Die Allparteienverschwörung um Afghanistan

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier haben vergangene Woche vereinbart, "den Einsatz der Bundeswehr aus dem parteipolitischem Gezänk herauszuhalten". Steinmeier war bis vor wenigen Monaten noch Merkels Außenminister.

Laut der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Samstag streben Merkel und Steinmeier einen Konsens, beziehungsweise ein Bündnis an, um eine Fortsetzung und Ausdehnung des Afghanistan-Mandats zu erlangen. Aus dem Artikel geht hervor, dass Steinmeier und Merkel sich weitgehend darüber verständigt haben, die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan unvermindert fortzusetzen.

Das schreckliche Bundeswehrmassaker in Kundus vom 4. September 2009, von den Verantwortlichen, wie mittlerweile bekannt, mit voller Absicht begangen, hat den kriminellen Charakter des Afghanistankriegs deutlich sichtbar werden lassen und die Opposition in der Bevölkerung gegen diesen Krieg weiter verstärkt. Nach ARD-Angaben sprachen sich bei einer Umfrage über siebzig Prozent der Befragten gegen den Krieg aus.

Vor diesem Hintergrund will Kanzlerin Merkel die SPD "unbedingt ins Boot holen", wie ein Sprecher des Kanzleramts verlauten ließ, um den Eindruck zu vermeiden, "dass nur die Regierungsfraktionen die Streitkräfte in einen Einsatz schicken".

Zwar gibt es zwischen den Parteien unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es sinnvoll sei, die deutsche Truppenstärke zu erhöhen, solange die militärische Leitung völlig in den Händen der USA liegt und die deutsche Regierung keinerlei Einfluss auf militärische und strategische Entscheidungen hat. Doch alle Parteien stimmen darin überein, dass der Afghanistaneinsatz fortgesetzt werden sollte. Unter keinen Umständen wollen sie der Antikriegsstimmung in der Bevölkerung nachgeben.

Anfang Januar hat Merkel einen Kabinettsausschuss zu Afghanistan gegründet, der bereits zweimal im Kanzleramt zusammenkam. Folgende Personen gehören ihm an: Außenminister Gudio Westerwelle, Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (beide FDP), Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU).

Dieser Ausschuss soll die Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London vorbereiten, innenpolitische Weichenstellungen vornehmen und die Kriegspropaganda verstärken. Bereits am 26. Februar will die Bundesregierung ein neues Mandat vorlegen und ohne große Diskussion durchs Parlament peitschen. Dabei will sie sich auf einen Parteienkonsens stützen, den sie schon im Vorfeld aushandeln will.

Teil der vom Afghanistan-Ausschuss organisierten Kriegspropaganda ist ein Besuch des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Er wird am 26. Januar, zwei Tage vor der Londoner Konferenz, in Berlin eintreffen. Karsai ist in der afghanischen Bevölkerung für seine korrupten Regierungsgeschäfte verhasst. Zu Recht gilt er als Marionette der US-Besatzer. Im vergangenen Sommer konnte er sich nur durch Wahlbetrug an der Macht halten. Sein Halbbruder Ahmad Wali Karsai spielt im wachsenden Opiumhandel des Landes eine Schlüsselrolle.

Dessen ungeachtet wird Hamid Karsai in wenigen Tagen als afghanisches Staatsoberhaupt mit allen Ehren in Berlin empfangen werden. Die Fraktionsvorsitzenden und Obleute der Fachausschüsse aller Bundestagsparteien werden sich mit ihm treffen. Bei der Gelegenheit wird Karsai die so genannte Aufbauleistung der Bundesrepublik betonen und mehr Geld und mehr Truppen fordern.

Die SPD unterstützt den Kriegskurs und steht, wie so oft in ihrer unrühmlichen Geschichte, Gewehr bei Fuß.

Auf einer gestrigen Afghanistan-Klausurtagung im Willy-Brandt-Haus versuchte sie, einen "innerfraktionellen Konsens" herbeizuführen. Das heißt, sie bemühte sich, jede kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Dabei beachten Fraktionschef Frank-Walter Seinmeier und Parteichef Sigmar Gabriel eine gewisse Arbeitsteilung. Während Steinmeier gestern die Staatsverantwortung für Sicherheit und Stabilität beschwor und die Zustimmung zu einem neuen Afghanistan-Mandat in Aussicht stellte, übernahm Parteichef Gabriel die Aufgabe, kritische Töne anzuschlagen, um auch diejenigen, die Bedenken gegenüber einer stärkeren militärischen Beteiligung haben, in das Kriegsbündnis einzubinden.

Die Londoner Afghanistan-Konferenz spielt in der innenpolitischen Debatte eine wichtige Rolle, wie Stefan Kornelius in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung betont: "Vor allem Merkel braucht die Konferenz als Scharnier für die innenpolitische Debatte um Strategie, Mandat und die Truppenstärke. Deutschland war wegen der Bundestagswahl und der Regierungsbildung nicht in der Lage, zeitgleich mit den USA im Herbst die neue Strategie zu diskutieren".

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Afghanistan spielt besonders die Linkspartei eine üble Rolle. Nach außen vertritt sie eine ablehnende, pazifistische Haltung und bezeichnet den Krieg als untaugliches Mittel, die deutschen Interessen in der Region zu vertreten. Nach innen aber signalisiert sie der Regierung bei jeder Gelegenheit, dass sie trotz kritischer Reden im Parlament nicht ernsthaft gegen die Kriegspolitik der Regierung auftreten werde. Sie ist mit vier Parteifunktionären im Verteidigungsausschuss vertreten und weigert sich, wichtige Informationen über die Arbeit und den Informationsstand des Ausschusses dem Parlament weiterzugeben.

Während die Ausschussvertreter der konservativen Parteien brisante Informationen den Medien zuspielen und für ihre Kriegspropaganda nutzen, beruft sich die Linkspartei auf die Schweigepflicht und schaltet damit eine wirksame Kontrolle des Parlaments über die Armee aus. So trägt sie dazu bei, dass nicht das Parlament die Armee kontrolliert, wie es das Grundgesetz vorsieht, sondern umgekehrt der Verteidigungsausschuss dazu dient, den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und anderen Weltregionen die notwendige Rückendeckung im Bundestag und über diesen in der Bevölkerung zu verschaffen. Der Ausschuss sorgt dafür, dass Verteidigungshaushalt und Rüstungsausgaben reibungslos die parlamentarischen Hürden passieren, ohne dass Parlament und Öffentlichkeit wirklich wissen, worum es geht. Er ist kein Kontroll-, sondern ein Vertuschungsausschuss.

Mit ihrer zynischen Doppelrolle - Pazifismus in Worten, Kriegskollaboration in Taten - verfolgt die Linkspartei zwei Ziele. Erstens will sie sich den Herrschenden als verlässliche Staatspartei anpreisen, und zweitens will sie den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung auffangen und unter Kontrolle halten.

Die gegenwärtigen Gespräche, Absprachen und Abmachungen zwischen Merkel und den Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und der Linkspartei kommen einer Verschwörung gegen die Bevölkerung gleich. Es soll sichergestellt werden, dass die breite Öffentlichkeit, die den Krieg mehrheitlich ablehnt, keinen Einfluss auf die Entscheidungen über den Afghanistankrieg nehmen kann.

In diesem Zusammenhang ist auch die Nachricht aufschlussreich, dass Oberst Klein, der das Bombardement von Kundus veranlasste, offenbar kein Verfahren von der Generalbundesanwaltschaft zu befürchten hat. Nach Presseinformationen wird die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen in den kommenden Wochen einstellen. Die oberste Anklagebehörde werde sich auf das Völkerrecht berufen. Der Afghanistan-Einsatz soll als nicht-nationaler bewaffneter Konflikt eingestuft werden. Das bedeutet, dass für die Beurteilung des Luftangriffs das humanitäre Völkerrecht angewandt werden soll. Diesem zufolge sei ein Militärschlag gegen Konfliktgegner zulässig. Zivilisten verlören vorübergehend ihren Schutzanspruch, wenn sie sich, wie bei den Tanklastzügen, in eine Konfliktsituation begäben.

Das Massaker von Kundus ist das größte Kriegsverbrechen der deutschen Armee seit den Wehrmacht-Massakern im Zweiten Weltkrieg. Bleibt es ohne gerichtliche Verfolgung, wird dies den deutschen Militarismus weiter stärken. Alle Bundestags-Parteien beteiligen sich an dieser Verschwörung, um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan fortzusetzen und auszudehnen.

Nur die Partei für Soziale Gleichheit fordert den sofortigen und bedingungslosen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Diese Forderung gewinnt jetzt große Bedeutung. Sie muss zum Ausgangspunkt einer Antikriegsbewegung gemacht werden, die sich allen Kriegsparteien und ihren linken Lakaien widersetzt.

Siehe auch:
Massaker in Kundus enthüllt Charakter des Afghanistankriegs
(8. September 2009)
Raus aus Afghanistan!
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