Keines der Probleme mit denen die arbeitende Bevölkerung konfrontiert ist, kann durch die Wahl am kommenden Sonntag gelöst werden. Die Arbeiterklasse braucht eine neue Partei, die sich auf ein internationales sozialistisches Programm gründet. Darin besteht die Bedeutung der Wahlteilnahme der Partei für Soziale Gleichheit als deutsche Sektion der Vierten Internationale.
Nie zuvor wurde eine Bundestagswahl in einem solchen Ausmaß manipuliert wie diese. Seit Monaten bemühen sich Regierung, Parteien und Medien zu verschleiern, was nach der Wahl auf die Bevölkerung zukommt.
Die Wahl findet inmitten der tiefsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren statt. Doch die Krise war im Wahlkampf kein Thema. Die Regierung hat Milliarden ausgegeben, um durch Konjunkturprogramme, Abwrackprämie und verlängertes Kurzarbeitergeld die soziale Konfrontation auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben.
Bundeskanzlerin Merkel (CDU) führte einen Präsidialwahlkampf, der jeder konkreten Festlegung auswich. Alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien spielten das Spiel mit. Sie versprachen das Blaue vom Himmel herunter, obwohl sie alle wissen, dass ihre Versprechen nach Schließung der Wahllokale dem Rotstift und der längst beschlossenen Schuldenbremse um Opfer fallen.
Die SPD kündigte Reformen in der Familien- und Bildungspolitik an. Die CDU schlug eine Erhöhung des Elterngelds vor, und die FDP plakatierte die Forderung: "Arbeit muss sich wieder lohnen!" Am schlimmsten treibt es die Linkspartei, die allen Ernstes behauptete, man könne zu einer Reformpolitik im Stile der siebziger Jahre zurückkehren, ohne die Macht der Banken und Konzerne auch nur anzutasten.
Erst in den letzten Tagen begann sich der Schleier zu lüften. Einige Medien hielten es an der Zeit, das Publikum auf die Zeit nach der Wahl einzustimmen. Hinter den Kulissen sind sich alle Parteien - einschließlich der Linkspartei - längst einig, dass eine Regierung gebraucht wird, die der Arbeiterklasse den Krieg erklärt, eine Regierung, die alle Zwangsmittel des Staats einsetzt, um die Last der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung abzuwälzen.
Den Auftakt machte letzte Woche die Wirtschaftswoche. Am Morgen nach der Wahl "werden die Deutschen in einem andern Land aufwachen", verkündete sie. Dann werde von allem die Rede sein, was im "so genannten Wahlkampf" nicht zur Sprache kam: "Von 152 Milliarden Euro Steuerausfällen, von 320 Milliarden neuen Schulden, von Löchern in den Sozialkassen, von 90.000 Stellen, die in der Autobranche gefährdet sind, von 180.000 Jobs, die in der Finanzbranche wackeln, von bald vier bis fünf Millionen Arbeitslosen insgesamt." Die kommende Regierungserklärung werde - unabhängig vom Wahlausgang - "eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede" sein.
Am Sonntagabend stimmten dann Wirtschaftsminister Guttenberg (CSU) und Finanzminister Steinbrück (SPD) das Publikum der Talkshow "Anne Will" auf einen harten Sparkurs ein. "Ja, wir werden sparen müssen, und wir werden auf das eine oder andere Liebgewonnene auch verzichten müssen", sagte Guttenberg. Steinbrück rechnete vor, dass die neuen Haushaltsschulden in Höhe von 100 Milliarden Euro und die erwarteten Steuermindereinnahmen von insgesamt 320 Milliarden drastische Einschnitte erfordern.
Seither haben Vertreter der Wirtschaftsverbände und Banken deutlich gemacht, was sie von der kommenden Regierung erwarten, oder - um präziser zu sein - was sie vom Kanzleramt künftig verlangen. Ein "harter Sparkurs" sei unvermeidlich. Mit dem Auslaufen der Kurzarbeiterregelung sei ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit vorprogrammiert. Der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme steige, folglich müssten staatliche Leistungen reduziert und staatliche Einnahmen in Form von Massensteuern erhöht werden.
Während die Banken und Spekulanten Hunderte Milliarden Euro zur Deckung ihrer Spekulationsverluste erhielten, ohne dass die Verantwortlichen für das Finanzdesaster zur Rechenschaft gezogen wurden, heißt es nun: Die Kassen sind leer, das wachsende Staatsdefizit muss die Bevölkerung bezahlen.’ Dieselben Bankiers und Manager, die die Staatskasse geplündert haben und sich aus dem Bankenrettungspaket bereits wieder Millionen-Boni finanzieren, verlangen drastische Sozialkürzungen, die Ausweitung von Billiglohnjobs und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Selten zuvor war der Klassencharakter der Gesellschaft derart offensichtlich. Doch diese Fragen wurden systematisch aus dem Wahlkampf ausgeklammert. Eine Diskussion darüber wurde unterbunden. Die Wähler wurden jeder Möglichkeit beraubt, darüber zu debattieren und demokratisch darüber zu entscheiden.
Auch eine andere Frage wurde im Wahlkampf unterdrückt: der Krieg in Afghanistan. Hinter den Kulissen ist längst entschieden, dass der Einsatz der Bundeswehr nach der Wahl massiv ausgeweitet und der deutsche Blutzoll entsprechend steigen wird. Das Massaker bei Kundus, das größte Kriegsverbrechen der deutschen Armee seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, war dafür ein Signal. Ein Luftangriff, der auf Befehl eines Bundeswehroffiziers erfolgte, forderte mindestens hundert Menschenleben, darunter zahlreiche Zivilisten. Medien und Politik reagierten darauf mit Kriegshysterie. "Mit der Schönrederei und dem Sich-selbst-in-die-Tasche-Lügen" müsse Schluss sein, forderte die Süddeutsche Zeitung. Deutschland befinde sich in Afghanistan im Krieg und müsse "es endlich richtig machen". Kanzlerin Merkel stellte sich uneingeschränkt hinter die Militärführung und drohte in einer Regierungserklärung, sie verbitte sich jegliche Kritik "von außen und innen".
Auch in dieser Frage werden die Wähler von jeder Entscheidung ausgeschlossen, obwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistankrieg ablehnt. Alle Bundestagsparteien stimmen überein, dass sich die Bundeswehr nicht aus einem Krieg zurückziehen darf, bei dem es um die Kontrolle der wichtigsten Öl- und Gasregionen der Welt geht.
Und auch in dieser Frage spielt die Linkspartei eine besonders zynische Rolle. Während sie auf Wahlplakaten den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert, hat sie ihre Politik längst an die der Bundesregierung angepasst. Sie reagierte auf das Massaker bei Kundus, indem sie klarstellte, dass sie keinen sofortigen Abzug verlange und für eine "Exitstrategie" eintrete. "Exitstrategie" ist lediglich ein anderer Begriff für die Eskalation des Krieges, für die Aufstockung der Truppen, um so schneller eine Entscheidung herbeizuführen. Mit demselben Argument begründet US-Befehlshaber McChrystal seine Forderung nach 21.000 zusätzlichen Soldaten und Außenminister Steinmeier seinen Plan, die deutschen Soldaten und Ausbilder massiv aufzustocken.
Das Erstarken des deutschen Militarismus richtet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Seit den Verbrechen der Wehrmacht ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren verboten. Doch die Pläne des Innenministeriums, dieses Verbot zu kippen, sind weit fortgeschritten. Auch die Einschränkung demokratischer Grundrechte hat stark zugenommen. Die staatliche Telefon- und Computerüberwachung wurde im vergangenen Jahr um 30 Prozent ausgeweitet. Staat und Regierung betrachten die Bevölkerung als Gegner und wollen jeden Widerstand von unten im Keim unterdrücken.
Die Wahl vom Sonntag wird nicht darüber entscheiden, ob die geplanten Angriffe auf die Bevölkerung und die Eskalation des Afghanistankriegs stattfinden werden. Diese Entscheidung ist längst gefallen. Sie wird lediglich festlegen, welche Regierungskonstellation sie ausführen wird.
Bis vor kurzem galt in den herrschenden Kreisen eine schwarz-gelbe Koalition aus Union und FDP als Favorit. Die FDP gilt als Garant für die konsequente Wahrnehmung von Wirtschaftsinteressen und ihr Eintritt in die Regierung könnte gleichzeitig den Wirtschaftsflügel der CDU stärken, lauteten die Überlegungen. Die Rückkehr der SPD in die Opposition könnte außerdem die Gefahr dämpfen, dass sich - wie zuzeiten der großen Koalition der 1960er Jahre - eine starke außerparlamentarische Opposition entwickelt.
Doch inzwischen gelten diese Pläne als riskant. FDP-Chef Westerwelle und seine lautstarken Forderungen nach Steuersenkungen für Besserverdienende und Unternehmen sind unter wachsende Kritik geraten. Sie könnten Widerstand provozieren, dem eine schwarz-gelbe Koalition nicht gewachsen ist.
In den letzten Tagen häufen sich die Stimmen die eine Fortsetzung der Großen Koalition unterstützen. So titelte Die Zeit Anfang der Woche: "Noch mal Schwarz-Rot wäre das Beste", denn "die heraufziehenden Prüfungen für unser Land" könnten "nur mit einer starken und selbstbewussten SPD" gemeistert werden. Die Sozialkürzungen während der Schröder-Regierung hätten dies bewiesen. Das Meistern der bevorstehenden Herausforderungen werde "der künftigen Bundesregierung alles abverlangen. Nur die beiden Volksparteien können das Nötige und Überfällige erledigen. Gemeinsam!"
Es könnte also durchaus sein, dass die Große Koalition unter Leitung von Kanzlerin Merkel (CDU) den 27. September überlebt und im Amt bleibt. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles beim Alten bleibt. Der Generalangriff auf die Arbeiterklasse ist längst vorbereitet.
Dabei spielen Linkspartei und Grüne eine Schlüsselrolle.
Beide Parteien haben bereits bewiesen, dass sie die Angriffe auf Grundrechte der Bevölkerung uneingeschränkt mittragen. Die Grünen haben gemeinsam mit der SPD die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 durchgesetzt und spielten eine wichtige Rolle dabei, die Beschränkungen für die Bundeswehr aufzuheben und weltweite Kriegseinsätze zu ermöglichen. Die Linkspartei macht seit acht Jahren im Berliner Senat deutlich, wie verlogen ihre Sozialkritik ist. Überall dort, wo sie politische Verantwortung trägt, handelt sie als rechte, staatstragende Partei.
Linkspartei und Grüne werden im neuen Bundestag eine Doppelrolle spielen. Sie werden eine parlamentarische Opposition vorgaukeln, um eine außerparlamentarische Opposition zu verhindern. Gleichzeitig werden sie beide bereitstehen, um im Falle einer politischen Krise Regierungsverantwortung zu übernehmen und die bürgerliche Ordnung zu verteidigen.
Die kommende Periode wird von heftigen Klassenkämpfen geprägt sein wird. Die Arbeiterklasse kann dieser Konfrontation nicht ausweichen. Darin besteht die Bedeutung der Wahlteilnahme der Partei für Soziale Gleichheit.
Ziel unserer Wahlteilnahme ist der Aufbau einer neuen Partei, die die arbeitende Bevölkerung in die Lage versetzt, unabhängig von den etablierten Parteien ins politische Geschehen einzugreifen. Wir sprechen als einzige Partei offen aus, dass der Kapitalismus gescheitert ist und die großen gesellschaftlichen Problem nur durch eine sozialistische Umwälzung gelöst werden können.
Die Wahl findet im Schatten großer historischer Ereignisse statt. Vor 70 Jahren begann der Zweite Weltkrieg, dessen verheerenden Auswirkungen bis heute nachwirken. Wie damals steht die Arbeiterklasse heute vor einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die nur zwei Möglichkeiten zulässt: Entweder sie erobert die politische Macht und bildet eine Arbeiterregierung, die die Diktatur Banken durchbricht und die Wirtschaft demokratisiert, oder die herrschende Klasse ergreift diktatorische Maßnahmen und setzt wie 1933 Diktatur, Massenarmut und Krieg durch.
Der Aufbau einer neuen Partei muss sich auf die Lehren und Prinzipien der vergangenen Klassenkämpfe stützen. Während Nationalismus und Chauvinismus wieder systematisch geschürt werden, kämpft die PSG als deutsche Sektion der Vierten Internationale für die Vereinigung der Arbeiterklasse in Europa und weltweit auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.
Der Aufbau der PSG gewinnt unter diesen Bedingungen große Bedeutung und Dringlichkeit. Wir rufen alle Leser der WSWS auf, die PSG zu wählen und ihren Aufbau aktiv zu unterstützen.