Die Stichwahl in Afghanistan: Eine Farce

Die Krise, die durch den Betrug bei den afghanischen Präsidentenwahlen ausgelöst wurde, erreichte letzte Woche ihren vorläufigen Höhepunkt. Amtsinhaber Hamid Karsai erklärte sich bereit, zur Stichwahl gegen seinen stärksten Herausforderer, den ehemaligen Außenminister Abdullah Abdullah, anzutreten. Die Wahlkrise unterstreicht den kolonialen Charakter der US-Besatzung, die das Kabuler Regime als Marionette benutzt.

Der gesamte Wahlprozess verbreitet einen zynischen Gestank. Ein von den Vereinten Nationen eingesetzter Ausschuss hat bestätigt, dass über 1,2 Millionen Stimmzettel gefälscht waren - einschließlich einem Drittel aller für Karsai abgegebenen Stimmen. Sein derzeit stärkster Herausforderer, Abdullah Abdullah, ist nicht weniger käuflich. An die 200.000 seiner Stimmen waren ebenfalls gefälscht. In den Hochburgen seiner Anhängerschaft war das mehrfache Abgeben von Stimmzetteln genauso weit verbreitet wie unter den Anhängern Karsais.

Jetzt wird der amtierende Präsident vom Westen als wahrer Staatsmann gefeiert, weil er der Stichwahl vom 7. November zugestimmt hat, die der Präsidentschaftswahl zur Legitimation verhelfen soll.

"Präsident Karsais konstruktives Handeln ist ein wichtiger Präzedenzfall für Afghanistans neue Demokratie", erklärte Präsident Barack Obama. "Die afghanische Verfassung und seine Gesetze werden durch Karsais Entscheidung gestärkt, was ganz im Sinne der Interessen der afghanischen Bevölkerung ist."

Der einzige "Präzedenzfall", der durch Karsais Zustimmung zur Stichwahl geschaffen wurde, besteht darin, dass Washington der Marionettenregierung in Kabul seine Entscheidungen diktieren kann, sofern es genügend Druck ausübt.

Das Ausmaß der Überzeugungsarbeit, die zu diesem Schritt erforderlich war, ist bemerkenswert: Drei Tage Bearbeitung durch Senator John Kerry, den Vorsitzenden des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen; ein 40-Minuten währendes Telefongespräch von Außenministerin Hillary Clinton; und ähnlich gelagerte Interventionen durch Obamas Sondergesandten für Pakistan und Afghanistan Richard Holbrooke, durch den britischen Premierminister Gordon Brown, den UN Generalsekretär Ban Ki-moon und den Nato General-Sekretär Anders Fogh Rasmussen.

Karsai hat solange standgehalten, weil er wusste, wie seine Verbeugung vor den USA bei der afghanischen Bevölkerung ankommen würde. Sie stärkt die Auffassung, dass er eine Marionette Washingtons sei, und lässt vermuten, dass er bei seinen amerikanischen Lehnsherren in Ungnade gefallen ist und seine Tage gezählt sind.

Oberflächlich betrachtet erscheint die ausgeprägte Sorge Washingtons um eine Legitimation der afghanischen Wahl sonderbar und unverhältnismäßig. Immerhin haben die Vereinigten Staaten eine lange Tradition darin, vom Volk gewählte Regierungen, die ihnen nicht genehm sind, zu stürzen und Wahlen durch schmutzige Tricks der CIA oder Bestechung zugunsten genehmer Kandidaten zu manipulieren.

Als George W. Bush vom Obersten Gericht der USA per Dekret zum Präsidenten gemacht wurde, obwohl er weniger Stimmen als sein Gegner erhalten hatte und umfangreiche Belege für die Manipulation der Wahlen in Florida vorlagen, gab es keine solche Kritik an der fehlenden Legitimation. Im Gegenteil, die Demokraten kamen überein, "zum Wohle der Nation" auf jedwede Anfechtung zu verzichten.

Im Falle der afghanischen Präsidentschaftswahl fehlten dem amtierenden Karsai, selbst bei Abzug von über eine Million Stimmzetteln, nur 0,3 Prozent zur absoluten Mehrheit. Um diesen statistischen Fehler auszugleichen, schlägt Washington eine Wahlwiederholung vor, die Millionen Dollar, wahrscheinlich eine große Anzahl verletzte oder getötete amerikanische Soldaten und einen noch größeren Verlust an Menschenleben unter afghanischen Zivilisten kosten wird.

Die Monate Juli und August, in denen amerikanischen und andere NATO-Truppen zur Vorbereitung der ersten Wahlrunde in Stellung gebracht wurden, waren die blutigsten in dem achtjährigen Krieg. Im Juli wurden 76 westliche Soldaten getötet und im August 77. Und im gleichen Zeitraum gab es mindestens 500 verletzte US-Soldaten, manche von ihnen schwer.

Diesen Soldaten und Marinesoldaten war erzählt worden, sie kämpften für Demokratie und Freiheit sowie für den Schutz der amerikanischen Bevölkerung vor einem weiteren 11. September. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen haben aber unwiderruflich klar gemacht, dass sie in Wahrheit Opfer des gescheiterten Versuchs wurden, eine amerikanische Marionettenregierung zu legitimieren, die von den meisten Afghanen wegen ihrer Käuflichkeit, ihrer Inkompetenz und ihres Machtmissbrauchs verachtet wird.

Es spricht alles dafür, dass die Wahlwiederholung sogar einen noch schwächeren Legitimationsprozess abgeben wird als die im letzten August abgehaltene Wahl. Bis zum angesetzten Termin für die zweite Runde sind es gerade zwei Wochen. Das ist noch nicht einmal genug Zeit, um eine Wahl für eine lokale US-Schulbehörde zu organisieren, aber ganz bestimmt zu wenig, um den Präsidenten eines Landes von der Größe von Texas zu wählen, in dem die überwiegend ländliche Bevölkerung weit verstreut über unwegsames Gelände lebt, in das die Stimmzettel teilweise mit Hilfe von Eseln gebracht werden müssen.

Dazu kommt, dass winterliche Verhältnisse weite Gebiete unpassierbar zu machen drohen. Der Widerstand gegen die US Besatzung schließt in einigen Gebieten das Öffnen der Wahllokale aus. In anderen droht der Widerstand mit gewaltsamen Übergriffen auf Wahlteilnehmer. Im Ergebnis wird die Wahl zu einer noch größeren Farce geraten, als die manipulierte Wahl vor zwei Monaten, und die Wahlbeteiligung wird unter den 30 Prozent vom August liegen.

Es ist allerdings fraglich, ob es wirklich zu einer Stichwahl kommt, da es kostengünstigere Methoden gibt um Washingtons Ziele zu erreichen.

Eine Möglichkeit, auf die in außenpolitischen Kreisen immer häufiger angespielt wird, ist die Diem-Option. Ngo Dinh Diem war der süd-vietnamesische Präsident, der von Washington als Vorkämpfer der Demokratie gefördert wurde, bis ihn seine Korruption zu einer spürbaren Belastung werden ließ und er 1963 in einem von der CIA organisierten Anschlag ermordet wurde.

Schon offener wird eine Aufteilung der Macht zwischen Karsai und Abdullah diskutiert, die eine anteilige Verteilung der Kabinetts- und Botschafterposten zwischen den Fraktionen beinhalten und die Durchsetzung einer noch strafferen Kontrolle der Marionettenregierung durch das Verteidigungsministerium und das Außenministerium der Vereinigten Staaten sichern würde.

Die Anstrengungen um eine Legitimierung der afghanischen Regierung - die gleichzeitig immer direkter der Kontrolle Washingtons unterstellt wird - finden im Rahmen von Vorbereitungen für eine Ausweitung des US-Krieges statt. Es wird erwartet, dass das Weiße Haus unter Obama demnächst die Entscheidung bekannt gibt, mehrere Zehntausend zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Dies gehört zu der Strategie der Aufstandsbekämpfung, die General Stanley McChrystal vorgeschlagen hat.

Diese Strategie soll nicht nur den Widerstand ausmerzen, sondern auch die afghanische Bevölkerung für die Unterstützung der US-gestützten Regierung gewinnen. In seiner Beurteilung des Afghanistankriegs, die er zusammen mit dem Antrag auf 80.000 zusätzliche Soldaten verfasste, setzt McChrystal recht niedrige Maßstäbe an die Qualität des Regimes an.

"Erfolg erfordert eine stärkere afghanische Regierung, die von der afghanischen Bevölkerung als ihre Interessenvertretung wahrgenommen wird", schrieb er. "Erfolg erfordert keine Vollkommenheit - eine Verbesserung der Regierungsführung wäre ausreichend, die die schlimmsten Auswüchse des heutigen Machtmissbrauchs, der Korruption und des bürokratischen Unvermögens anpackt."

Auch nach acht Besatzungsjahren hat Washington es nicht geschafft, diese begrenzten Ziele zu erreichen. Weder eine Stichwahl noch eine Aufteilung der Macht zwischen Karsai und Abdullah würde daran etwas ändern.

Das Regime in Kabul wird von der Bevölkerung nicht nur wegen ihrer allgegenwärtigen Korruption, Brutalität und Inkompetenz nicht "als ihre Interessenvertretung wahrgenommen". Es ist vielmehr ein Regime, das ihr durch eine ausländische Besatzungsmacht aufgezwungen wurde. Es wurde nicht gebildet, um die Interessen der Afghanen zu vertreten, sondern die des US-Imperialismus, der das strategische Ziel verfolgt, seine Vorherrschaft über Zentralasien und die reichlichen Energievorkommen in dieser Region durchzusetzen.

Um diese Interessen zu verfolgen, trifft die Obama Regierung Vorkehrungen dafür, das Morden in Afghanistan auszuweiten.

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