Der Bolschewismus und die Künstler der Avantgarde - Teil 3

Teil 3

Unter dem Titel "Die große Utopie: Die russische und sowjetische Avantgarde 1915-32" wurde im Jahre 1993 in New York, Frankfurt am Main und anderen Großstädten rund um die Welt eine bemerkenswerte Ausstellung der frühen sowjetischen Kunst gezeigt. Die Ausstellung war ursprünglich schon 1988 geplant worden, als in der UdSSR noch Michael Gorbatschow an der Macht war. Als die riesige Ausstellung dann in New York und anderen Städten gezeigt wurde, war die Sowjetunion schon zusammen gebrochen, und die Organisatoren bemühten sich, das Ereignis zu nutzen, um die russische Revolution von 1917 zu diskreditieren und als unbedeutend hinzustellen.

Die 800 Ausstellungsstücke erzählen aber eine ganz andere Geschichte. Sie zeigen die Lebenskraft des nachrevolutionären, intellektuellen und künstlerischen Lebens und den großen Impetus, den die erste Machteroberung der Arbeiterklasse in der Geschichte der kreativen Aktivität verlieh. Die Ausstellung weckte in der Öffentlichkeit großes Interesse und zog allein in New York mehr als eine Viertelmillion Besucher an. Wir drucken heute den dritten Teil der Serie wieder ab. Der erste Teil erschien am 5. März und der zweite Teil am 6. März.

Exzesse der Avantgarde

Ein Teil der Künstler, besonders die jugendlichsten unter ihnen, verspürten zweifelsohne einen starken Drang, so unmittelbar wie möglich in den Strom der Revolution und das Leben der revolutionären Klasse, des Proletariats, einzutreten.

Es ist kein Zufall, dass eine der Triebkräfte in Richtung Konstruktivismus von der Arbeit der Gesellschaft Junger Künstler ausging, der OBMOCHU, die 1919-20 aus den ersten Freien Staatlichen Kunstwerkstätten hervorgegangen war.

Die zweite Ausstellung der OBMOCHU im Mai 1921 wird im allgemeinen als die erste öffentliche Darstellung des Konstruktivismus betrachtet.

Ausschnitt der zweiten Obmokhu-Ausstellung im Mai 1921 Ausschnitt der zweiten Obmokhu-Ausstellung im Mai 1921

Aber auch vorher war der Kunst und ihrer Bedeutung im neuen revolutionären Arbeiterstaat große Beachtung geschenkt worden. Am 24. November 1918 beispielsweise organisierte ISO NARKOMPROS eine Konferenz in Petrograd zum Thema, ob Kunst "Tempel oder Fabrik" sei.

Mit auf der Rednerliste standen Lunatscharskij, Punin, Osip Brik und Majakowskij. Gaßner erwähnt dazu folgendes: "Punin unterscheidet in seiner Rede die Tätigkeit des bürgerlichen Künstlers, der nur Ausschmückungen und Verzierungen entwerfe, von der Produktion des Arbeiters, der,Material’ bearbeitet und dadurch,Dinge’ hervorbringt."

Punin "erwartet eine,ganz neue Ära in der Kunst’, wenn die Künstler dem Vorbild der Arbeiter folgen und ebenso,Dinge’ fertigen würden." (Gaßner, S. 123)

Im Jahre 1919 kritisierte Punin den Suprematismus von Malewitsch, der an sich lediglich der Verschönerung diene. Die Zukunft der Kunst gehöre Tatlins "Materialkultur". Jener hielt sehr viel von den stofflichen Eigenschaften wie Elastizität, Gewicht, Spannung usw. Er trat ein für "die Ästhetik wirklicher Materialien im wirklichen Raum".

Tatlin bezeichnete seine Werkstätte in den Freien Staatlichen Kunstwerkstätten (wo er im Frühjahr 1919 seine Lehrtätigkeit aufnahm) als die Werkstatt des Materials, des Volumens und der Konstruktion. Aber nicht Tatlin sollte den Konstruktivismus zu seiner logischen Schlussfolgerung führen.

Ein Portrait von Osip Brik von Rodtschenko Ein Portrait von Osip Brik von Rodtschenko

Andere traten begeistert in Punins Fußstapfen. Es erschien offensichtlich, dass die komplexen Probleme der Kunst und der neuen Gesellschaft gelöst waren! In der Wochenzeitung Kunst der Kommune definierte Brik Kunstwerke als "Dinge" und stellte die Formel auf: "Nicht ideeller Dunst, sondern das materielle Ding!"

Bevor wir die schlimmsten Exzesse des Konstruktivismus und der Produktionskunst betrachten - wie die Versuche, künstlerisches Schaffen auf der Grundlage von Henry Fords und Frederick Winslow Taylors industriellen Prinzipien zu organisieren - müssen wir noch auf einige Punkte eingehen.

Die künstlerische Reaktion auf die Vorkriegskunst (sie wird identifiziert mit Sentimentalität, überzogener Sprache und Ausschmückung) wie auch auf den Expressionismus (er wird identifiziert mit kleinbürgerlichem Herumpsychologisieren und Eigenlob) war erstens ein internationales Phänomen. Die russische Avantgarde jedoch wurde von der Oktoberrevolution erfasst, die dem völlig neue Elemente hinzufügte.

Zweitens hatten die Künstler, die im allgemeinen aus der Mittelschicht stammten, unter den schwierigen Bedingungen, die 1921 in der Sowjetunion herrschten, zwingende objektive Gründe, ihre traditionelle Rolle in Frage zu stellen. Sie waren entschlossen zu beweisen, dass sie weder Träumer waren, die im Elfenbeinturm sitzen, noch Salonlöwen, die in Cafés ihre Zeit vertrödeln. Sie arbeiteten unter Bedingungen, wo die Massen nach sieben Jahren imperialistischem Krieg und Bürgerkrieg Hungersnot, Seuchen und allgemeinen wirtschaftlichen Ruin ausgesetzt waren, und die Bolschewiki und die bewußtesten Arbeiter eine heroische Selbstaufopferung zeigten. Die Künstler selbst brachten die Frage auf, "welche Existenzberechtigung es für Künstler heutzutage überhaupt noch gibt".

Drittens waren sehr viele Künstler inspiriert - und hier muß man das Wort "inspiriert" gebrauchen - von dem Gewicht, das der Bolschewismus auf Industrialisierung und Modernisierung legte. Lenins berühmte Aussage: "Kommunismus ist gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung des gesamten Landes" wurde für eine ganze Künstlerschicht zum Schlüsselwort. Wie Trotzki sagte, traten sie ein "für Technik, für wissenschaftliche Organisation, für die Maschine, die Planung, den Willen, den Mut, die Geschwindigkeit und Präzision, für den neuen Menschen, der mit all diesen Eigenschaften ausgestattet ist." (Literatur und Revolution, S. 121)

Sie wünschten sich sehnlich, daran teilzuhaben, Russlands Rückständigkeit mit seiner "Faulheit... Träumerei und Wehleidigkeit" zu überwinden. (ebd.)

Diese Faktoren können die (hoffentlich) als Witz gemeinten Bemerkungen der OBMOCHU-Studenten Georgij und Wladimir Stenberg erklären, wenn nicht sogar entschuldigen: "Sie (die Künstler) sind zu nichts zu gebrauchen. Man sollte sie auf die gleiche Weise behandeln, wie die Tscheka mit den Konterrevolutionären umgeht." (zitiert bei Gaßner, S. 110)

Konstantin Medunezkij erklärte: "Die Kunst endet mit uns". Boris Arwatow, ein Produktionskünstler, der mit dem Taylorismus experimentiert hatte, kam zu dem Schluß, dass "das Ende der Kultur" gekommen sei, weil die Kulturtechniken durch industrielle Techniken ersetzt worden seien. Insofern der Künstler für die Industrie "nicht von Nutzen ist und auch kein Ingenieur sein kann", wurde seine Lage als "tragisch" bewertet. (ebd.)

Die erste Arbeitsgruppe der Konstruktivisten bildete sich im März 1921. Zur Gruppe gehörten Rodtschenko, Stepanowa, die Stenbergs, Medunezkij, Alexey Gan und Karl Joganson. Sie sammelten sich im Institut für Künstlerische Kultur (INCHUK) in Moskau um Prinzipien, die Rodtschenko im Januar 1921 so formulierte: "Alle neuen Ansätze der Kunst entstehen aus Technologie und Ingenieurwesen und führen weiter zu Organisation und Konstruktion" und "Echte Konstruktion ist eine praktische Notwendigkeit". (zitiert in "Der Übergang zum Konstruktivismus", einem Aufsatz im Ausstellungskatalog von Christina Lodder, S. 95)

Christina Lodder schreibt: "In ihrem Programmentwurf vom 01. April 1921, verfasst von Gan, verkündete die Gruppe eine neue Synthese von Kunst und Industrie. Sie wollte ihre rein künstlerischen Versuche auf die Bedeutung von,Laborarbeit’ reduzieren und ihre Experimente mit der Verwendung dreidimensionaler abstrakter Formen auf die reale Umwelt ausdehnen, indem sie sich an der industriellen Herstellung von Gebrauchsgegenständen beteiligte. Die Künstler nannten diese neue Tätigkeit, die sie sich vornahmen,,intellektuelle Produktion’. Sie erklärten, ihre ideologische Grundlage sei ein,wissenschaftlicher Kommunismus, der auf der Theorie des historischen Materialismus aufbaut’..." (ebd.)

Im Verlauf desselben Jahres erklärte Stepanowa in einem Vortrag im INCHUK: "Die Kunst, von ästhetischen, philosophischen und religiösen Auswüchsen befreit, hinterlässt uns ihre materiellen Grundlagen, die von nun an durch intellektuelle Verfahren organisiert werden. Zum Organisationsprinzip wird die zielbewusste Konstruktion, in der die Ästhetik durch Technologie und experimentelles Denken ersetzt wird." (zitiert bei Gaßner, S. 110)

Eine Reihe von Künstlern der Avantgarde lehnten die Auffassung vom Künstler als Ingenieur und das Beharren auf der Notwendigkeit, die "künstlerische Intuition" durch "Professionalität" zu ersetzen, ab - zu ihnen zählten Kandinsky, Malewitsch, Lissitzky und Tatlin selbst, obwohl seine Arbeit ursprünglich als vorbildliches Beispiel hochgehalten worden war.

Bevor der die UDSSR verließ, bemerkte Kandinsky 1920: "Obwohl die Kunstschaffenden im Moment an Problemen der Konstruktion arbeiten (die Kunst hat praktisch keine genauen Regeln), suchen sie die Lösung vielleicht allzu leicht und mit zuviel Begeisterung beim Ingenieur. Und es kann sein, dass sie fälschlicherweise die Antwort des Ingenieurs als Lösung für die Kunst annehmen. Das ist eine sehr reelle Gefahr."

Gaßner schreibt dazu: "Denn weder Tatlin noch die UNOWIS um Malewisch [und Lissitzky] sind generell gegen die Verwendung technischer Arbeitsinstrumente oder technischer Materialien in der Kunst. Im Gegensatz zu den Konstruktivisten im INCHUK aber lehnen sie die Technisierung der Schaffensmethoden und die Reduktion des Schaffensprozesses auf rationale Operationen ab." (S. 126)

Malewitsch bezeichnete die Produktivisten und Konstruktivisten als "Lakaien der Fabrik und Produktion". Er setzte Utilitarismus und Konstruktivismus gleich, und bezeichnete jenen verächtlich als "Auftragskunst".

Ein Eckenrelief von Tatlin, 1915 Ein Eckenrelief von Tatlin, 1915

Tatlin erklärte: "Der Einfluß meiner Kunst drückt sich in der Richtung der Konstruktivisten aus, deren Begründer eben ich bin." (zitiert bei Rakitin, S. 28) Die Moskauer Gruppe und ihre führende Figur Rodtschenko wies er jedoch zurück.

Rakitin schreibt: "Die Konstruktivisten bestätigen das Modell des Lebens, wie es sein könnte - hier bestimmte die Form der Kunst die neuen Formen des Lebens. Tatlin kritisierte die Konstruktivisten als,sogenannte Konstruktivisten’, weil sie, wie ihm schien, den modernen Stil imitierten." (ebd. S. 29)

Die Verwandlung Rodtschenkos in einen glühenden Konstruktivisten ist besonders aufschlussreich. Im Januar 1919 bekräftigte er sein Bekenntnis zum "abstrakten geistigen Schöpfertum". Im März desselben Jahres brachte er anlässlich des Plans für das Museum für Malerische Kultur seine Unterstützung für die Überlegenheit der östlichen gegenüber der westlichen Kunst zum Ausdruck. Er erklärte: "Asiatische Kunst gilt als etwas Geistiges, das mit religiöser Ehrfurcht betrachtet wird... Der Westen hat ein lockeres, materielles Verhältnis zum Schöpfertum; der Osten betet die Kunst an und erhebt sie über alles andere, macht sie nicht zu etwas Nützlichem." (zitiert bei Gaßner, S. 142)

Noch im April 1919 wählte Rodtschenko für den Katalog einer Ausstellung, auf der er seine "Schwarz auf Schwarz"-Malereien zeigte, Zitate von Charakteren wie dem Junghegelianer und Anarchisten/Egoisten Max Stirner und dem Dichter Walt Whitman. Lissitzky bezeichnete Rodtschenko in einer Ausstellungsbesprechung zustimmend als "Individualisten", der mit seinen schwarzen Bildern den "Umschwung zur neuen Stofflichkeit" eingeleitet habe.

Jedoch lediglich zwei Jahre später, im März 1921, war Rodtschenko in der Lage folgendes zu schreiben: "Konstruktion ist ein Ding oder eine Aufgabe, die nach einem präzisen Arbeitsplan behandelt wird, in dem alle Materialien, mit all ihren spezifischen Komponenten organisiert sind und die für ihre korrekte Form benutzt werden, ohne irgend etwas Überflüssiges hinzuzufügen. Der richtige Umgang mit jedem Raum ist Konstruktion." Verächtlich fügte er hinzu: "Die Komposition ist immer Ausdruck des Individualismus und all dessen, was er impliziert." (zitiert bei Gaßner, S,141)

Die Kehrtwende von Stepanowa, der Lebens- und Arbeitsgefährtin Rodtschenkos, kann in Monaten gemessen werden. Noch im Oktober 1920, so schreibt Gaßner, "verteidigt sie das,Wunder’ im Sinne des Unbegreiflichen als ein wesentliches Merkmal jeder Kunst. Auch spricht sie sich entschieden gegen die Gleichsetzung von Mathematik und Kunst aus: "Das formale Herangehen, das man jetzt in der Kunst sucht, ist ein Tribut an den Materialismus der Zeit. Doch wird sich niemand von uns jemals im Schaffen von der Mathematik leiten lassen." (ebd. S. 142)

Im Dezember 1921 hatte sich Stepanowa dann zu der entgegengesetzten Einstellung bekehren lassen: "Der Verstand wird zu unserem Ausgangspunkt, er ersetzt uns,die Seele’ des Idealismus. Daher ist auch der Konstruktivismus im Ganzen ein intellektuelles Produkt (und nicht nur das Denken), das mit dem Geistigen des künstlerischen Tätigkeit unvereinbar isr." (ebd.)

Gaßner schreibt diese Wandlung organisatorischen Maßnahmen der Bolschewiki zu, die dazu führten, dass die Künstler der Avantgarde viele ihrer Stellungen in der Verwaltung verloren. So mussten sie, meint er, "zum dritten Mal, nach der ersten Krise in der Februarrevolution und der zweiten nach dem Oktober 1917, ein neues Selbstverständnis und einen neuen Platz in der Gesellschaft finden." Er bringt ein Zitat von Majakowskij aus dem Winter 1920: "Wir bekennen: zum Teufel mit dem Individualismus, zum Teufel mit den Wörtern, den Empfindungen,... so dass wir uns sogar von unserer eigenen Persönlichkeit lossagen können... den Dichter kann man nicht zwingen, aber er kann sich selbst zwingen." (Zitiert bei Gaßner, S. 144)

Um kurz abzuschweifen, das angebliche In-Ungnade-Fallen der Avantgarde 1921 mit dem Einsetzen der Neuen Ökonomischen Politik wird von Gaßner und in gewissem Maße auch von Wood und anderen als der Anfang vom Ende der progressiven Kunst in Russland bewertet. Eine solche Auffassung würde natürlich das Argument untermauern, dass nicht der Stalinismus, sondern Lenin und der Bolschewismus die bürokratische Unterdrückung der Kunst einführten. Das ist ganz und gar falsch.

Zwei völlig verschiedene Dinge werden hier durcheinandergeworfen: die Tatsache, dass die Kunst im Staat nicht mehr "das Sagen" hatte, wird mit bürokratischem Terror gleichgesetzt.

Ohne viel eigenes Zutun hatten die Avantgardisten in der ersten Zeit nach der Revolution viele staatliche Posten erhalten, weil sie - und das ist ihr Verdienst - zu den wenigen Tendenzen der Intelligenz gehörten, die bereitwillig mit dem neuen Arbeiterstaat zusammenarbeiteten.

Es wäre aber Wunschdenken anzunehmen, dass die vormaligen Anarchisten, denen oftmals das eigene "Ego" nach wie vor als "das Höchste" galt, in allen Fällen faire oder tolerante Verwalter gewesen wären.

Die Futuristen, Suprematisten usw. stellten eine Tendenz dar, die zwar möglicherweise die interessanteste, aber dennoch eine Minderheitstendenz war. Trotzdem versuchten sie nach Kräften, das kulturelle und künstlerische Leben in der UDSSR für sich zu monopolisieren.

Auch waren sie nicht über dumme Provokationen und Possen erhaben. Zenovia A. Sochor beschreibt in Revolution and Culture: The Bogdanov-Lenin Controversy (Ithaca 1988), wie Lunartscharskij einige Jahre später amüsiert erzählte, daß 1918 einige "Beiträge" der Futuristen zu den Revolutionsfeiern etwas daneben geraten waren. Einem dieser Werke, das anscheinend Marx und Engels in eine Art Schwimmbecken versetzte, gaben die Moskauer den Spitznamen "die bärtigen Badenden".

Gustav Kluzis feierte zusammen mit anderen jungen Künstlern den ersten Jahrestag der Revolution, indem er die Sträucher auf bekannten Plätzen in Moskau einfärbte. Auch entlang der Kremlmauer bedeckte ihre Zweige nun ein leuchtendes Blau, die Bäume erglänzten in silbriger Umhüllung. Leider konnte die Farbe nicht wieder entfernt werden, und Lenin beispielsweise fand dies gar nicht lustig.

Lenins berüchtigte Bemerkungen und Gefühle gegen die Futuristen müssen vor diesem Hintergrund gesehen werden. Im Mai 1921 schrieb er an Lunartscharskij: "Schämst Du Dich nicht, dafür zu stimmen, dass 5000 Drucke von Majakowskij,150 000 000’ gemacht werden? Das ist Unsinn, zweifacher Blödsinn und Affektiertheit." Am selben Tag schrieb er an M.N. Pokrowskij: "Einigen wir uns doch darauf, dass diese Futuristen nicht öfters als zweimal pro Jahr veröffentlicht werden und nicht mehr als 1500 Drucke davon... Können Sie einige verlässliche Anti-Futuristen ausfindig machen?"

Wenn die bürgerlichen Akademiker diese Zeilen lesen, fangen sie gleich an aufgeregt durcheinander zu rufen: "Von da an geht alles bergab! Direkt zu den Arbeitslagern! Seht, dieser Lenin - was für ein Ungeheuer!"

Diese zartfühlenden Seelen sollten mehrere Dinge berücksichtigen. Erstens hat Lenin seine persönliche Abneigung gegen den Futurismus und seinen eingestandenen konservativen Kunstgeschmack niemandem aufgezwungen. Er äußerte nur seinen Widerwillen gegen die "Affektiertheit" des Futurismus und wies dessen Anspruch zurück, die Dichtkunst der Revolution zu sein.

Zweitens schlug er keine Strafmaßnahmen vor. Er war verärgert, dass zu einem Zeitpunkt, in dem die Papierproduktion auf ein Achtel des Vorkriegsniveaus gesunken war und 75 Prozent der Druckereien wegen Reparaturarbeiten nicht liefen, den Werken nur einer Richtung soviel Zeit und Raum eingeräumt wurde.

Drittens gibt es einen klaren Unterschied zwischen privaten Äußerungen (auch ironischen, wie dass Lunatscharskij "für seinen Futurismus geprügelt werden sollte"), und bolschewistische Politik.

Und viertens: Wie viele bürgerliche Regime, die nicht von Hungersnot und Bürgerkrieg geplagt sind, veröffentlichen die Werke revolutionärer Avantgarde-Dichter in einer Auflage von 5000 oder auch nur 1500?

Wie dem auch sei, als die Bolschewiki der Avantgarde 1921 die offizielle staatliche Unterstützung entzogen, reagierten die vormals staatsfeindlichen Künstler ziemlich verärgert. In den Worten Trotzkis bestanden die Bolschewiki darauf, dass die Avantgarde "sich ihren Weg auf eigenen Füßen bahnt, ohne den Versuch, sich als staatliche Richtung zu dekretieren... Die neuen Formen müssen selbständig den Zugang zum Bewusstsein der fortschrittlichen Schichten der Arbeiterklasse finden..." (Literatur und Revolution, S. 132)

Für die Weltrevolution

Die Beweggründe für den "Krieg" gegen den Individualismus, den sich die Künstler der sowjetischen Avantgarde selbst auferlegten, lagen allerdings nicht im Verlust der offiziellen staatlichen Unterstützung, und schon gar nicht in drohender Unterdrückung.

Es waren objektive Ereignisse ganz anderer Art, von denen sich die Künstler und andere Schichten der Intelligenz stark angesprochen fühlten - Ereignisse, über die ein Philister wie Gaßner nur spotten würde: die weltweite revolutionäre Welle und die Bemühungen um den Aufbau einer neuen Kommunistischen Internationale, wie auch die schlimmen wirtschaftlichen Bedingungen in der UDSSR und die Entbehrungen, die weiter oben bereits angesprochen waren.

Majakowskij, Rodtschenko und andere hatten zweifelsohne die Grenzen ihres früheren Anarcho-Individualismus wirklich erkannt. Hinzu kam die einfache Erkenntnis, dass die Umstände des Bürgerkriegs der Liebeslyrik, wie sie beispielsweise Majakowskij vor 1914 geschrieben hatte, nicht unbedingt förderlich waren.

Vermengt mit diesem gut gemeinten Abschwören war auch ein nicht geringes kleinbürgerliches Element an "Überkompensation". Neben der Reaktion auf bedeutende Ereignisse und einer verständlichen Klassen- und psychologischen Reaktion gab es jedoch noch etwas anderes: Im wesentlichen hatten diese Künstler den Bolschewismus in die Arme geschlossen, ohne seinen wesentlichen Inhalt zu assimilieren. Und diese Kinderkrankheit des "Linksradikalismus" war nicht nur ihnen eigen.

Es ist überhaupt kein Zufall, dass Stepanowa auf den Formalismus Bezug nimmt. Eine Einschätzung der Anschauung des Formalismus und seiner Verbindung zum Futurismus liefert einen Schlüssel zum Verständnis der ideologischen Grundlage für die jähen Wandlungen, auf die wir oben eingegangen sind. Wir müssen einen kurzen Blick auf den Formalismus werfen und dabei für einen Moment seinen wirklichen Beitrag zur Literaturkritik außer acht lassen.

Der Formalismus hatte sowohl vor als auch nach der Oktoberrevolution großen Einfluß unter intellektuell-künstlerischen Kreisen in Russland. Die russischen Formalisten, vertreten durch Schklowskij, Jakobson, Krutschenich und andere, postulierten die Unabhängigkeit des künstlerischen Elements vom Einfluß der gesellschaftlichen Bedingungen. Sie reduzierten ihre Aufgabe in der Literaturkritik auf "die Analyse (im wesentlichen eine beschreibende und halbstatistische) der etymologischen und syntaktischen Eigenschaften poetischer Werke, auf das Zählen sich wiederholender Vokale und Konsonanten, Silben, Epitheta... Für sie beschränkt sich die Sprachkunst vollkommen und endgültig auf das Wort, wie die Malerei - auf die Farbe. Ein Poem ist eine Kombination von Tönen, das Gemälde - eine Kombination von farbigen Flecken..." (Literatur und Revolution, S. 137)

Trotzki führte den Formalismus und seine Behauptung eines unabhängigen ästhetischen "Faktors" auf philosophische Wurzeln im Kantschen Idealismus zurück. Er erklärte: "Was aber die Formalisten betrifft..., so betrachten sie nicht die Dynamik der Entwicklung, sondern deren Querschnitt am Tage und zur Stunde ihrer eigenen philosophischen Erleuchtung. Im Querschnitt stellen sie die Kompliziertheit und Vielfalt ihres Objekts fest (nicht eines Prozesses, denn sie denken nicht in Prozessen). Diese Kompliziertheit zergliedern und klassifizieren sie. Den Elementen geben sie Namen, die an Ort und Stelle in Wesen verwandelt werden, in Subabsoluta..." (ebd. S. 153)

Leo Trotzki Leo Trotzki

Wie Trotzki erklärte, ging er in seinem Buch nicht nur deshalb auf den Formalismus ein, weil er an sich bedeutend war, sondern vor allem, weil er die Futuristen und die Avantgarde insgesamt philosophisch beherrschte. "Ein absonderliches Paradox", schrieb Trotzki, "besteht darin, dass der russische Formalismus sich eng mit dem russischen Futurismus verbunden hat und dass, während der letztere vor dem Kommunismus politisch mehr oder weniger kapitulierte, der Formalismus sich mit allen Kräften dem Marxismus theoretisch entgegenstellte." (ebd. S. 136)

Trotzki sah die Aufgabe nun darin, die ehemaligen Futuristen, die politisch und praktisch vom bolschewistischen Programm überzeugt waren, von ihrer idealistischen Ästhetik zu lösen. Diese Aufgabe erwies sich in gewisser Hinsicht als noch schwieriger als jene, sie von der Notwendigkeit der sozialistischen Revolution zu überzeugen.

Der Versuch, die neue Bindung an das Proletariat mit der alten Ästhetik auszusöhnen, erklärt wenigstens teilweise das Bemühen der Konstruktivisten, sich von nun an als "intellektuelle Arbeiter" zu bezeichnen. Die Einstellung der Formalisten, Soziales und Psychologisches zugunsten der reinen Technologie abzulehnen, nahm nun neue Gestalt an und präsentierte sich als kommunistische Unversöhnlichkeit.

Formalistische Kälte verwandelte sich in "bolschewistische" Härte, ohne jedoch das Studium des materialistischen Realismus zu durchlaufen. Das erklärt vielleicht die häufigen Misstöne in den Erklärungen Rodtschenkos, in denen Gefühl und Intuition abgelehnt werden.

Eine bürgerliche Wissenschaftlerin wie Christina Lodder wird von den Problemen und Behauptungen der Künstler selbst so verwirrt, dass sie schreibt: Rodtschenko "betrachtete den schöpferischen Akt weniger als einen Ausdruck persönlicher Inspiration, sondern vielmehr als eine quasi-wissenschaftliche Untersuchung der Eigenschaften der Malerei, wie Ton, Farbe, Linie, Struktur und Organisation. Weit entfernt davon, eine modernistische Bestätigung der,Autonomie’ der Kunst zu suchen, war ein solcher Standpunkt der Versuch - den auch die russischen literarischen Formalisten zur gleichen Zeit unternahmen -, die Kunst als eine spezialisierte, quasi-wissenschaftliche Tätigkeit und den Künstler selbst als einen Facharbeiter zu verstehen." (Die große Utopie, S.1999 Hervorhebung hinzugefügt)

Als Formalisten erklärten Rodtschenko und seine Kollegen, dass der Kunstgegenstand als Ding an sich existiere, und zwar außerhalb der Gesellschaft. Als Konstruktivisten erklären sie, dass das Werk des Künstlers als ein rein praktischer Gegenstand für die Gesellschaft existiere, und zwar außerhalb der Kunst.

Trotzki kritisierte diese Befürworter von "Kunst ins Leben", von "Kunst, die das Leben nicht verziert, sondern formt", in Literatur und Revolution aus verschiedenen Gründen. Zuerst zeigte er ihr "utopisches Sektierertum" auf. Er erklärte: "Selbst wenn die Theoretiker des LEF [Linke Front der Kunst] die allgemeine Entwicklungstendenz auf diesem oder jenem Gebiet der Kunst oder des Lebens richtig umreißen, stellen sie aus dieser historischen Antizipation ein Schema, ein Rezept auf und vergleichen es dann mit dem, was da ist.." (Literatur und Revolution, S. 111f)

Noch grundsätzlicher widersprach Trotzki jenen, die die Verbindung von Kunst und Leben als Ultimatum stellten. Er schrieb: "Mit anderen Worten: Die Dichter, Maler, Bildhauer und Schauspieler sollen aufhören widerzuspiegeln und darzustellen, Gedichte zu schreiben, Bilder zu malen, Skulpturen zu schaffen und auf der Bühne Dialoge zu führen und sollen ihre Kunst unmittelbar ins Leben hineintragen. Wie? Wohin? Durch welche Tore?" (ebd. S. 113)

Er argumentierte, dass es kein allzu großes Verständnis erfordern dürfte, zu begreifen, dass aufgrund der wirtschaftlichen und kulturellen Armut Russlands "noch die Gebeine mehrerer Generationen vermodern müssen, bevor die Kunst mit dem Alltag verschmilzt." (ebd. S. 114)

Wie wir aus dieser Antwort auf die extremeren Konstruktivisten und Produktivisten ersehen, legt Trotzki seinen Zweifel zu ihren Gunsten aus. Tatsächlich forderten sie nicht die Verschmelzung der Kunst mit dem Leben auf der Grundlage der ersteren, sondern die Auflösung der Kunst im Alltagsleben in seiner jetzigen Form und auf seinem jetzigen Niveau.

Tatlin hatte durchaus recht, auf das Element im Konstruktivismus hinzuweisen, das einer Anerkennung oder einem Vorschubleisten der vollendeten Tatsachen gleichkam. Kandinsky und Malewitsch hatten in gleicher Weise recht, wenn sie argumentierten, dass die Anbetung des gegebenen Stands von Technologie und Konstruktionswesen den Konstruktivismus mit gemeinem Positivismus und Utilitarismus verband.

Auf jeden Fall verteidigte Trotzki die Kunst energisch gegen ihre linken Abweichler: "...die Kunst als Mittel der Darstellung, als anschauliche Erkenntnis ablehnen - das hieße wahrhaft der Klasse, die eine neue Gesellschaft aufbaut, ein Instrument von allergrößter Wichtigkeit aus der Hand schlagen." (ebd. S. 114)

Er fragte, was es bedeutete, Erfahrung und Psychologie abzulehnen: "Auf welche Weise, mit welcher Begründung und in wessen Namen kann sich die Kunst der Innenwelt des heutigen Menschen zuwenden, der eine neue äußere Welt baut und damit auch an sich selbst arbeitet? Wenn die Kunst dem neuen Menschen bei seine Erziehung, Festigung und Verfeinerung nicht helfen soll, wozu dann eine solche Kunst?" (ebd)

Überzeugend wies Trotzki auch den Versuch zurück, Kunst auf eine intellektuelle Formel zu reduzieren: "Eine rein logische Betrachtungsweise macht die Frage nach der Kunstform völlig überflüssig. Man soll sie nicht mit dem Verstand beurteilen, der über die formale Logik nicht hinausreicht, sondern mit der Vernunft, die auch das Irrationale in ihren Bereich miteinbezieht, soweit es lebendig und lebensfähig ist. Die Poesie ist nicht so sehr eine rationale als eine emotionale Angelegenheit..." (ebd. S. 119, letzte Hervorhebung hinzugefügt)

Welcher Künstler, möchte man fragen, wirft die Kunst einfach aus dem Fenster, sobald neue und geschichtliche Anforderungen an sie gestellt werden? Wofür haben Künstler gekämpft, wenn nicht für eine solche Gelegenheit und Verantwortung? Wenn wir die Kunst als nutzlos zur Lösung großer Probleme ansehen würden, warum sollten wir uns dann überhaupt mit ihr befassen? Welchen "Zweck" hätte dann Kunst überhaupt?

Die extreme Position der Konstruktivisten leugnete tatsächlich, dass Kunst objektives Wissen hervorbringt und dem Menschen bei der Erkenntnis der Wirklichkeit genauso behilflich ist wie die Wissenschaft, wenn auch mit anderen Mitteln und andersartigen Ergebnissen.

Sie reduzierte Kunst auf eine Spielerei, einen Luxusartikel, eine Aktivität von Schmarotzern. Die Verbindung zwischen dem Kantianismus und dem schuldgeplagten Gewissen der Künstler sticht ins Auge. Rodtschenko und seine Kollegen unterschätzten sich und hatten nicht genug Vertrauen in ihr eigenes Wirken. In ihrem Innersten waren sie sich nicht sicher, ob sie nicht doch ihre Zeit vergeudet hatten.

Proletarische Kultur

An diesem Punkt müssen wir uns der Theorie und Praxis der Proletarischen Kultur, ihrer Schnittstelle mit dem Futurismus und dem Nutzen, den die aufsteigende stalinistische Bürokratie aus den Fehlern und der Verwirrung der Linken Avantgarde gezogen hat, zuwenden.

Der Ursprung der Proletarischen Kulturell-Erzieherischen Organisation (PROLETKULT) ist recht interessant und unterscheidet sich stark von dem oberflächlichen Eindruck, den man von der Bewegung hat. PROLETKULT war in der Tat eine unabhängige Organisation, die nur wenige Wochen vor der bolschewistischen Revolution gegründet wurde. Sie ging auf eine Idee von Alexander Bogdanow (1873-1928) zurück.

Bogdanow, den Lenin in seiner berühmten Polemik Materialismus und Empiriokritizismus angriff, war in vieler Hinsicht eine bemerkenswerte Persönlichkeit - Wissenschaftler, Science-Fiction-Autor, Theoretiker - aber philosophisch war er ein Feind des Marxismus. Ein "Ultralinker" während der Jahre der Reaktion, die der Niederlage der Revolution von 1905 folgte, versuchte er die idealistischen Theorien von Ernst Mach mit dem Marxismus zu versöhnen.1

Bogdanow wies den Materialismus zurück und behauptete, dass "die Elemente physischer Erfahrung" identisch seien mit der "psychischen Erfahrung", d.h. der Empfindung. Anders gesagt, es wies die Vorstellung zurück, dass die materielle Welt gegenüber dem Denken primär ist. Die Auffassung, dass das Denken die äußere Welt "widerspiegelt", zog er als ordinären, mechanischen Materialismus ins Lächerliche. Auf der Grundlage seiner neokantianischen Auffassung entwickelte er Theorien über Kultur und Gesellschaft, darunter die Vorstellung, dass Politik, Wirtschaft und Kultur völlig eigenständige Bereiche seien.

Die wesentliche Theorie des PROLETKULT lautete folgendermaßen: "Jede Klasse braucht die Kultur nicht nur als eine Widerspiegelung ihrer Ideale und Zielsetzungen, sondern tatsächlich als vorrangiges Instrument, um ihre Erfahrung auf ihre gewünschten Ziele hin zu orientieren; das Proletariat hat keine eigene Kultur, denn wirtschaftliche und politische Kämpfe haben all seine Kräfte aufgezehrt; die bürgerliche Kultur kann zweifellos nicht dazu dienen, die Psychologie des Proletariats zu organisieren; darum muß und kann das Proletariat seine eigene Kultur entwickeln. Es wurde davon ausgegangen, dass jedermann nach einigen Unterrichtsstunden in den handwerklichen Grundlagen zum proletarischen Künstler werden könne." (Maguire, S. 157)

Als Teilelement seiner Theorie machte Bogdanow die Einschätzung geltend, dass die Arbeiterklasse eine kulturelle/psychische Wiedergeburt durchmachen müsse, bevor sie in der Lage sei, in das Reich des Sozialismus einzutreten. Er legte große Betonung auf die Notwendigkeit, die unterwürfigen Gewohnheiten der Vergangenheit abzulegen und Verhaltensweisen, Gebräuche und besonders Autoritätsbeziehungen zu verändern.

Es war kein Zufall, dass Bogdanow, der sich (im Gegensatz zu seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen Lunatscharskij und PokrowskijI den Bolschewiki nicht wieder anschloß, die Oktoberrevolution als "verfrüht" ablehnte. Einige Zeit nach der Revolution schrieb er: "Und wenn (PROLETKULT) nicht stark genug wäre, hätte die Arbeiterklasse nichts, worauf sie sich stützen könnte, außer den Übergang von einer Sklaverei in eine andere, aus dem Joch der Kapitalisten unter das Joch der Ingenieure und Gebildeten." (zitiert bei Sochor, S. 185f)

Im Bereich der praktischen Politik kamen sein Theorien einer Art liberalem Wunschdenken, einer abstrakten Predigt kommunistischer Ethik gleich und, wie ein Kritiker bemerkte, dem Ersetzen ‚des wirklichen, existierenden russischen Arbeiters’ durch ‚ein Phantasiemodell eines Arbeiters’."

Bogdanow erfand einen regelrechten Ersatz für die Zehn Gebote, die er als "Gesetz des Neuen Gewissens" bezeichnete; "(1) Es soll keinen Masseninstinkt geben. (2) Es soll keine Sklaverei geben. (3) Es soll weder Subjektivismus persönlicher Art noch Subjektivismus mit Gruppencharakter geben, usw.

PROLETKULT unterstützte das bolschewistische Regime, und ihm wurde ein halboffizieller Status als Organisation für die kulturelle Erziehung der Arbeiterklasse gewährt, obwohl Bogdanow weit größere Zielsetzungen für die Organisation hatte. Von Anfang an teilte er mit dem Futurismus eine heftige Feindschaft gegen die Kultur der Vergangenheit. Auf der Gründungskonferenz in Petrograd argumentierten einige, "dass man die gesamte Kultur der Vergangenheit als bürgerlich bezeichnen könne, dass sie - außer im Bereich der Naturwissenschaften und technischen Fertigkeiten (und auch da mit Einschränkungen) - nichts Erhaltenswertes aufwies, und dass das Proletariat daran gehen werde, die alte Kultur zu zerstören und die neue unmittelbar nach der Revolution zu schaffen." (zitiert bei Sheila Fitzpatrick, The Commissariat of Enlightenment, Cambridge 1970, S. 92)

PROLETKULT brüstete sich mit seinem reinrassigen proletarischen Stammbaum. Die Organisation kritisierte Lunatscharskij und die Bolschewiki dafür, dass sie von bürgerlichen Experten Gebrauch machten. Bogdanow hatte die Vision einer Arbeiteruniversität und einer Arbeiterenzyklopädie, und zog eine Analogie zwischen der Aufgabe der Bolschewiki und jener der französischen Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts.

Bogdanow, der sich das momentane extrem niedrige Niveau des Wirtschaftslebens in Russland wegwünschte oder es gemäß seiner Theorie der kulturellen Autonomie ignorierte, erklärte: "Wir sind unmittelbare Sozialisten. Wir bekräftigen, dass das Proletariat jetzt und unmittelbar für sich selbst sozialistische Formen von Gedanken, Gefühlen und täglichen Leben schaffen muß, unabhängig von den Beziehungen und Konstellationen der politischen Kräfte." (Sochor, S. 148, Hervorhebung hinzugefügt.)

Im Bereich der Kunsterziehung hat PROLETKULT, soweit man es beurteilen kann, einige nutzbringende Arbeit geleistet. Er eröffnete Ateliers, die für Arbeiter und junge Leute zugänglich waren. 1920 hatte er nach eigenen Angaben 400 000 Mitglieder, von denen circa 80 000 in Ateliers beschäftigt waren.

Diese Arbeit hatte jedoch vorbereitenden Charakter und war notwendigerweise durch einen niedrigen Standard technischen Könnens gekennzeichnet. PROLETKULT erfreute sich der Unterstützung Bucharins, der ihre Bemühungen im Bereich des Theaters ausdrücklich wegen ihrer "Ungeschliffenheit" und "Dilettanz" lobte. Lunatscharskij antwortet darauf mit der Bemerkung, dass es seines Wissens "kein primitives ABC des Kommunismus" gebe, eine Anspielung auf das bekannte Werk Bucharins.

W.I. Lenin bei der Arbeit in seinem Moskauer Büro W.I. Lenin bei der Arbeit in seinem Moskauer Büro

Lenin hielt ein wachsames Auge auf Bogdanows Aktivitäten und wies die Bemühungen seiner Organisation scharf zurück, die Rolle des Bildungskommissariats unter Lunatscharskij, der Gewerkschaften und der Partei selbst an sich zu reißen. Am 1. Dezember 1920 veröffentlichte die Partei einen Brief, der den Anspruch "von Futuristen, Dekadenten, Anhängern einer marxismusfeindlichen idealistischen Philosophie und ... von Müßiggängern aus den Reihen der bürgerlichen Publizisten und Philosophen, den Charakter und die Richtung der proletarischen Kultur zu bestimmen ..." scharf zurückwies.

In Opposition zur Auffassung des PROLETKULT schrieb Lenin: "Wir vertreten nicht die utopische Auffassung, dass die Arbeitermassen für den Sozialismus bereit sind." Er tadelte Bogdanow und seine Mitdenker dafür, dass sie sich "zu ausschweifend und zu leichtfertig über ‚proletarische Kultur’ verbreiten ... Für den Anfang sollten wir froh sein, die groberen Formen vorbürgerlicher Kultur loszuwerden, d.h. bürokratische Kultur oder Kultur der Leibeigenschaft usw." (zitiert bei Sochor, S. 172) Offensichtlich als Folge dieser politischen Opposition setzte Bogdanow sich 1920 vom PROLETKULT ab und widmete sein restliches Leben wissenschaftlicher Arbeit.

In Literatur und Revolution hat Trotzki die Vorstellung einer eigenen "proletarischen Kultur" kategorisch zurückgewiesen. Er erläuterte, weshalb die Analogie, die die Theoretiker des PROLETKULT zwischen der bürgerlichen Revolution und der proletarischen Revolution aufstellten, von Grund auf falsch war:

"Das Proletariat hat ja gerade dazu die Macht ergriffen, um ein für allemal der Klassenkultur ein Ende zu setzen und der Menschheitskultur den Weg zu bahnen. Das scheine wir nicht selten zu vergessen ... Die Entwicklung der bürgerlichen Kultur setzte einige Jahrhunderte früher ein, bevor die Bourgeoisie mit Hilfe einer Reihe von Revolutionen die Staatsgewalt in ihre Hände nahm." (Literatur und Revolution, S. 156)

Die Bourgeoisie war eine kultivierte Klasse, schon bevor sie die Macht übernahm. Zur Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus im internationalen Maßstab erklärte Trotzki, "dass das Proletariat, sobald es das Stadium der kulturellen Lehrzeit verlässt, aufhört, Proletariat zu sein." (ebd. S. 163)

Die neue Kultur des Menschen werde klassenlos sein, und alle Versuche, sie verfrüht mit künstlichen Labormethoden zu schaffen, würden - besonders unter den Bedingungen des rückständigen, isolierten Russlands - zum Scheitern verurteilt sein.

In Passagen, die sich direkt auf Bogdanows idealistische Vorstellungen beziehen könnten, schrieb Trotzki: " ... es [das Proletariat] ist gezwungen, die Macht zu ergreifen, bevor es sich die Grundelemente der bürgerlichen Kultur angeeignet hat; es ist gezwungen, die bürgerliche Gesellschaft gerade deshalb mit revolutionärer Gewalt zu stürzen, weil diese ihm keinen Zutritt zur Kultur gewährt." (ebd. S. 163, Hervorhebung hinzugefügt)

Und weiter: "Das ist fast dasselbe, als wenn man mit den Moralisten und Utopisten erklären würde: vor dem Aufbau einer neuen Gesellschaft müsse sich das Proletariat auf die Höhe der kommunistischen Moral erheben... Aber geraten wir da nicht in einen Teufelskreis? Wie soll man eine neue Gesellschaft mit Hilfe der alten Wissenschaft und der alten Moral aufbauen? Hier muß man nun schon ein wenig Dialektik zu Hilfe nehmen..." (ebd. S. 166)

Anhand des Beispiels einer "proletarischen Wissenschaft" erklärte Trotzki, dass die Arbeiterklasse innerhalb der alten Kultur "gewisse Stützpunkte und gewisse wissenschaftliche Methoden" vorfinde, "welche das Bewusstsein von dem ideellen Joch der Bourgeoisie befreien". (ebd.)

Die revolutionäre Klasse findet und benützt gewisse objektive Fortschritte innerhalb der alten Gesellschaft, wobei sie "je nach Notwendigkeit einen gewissen Prozentsatz in ihr enthaltener reaktionärer Klassenligatur mit in Kauf nimmt. Das praktische Ergebnis rechtfertigt sich im großen und ganzen selbst, denn die unter die Kontrolle der sozialistischen Zielsetzung gestellte Praxis wird allmählich die Theorie, ihre Methoden und Ergebnisse kontrollieren und auswählen. Inzwischen werden auch die unter den neuen Verhältnissen erzogenen Gelehrten herangewachsen sein." (ebd. S. 167)

Dieses tiefe Verständnis über die Beziehung zwischen der alten und der neuen Kultur wurde von Bogdanow ausdrücklich zurückgewiesen und von den Künstlern der Avantgarde gar nicht erst begriffen. Ihre gemeinsame Opposition gegen eine materialistische Auffassung hinderte die beiden Tendenzen im allgemeinen jedoch nicht daran, in Kulturkreisen als bittere Konkurrenten aufzutreten.

Der futuristische Maler David Schterenburg wandte sich mit folgenden Worten an die Anhänger des PROLETKULT: "Ihr Schreit über proletarische Kultur. Ihr beansprucht ein Monopol. Aber was habt ihr während der ganzen Zeit getan, als ihr Gelegenheit genug zum Handeln hattet?... Nichts. Ihr seid ein weißer Fleck." (zitiert bei Fitzpatrick, S 123)

PROLETKULT erklärte seinerseits: "Ja, der PROLETKULT bekämpft Futurismus wie auch Imaginismus und erkennt den Einfluß der sterbenden Bourgeoisie mit ihren pervertierten Geschmäckern sogar in den kommunistischen Futuristen." (ebd. S. 238)

1923 suchte der PROLETKULT, zu dieser Zeit bereits eine schwindende Bewegung, jedoch ein Bündnis mit der LEF. Zwischen den beiden Bewegungen gab es sicherlich Berührungspunkte: "eine fortschrittliche Idee als Arbeitsmodell der Kunst; die Notwendigkeit, die,Psyche’ der Massen durch das Instrument der Kunst zu,organisieren’; der Blickwinkel auf eine sich dauernd verändernde und zukünftige Wirklichkeit anstatt auf statische Bilder des Lebens; die Vorstellung, dass der Künstler nicht ein einzigartiges Genie, sondern Ausdruck eines kollektiven Willens sei; Verachtung für die Kunst der Vergangenheit - und auch für einen Großteil der zeitgenössischen - als,passiv’,,kontemplativ’ und ohne Bezug zu den Aufgaben der Zeit". (Maguire, S. 155)

Aufgrund des Kampfes, den die Bolschewiki gegen ihre idealistischen und utopischen Auffassungen führten, verlor die alte PROLETKULT-Organisation an Einfluß und schrumpfte. Im Dezember 1922 wurde jedoch die OKTOBER-Gruppe gegründet, die behauptete, der einzige Vertreter proletarischer Kultur zu sein. Sie veröffentlichte die Zeitschrift Auf dem Posten (Na Postu).

Die Oktobristen unter der Führung von Awerbach, Wardin, Lelewitsch, Rodow und Wolin wurden schnell mit der Stalin-Fraktion identifiziert und betrieben während der ganzen 20er Jahre eine gehässige Kampagne gegen sämtliche künstlerischen oder intellektuellen Strömungen, die sich von der Bürokratie und deren Interessen abhoben.

Mitte der 20er Jahre wurde die Theorie der proletarischen Kultur zu etwas ganz Anderem als der Vorstellung, für die Bogdanow ursprünglich eingetreten war. Sie wurde zu einer Anpassung an die vorherrschenden ungünstigen Bedingungen und einer Ergänzung zur Theorie des Sozialismus in einem Land.

Im Mai 1925 erklärte Bucharin ausdrücklich, dass Trotzki bei der Zurückweisung des bloßen Gedankens an eine proletarische Kultur einen "theoretischen Fehler" begangen hätte, indem er den "Entwicklungsgrad der kommunistischen Gesellschaft... oder, anders ausgedrückt, die Geschwindigkeit des Schwindens der proletarischen Diktatur" übertrieben hätte. (zitiert bei Sochor, S. 169)

Bucharin behauptete, dass der proletarischen Kultur genügend Zeit für ihre Entfaltung zur Verfügung stehen werde, weil sich die Sowjetunion isoliert über einen langen Zeitraum hinweg zum Sozialismus hinentwickeln werde. (Bogdanow hingegen hatte mehrmals ausdrücklich betont, dass "der Sozialismus in keinem einzelnen Land für sich verwirklicht werden kann.")

Es steht außer Frage, dass die Futuristen-Konstruktivisten, wie auch die frühen Proletkultler bestimmte Parolen, Fragen und ideologische Waffen lieferten, die sich die Stalinisten zu eigen machten und gegen die künstlerische Produktion selbst richteten. Die Tiraden gegen Inspiration, Intuition, gegen "das Seelenvolle", die "Unklarheit" usw. wurden benutzt, um die Künstler in einer späteren Periode herumzukommandieren und in eine Zwangsjacke zu stecken.

Das verächtliche Abtun der bürgerlichen Kultur als reaktionärer Müll und die Zurückweisung aller formellen Betrachtungen wurde jeder künstlerischen Innovation und jedem unabhängigen Gedanken entgegengestellt.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass die grundlegende Ursache für den Machtaufstieg der Bürokratie in den ungünstigen objektiven Umständen lag: in den internationalen Niederlagen der Arbeiterklasse und in der Isolierung der Sowjetunion. Ohne die konterrevolutionären Bedingungen der späten 20er Jahre wären die Exzesse der kleinbürgerlichen Bohème, die sich in Kommunisten verwandelt hatte, wohl einfach dies geblieben: Exzesse.

Kritisiert man die Vorstellungen der Futuristen-Konstruktivisten, so muß man auch daran denken, dass sie nicht nur für die Politik, sondern auch für die Kunst Folgen hatten. Die Konstruktivisten für den "Sozialistischen Realismus" verantwortlich zu machen, wäre genauso falsch, wie sie für die stalinistische Tyrannei verantwortlich zu machen.

Und doch muß man feststellen, dass die Beschränkung der Kunst auf Verstand und Konstruktion, auf Propaganda und das unmittelbar Verständliche, einer Rückkehr zu eben dem Naturalismus und Realismus, den die Avantgarde so verabscheute, Tür und Tor öffnete.

Direktor des Experimentellen Theaters Wsewolod Meyerhold Direktor des Experimentellen Theaters Wsewolod Meyerhold

In einem bedeutenden Brief an Meyerhold vom April 1932, den Paul Wood zitiert, trifft Malewitsch diese äußerst wichtige Feststellung: "Ich bin ganz und gar davon überzeugt, dass, wenn Du bei der Form des Konstruktivismus bleibst - in die Du Dich nun verbissen hast - eine Form, die nicht eine künstlerische Fragestellung aufkommen lässt außer der nach reinem Utilitarismus und die in theaterähnlicher einfacher Agitation gehalten ist, was ideologisch hundertprozentig konsequent sein mag, aber hinsichtlich künstlerischer Probleme völlig kastriert ist und die Hälfte ihres Wertes einbüßt - wenn Du so weiter machst... dann wird Stanislawskij als Sieger hervorgehen und die alten Formen werden überleben." (The Great Utopia, S. 24)

Was letztlich den Sieg davontrug, war natürlich etwas viel Schlimmeres, als der alte Naturalismus Stanislawskijs.

Hoffentlich beantwortet die flüchtige Untersuchung des Konstruktivismus und seines ideologischen Unterbaus, die wir oben angeführt haben, auch noch einmal den Versuch Woods, die trotzkistische Linke Opposition mechanisch mit der künstlerischen Avantgarde gleichzusetzen.

Der Stalinismus setzte der politischen Entwicklung der meisten ernsthaften russischen Künstler und Kritiker ein Ende, wie das auch bei den Schichten der Intelligenz weltweit der Fall war, die sich zur Oktoberrevolution hingezogen fühlten. Die gesellschaftliche Atmosphäre, in welcher sowohl eine marxistisch-wissenschaftliche Intelligenz als auch eine Gemeinschaft kühner künstlerischer Experimentierer leben und ihre Arbeit gegenseitig befruchten konnten, wurde von der Bürokratie völlig zunichte gemacht.

Die Verteidigung der Kunst durch einen der Hauptorganisatoren des Oktoberaufstands von 1917 und ehemaligen Führer der Roten Armee gegen einen Teil der fortgeschrittensten Künstler selbst ist eine Ironie, zu der sich weder Wood noch irgend einer seiner Kollegen äußern können.

Allerdings würde Trotzki für sein Interesse an der künstlerischen Reflektion, dem psychologischen Scharfsinn und dem Gefühlsleben nicht nur von den Konstruktivisten der 20er Jahre, sondern auch von jedem Vertreter zeitgenössischer Semiotik, Dekonstruktion, Postmoderne usw., der etwas auf sich hält, in Grund und Boden verdammt werden.

In seinem Aufsatz über die Politik der Avantgarde besitzt Wood die Frechheit, Trotzkis Auffassung verächtlich als "traditionellen Humanismus" zu bezeichnen, worunter er vermutlich Interesse jeglicher Art für das "Menschliche" versteht.

Solche Akademiker und kleinbürgerliche Theoretiker interessieren sich für die Entwicklung der Kunst eben so wenig, wie für die Entwicklung der Arbeiterklasse oder des Sozialismus. Ihre Sorgen kreisen um ihren Ruf als gewagtester "Linker" der "Linken" (solange dies nicht zum kleinsten praktischen Eingreifen in der Arbeiterklasse verpflichtet), oder als Postmodernster der Postmodernisten oder als der kritischste der Kritiker des Postmodernismus.

Hinzu kommen die weltlicheren Angelegenheiten wie ganz Lehrstühle, Regierungsstipendien für Forschung und Karrieren als Herausgeber.

Abschließend soll auf zwei Punkte hingewiesen werden.

Erstens stehen wir heute zweifellos am Rande sozialer Erhebungen, die wieder einmal Teile der Intelligenz zum Sozialismus und zur Arbeiterklasse treiben werden.

"Ohne die elastische Atmosphäre eines sie umgebenden Mitfühlens", schrieb Trotzki, "kann die Kunst weder existieren noch sich entfalten." (Literatur und Revolution, S. 133) Ohne eine Spur Übertreibung kann man sagen, dass eine solche Atmosphäre heute nirgends auf der Welt existiert. Trotz all der tragischen Schwierigkeiten in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, darunter katastrophale Niederlagen und daraus resultierende politische Verwirrung, ist es unvermeidlich, dass die weitsichtigsten Intellektuellen im Lager der sozialen Revolution Stellung beziehen werden.

Eine kritische Auswertung der "russischen Erfahrung" ist darum keine unbedeutende oder akademische Angelegenheit. Natürlich ist es nicht möglich, eine ganze soziale Schicht (besonders eine, die kaum angefangen hat, sich zu bilden) gegen eine Reihe von "Kinderkrankheiten" und andere Übel zu impfen, aber Marxisten haben zumindest die Verantwortung, sich mit einigem Wissen über vergangene Kämpfe hinsichtlich dieser komplizierten Probleme zu wappnen.

Zweitens lassen die in New York ausgestellten Werke die außerordentliche Brillanz und revolutionäre Energie durchscheinen, die sie großen historischen Ereignissen verdanken, obwohl die Organisatoren der Ausstellung und die internationale Armee der Kunstkritiker größte Anstrengungen unternommen haben, sie zu verfälschen oder zu verharmlosen.

Sie erinnern uns daran, wozu Menschen - inspiriert von großen Prinzipien, Gedanken und Gefühlen - fähig sind, und wozu wir selbst fähig sind.

Man kann sich vorstellen, dass die Künstler selbst über Trotzkis Beschreibung ihrer Arbeit als "bedeutende Episode" in der Schaffung einer neuen Kunst vielleicht etwas unzufrieden und ungehalten waren. Er gedachte damit jedoch höchste Anerkennung zu zollen. Er nahm Bezug auf die Zukunft, wenn die Menschen ohne Ausbeutung und ohne das soziale Elend der heutigen Zeit in einer klassenlosen Gesellschaft leben würden.

Er gab zu verstehen, dass Majakowskij, Tatlin, Rodtschenko, Stepanowa, Rosanowa, Popowa und all jene Künstler, die die Sache der Arbeiterklasse und des Sozialismus unter den größten Entbehrungen unterstützten, einen Beitrag zu diesem zukünftigen Leben und seiner Kultur geleistet hätten.

Er schrieb: "Die noch gar nicht so nahe gerückte Zeit, in der die kulturelle und ästhetische Erziehung der werktätigen Massen die tiefe Kluft zwischen den schöpferischen Intelligenzlern und dem Volk überwunden haben wird, wird die Kunst ganz anders sehen als die heutige. Bei ihrer Vorbereitung wird sich der Futurismus als eines der unumgänglichen Glieder erweisen. Ist das etwa zu wenig?" (ebd. S. 133)

——————————————————————-

Anmerkungen:

1. Bogdanow, Alexander Alexandrowitsch (1873-1928) - russischer Sozialdemokrat, Philosoph, Soziologe und Ökonom. Er versuchte sein eigenes System des Empiriomonismus zu schaffen, eine Abart des Idealismus, die Lenin angriff. Ein Ultralinker nach der Revolution von 1905, verließ Bogdanow die Bolschewiki und gründete wenige Wochen vor der Oktoberrevolution 1917 den PROLETKULT.

Siehe auch:
Die große Lüge: "Traumfabrik Kommunismus - die visuelle Kultur der Stalinzeit"
(13. Dezember 2003)
Loading