Der Kampf gegen das EU-Finanzdiktat ist eine Klassenfrage

Vor und während dem EU-Gipfel in den vergangenen Tagen nahm der Konflikt zwischen den europäischen Regierungen außerordentlich scharfe Formen an. Zum Auftakt der Beratungen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel am Donnerstag schrieb Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung : "Deutschland durchlebt gerade seine schwerste außenpolitische Krise seit Jahrzehnten."

Entzündet hatte sich der Streit über die Frage, ob die Europäische Union Griechenland Finanzhilfen in Aussicht stellen solle, oder nicht. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte mit Nachdruck ein EU-Hilfsprogramm, um, wie er sagte, eine finanzielle Katastrophe mit unabsehbaren Folgen zu verhindern. Als ehemaliger Ministerpräsident Portugals sprach er im Interesse der Regierungen in den südeuropäischen Ländern, die in ähnlicher Weise wie Griechenland vom Staatsbankrott bedroht sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich entschieden dagegen aus und warnte vor einem Aufweichen der Maastrichtkriterien, in denen festgelegt ist, dass die Neuverschuldung eines Landes maximal drei Prozent und die Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen dürfen. Angesichts der internationalen Wirtschaftskrise müssten alle Regierungen strikte Haushaltsdisziplin einhalten, betonte Merkel und verlangte von der griechischen Regierung ein unbedingtes Festhalten an den beschlossenen Sparmaßnahmen.

Mit ihrer harten Haltung reagieren Merkel und die Bundesregierung auf ein grundlegendes Dilemma. Ein EU-Hilfspaket für Griechenland würde den EU-Stabilitätspakt in Frage stellen und den Druck auf den Euro erhöhen. Die Gemeinschaftswährung büßte gegenüber dem US-Dollar, im Vergleich zum Höchststand von 1,60 Dollar im Frühjahr des Jahres 2008 bereits rund 20 Prozent ein.

Die Verweigerung europäischer Finanzhilfen birgt aber nicht weniger große Gefahren. Sie könnten in Griechenland, Portugal und Spanien einen Staatsbankrott auslösen und damit den Zusammenbruch des Euro erst recht beschleunigen.

Dieses Dilemma hängt direkt damit zusammen, dass in der Europäischen Union trotz Binnenmarkt, Abschaffung von Zöllen und Grenzen und trotz der Einführung einer gemeinsamen Währung in 16 der 27 EU-Mitgliedsstaaten die europäischen Nationalstaaten noch immer bestehen und alle wichtigen Entscheidungen auf nationaler Ebene getroffen werden.

Unter Bedingungen von wirtschaftlichem Aufschwung und Prosperität konnte die Mehrheit der europäischen Regierungen von der EU und dem europäischen Binnenmark profitieren. Doch angesichts der Wirtschaftskrise verschärfen sich die Konflikte und spitzen sich zu. Deutschland, das die Ausdehnung der EU lange Zeit mit hohen Finanzbeiträgen unterstützt hat, weil es von ihr wirtschaftlich stark profitierte, nutzt nun seine Wirtschaftsmacht, um drastische Sozialkürzungen und Sparmaßnahmen zu diktieren.

Die Entscheidung des jüngsten Brüsseler Gipfels, keine direkten EU-Finanzhilfen für Griechenland bereitzustellen und nur im äußersten Notfall Maßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch sogenannte bilaterale Hilfen der EU-Länder zu unterstützen, waren direkt von den Interessen des europäischen und internationalen Finanzkapitals bestimmt. Der griechischen Regierung wurde unmissverständlich klar gemacht, dass von ihr erwartet und verlangt werde, die geplanten Sparmaßnahmen auch gegen den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen.

Ebenso deutlich gab die Berliner Regierung Kommissionspräsident Barroso zu verstehen, dass dies auch für Portugal, Spanien und Italien gelte.

Den Finanzmärkten wurde signalisiert, dass im Fall einer staatlichen Zahlungsunfähigkeit - der ultima ratio, wie Merkel es nannte - die Profite der europäischen und internationalen Banken nicht gefährdet seien, sondern durch ein internationales Rettungsprogramm abgesichert seien. Allerdings werde ein solches Rettungsprogramm erneut mit drastischen Auflagen für die Regierung verbunden.

Selten zuvor trat die Europäische Union derart deutlich als das in Erscheinung, was sie ist: Ein Instrument zur Durchsetzung einer Diktatur der europäischen Banken. Wobei der stärkste Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent den Ton angibt und die Bedingungen diktiert.

Bisher propagierte die EU die friedliche und harmonische Vereinigung Europas. Doch die Wirtschaftskrise hat dieser Propaganda den Boden entzogen. Wie bereits in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist auch heute eine Vereinigung Europas unter kapitalistischen Bedingungen eine reaktionäre Utopie. Sie läuft wie 1914 und 1939 darauf hinaus, dass die stärkste europäische Wirtschaftsmacht alle anderen Staaten dominiert.

Diese historische Krise Europas und die besondere Rolle des deutschen Kapitalismus fasste Leo Trotzki wenige Monate vor der Machtübernahme der Nazis im Herbst 1932 mit folgenden Worten zusammen: "Sind die wirtschaftlichen Übel unserer Epoche letzten Endes ein Ergebnis der Tatsache, dass die Produktivkräfte der Menschheit unvereinbar mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln wie mit den nationalen Grenzen sind, so unterliegt der deutsche Kapitalismus den heftigsten Konvulsionen gerade darum, weil er der modernste, fortgeschrittenste, dynamischste Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent ist."

Eingezwängt in das enge Käfigsystem der europäischen Nationalstaaten versucht auch heute wieder die deutsche Wirtschaft Europa zu dominieren. Dagegen regt sich Widerstand. In der vergangenen Woche nahmen die Attacken auf Deutschland heftige Formen an. Politiker der kleineren Länder warfen der deutschen Regierung vor rücksichtslos den eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu suchen und andere europäische Staaten in eine Verschuldung zu treiben, von der dann wieder die deutschen Banken am meisten profitierten.

Vor allem die Gewerkschaften und die ihnen nahe stehenden Organisationen wie SYRIZA in Griechenland verbreiten diese nationalistische Hetze. Bei den vergangenen Aktionstagen riefen sie zum Boykott deutscher Waren auf, wobei derartige Appelle vor allem dazu dienen enger an die eigene Regierung heranzurücken und einen gemeinsamen Kampf der europäischen Arbeiter zu unterdrücken.

Die Arbeiterklasse muss diese nationalistischen Initiativen und Attacken zurückweisen. Der anti-deutsche Nationalismus ist nicht besser, als der deutsche Chauvinismus. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Die ebenso blutige, wie tragische Konsequenz dieser Politik ist in Europa noch allgegenwärtig.

Der Kampf gegen das EU-Finanzdiktat ist keine nationale Frage, sondern eine Klassenfrage.

Um das drakonische Sparprogramm, das die Papandreou-Regierung im Auftrag der europäischen Banken durchsetzen will, zurückzuschlagen, müssen sich die griechischen Arbeiter mit ihren deutschen Kollegen und allen europäischen Arbeitern zusammenschließen. Während der Zeit der griechischen Diktatur in den sechziger und siebziger Jahren haben viele Arbeiter aus Athen, Thessaloniki und anderen Teilen Griechenlands in Deutschland und anderen europäischen Ländern gearbeitet. Viele haben heute noch Freunde und Bekannte aus dieser Zeit in mehreren Ländern.

Diese Zusammenarbeit muss nun auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms wieder aufgenommen und entwickelt werden. Ein solches Programm muss von der prinzipiellen Feststellung ausgehen, dass die Arbeiter in keinem Land für die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen verantwortlich sind. Die Behauptung, es sei kein Geld da, ist eine Lüge. Seit Jahren plündert die herrschende Elite in jedem Land die Arbeiterklasse aus und bereichert sich durch den Abbau von Sozialstandards.

Um die Krise zu lösen, ist es notwendig die Macht der Finanzaristokratie zu brechen. Das erfordert die Enteignung der Banken. Um die Finanzwirtschaft zu zwingen, Produktion und Handel zu finanzieren, muss sie dem privaten Zugriff entzogen und der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung unterstellt werden. Das erfordert den Kampf gegen die reaktionäre und feige Politik der Gewerkschaften und ihrer kleinbürgerlichen Lakaien, die jeden ernsthaften Kampf gegen die internationalen Banken sabotieren und eng mit der jeweiligen Regierung zusammenarbeiten.

Die Arbeiterklasse darf nicht zulassen, dass die Balkanisierung Europas vorangetrieben wird. Sie muss einen internationalen Kampf für die Errichtung von Arbeiterregierungen und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufnehmen.

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