20 Jahre seit dem Mauerfall

Der Bund Sozialistischer Arbeiter und das Ende der DDR

2. Teil

Am 4. November 1989, fünf Tage vor dem Fall der Mauer, fand in Ost-Berlin die größte Demonstration in der Geschichte der DDR statt. Der Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA), die Vorgängerin der Partei für Soziale Gleichheit, verbreitete auf der Demonstration einen Aufruf, den wir hier in drei Teilen wiedergeben. Dies ist der zweite Teil.

Die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus

Die Arbeiterklasse in der DDR wie in der Sowjetunion und ganz Osteuropa ist nicht mit dem Versagen des Marxismus oder Scheitern des Sozialismus konfrontiert, sondern mit dem geschichtlichen Bankrott des Stalinismus! Dieser hat seinen Ursprung im Aufstieg der Bürokratie, einer arbeiterfeindlichen, parasitären Schicht im Staats- und dann auch Parteiapparat des ersten Arbeiterstaates während der zwanziger und dreißiger Jahre. Infolge der Niederlagen der Weltrevolution und der daraus folgenden Isolation und Schwächung des sowjetischen Proletariats konnte diese Schicht unter Stalin als ihrem politischen Sprachrohr und Interessenvertreter ihr Schmarotzerdasein in der Sowjetunion ausbauen, die Partei Lenins zerstören, die Arbeiterklasse politisch entrechten und knebeln.

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Mehr und mehr war die eigene Politik der stalinistischen Bürokratie auf internationaler Ebene von ihrem Interesse daran bestimmt, diese Bedingungen aufrechtzuerhalten, d.h. weitere Siege der internationalen Arbeiterklasse, eine Ausdehnung der sozialistischen Revolution auf andere Länder zu verhindern. Das Programm der sozialistischen Weltrevolution wurde unterdrückt und durch das reaktionäre, nationalistische Programm vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land" ersetzt. Die revolutionären Marxisten der Linken Opposition um Leo Trotzki wurden verfolgt und ermordet, sämtliche Führer der Oktoberrevolution im Laufe der Moskauer Prozesse hingerichtet.

Die Kommunistische Internationale (Komintern) wurde von einem Instrument der Arbeiterklasse für die Eroberung der Arbeitermacht in ein willfähriges Werkzeug der Kremlbürokratie und deren außenpolitischen Interessen verwandelt. Ihre Führer wurden durch ergebene Lakaien und Henker Stalins ersetzt, Mitglieder, die den revolutionären Traditionen des Marxismus ergeben waren oder auch nur in der geringsten Opposition zur Politik Stalins standen, wurden ausgeschlossen, an die Nazis ausgeliefert, im spanischen Bürgerkrieg von der Geheimpolizei Stalins liquidiert oder, sofern sie vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen waren, dort umgebracht oder in die sibirischen Lager verfrachtet.

Nur die von Leo Trotzki geführte Internationale Linke Opposition und die von ihr 1938 gegründete Vierte Internationale haben seitdem das Programm der sozialistischen Weltrevolution in der internationalen Arbeiterbewegung verteidigt.

Die stalinistische Bürokratie hingegen war zur wichtigsten konterrevolutionären Stütze des Imperialismus innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung geworden. Dies bewiesen der historische Verrat der KPD- und Kominternführung von 1933, der die kampflose Machtübernahme der Faschisten in Deutschland ermöglicht hatte, und die anschließend von Stalin eingeschlagene Volksfrontpolitik zur Verteidigung der kapitalistischen "Demokratie", des bürgerlichen Staates, gegen die Arbeiterklasse wie im spanischen Bürgerkrieg und in Frankreich.

Ursprung und Klassencharakter des DDR-Staats

Die DDR-Bürokratie steht direkt in dieser konterrevolutionären Tradition der Kremlbürokratie, als deren Werkzeug sie eingesetzt worden ist. Sie ist das Produkt der Abmachungen, die Stalin mit den Imperialisten in Jalta und Potsdam getroffen hatte. Sowohl auf Seiten der Imperialisten als auch auf Seiten der Kremlbürokratie waren diese Abmachungen völlig bestimmt von der Furcht vor revolutionären Entwicklungen in der Arbeiterklasse. Moskau verpflichtete sich, jede revolutionäre Bewegung mit Hilfe der ihm ergebenen Parteiapparate in den jeweiligen Ländern niederzuschlagen und so die Herrschaft der Imperialisten in "ihren Einflusszonen" zu garantieren. Die Moskauer Bürokratie handelte sich so die Zustimmung der amerikanischen, französischen und britischen Imperialisten zu einer eigenen "Einflusszone" in Osteuropa aus, wo sie zum Schutz der Sowjetunion vor erneuten Überfällen und Kriegen sogenannte "Pufferstaaten" errichten wollte. Durch dieses Abkommen, dem die Revolutionen in Griechenland, Italien, Frankreich, in Persien, Vietnam, Japan und vielen anderen Ländern zum Opfer fielen, hoffte die stalinistische Bürokratie, eine friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus auf Kosten der internationalen Arbeiterklasse erreichen zu können.

Kernstück dieser Verschwörung war die Teilung und militärische Kontrolle der deutschen Arbeiterklasse, vor deren Wiedererstarken und revolutionärem Potential die Kremlbürokratie nicht weniger Angst hatte als die Imperialisten selbst; denn eine revolutionäre Erhebung in Deutschland würde unmittelbar die Arbeiterklasse in der UdSSR mobilisieren und in ihrem Kampf zum Sturz der Bürokratie in der Sowjetunion stärken.

Die Teilung Deutschlands ist daher keine nationale Frage, sondern eine Klassenfrage! Sie war die Voraussetzung dafür, dass in den Besatzungszonen unter der Kontrolle der westlichen Alliierten der Staatsapparat, Polizei, Justiz und Geheimdienste von den Nazis im wesentlichen unverändert übernommen, Konzernherren wie Krupp, Thyssen, Siemens, Nazi-Bankiers wie H. J. Abs bald alle wieder in ihre alten Stellungen gebracht werden konnten. Auch die stalinistische Bürokratie hatte nicht die Zerschlagung und Enteignung des Kapitals in Deutschland, das schon zwei Weltkriege angezettelt hatte, sondern die Zerstückelung und Schwächung der Arbeiterklasse zum Ziel. In der von der Sowjetarmee besetzten Ostzone dachten Stalin und seine Vertreter nicht im entferntesten daran, die Arbeiterklasse für die sozialistische Revolution zu mobilisieren - im Gegenteil: Die KPD erklärte in ihrem Gründungsaufruf 1945, das Ziel sei vielmehr eine "antimonopolistische Demokratie", ein "demokratischer Kapitalismus", in dem das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln garantiert, die "freie Unternehmerinitiative" geschützt und die Arbeiterklasse dazu verurteilt war, erst einmal "bürgerliche Demokratie zu lernen".

Um dieses reaktionäre Programm zu verwirklichen, wurde aus Moskau die Gruppe Ulbricht eingeflogen, deren Mitglieder wie Ulbricht ausgewählte und absolut zuverlässige Kreaturen Stalins waren oder sich im spanischen Bürgerkrieg wie Wilhelm Zaisser und Franz Dahlem als Henker der stalinistischen Geheimpolizei bewährt hatten. Ihre Verbündeten fand die Gruppe bei sozialdemokratischen Bürokraten wie Otto Grotewohl, die sich mit den Stalinisten in der Feindschaft gegen eine sozialistische Revolution und im Ziel eines "demokratischen Kapitalismus" einig waren.

Ihr Gegner war die Arbeiterklasse, die in einer starken spontanen Bewegung mit dem Kapitalismus, der Ursache von Krieg und Faschismus, Schluss machen wollte, alte Kapitalisten und ihre Direktoren aus den Betrieben warf, Betriebsräte aufbaute, um die Produktion unter ihre Kontrolle und wieder in Schwung zu bringen. Gestützt auf den stalinistischen Geheimdienst und die sowjetische Militärmacht gingen die Stalinisten um Ulbricht daran, einen Polizeistaatsapparat aufzubauen, um diese Bewegung der Arbeiterklasse unter Kontrolle zu bringen.

Erst angesichts der neuerlichen wirtschaftlichen und militärischen Offensive gegen die Sowjetunion, welche die Imperialisten 1947/48 mit dem Marshallplan begonnen hatten, sah sich die stalinistische Bürokratie in Moskau angesichts einer scharfen Klassenpolarisierung in Osteuropa gezwungen, ihre Pläne zum Aufbau "demokratisch-kapitalistischer" Regimes als Pufferstaaten aufzugeben und durch das nicht weniger reaktionäre Programm vom "Aufbau des Sozialismus in einem" bzw. einem halben Land zu ersetzen. Unter dem Druck der Arbeiterklasse führte sie umfangreiche Verstaatlichungen durch, begann sie den Aufbau einer zentralen Planwirtschaft. Doch die Bürokratie führte diese Maßnahmen - aus Furcht vor der Arbeiterklasse, die dadurch gestärkt wurde und mobilisiert zu werden drohte - mit den ihr eigenen bürokratischen Methoden durch, um alle unabhängigen Aktivitäten und politischen Regungen der Arbeiterklasse zu knebeln und im Keim zu ersticken.

Die Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 wurden zwar auf Osteuropa ausgedehnt, jedoch nicht durch die bewussten, revolutionären Aktionen der Arbeiterklasse und ihrer unabhängigen Machtorgane, sondern durch eine allmächtige Bürokratie, die damit ihre Kontrolle über die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten suchte und danach trachtete, ein solches sozialistisches Bewusstsein und solche revolutionäre Aktionen der Arbeiterklasse gerade zu verhindern. Der Arbeiterklasse wurde ihr "Heil" von oben verordnet, und es wurde mit dem Polizeistiefel durchgesetzt.

Die trotzkistische Bewegung hat daher stets den völlig deformierten Charakter dieser Arbeiterstaaten in Osteuropa wie der DDR betont, die den konterrevolutionären Manövern der stalinistischen Bürokratie und nicht einer sozialistischen Revolution der Arbeiterklasse entsprungen sind. Der ökonomisch an und für sich fortschrittliche Inhalt der Einführung der staatlichen Planwirtschaft hat, geschichtlich gesehen, ein weit geringeres Gewicht als der unermessliche Schaden, den die stalinistische Bürokratie im Bewusstsein des Weltproletariats angerichtet hat, indem sie die Perspektiven des Sozialismus völlig in Verruf gebracht und die sozialistische Weltrevolution damit um Jahrzehnte zurückgeworfen hat.

Offen zutage getreten ist der durch und durch arbeiterfeindliche Charakter des Ulbricht/Honecker-Regimes kurz nach der Verkündung des "Aufbaus des Sozialismus in der DDR", als im Juni 1953 der Aufstand von Hunderttausenden von Arbeitern von sowjetischen Panzern niedergewalzt, mehr als 200 Arbeiter erschossen und Tausende ins Gefängnis geworfen wurden. Endgültig jeden Rest an politischer Glaubwürdigkeit hatte damit nicht nur die Ost-Berliner Bürokratie, sondern auch die Kremlbürokratie verloren, die angesichts des Siegs der Roten Armee über den Hitlerfaschismus und angesichts der unverhohlenen Restauration und Wiederbewaffnung des deutschen Imperialismus in Westdeutschland bis dahin bei der Arbeiterklasse immer noch über einige Anerkennung verfügt hatte.

Was immer die stalinistische Bürokratie in der Folgezeit an materiellen Zugeständnissen an die Arbeiterklasse in Fragen des Lebensstandards machen musste und gemacht hat, um ihre eigene Herrschaft zu stabilisieren, so bedeuteten sie niemals eine politische Reform im Sinne einer Beteiligung der Arbeitermassen an der Gestaltung und Organisation der Gesellschaft durch unabhängige Organe einer Arbeiterdemokratie. Die herrschende Kaste missbrauchte die zentrale Planwirtschaft und ihre Positionen darin nicht nur für ihre persönliche Bereicherung; sie versuchte mit ihrer Hilfe auch systematisch, sich eine breitere soziale Basis gegenüber der Arbeiterklasse zu verschaffen, indem sie einer wachsenden Schar von Elementen aus dem Kleinbürgertum, aus der Intelligenz und aus den oberen Arbeiterschichten privilegierte Stellungen in Staat, Wirtschaft und Verwaltung oder als "Hofsänger", "Hofdichter" und "Staatssportler" im "Kulturleben" der Bürokratie verschaffte.

Ganz gleich, mit welchen Phrasen und Behauptungen die SED-Führung antrat, sei es, dass "der Sozialismus bereits verwirklicht", "voll entwickelt" sei oder "real existieren" würde, stets dienten sie dazu, die Wirklichkeit zu verschleiern: nämlich, dass die Arbeiterklasse unterdrückt, dass selbst die Ende der vierziger Jahre unter dem Druck der Arbeiterklasse eingeführten, jedoch sehr begrenzten und nur mit bürokratischen Methoden organisierten Reformen, die Verstaatlichungen und Elemente einer staatlichen Planwirtschaft mehr und mehr unterhöhlt wurden, und schließlich, dass die stalinistische Bürokratie auch in Ost-Berlin vor allem als Stütze und Agentur des Imperialismus gegenüber der internationalen Arbeiterklasse arbeitete.

Nichts demonstrierte drastischer diese konterrevolutionäre Rolle der stalinistischen DDR-Bürokratie als der Bau der Berliner Mauer, mit dem die Grenzen der DDR völlig dicht gemacht und den Arbeitern alle Möglichkeiten, der bürokratischen Unterdrückung auszuweichen, versperrt wurden. Der Mauerbau war nichts anderes als eine Maßnahme, um die Vereinbarungen und Strategien von Potsdam und Jalta gegenüber einer seit dem Krieg erstarkten und selbstbewusst gewordenen Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten; er bewirkte nicht nur eine Konsolidierung der Macht der Bürokratie innerhalb der DDR, sondern auch des westdeutschen Kapitalismus. In den Jahren, in denen die Adenauer-Erhard-Regierung durch zunehmende Kämpfe der Gewerkschaften, durch die Spiegel-Affäre und die erste große Wirtschaftsrezession in die größte politische Krise der Nachkriegszeit gestürzt wurde, lieferte die Ost-Berliner Bürokratie stets genügend Material für die antikommunistische Ideologie, mit der die sozialdemokratische Bürokratie die westdeutsche Arbeiterklasse der Adenauer- bzw. Erhard-Regierung, später einer Großen Koalition und der kapitalistischen SPD/FDP-Regierung unterzuordnen vermochte.

Entgegen der stalinistischen Propaganda vom "antifaschistischen Schutzwall gegen den Imperialismus" ermöglichte die Kasernierung der Arbeiterklasse in der DDR durch den Mauerbau der Ulbricht-Bürokratie in Wirklichkeit, in der Wirtschaft die ersten Schritte in Richtung auf eine kapitalistische Restauration durchzusetzen. Was in der Sowjetunion am Widerstand der Arbeiterklasse scheiterte und schließlich infolge wachsender Streiks und Kämpfe der Arbeiter in den Industriezentren zum Sturz Chruschtschows führte - nämlich der Versuch, in umfassendem Maße kapitalistische Methoden zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität in den Betrieben, die sogenannten "Libermanschen Reformen" durchzusetzen - wurde von Ulbricht im Namen des "Neuen ökonomischen Systems" organisiert: die allgemeine Wiedereinführung des Leistungslohnes, der 1945 von der Arbeiterklasse und ihren Betriebsräten in den meisten Industriebetrieben abgeschafft worden war, die Profitorientierung des einzelnen Betriebs, und sogar die Abhängigkeit des Lohns von dem im jeweiligen Betrieb erwirtschafteten Gewinn.

Doch bereits Ende der sechziger Jahre sah sich die DDR-Bürokratie gezwungen, die Dezentralisierung und begonnene Auflösung der Planwirtschaft wieder rückgängig zu machen. Sie war zutiefst erschrocken über die Kämpfe der Arbeiterklasse in der CSSR (1968) und Polen (1970/71) gegen die dortigen herrschenden Bürokratien und über die gleichzeitige gewaltige Mobilisierung der westeuropäischen und gesamten internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus, die im französischen Generalstreik vom Mai/Juni 1968 einen Höhepunkt gefunden, zum Sturz zahlreicher Diktaturen wie in Griechenland und Portugal und in Westdeutschland zur ersten SPD-geführten Bundesregierung geführt hatte. Die SED-Führung trat die Flucht nach vorn an, löste Ulbricht durch Honecker ab und suchte ihre Herrschaft durch umfassende Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, wie die Subventionierung der Lebensmittelpreise und Wohnungsmieten etc., und gleichzeitig durch eine engere Zusammenarbeit mit den westdeutschen Kapitalisten im Rahmen der "neuen Ostpolitik" zu stabilisieren.

Ursache und Ausweg der gegenwärtigen Krise in der DDR

Die Wirtschaftskrise heute in der DDR wie in ganz Osteuropa und der Sowjetunion ist das direkte Ergebnis der stalinistischen Politik vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land": die Wirtschaft dieser entarteten und deformierten Arbeiterstaaten wurde von der Entwicklung der Produktivkräfte, von der internationalen Arbeitsteilung und den Ressourcen der Weltwirtschaft isoliert und in die ökonomisch und geschichtlich völlig bankrotten Zwangsjacken des Nationalstaates gezwängt, die zu immer schärferen wirtschaftlichen Ungleichgewichten, Versorgungsschwierigkeiten und sozialen Spannungen führten.

Seit Anfang der achtziger Jahre haben die Auswirkungen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise auf die Staaten des COMECON (RGW) - fallende Erdölpreise und verschlechterte Absatzmöglichkeiten am kapitalistischen Weltmarkt, damit drastisch fallende Deviseneinnahmen - dazu geführt, dass in einem Land nach dem anderen der Spielraum der Bürokratie für Zugeständnisse an die Arbeiterklasse völlig beseitigt wurde. Die revolutionären Konsequenzen davon bzw. die tödliche Gefahr für die stalinistische Bürokratie wurden sofort deutlich mit der Massenbewegung der Arbeiterklasse in Polen 1980/81.

Es gibt nur zwei Arten, die in der Isolation von den Ressourcen der Weltwirtschaft begründete Wirtschaftskrise der Sowjetunion und der osteuropäischen Länder zu überwinden:

- entweder die kapitalistische Art, d.h. die Reintegration dieser Staaten in den kapitalistischen Weltmarkt durch die Wiederherstellung kapitalistischer Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse, wobei die stalinistische Bürokratie sich, gestützt auf die imperialistischen Banken und Konzerne des Westens und auf die oberen Schichten des Kleinbürgertums im eigenen Land, in eine neue herrschende kapitalistische Klasse verwandelt

- oder die sozialistische Art, d.h. durch die Verteidigung der staatlichen Planwirtschaft und ihre Reinigung von allen bürokratischen Entartungen durch den Sturz der stalinistischen Bürokratie und die Ausdehnung der sozialistischen Eigentumsverhältnisse auf die restliche, kapitalistische Welt durch die Vollendung der sozialistischen Weltrevolution.

Die Gefahr der kapitalistischen Restauration

Der erste Weg, der Weg der konterrevolutionären Restauration des Kapitalismus, wird von der Kremlbürokratie unter Gorbatschow, gefolgt von Jaruzelski in Polen und den Stalinisten in Ungarn eingeschlagen. Gorbatschow zieht damit die Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Polen 1980/81. Die Oppositionsbewegung in der DDR, insbesondere aber der Bergarbeiterstreik in der Sowjetunion und die Kämpfe der chinesischen Arbeiterklasse drücken aus, dass die Arbeiterklasse auch in diesen Ländern begonnen hat, die Zwangsjacken der Unterdrückung und nationalen Isolation zu sprengen und sich gegen die Bürokratie zu erheben.

Die bewusstesten und rechtesten Teile der Bürokratie, angeführt von Gorbatschow, versuchen dem zuvorzukommen und die Herrschaft der Bürokratie zu retten, indem sie die bürgerliche Reaktion, die mit dem Aufstieg der stalinistischen Bürokratie in den zwanziger und dreißiger Jahren bereits begonnen hatte, aber bis heute die Oktobererrungenschaften nicht zerstören konnte, zu Ende führen: durch die Wiederherstellung kapitalistischer Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse, durch die Integration der Arbeiterstaaten in den kapitalistischen Weltmarkt.

Auch in der DDR hat nun die SED-Führung mit der Ablösung Erich Honeckers und des für die Wirtschaft zuständigen Regierungsmitglieds Günter Mittag zu erkennen gegeben, dass sie auf Gorbatschows Kurs einschwenkt. Gestützt auf ihre schon lange bestehenden engen Verbindungen zu westlichen Konzernen und Banken wird die neue Führung ebenfalls versuchen, selbst die sehr begrenzten Reformen und wirtschaftlichen Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, die mit den staatlichen Eigentumsverhältnissen und der Planwirtschaft verbunden waren, zu beseitigen, den Kapitalismus wieder herzustellen und die Bürokratie dabei in eine neue Klasse von Kapitalisten zu verwandeln.

Schon jetzt nutzen die Bürokraten in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden den Ruf nach "Reformen" dazu, um "mehr Leistung" und "leistungsgerechtere Entlohnung" in den Betrieben zu fordern. Damit meinen sie jedoch nicht die Abschaffung der Privilegien und Posten für die Bürokraten, die keinerlei Leistung erbringen, sondern die Spaltung der Belegschaften durch Prämien und hohe Lohndifferenzierung mit dem Ziel, die Arbeitsproduktivität durch verschärfte Arbeitshetze zu erhöhen und so die Integration in den kapitalistischen Weltmarkt voranzutreiben. Dass sie sich über die revolutionären Konsequenzen dieses Kurses und damit über die Gefahren für ihre Herrschaft sehr bewusst sind, beweist nur die Tatsache, dass sie den obersten Leiter des Polizei- und Sicherheitsapparates, Egon Krenz, zu ihrem neuen Führer erkoren haben.

Es ist die Stellung der DDR-Wirtschaft in der Weltwirtschaft, welche die SED-Bürokratie unerbittlich in diese Richtung treibt. Ungeachtet der reaktionären stalinistischen Fiktion vom "Aufbau des Sozialismus in einem" bzw. in einem halben Land ist die Wirtschaft der DDR ähnlich wie in der BRD in hohem Maße vom Export abhängig. Mehr als die Hälfte des Nationaleinkommens wird durch den Export auf dem Weltmarkt aufgebracht (Weltdurchschnitt: 17%). Bisher gehen mehr als zwei Drittel dieser Exporte in die RGW-Staaten. Doch die UdSSR, mit der allein 40% des Außenhandels der DDR abgewickelt werden, ist gerade dabei, ebenso wie Polen den Außenhandel auf den kapitalistischen Westen zu orientieren und auch innerhalb Osteuropas eine kapitalistische Marktwirtschaft durchzusetzen. An die Stelle von staatlichen sowjetischen Behörden, mit denen feste Planzahlen als Grundlage für die Entwicklung der DDR-Wirtschaft als Ganzes vereinbart werden konnten, treten nun einzelne Unternehmen, die niedrigere Preise und höhere Qualität entsprechend dem Weltmarktniveau fordern, an keine staatlichen Verträge gebunden sind und daher mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen drohen können.

In der Vergangenheit war gerade der Außenhandel mit den RGW-Ländern die Grundlage dafür, dass die stalinistische Bürokratie der Arbeiterklasse in der DDR, was den Lebensstandard betrifft, bisher Zugeständnisse machen konnte. Infolge des kapitalistischen Restaurationskurses bei den osteuropäischen Handelspartnern versiegt diese Einnahmequelle und die Unvereinbarkeit der Interessen der herrschenden Schmarotzerschicht mit den Bestrebungen der Arbeiterklasse tritt offen zutage.

Die hoffnungslose Überalterung der Industrie im Vergleich zum Weltstandard konnte nur so lange verschleiert werden, als die DDR im Vergleich zu ihren osteuropäischen Partnern immer noch einen relativen Produktivitätsvorsprung aufweisen konnte und so ein Abnehmerkreis gesichert war. Jetzt aber bricht der COMECON auseinander, und jedes nationale Regime will moderne Technologien und Maschinen aus dem Westen importieren und aus der DDR höchstens noch Konsumgüter, an denen es dort selbst an allen Ecken und Enden mangelt.

Was die innere Innovationskraft der DDR-Industrie betrifft, so kann die von Honecker in einer lächerlichen Fernsehshow gefeierte "selbständige Entwicklung eines Mega-Chips" (der frühestens in drei Jahren industriell gefertigt werden kann) nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie infolge der Isolation von der internationalen Entwicklung der Technologie drastisch gesunken ist. Die Existenz des bürokratischen Apparats von Parasiten, welche die Arbeiterklasse unterdrücken, erweist sich als das größte Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte und für eine harmonische Entfaltung der Wirtschaft.

Die Geschwindigkeit, mit der gerade in den osteuropäischen Staaten einschließlich der DDR die stalinistischen Bürokratien auf den Kurs von Gorbatschow zur kapitalistischen Restauration einschwenken, zeigt, dass die von der Bürokratie Ende der vierziger Jahre durchgeführten Verstaatlichungen und Maßnahmen zum Aufbau einer Planwirtschaft keinerlei endgültige Lösung der Probleme der Arbeiterklasse darstellten, sondern, geschichtlich gesehen, einen höchst flüchtigen Charakter aufweisen. Das weitere Schicksal dieser Arbeiterstaaten hängt einzig und allein von der Arbeiterklasse ab und von ihrer Fähigkeit, die stalinistische Bürokratie durch eine politische Revolution zu stürzen, ihre eigenen Machtorgane aufzubauen und sich so mit der Arbeiterklasse im kapitalistischen Westen im Kampf gegen den Imperialismus und seine bürokratischen Agenturen zu verbünden.

Wird fortgesetzt

Siehe auch:
Der Bund Sozialistischer Arbeiter und das Ende der DDR - 1. Teil
(4. November 2006)
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