Fluglotsen bereiten Streik vor

Ab dem kommenden Montag müsse mit einem Streik der Fluglotsen gerechnet werden, der empfindliche Auswirkungen auf den Flugverkehr haben werde. Das erklärte der Verhandlungsführer der "Gewerkschaft der Flugsicherung" (GdF) Dirk Vogelsang und fügte hinzu: "Ab Anfang nächster Woche ist alles möglich. Es kann auch einen der großen Flughäfen treffen."

Bereits am Donnerstag letzter Woche hatte sich der Bundesvorstand der Fluglotsengewerkschaft einstimmig für Streiks ausgesprochen. Zuvor waren die Tarifgespräche mit der "Deutschen Flugsicherung" (DFS) abgebrochen und die Verhandlungen über die "Neufassung der Sonderregelungen" für gescheitert erklärt worden.

Nach Angaben der Gewerkschaft stehen nicht Einkommensfragen, sondern ein so genannter Belastungsausgleich für Mitarbeiter im operativen Dienst im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Gegenüber der WSWS sagte GdF-Vorstandsmitglied Markus Siebers, die Arbeitsbelastung für die Fluglotsen steige ständig weiter an und werde zusätzlich verschärft, weil Arbeitskräfte fehlten. Immer weniger Fluglotsen müssten immer mehr arbeiten.

"Die Frage der Arbeitsbelastung und generell der Arbeitsbedingungen der Fluglotsen betrifft nicht nur die Beschäftigten, sondern ist eine Frage von großem öffentlichen Interesse. Denn es geht hier um die Sicherheit der Passagiere, das heißt, es geht nicht um so genannte Privilegien einer bestimmten Berufsgruppe, sondern um das Wohlergehen sehr vieler Menschen", betonte Siebers, der im GdF-Vorstand für Tarif und Rechtswesen zuständig ist.

Nach Gewerkschaftsangaben hat der Personalabbau der vergangenen Jahre eine Situation geschaffen, in der die Unterbesetzung nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und in den kommenden fünf Jahren 650 zusätzliche Fluglotsen benötigt werden. Gleichzeitig bedeute die Unterbesetzung eine Mehrbelastung der Beschäftigten und daher sei ein Belastungsausgleich unumgänglich.

Auch der Pressesprecher des Flugsicherungsunternehmens DFS, Axel Raab, gab einen Mangel an Fluglotsen zu und sprach von einem Mehrbedarf von 200 Luftraumüberwachern. Er bestätigte damit indirekt die hohe Arbeitsbelastung der Beschäftigten. Dennoch erklärte die DFS-Verhandlungskommission, dass die Forderung der GdF bezüglich des Belastungsausgleichs 2009/2010 nicht erfüllbar sei. Der Personalchef der DFS Jens Bergmann bezeichnete die Forderungen der GdF als "nicht nachvollziehbar" und forderte eine Rückkehr der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch.

Nur kurze Zeit später begann in den Medien eine Kampagne, die gegen einen Streik der angeblich privilegierten Fluglotsen Stimmung macht. So titelte beispielsweise Focus Online : "Fluglotsen verdienen gut und arbeiten wenig. Trotzdem wollen sie für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Ihr Arbeitgeber hat dafür kein Verständnis."

In Wirklichkeit sind die Forderungen der Fluglotsen in jeder Hinsicht berechtigt. Der Personalmangel ist unstrittig, auch wenn er von Unternehmens- und Gewerkschaftsseite unterschiedlich beziffert wird. Die steigende Arbeitsbelastung der Lotsen ist ebenso unstrittig. Sie müssen immer mehr Überstunden leisten und arbeiten teilweise sogar in Unterbesetzung. Erst vor kurzer Zeit musste nach einem Bericht von Welt Online ein Flugzeug der Fluggesellschaft Ryanair in Berlin landen, weil der Tower im Zielflughafen Altenburg nicht besetzt war.

Der Mangel an Fluglotsen und die unzumutbare Arbeitsbelastung hat fatale Auswirkungen auf die Flugsicherheit. Sie hat in der Vergangenheit bereits zu mehreren Zwischenfällen geführt. In trauriger Erinnerung ist vielen noch die schlimme Katastrophe am Bodensee, als 2002 71 Menschen bei einem Flugzeugzusammenprall ums Leben kamen. Dieser tragische Unfall wäre bei hinreichender personeller Besetzung und technischer Ausstattung der privatisierten Schweizer Flugüberwachungsgesellschaft Skyguide vermeidbar gewesen.

Doch genau dies ist seit der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs seit Beginn der 90er Jahre immer weniger gewährleistet. Spätestens seitdem die Europäische Kommission Ende der 90er beschloss, einen einheitlichen europäischen Luftraum (European Single Sky) zu etablieren, werden die Flughäfen und die Flugüberwachung systematisch in den immer heftiger geführten Konkurrenzkampf der Airlines mit einbezogen. Bei der Umstrukturierung des europäischen Luftraums steht nicht etwa die höhere Sicherheit im Zentrum, sondern die Kostensenkung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Flugüberwachungsunternehmen.

Marc Baumgartner, der Präsident des Weltdachverbandes der Fluglotsengewerkschaften IFATCA, erklärte nach dem schlimmen Unfall am Bodensee, dass der "gestiegene kommerzielle Druck auf die Flugüberwachungsgesellschaften überall dazu geführt hat, dass schon seit Jahren zu wenig Fluglotsen ausgebildet und Investitionen in wichtige technische Geräte unterlassen werden. Europaweit fehlen 2000 Fluglotsen. Skyguide ist jedenfalls kein Einzelfall. Bei vielen Flugüberwachungen, wie z. B. der Deutschen Flugsicherung (DFS), werden viele Sachen nicht mehr gemacht, die man früher getan hat, als man sich noch im Staatsbesitz befand."

Mit Blick auf die Überlastung der Fluglotsen sagte Baumgartner: "Durch den kommerziellen Druck werden die Flugüberwachungsunternehmen versuchen, billiger zu werden. Schwerpunkt sind dabei Personalausgaben, die 50-60 Prozent ihrer Betriebskosten ausmachen."

In diesem Zusammenhang muss der gegenwärtige Tarifkampf der Fluglotsen gesehen werden. Er richtet sich dagegen, dass die Privatisierung und Kommerzialisierung der Flugüberwachung auf Kosten der Beschäftigten und auf Kosten der Sicherheit der Passagiere durchgeführt wird.

Bis 1993 sorgte eine Bundesbehörde, die Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS), für die Flugsicherheit in Deutschland. Zum Jahresanfang 1993 wurde die Behörde dann in eine privatrechtliche Organisationsform (GmbH) überführt, blieb allerdings immer noch ein zu hundert Prozent bundeseigenes Unternehmen. Zehn Jahre später leitete die rot-grüne Bundesregierung einen weiteren Schritt in Richtung Privatisierung ein. Der Bundesanteil sollte auf eine Sperrminorität reduziert werden. Die Lufthansa und das Unternehmen Fraport AG, die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens, die auch an weiteren deutschen und ausländischen Flughäfen beteiligt ist, meldeten sofort Interesse am Erwerb von Firmenanteilen an.

Weil es sich bei der Flugsicherheit aber um so genannte "hoheitliche Aufgaben mit sonderpolizeilichem Charakter" handelt, und weil davon auch die militärischen Flugsicherheitsdienste betroffen sind, folglich die Entscheidung auch verteidigungspolitische Bedeutung hat, verweigerte der Bundespräsident bisher seine Zustimmung zu diesem Privatisierungsgesetz. Die gegenwärtige Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag allerdings festgelegt, die Privatisierung der Flugsicherheit weiter zu forcieren.

Unter diesen Bedingungen richtet sich die DFS auf den verstärkten europäischen und internationalen Wettbewerb aus und versucht durch drastische Kürzungen im Sozialbereich die Konkurrenzfähigkeit zu steigern. Im letzten Geschäftsbericht für das Jahr 2008, der im Mai 2009 veröffentlicht wurde, brüstete sich die Geschäftsleitung mit einem Jahresüberschuss von 49,6 Millionen Euro, einer Gewinnsteigerung gegenüber dem Vorjahr von 18,5 Prozent. Die weltweite Wirtschaftskrise habe sich im letzten Quartal deutlich bemerkbar gemacht, heißt es in dem Geschäftsbericht. Daher sei die Gewinnsteigerung gegenüber dem Vorjahr 2007 deutlich niedriger, als der Jahresüberschuss von 17,2 Millionen (2006) auf 41,8 Millionen Euro gestiegen war.

Diese Zahlen machen deutlich, was von der Behauptung der DFS-Geschäftsführung zu halten ist, die Forderung der Gewerkschaft nach einem angemessenen Belastungsausgleich der Beschäftigten sei nicht finanzierbar. Hinter dem unnachgiebigen und provokativen Verhalten der Unternehmensleitung steht die politische Entscheidung, die Privatisierung der DFS voranzutreiben und das deutsche Flugsicherungsunternehmen zum Marktführer in Europa aufzubauen. Dabei arbeitet die Unternehmensleitung Hand in Hand mit der Bundesregierung und dem Bundesverkehrsministerium.

Das aber bedeutet, dass die Beschäftigten in dem Streik, der gegenwärtig vorbereitet wird, mit der Regierung konfrontiert sind und sich auf eine politische Auseinandersetzung vorbereiten müssen.

Es wäre nicht zum ersten Mal, dass die Zerschlagung einer Fluglotsen-Gewerkschaft den Auftakt für einen Generalangriff auf die Beschäftigten in allen andern Bereichen bildet. Vor knapp dreißig Jahren erklärte der damalige amerikanische Präsident Ronald Reagan den Streik der Professional Air Traffic Controllers Organization (PATCO) als unzulässig und setzte die Entlassung von mehr als 10.000 Fluglotsen durch. Die Gewerkschaft wurde aufgelöst, und es folgten massive Angriffe auf alle Arbeiter.

Im gegenwärtigen Tarifkampf versuchen die Funktionäre der GdF die politischen Fragen gezielt auszublenden und einer Konfrontation auszuweichen. Stattdessen bieten sie sehr weitgehende Zugeständnisse an. Einige der Funktionäre stammen aus der Zeit, als die Flugsicherheit noch von der Bundesanstalt durchgeführt wurde und viele Fluglotsen Beamte waren. Sie arbeiten auf einen "tragfähigen Kompromiss" hin. Doch die Geschäftsleitung nutzt diese Kompromissbereitschaft, um die Erpressung der Beschäftigten zu verstärken.

Daher müssen in der gegenwärtigen Streikvorbereitung zwei Dinge ins Zentrum gestellt werden: Erstens müssen die Beschäftigten von Anfang an eine eigene Kontrolle über den Arbeitskampf errichten, indem sie Streikkomitees bilden, die ihre Entscheidungen nicht von den taktischen Überlegungen der Gewerkschaft abhängig machen. Zweitens müssen diese Komitees enge Verbindungen zu den anderen Beschäftigten in der Luftfahrtindustrie (Piloten, Flugbegleiter, Bodenpersonal), aber auch zu Arbeitern in anderen Industrien und Verwaltungen aufbauen, um eine breite politische Bewegung gegen die Bundesregierung aufzubauen.

Der Arbeitskampf erfordert ein politisches Programm, das der kapitalistischen Privatisierungspolitik entgegentritt und eine sozialistische Umwandlung der Gesellschaft im Interesse der Bevölkerung anstrebt. Das erfordert auch eine enge Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg mit den Beschäftigten in anderen Ländern, die vor denselben Problemen stehen.

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