Krebs und Klassengesellschaft

Die Empfehlung eines staatlichen Gremiums der USA vom Montag, dass Frauen unter fünfzig kein regelmäßiges Mammographie-Screening mehr machen sollten, ist eine Warnung, in welche Richtung sich die Gesundheitsversorgung der Obama-Regierung entwickelt. Die Ankündigung der United States Preventive Service Task Force (USPSTF) wird zu Tausenden Todesfällen durch Brustkrebs führen, die vermeidbar wären. Die Empfehlungen des Gremiums werden im ganzen Gesundheitssystem als Modell für die Rationierung von Leistungen dienen und weitere Angriffe auf breite Bevölkerungsschichten nach sich ziehen.

Staatliche Statistiken zeigen, dass von heute 40-jährigen Frauen 1,44 Prozent in den nächsten zehn Jahren Brustkrebs bekommen werden. Die USPSTF anerkennt, dass die Mammographie die Todesrate bei Frauen zwischen vierzig und fünfzig um 15 Prozent gesenkt hat. Das Gremium stellt auch fest, dass Todesfälle aufgrund von Brustkrebs bei Frauen allgemein pro Jahr um 2,3 Prozent zurückgegangen sind, bei Frauen zwischen vierzig und fünfzig beträgt die Rate 3,3 Prozent. Verantwortlich für diesen Rückgang sei eine Kombination aus Mammographie und verbesserten Behandlungsmethoden. Seit der Einführung des Mammographie-Screenings sind die Todesfälle wegen Brustkrebs um dreißig Prozent zurückgegangen.

Trotzdem kommt die Task Force der Regierung zum Schluss, dass diese Zahlen kein ausreichender Grund für Brustkrebs-Screening in dieser Altersgruppe seien. Sie behauptet, die negativen Nebeneffekte der Mammographie überwögen ihre Vorteile.

Weiter empfiehlt das Gremium, das Screening bei Frauen von fünfzig bis 74 Jahren statt jährlich nur noch alle zwei Jahre durchzuführen.

Trotz des wissenschaftlich klingenden Jargons über "Kosten-Nutzen-Analyse" ist die wirkliche Triebkraft hinter diesem erstaunlichen und menschenfeindlichen Vorschlag der Wunsch, die Kosten für die Regierung und die Versicherungskonzerne zu senken.

Die USPSTF leugnet, dass solche Überlegungen bei ihren Empfehlungen eine Rolle gespielt hätten. Diese Empfehlungen bedeuten eine Kehrtwendung gegenüber ihrer eigenen, seit sieben Jahren vertretenen Politik. Sie werden auf der Grundlage der gleichen Datenbasis gemacht, nur von anderem Personal. Diese Empfehlungen sind seit Jahren unbestrittener medizinischer Standard. In 49 der 50 Bundesstaaten müssen die Versicherungsgesellschaften die jährlichen Mammographien für Frauen über vierzig mit ihren Policen abdecken.

Doch nicht eine der schädlichen Nebenwirkungen, die das Gremium als Begründung dafür nennt, dass es Millionen Frauen das jährliche Screening vorenthalten will, ist tatsächlich lebensbedrohend. Diese Nebenwirkungen können mit den vernichtenden Folgen eines Krebses, der nicht im Frühstadium entdeckt wird, in keiner Weise verglichen werden. Davon sind nicht nur jene betroffen, die an der Krankheit sterben, sondern auch die Überlebenden, die gezwungen sind, lange und schmerzhafte Behandlungen über sich ergehen zu lassen.

Das Gremium gibt zu, dass die Strahlungsbelastung durch Mammographie nur ein "geringfügiges Problem" ist. Die angeblich negative Wirkung von Furcht, falschen positiven Diagnosen und unnötigen Gewebeprobenentnahmen verblassen vor dem Trauma einer Brustamputation und den vielen anderen physischen und psychischen Qualen, die mit einer Krebsbehandlung im späteren Stadium einher geht.

Die US Preventive Service Task Force wird vom Gesundheitsministerium (HHS) finanziert. Sie erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für Behandlungsmethoden für Ärzte, Versicherungen und politische Entscheidungsträger.

Die Versicherungen werden sich auf die neuen Richtlinien stürzen und ein Screening verweigern, das sich doch als entscheidend für die Rettung von Leben erwiesen hat. CNN zitierte am Mittwoch einen Sprecher der wichtigsten Lobby der Versicherungswirtschaft mit den Worten: "Die meisten unserer Mitgliedsfirmen nehmen die Empfehlungen der Task Force als medizinischen Standard."

Gouverneure und Abgeordnete, die von der Versicherungswirtschaft gut mit Wahlkampfgeldern geschmiert sind, werden die Gesetze für die Versicherungspolicen zuverlässig anpassen.

Bisher bezahlen Medicare und Medicaid routinemäßiges Brust-Screening. Eine Änderung der Erstattungspolitik dieser von der Bundesregierung finanzierten Versicherungen würde überproportional weniger begüterte und ältere Frauen treffen, von denen viele nicht in der Lage wären, die Kosten einer jährlichen Mammographie, die sich auf bis zu 500 Dollar belaufen, aus eigener Tasche zu bezahlen.

Die Obama-Regierung distanzierte sich anfänglich von den Empfehlungen der USPSTF. Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius sagte, das Gremium "entscheidet nicht über die Politik der Bundesregierung, und es entscheidet nicht darüber, welche Leistungen von der Bundesregierung finanziert werden". Als Sebelius aber am Mittwoch auf CNN gefragt wurde, ob sie die Empfehlungen der Task Force ablehne, wich sie der Frage aus.

Im Blog des Weißen Hauses versuchte der stellvertretende Pressesprecher, Dan Pfeiffer, jenen zu widersprechen, die eine Verbindung zwischen den Empfehlungen des Gremiums und den Mechanismen zur Kostensenkung in Obamas Gesundheitsreform herstellen.

Aber diese Verbindung ist offensichtlich. Ein Artikel von Noam M. Levey am Mittwoch in der Chicago Tribune weist darauf hin, dass Obama und die Demokraten im Kongress "auf unabhängige Kommissionen setzen, die Empfehlungen für Behandlungsstandards geben sollen". Er weist darauf hin, dass "diese Institutionen der US Preventive Services Task Force sehr ähneln werden".

Auch die Washington Post redet nicht groß um den heißen Brei herum, sondern geht offensichtlich von einem Zusammenhang zwischen den Empfehlungen der Kommission und Obamas neusten Gesundheitsplänen aus. Sie erklärte am Mittwoch in einem Leitartikel: "Die Kehrtwende [der USPSTF] bei ihren sieben Jahre alten Richtlinien und der Sturm der Entrüstung, der sich dagegen erhoben hat, zeigen, warum die Senkung von Gesundheitskosten eine so große Herausforderung ist, selbst wenn sie in den Rahmen eines wohl durchdachten Reformgesetzes eingebettet ist."

Die neuen Empfehlungen sind überhaupt nicht von der aktuellen Diskussion im politischen Establishment über die Gesundheitsreform zu trennen. Diese Debatte dreht sich nicht um das Wohlergehen der Bevölkerung, sondern um die Notwendigkeit, die Kosten der Gesundheitsversorgung für die Konzerne und die Regierung zu senken.

Das soll durch eine Rationierung der Gesundheitsleistungen nach Klassenzugehörigkeit erreicht werden. Die Reichen werden weiterhin Zugang zu besten Untersuchungen, Behandlungen und Medikamenten haben; die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung wird auf eine billige Grundversorgung verwiesen werden. Alle möglichen Behandlungen, die gegenwärtig bezahlt werden, wie z.B. Mammographien, werden aus der eigenen Tasche bezahlt werden müssen, oder es muss ohne gehen.

Die gleichen reaktionären Prämissen, die den Empfehlungen der USPSTF zur Mammographie zugrunde liegen, bestimmen den Kostensenkungsplan der Obama-Regierung. Es wird behauptet, für die Gesundheitsversorgung gebe es nur "endliche, beschränkte Mittel". Und das in einem Land, in dem die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung siebzig Prozent des nationalen Reichtums für sich beanspruchen, wo die Vorstandschefs der Wall Street regelmäßig achtstellige Vergütungen einstreichen und die Regierung Billionen für die Rettung von Banken und für Kolonialkriege ausgibt.

Wer legt diese Prioritäten fest? Sie werden von den Klasseninteressen der Wirtschafts- und Finanzelite bestimmt, die beide Parteien kontrolliert und alle Zweige der Regierung im Griff hat.

Für diese Klasse ist eine steigende Lebenserwartung der arbeitenden Bevölkerung nicht etwas Positives, sondern ein Problem. Arbeiter leben inzwischen zu lange über die Zeit hinaus, in der ihre Arbeitskraft ausgebeutet werden kann. Die Kosten, sie am Leben und bei Gesundheit zu halten, erhöhen sich mit dem Alter. Sollen sie doch lieber früher sterben. So wie der amerikanische Kapitalismus daran arbeitet, die Lohnlücke zwischen amerikanischen und asiatischen Arbeitern zu schließen, arbeitet er daran, die Lücke in der Lebenserwartung zu schließen. Und zwar nicht in Richtung des amerikanischen Standards, sondern in Richtung des asiatischen Standards.

Dr. Ezekiel Emanuel, ein enger gesundheitspolitischer Berater der Obama-Regierung und Bruder von Obamas Stabschef Rahm Emanuel, argumentiert, dass vor allem für die Alten, die ganz Jungen und die Behinderten die Mittel für die Gesundheitsversorgung rationiert werden müssten, um die Versorgung der "aktiven" und produktiven Schichten der Gesellschaft sicherzustellen. In einem Artikel in der November/Dezember Ausgabe von 1996 des Hastings Center Report schrieb er: "Ein offensichtliches Beispiel ist, Patienten mit Demenz keine Gesundheitsleistungen zu garantieren."

Die Rationierung von Untersuchungen und Behandlungen wird sich auch nicht auf Brustkrebs beschränken. Nach der gleichen Logik könnte Herzpatienten die fortschrittlichste Untersuchung und Behandlung verweigert werden, wenn sie nicht reich genug sind, dafür bezahlen zu können. Und warum Geld für die regelmäßige Untersuchung auf Prostata-Krebs bei Männern verschwenden? Warum gutes Geld für teure Medikamente gegen Asthma verschleudern? Die Liste könnte man endlos fortsetzen.

Die neuen Empfehlungen zur Mammographie schockieren Millionen Menschen. Aber es sind nur die ersten Beispiele für die Angriffe auf die sozialen Bedingungen, die bereits vorbereitet werden. Unnötiges Leid und Tod durch Brustkrebs ist nur ein Beispiel dafür, welche menschlichen Kosten dadurch verursacht werden, dass die amerikanische herrschende Elite ihre Krise auf dem Rücken der Arbeiterklasse löst. Die ständigen Phrasen von der Notwendigkeit, den "Konsum zu dämpfen" und "nicht über seine Möglichkeiten zu leben" dienen dem Ziel, die Lebensbedingungen der amerikanischen Arbeiter auf das Niveau von vor einem Jahrhundert zurückzuschrauben.

Das wird nicht nur schockieren, sondern auch Zorn und Widerstand wecken. Der Versuch, die Arbeiterklasse für den Bankrott des amerikanischen Kapitalismus zahlen zu lassen, wird eine neue Periode von Klassenkämpfen eröffnen. Die politisch radikalisierte Bevölkerung wird nach Alternativen zu dem System suchen, das ausschließlich auf die Bereicherung der Finanzaristokratie ausgerichtet ist.

Siehe auch:
Demokraten fordern weitere Kürzungen bei Medicare zur Finanzierung von Obamas Gesundheitsreform
(16. September 2009)
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