20 Jahre Mauerfall

Die CDU feiert Kohl, Bush und Gorbatschow

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) veranstaltete am 31. Oktober im Berliner Friedrichstadtpalast eine Gedenkveranstaltung zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls. Vor 1.800 Zuhörern, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und zahlreiche Politprominenz, würdigte sie die drei politischen Hauptakteure der deutschen Wiedervereinigung: Generalsekretär Michail Gorbatschow, US-Präsident George Bush und Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Gedenkrede hielt der amtierende Bundespräsident Horst Köhler.

Die Feier der CDU-nahen Stiftung ist bezeichnend für eine Vielzahl von Veranstaltungen und Publikationen, die gegenwärtig den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls begleiten. Sie glorifizieren die "mutigen Frauen und Männer" der "friedlichen Revolution" und verherrlichen das Ende der DDR als "Sieg der Freiheit", wie es Bernhard Vogel, der Vorsitzende der KAS, in seiner Einleitung ausdrückte. Es fehlt jede kritische oder auch nur nachdenkliche Bilanz.

Die verheerenden sozialen Folgen der Einführung der Marktwirtschaft werden ebenso ausgeblendet wie die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Ostdeutschland und Osteuropa besonders hart getroffen haben. Auch die Kriege, die seit Jahren im Irak, Afghanistan und anderen Weltregionen wüten, werden ausgeklammert. Zu sehr widersprechen sie der Propaganda, dass sich 1989 eine "neue, bessere Weltordnung mit Freiheit und Fortschritt für alle" erfüllt habe, wie Bundespräsident Horst Köhler behauptete.

Dem Auftritt des 85-jährigen Bush, des 79-jährigen Kohl und des 78-jährigen Gorbatschow im Friedrichstadtpalast haftete etwas Peinliches an. Er stand in krassem Gegensatz zum Pomp und Pathos, mit der die Veranstaltung angekündigt worden war.

Dass das Alter seinen Tribut gefordert hat, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Vor allem Helmut Kohl, der sich seit einem Unfall vor eineinhalb Jahren kaum mehr in der Öffentlichkeit sehen lässt, ist von Krankheit schwer gezeichnet. Er erschien im Rollstuhl und hatte sichtlich Mühe, seine Worte zu artikulieren. Aber auch inhaltlich hatten die Drei zu den Ereignissen, an denen sie einst maßgeblich beteiligt waren, nichts zu sagen.

Bush beschränkte sich auf einige wenige, oft gehörte Allgemeinplätze. Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands hätten den Kalten Krieg und das Erbe der beiden Weltkriege beendet, sagte er und äußerte die Hoffnung, "dass die USA, Deutschland und Russland weiterhin Wege finden, an einer friedlichen und gerechten Welt zu arbeiten".

Gorbatschow machte einen wirren, zusammenhangslosen Beitrag, in dessen Verlauf er unter anderem die Bedeutung deutscher Soldatenfriedhöfe in Russland hervorhob, die Schauspielkunst zur wichtigsten Qualität eines Präsidenten erklärte und eine Perestroika für die USA forderte.

Kohl bekundete seinen Stolz auf die deutsche Einheit und hob seine enge und gute Zusammenarbeit mit Bush und Gorbatschow in den Wendejahren hervor.

Bundespräsident Köhler begann seine Laudatio in alter Kalter-Kriegs-Manier. Er erklärte die USA zum "Leuchtfeuer der Freiheit" und den "Marxismus-Leninismus" zur Quelle allen "Unglücks". Er lobte die "Begabung der Deutschen zur Freiheit", die sich im Osten im "Volksaufstand von 1953" sowie der "millionenfachen Flucht" aus der DDR und im Westen im "Aufbau einer stabilen, geglückten Demokratie" geäußert habe.

Bush, Gorbatschow und Kohl pries er als "große Männer", die Geschichte gemacht hätten. Freiheitsliebende Völker gestalteten zwar ihre Geschichte selbst, bräuchten aber "politische Führer, um handeln zu können". "Die Völker brauchen Staatsmänner und Staatsfrauen mit einem guten Blick für die geschichtliche Lage und mit einem guten Gefühl für den rechten Augenblick zum Handeln", sagte Köhler und führte neben den drei Anwesenden auch Willy Brandt, Ronald Reagan, Margaret Thatcher, Vaclav Havel, Lech Walesa und François Mitterrand als Beispiel an.

Dann wechselte Köhler das Thema und widmete den zweiten Teil seiner Rede dem Wunsch nach einem starken und großen Europa. Er mahnte die versammelten Politiker zu mehr Unabhängigkeit gegenüber den USA. "Wir müssen die Amerikaner noch mehr von der Sorge für die Freiheit Europas entlasten", forderte er mit einem kaum verhüllten Seitenhieb auf den transatlantischen Verbündeten. Dafür brauche "die Europäische Union eine Außen- und Sicherheitspolitik, die mit Stärke und Geschlossenheit agiert und durch die die EU für alle zu einem Partner auf Augenhöhe wird". Europa müsse "in der Welt mit Nachdruck und Nachhaltigkeit eine Kraft zum Guten werden" sowie "weltweit Respekt und Einfluss genießen und eine wichtige Säule der neuen internationalen Ordnung sein".

Im Ergebnis trug die Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung nichts zum Verständnis der Ereignisse vor zwanzig Jahren bei. Es handelte sich um eine reine Propagandaaktion, die ausgelaugte antikommunistische Phrasen mit dem lang gehegten Wunsch verband, Europa möge unter deutscher Führung endlich die Rolle einer Großmacht spielen und "auf Augenhöhe" mit den USA verkehren.

Ernsthafte historische Untersuchungen ergeben ein ganz anderes Bild der damaligen Ereignisse, als es im Friedrichstadtpalast geboten wurde. Als Beispiel sei hier das Buch "Deutschland einig Vaterland" des Mainzer Geschichtsprofessors Andreas Rödder angeführt, das aus zwanzigjähriger Distanz eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Wiedervereinigung von 1989/90 gibt. Rödder steht, soweit dies seinem Buch zu entnehmen ist, politisch eher im konservativen Lager und bewundert Helmut Kohl. Trotzdem widerlegt seine gut recherchierte Darstellung die offiziellen Mythen von der "friedlichen Revolution".

Die Massenbewegung, die sich 1989 in der DDR entwickelte, wurde nicht von großen, revolutionären Freiheitsidealen beherrscht. Sie war politisch vielschichtig und konfus. Empörung und Wut über die herrschende Kaste mischten sich mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Sie begann als Fluchtbewegung in den Westen und wandte sich erst gegen das SED-Regime, als sich dieses bereits weitgehend selbst aufgegeben hatte. Ihre Wortführer sahen nicht über den nächsten Tag hinaus. Selten zuvor in der Geschichte hat es eine Bewegung gegeben, die sich ihrer Ziele derart wenig bewusst und die derart leicht zu manipulieren war, wie die Massenproteste, die 1989 das Ende der DDR einleiteten.

Von Gorbatschow zeichnet Rödder ein verheerendes Bild. Er setzte 1985 die Entwicklung in Gang, die schließlich zum Untergang der DDR, des Warschauer Pakts und der Sowjetunion führte. Rödder bescheinigt ihm "Naivität", die sich mit "Verdrängung" gepaart habe. "Allem Anschein nach ahnte Gorbatschow nichts von den Entwicklungen, die seine Politik in Bewegung setzte", schreibt er. Grundlegende Entscheidungen habe Gorbatschow "mehr oder weniger ad hoc " getroffen.

Immer wieder kommt Rödder auf Gorbatschows "Sprunghaftigkeit" zurück. Er beschreibt das Erstaunen, mit dem Washington und Bonn feststellten, dass Gorbatschow all ihren Forderungen nachkam. Rödder stellt sogar die Frage: "Hatte Gorbatschow die DDR und die deutsche Einheit an die Bundesrepublik verkauft?" Er bejaht sie zwar nicht, nennt aber den vom Bundesfinanzministerium errechneten Kaufpreis: 83,55 Milliarden DM an unterschiedlichen Hilfen und Transferzahlungen, plus 55 Milliarden DM Exportförderung. Gemessen an den jüngsten "Bankenrettungspaketen" ist das ein Schleuderpreis.

Die Bundesrepublik habe mehr erreicht, als Helmut Kohl zu hoffen gewagt habe, lautet Rödders Bilanz: "Eine Vereinigung Deutschlands zu westlichen Maximalkonditionen, einschließlich der gesamtdeutschen Mitgliedschaft in der Nato, wie sie in keinem Wiedervereinigungs-Szenario seit der deutschen Teilung erwartet worden war." Die deutsche Vereinigung sei auch ein "Triumph der amerikanischen Politik" gewesen. "Der große Verlierer des gesamten Prozesses war - gemessen an Gorbatschows Reformzielen ebenso wie an ihren Interessen als Großmacht - die Sowjetunion."

Man kann die Weltereignisse der vergangenen zwanzig Jahre nicht losgelöst von diesem Ergebnis der deutschen Vereinigung sehen: Die Entstehung eines destruktiven, mafiösen Kapitalismus in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion; die Hybris der Bourgeoisie im Westen, ohne die die Bereicherungs- und Spekulationsorgie der vergangenen Jahre nicht denkbar gewesen wäre; und schließlich die neokolonialen Kriege der USA und der Nato im Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan.

Rödder geht der Frage nicht nach, welche sozialen Interessen und Kräfte Gorbatschow unterstützt und sein Handeln bestimmt haben. Er belässt es bei der empirischen Darstellung seines Handelns. Doch diese bestätigt, dass die Auflösung der DDR und der Sowjetunion letztlich auf die Initiative der herrschenden stalinistischen Bürokratie in Moskau und Ostberlin zurückging, die eine neue Grundlage für ihre Privilegien in kapitalistischen Eigentumsverhältnissen suchte.

Diese Schlussfolgerung hatte die Vierte Internationale schon während der damaligen Ereignisse gezogen. In einer Erklärung zum Ende der DDR erklärte ihre deutsche Sektion am 21.Oktober 1990: "In der DDR ist nicht der Sozialismus, sondern dessen übelster Feind, der Stalinismus gescheitert. Der Zusammenbruch der DDR hat ein vernichtendes Urteil über den Stalinismus gefällt: 40 Jahre lang verfügte die SED über eine praktisch uneingeschränkte Macht. Doch sie hat damit nicht den Sozialismus aufgebaut, sondern ihre Privilegien verteidigt und die Arbeiterklasse unterdrückt und bevormundet. Als sie den Widerstand gegen ihre Herrschaft nicht länger knebeln konnte, händigte sie alles, was zwei Generationen von Arbeitern unter unzähligen Opfern aufgebaut hatten, an die kapitalistischen Konzerne und Banken aus."

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