Präsident und Außenminister der Europäischen Union auserkoren

Nach Beratungen bei einem eigens angesetzten "Arbeitsessen" am Donnerstag gaben die 27 Staatschefs der Europäischen Union einmütig die Namen derjenigen bekannt, die sie für die neu geschaffenen Positionen des EU-Präsidenten und des Außenministers der EU ausgesucht hatten.

Nachdem monatelang spekuliert worden war, wer diese im Zuge des europäischen Lissabon-Vertrages geschaffenen Positionen übernehmen werde, wählten die europäischen Staatshäupter zwei in Europa selbst und weltweit kaum bekannte Personen aus.

Als erster Präsident des Europäischen Rates wurde der belgische Premierminister Herman Van Rompuy ausgesucht. Zur Chefin der europäischen Außenpolitik wurde Baronin Catherine Ashton, Großbritanniens Europa-Kommissarin ernannt.

Diese Ernennungen sind in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Der 62 Jahre alte Van Rompuy ist Wirtschaftswissenschaftler und hatte, bevor er von 1988 bis 1993 die Führung der flämischen Christdemokratischen Partei innehatte, in den frühen 1970er Jahren bei der belgischen Zentralbank gearbeitet. Premierminister Belgiens war er nur 11 Monate lang.

EU-Bürokraten schätzen Van Rompuys Fremdsprachenkenntnisse - neben einigen europäischen Sprachen beherrscht er auch Japanisch -, außenpolitische Erfahrungen hat er dagegen praktisch keine. Wie eine Zeitung berichtete, bestand sein wichtigster Ausflug in die Außenpolitik in einer Auseinandersetzung mit holländischen Behörden wegen der Regulierung des Flussbettes der Schelde.

Catherine Ashton ist eine britische Politikerin, die sich noch nie in einer Wahl bewähren musste und in ihrem eigenen Land so gut wie unbekannt ist. Noch nie hatte sie eine bedeutende Regierungsposition inne. Bevor sie als Baroness Ashton of Upholland 1999 ins britische Oberhaus einzog, leitete sie ein lokales Gesundheitsamt in Großbritannien.

Im Oktober letzten Jahres übernahm sie von Peter Mandelson den Posten des Europäischen Kommissars Großbritanniens. Mandelson war nach Großbritannien zurück beordert worden, um der immer kraftloser werdenden Labour Partei wieder Leben einzuhauchen. In ihrer Position als EU-Kommissarin leitete Ashton einen großen bürokratischen Apparat und konnte enge Beziehungen zu europäischen Wirtschafts- und Lobbyistenkreisen knüpfen. Während Van Rompuy über wenig Auslandserfahrung verfügt, kann man mit Fug und Recht sagen, dass die neue Außenministerin der EU überhaupt keine hat.

Ashton selbst war von ihrer Nominierung zur Chefin des Außenamtes überrascht und erklärte noch am Donnerstagmorgen, sie wüsste über ihre bevorstehende Wahl nicht Bescheid. Wie Ashton sagte, sei sie "leicht überrascht" gewesen, dass die Wahl auf sie gefallen sei und habe nicht einmal genug Zeit für die Vorbereitung einer passenden Rede gehabt.

Van Rompuy hatte erst wenige Tage vor seiner Ernennung erklärt, dass er für das Amt zur Verfügung stehe.

Das Auswahlverfahren für die Spitzenpositionen in der EU verlief in absolut undemokratischer Manier. Insoweit entsprach es ganz den Traditionen der Europäischen Union und des Lissabon-Vertrags.

Es sei in Erinnerung gerufen, dass die europäischen Staatschefs den Lissabon-Vertrag durch die Hintertür als Ersatz für die europäische Verfassung einführten, da diese in Volksabstimmungen in Frankreich und Holland zu Fall gebracht worden war.

Die Verfassung wurde etwas aufpoliert und dann Lissabon-Vertrag genannt. In ihm blieben alle marktliberalen Eckpfeiler seines Vorgängers erhalten; den europäischen Bürgern wurde er mit dem Argument aufgezwungen, er sei ein Schritt in Richtung einer stärkeren Demokratisierung der EU und ihrer Brüsseler Bürokratie. Tatsächlich bestätigte die Wahl vom Donnerstag erneut, welche Verachtung die europäischen Staatschefs für die europäische Wählerschaft hegen. In einem byzantinisch anmutenden Verfahren, das sich jedweder äußerer Beeinflussung entzog, stritten die 27 europäischen Staatschefs hinter verschlossenen Türen um die Verteilung der Posten.

Ein osteuropäischer Diplomat beschrieb dem britischen Daily Telegraph, wie es dabei zuging: "Der Versuch, herauszufinden, wer Präsident des Europäischen Rates sein soll, ist nicht unähnlich dem Versuch, herauszufinden, wer im Kreml der 1970er Jahre ‚in’ oder ‚out’ war. Vielen von uns erscheint es befremdlich, dass wir zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer hier in Brüssel diese kremlologischen Fertigkeiten wieder einsetzen müssen.

Eine Reihe politischer Kommentatoren kritisierte zwar, die EU habe mit diesen Ernennungen "eine Gelegenheit verpasst, ihre globale Stellung zu festigen" (Der Spiegel). Die Wahl von zwei derart farblosen Bürokraten für die Führungspositionen der EU hatte jedoch mit definitiven politischen Kalkulationen zu tun.

Anfangs gehörte der frühere britische Premierminister Tony Blair noch zum Kreis der Kandidaten für die Position des EU-Präsidenten; er war 2006 vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zur Kandidatur ermutigt worden. Jedoch wird Blair in ganz Europa und besonders in Deutschland als ein Politiker an der Leine der USA angesehen. Seit seinem Rücktritt als britischer Premier hat er sich auf den Ausbau seiner eigenen, von amerikanischen politischen und wirtschaftlichen Kräften nachhaltig unterstützten Blair-Stiftung konzentriert. Blair wird auch in seiner Funktion als Nahostgesandter als Interessenvertreter Amerikas wahrgenommen.

In ersten Reaktionen auf die Finanzkrise letztes Jahr schlugen sowohl Sarkozy als auch die deutsche Regierung gegenüber den USA einen aggressiven Ton an und erklärten, die Krise sei ein "Produkt aus Amerika". Bei verschiedenen Treffen in jüngster Zeit konnte Kanzlerin Angela Merkel Sarkozy überreden, seine Unterstützung für Blair aufzugeben.

Andere britische Kandidaten für die Leitung der europäischen Außenpolitik, wie Peter Mandelson oder Außenminister David Miliband schieden aus dem Rennen aus und erklärten, sich auf nationale Politikfelder konzentrieren zu wollen. Miliband bereitet eine Kampagne für seine Wahl zum Vorsitzenden der Labour Partei nach den Parlamentswahlen 2010 vor, die für den derzeitigen Labour-Vorsitzenden Gordon Brown voraussichtlich in einem Desaster enden werden.

Deutschland hatte sich gegen die Aufstellung eigener Kandidaten für die europäischen Ämter entschieden, um seinen traditionellen Anspruch auf die Spitzenposition in der Europäischen Zentralbank abzusichern. Gleichzeitig sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien zurzeit damit befasst, Kandidaten ins Rennen um derzeit vakante, einflussreiche Ämter in der mächtigen EU-Exekutive, der Europäischen Kommission, zu schicken.

Die Wahl Van Rompuys ist zu Allererst das Resultat einer engeren Kooperatiom zwischen den Regierungen Frankreichs und Deutschlands. Van Rompuy wird jetzt den vierteljährlichen Treffen der Regierungschef im Europäischen Rat vorsitzen. Von ihm wird jedoch erwartet, dass er gegenüber Manuel Barroso eine zweitrangige Rolle spielt. Barroso wurde kürzlich für eine zweite Amtszeit als Präsident der Europäischen Kommission nominiert.

Alle wichtigen Gesichtspunkte für die Auswahl des neuen EU-Präsidenten und des Chefs der Außenpolitik haben mit nationalen Interessen und Egoismen zu tun. In einem Kommentar der britischen Financial Times wurde das Vorgehen unter der Überschrift "Das Primat des Nationalstaates triumphiert" wie folgt zusammen gefasst: "Als der Lissabon-Vertrag (ursprünglich die EU-Verfassung) 2001 von der belgischen Präsidentschaft zum ersten Mal erörtert wurde, wurde er als ein letzter großer Vorstoß der europäischen Föderalisten zur Stärkung der Macht Brüssels angesehen, einschließlich der Übertragung nationaler Entscheidungen über Steuern und außenpolitische Fragen."

Beim Essen am Donnerstag in Brüssel, fährt die Financial Times fort "kam der Rückstoß... Die europäischen Führer setzten das Primat des Nationalstaats durch: der neue Präsident und die neue Außenamtschefin sollen dabei die Funktion von Knechten und nicht Herren der nationalen Hauptstädte einnehmen."

Im Kern reagierten alle europäischen Mitgliedsstaaten auf die Finanzkrise im letzten Jahr protektionistisch und nationalistisch. Die Ernennung politischer Leichtgewichte für die Spitzenfunktionen der Europäischen Union soll günstige Bedingungen für europäische Staaten, allen voran Frankreich, Deutschland und Großbritannien, schaffen, ihre jeweils eigene nationalistische Agenda intensiver verfolgen zu können.

Siehe auch:
Folge der Finanzkrise: Nationalismus und Protektionismus wieder auf dem Vormarsch
(15. August 2009)
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