Europäer unterstützen Obamas Eskalation in Afghanistan

Die europäischen Außenminister signalisierten auf einer zweitägigen Konferenz in Brüssel ihre volle Unterstützung für die militärische Eskalation in Afghanistan, die US-Präsident Barack Obama Anfang letzter Woche angekündigt hatte. Damit handeln sie eindeutig gegen die Stimmung der Bevölkerung in ihren Ländern, die diesen Krieg mit großer Mehrheit ablehnt.

Die europäischen Regierungen reichen den USA die Hand für einen neuen imperialistischen Angriff auf Afghanistan. Er wird dem kriegsverwüsteten Land und dem benachbarten Pakistan noch mehr Tod, Folter und Zerstörung bescheren.

Außenministerin Hillary Clinton, Washingtons Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, und der amerikanische Befehlshaber in Afghanistan, General Stanley McChrystal, waren am Freitag nach Brüssel angereist, um die Trommel für eine erweiterte Teilnahme der europäischen Länder an der militärischen Besetzung Afghanistans zu rühren.

Bei seiner Ankunft in der belgischen Hauptstadt erklärte Holbrooke: "Ich weiß, dass der Krieg unpopulär ist. Uns steht noch ein langer Weg bevor, und wir tragen das Erbe des Irak und Vietnams mit uns." Dann sagte er, die USA seien für die Unterstützung dankbar, die die europäischen Verbündeten Obamas Eskalation entgegen brächten.

Clinton äußerte sich im gleichen Sinne. Sie anerkannte, dass die europäischen Regierungen bedeutende Hürden zu überwinden hätten, um ein stärkeres militärisches Engagement zu rechtfertigen.

Clintons Bemerkungen haben besonders für die holländische Regierung akute Bedeutung, weil einer der Koalitionspartner sich öffentlich gegen jede weitere Beteiligung des Landes an dem Eingreifen über 2010 hinaus ausgesprochen hat.

Das amerikanische Außenministerium und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen üben intensiven Druck auf die europäischen Regierungen aus, ihr militärisches Engagement in Afghanistan aufzustocken. Obama hatte vor seiner Rede am Dienstag in West Point, bei der er die Entsendung weiterer 30.000 Soldaten bekannt gab, zwanzig Minuten lang mit Kanzlerin Merkel telefoniert und ihr seine Pläne erläutert.

Merkel sagte, dass die deutsche Regierung zwar bereit sei, ihre Truppen aufzustocken, dass sie aber mehr Zeit für die Entscheidungsfindung brauche.

Deutschlands führende Parteien waren übereingekommen, den zutiefst unpopulären Krieg bei der Bundestagswahl im September nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Dieser Plan scheiterte aber kurz vor der Wahl aufgrund der Ereignisse in Kundus.

Ein deutscher Oberst hatte den Befehl gegeben, zwei von Rebellen entführte Tanklastzüge zu zerstören. Die Bombardierung der zwei Tanklaster durch amerikanische Kampfjets führte zum Tod von weit über hundert Menschen, viele davon Zivilisten. Im Ergebnis starben so viele Zivilisten durch eine deutsche Militäraktion, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Die einsetzende öffentliche Debatte über das Massaker von Kundus führte schließlich zum Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers und reaktivierte "den tief sitzenden Pazifismus in der deutschen Bevölkerung", wie es ein politischer Kommentator ausdrückte. Die jüngste Umfrage der ARD zeigt, dass 69 Prozent der Bevölkerung für den schnellst möglichen Abzug der 4.5000 deutschen Soldaten aus Afghanistan sind. Nur 27 Prozent sind dafür, dass die Truppen dort bleiben.

Trotz der starken Unterstützung des deutschen Verteidigungsministers für Obamas Eskalation ist es Deutschland zurzeit nicht möglich, seine Truppenstärke in Afghanistan zu erhöhen. Das war Merkels Botschaft an Obama. Allerdings entwickelt Verteidigungsminister zu Guttenberg laut Spiegel hinter den Kulissen Pläne, zusätzlich 2.000 Soldaten für Afghanistan zu mobilisieren.

Die französische Regierung steckt in dem gleichen Dilemma wie die deutsche. Erst vor zwei Wochen hatte Präsident Nicoals Sarkozy erklärt, dass sein Land unter keinen Umständen weitere Soldaten nach Afghanistan schicken werde. Wie beim deutschen Nachbarn steht auch die französische Regierung einer entschiedenen Opposition der Bevölkerung gegen ihr Engagement in Afghanistan gegenüber.

Zusätzlich macht sich Frankreich Sorgen, die amerikanische Marionettenregierung von Hamid Karzai könnte sich als zu wenig stabil erweisen. Nach der Wiederwahl Karzais, die von massivem Wahlbetrug begleitet war, bemühte sich der französische Außenminister Bernard Kouchner besonders darum, Karzais Machtbasis auszuweiten.

Letztendlich äußerte Sarkozy diese Woche doch seine volle Unterstützung für Obamas Pläne. Gleichzeitig machte er, wie Merkel, deutlich, dass er mehr Zeit brauche, um eine Entsendung von mehr Truppen zuzusagen.

Der Handel zwischen Washington, Berlin und Paris gibt Frankreich und Deutschland eine Atempause bis zur internationalen Afghanistankonferenz Ende Januar in London. Dann hoffen beide Regierungen, mit der Sprache herausrücken zu können

Wie vorauszusehen war, haben einige osteuropäische Regierungen mit engen Bindungen an die USA ihre Bereitschaft bekundet, die Zahl ihrer Soldaten zu erhöhen. So zum Beispiel Georgien (900), Polen (600) und die Slowakei (250). Der italienische Verteidigungsminister kündigte die Entsendung von 1.000 zusätzlichen Soldaten an. Im Oktober hatte der britische Premierminister Gordon Brown zugesagt, das britische Kontingent von 9.000 Soldaten um 500 zu erhöhen.

Jüngste Äußerungen eines führenden britischen Kommandeurs machen deutlich, wie sehr die wachsende Opposition in der Bevölkerung gegen die Militärpräsenz in Afghanistan die britische Militär- und politische Führung beunruhigt.

Vor dem Royal United Services Institute in London sagte Luftwaffenchef Sir Jock Stirrup am Donnerstag, der andauernde Krieg rufe in der Bevölkerung Widerstand hervor, der die Moral der Truppe beeinträchtige. Er erklärte, der größte Feind der Soldaten in Afghanistan seien weder die Aufständischen noch versteckte Minen, sondern die britische Öffentlichkeit. "Unsere Leute auf dem Schlachtfeld wissen das", sagte er. "Die größte Bedrohung für ihre Moral sind nicht die Taliban oder Sprengfallen, sondern die sinkende Entschlossenheit in der Heimat."

Die führenden europäischen Politiker und Militärs sind sich dabei zunehmend der Risiken bewusst, die ein mit Vietnam vergleichbares Debakel für den Imperialismus bedeuten würde. Gleichzeitig wachsen die Rivalitäten zwischen den großen Wirtschaftsmächten, vor allem im Handel und in der Finanzwirtschaft. Doch angesichts der Bedrohung, die die aufsteigenden Mächte China und Indien darstellen, teilt Europa immer noch viele wirtschaftliche und geostrategische Interessen der USA.

Ein Leitartikel der italienischen Zeitung La Stampa brachte am vergangenen Mittwoch diese Problematik auf den Punkt. Der Artikel setzte sich für eine Unterstützung Obamas durch Europa ein. La Stampa schrieb: "Die Verbindung zwischen dem Konflikt in Afghanistan und der extrem schnellen Neudefinition, die die internationalen Machtverhältnisse derzeit erfahren, ist vielleicht wenig augenscheinlich, aber grundlegend.... Deshalb kann [US-Präsident Barack] Obama Afghanistan nicht aufgeben, deshalb kann er sich der Kraftprobe mit dem Iran nicht entziehen, deshalb muss er den Einfluss der USA im Irak stärken.... Der Westen ist dabei, zur Randfigur zu werden. Es ist wichtig - und das gilt auch für Europa -, dies nicht zuzulassen."

Der amerikanische Krieg in Afghanistan dauert inzwischen doppelt solange wie der Erste Weltkrieg. Er hat schon mehr als 50.000 afghanischen Zivilisten, Widerstandskämpfern und alliierten Soldaten das Leben gekostet. Etwa acht Millionen Afghanen hungern und frieren, und drei Viertel der Bevölkerung haben kein sauberes Trinkwasser.

Diese schrecklichen Zustände werden sich in den nächsten Monaten unvermeidlich verschlimmern, wenn neue Kontingente amerikanischer und europäischer Truppen eintreffen. Der gemeinsame Angriff des europäischen und amerikanischen Imperialismus auf die Völker Zentralasiens zeigt den internationalen Charakter eines Kampfs gegen Militarismus und Krieg. Schließlich ist Zentralasien reich an Öl- und Gasvorkommen und enorm wichtig für die Beherrschung des eurasischen Kontinents.

Dieser Angriff unterstreicht den unausweichlich gewaltsamen und kolonialistischen Charakter des Imperialismus. Die Kriege im Irak, in Afghanistan und in Pakistan können nicht ohne die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Kapitalismus beendet werden, denn er ist die eigentliche Ursache für Militarismus und Krieg. Und das gleiche gilt für alle Kriege, die imperialistische Strategen in Zukunft gegen andere Länder um Öl, Pipelines und Handelrouten entfesseln.

Siehe auch:
Die Bedeutung von Europas "Kurswechsel" in Afghanistan
(4. November 2009)
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