unsicher, ob sie die Angriffe durchsetzen sollen".

Die SWP schreibt dies in ihrer eigenen Zeitung während sie sich gleichzeitig in einem politischen Bündnis mit Cameron und den Konservativen befindet - weil "wir doch alle Demokraten und alle gemeinsam Gegner der BNP sind".

Cameron und andere führende Konservative, wie Sir Teddy Taylor, Edward Garnier und Anthony Stehen, haben ihre Unterschrift unter die Charta der UAF gesetzt. Wenn Cameron 2010 an die Regierung kommt, dann nicht zuletzt deshalb, weil die SWP die Konservativen als "legitime" demokratische Kraft hinstellt, und nicht als Partei des Großkapitals, und weil sie die Gefahr herunterspielt, dass eine Tory-Regierung die volle Macht des Staates gegen die Arbeiterklasse in Stellung bringt.

Siehe auch:
"Konvention der Linken": Rechtsruck der britischen kleinbürgerlich-radikalen Gruppen
(22. Oktober 2008)
Die britische Socialist Workers Party und die Verteidigung des Nationalreformismus
( 6. August 2004)
Das Wahlbündnis "Respect" und die Politik des Opportunismus
( 2. März 2004)
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