Tragödie in West Virginia

Absprache der Aufsichtsbehörde mit Kohlebossen führte zum Tod in der Grube

Am 5. April kam es in der Zeche Upper Big Branch im südlichen West Virginia zu einer tödlichen Explosion. Zahlreiche Hinweise deuten daraufhin, dass der Kohlegigant Massey Energie systematisch gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen hat.

Die Tatsachen zeigen, dass die Bundesaufsichtsbehörde nichts unternommen hat, um die Grubengesellschaft zur Einhaltung der Sicherheitsstandards zu zwingen. Die Gesellschaft hat bewusst gegen zahlreiche Sicherheitsbestimmungen verstoßen, und die Bergarbeiter waren den zwangsläufigen Folgen schutzlos ausgeliefert. Die lebensgefährlichen Bedingungen in dem Bergwerk waren den Behörden durchaus bekannt.

Am vergangenen Montag, den 5. April erschütterte eine gewaltige Explosion die Grube und forderte das Leben von 29 Bergarbeitern. Die Katastrophe in der Grubenanlage Montcoal in West Virginia ist jetzt schon die Schlimmste der letzten vierzig Jahre in den USA und forderte die meisten Todesopfer.

Massey Energy Company, der größte Kohleproduzent in den zentralen Appalachen, ist seit langem für sein rücksichtsloses Profitstreben berüchtigt. Vorstandschef Don Blankenship ist ein rechter Republikanischer Multimillionär. Er machte sich in der Kohleindustrie 1984-85 einen Namen, als er bei der damaligen Firma AT Massey die Zerschlagung der Bergarbeitergewerkschaft leitete.

Blankenship heuerte eine Armee von paramilitärischen Söldnern an, die mit Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen gegen die Bergarbeiter vorging. Die Bergarbeiter waren nicht nur mit dieser Terrorkampagne der Firma, einem gerichtlichen Verbot von Massenstreikposten und Polizeieskorten für Streikbrecher konfrontiert. Sie wurden auch von der Führung der Bergarbeitergewerkschaft United Mine Workers of America (UMWA) alleingelassen und verraten. Die Gewerkschaft weigerte sich, den Streik auszudehnen.

Die Niederlage des Streiks bei AT Massey war ein Meilenstein im Zusammenbruch der UMWA und der Zerstörung der Errungenschaften, die die Bergarbeiter in Generationen von erbitterten Kämpfen gewonnen hatten.

Blankenship führt, genau wie die übrigen Kohlekonzerne, eine offene Kampagne gegen die Sicherheitsstandards in den Bergwerken und missachtet sie straflos. Die staatlichen Behörden, die die Kohleförderer überwachen und die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen erzwingen müssten, besorgen in Wirklichkeit das Geschäft der Konzerne.

Das gesamte Überwachungsregime für die Kohleindustrie ist ein zynisches System von Einzelschritten - Beanstandung der Verletzung von Vorschriften und Verhängung von Geldstrafen - wobei die Aufseher schon vorher wissen, dass die meisten Geldstrafen nie bezahlt werden. Keinerlei ernsthafte Schritte werden unternommen, um die Sicherheitsrisiken zu beseitigen. Unternehmer und Aufsichtsbehörden verfolgen gemeinsam das Ziel, Sicherheit, Gesundheit und Leben der Bergarbeiter den Profitinteressen der Kohlebosse unterzuordnen.

Hier einige Tatsachen:

Der Zeche Upper Big Branch wurde in den vergangenen achtzehn Monaten die Verletzung von 600 Sicherheitsbestimmungen vorgeworfen, alleine in diesem Jahr schon 124. Viele dieser Beanstandungen betrafen unzureichende Entlüftung von explosivem Methangas und illegale Konzentrationen von Kohlenstaub. Das sind die beiden wichtigsten Ursachen für Bergwerksexplosionen. (Unterlagen der Bundesbehörden belegen, dass jeden Tag bis zu 56.000 m3 Methangas in die Upper Big Branch einströmen.)

Im März haben mehrere Tests gezeigt, dass das Entlüftungssystem nur die Hälfte des Volumens an Luft umwälzen kann, das notwendig gewesen wäre, um den Kohlenstaub- und Methangasgehalt der Luft auf einem ungefährlichen Niveau zu halten.

Pat McGinley, Juraprofessor an der Universität von West Virginia und Experte für die Kohleindustrie, erklärte: "Wenn das Belüftungssystem eines Bergwerks auch nur eine Stunde lang unzureichend arbeitet, und wenn dadurch eine nicht akzeptable Konzentration von Kohlenstaub entsteht, dann ist das für Bergarbeiter lebensbedrohend."

Mehrere Mitglieder der Rettungsmannschaft haben die Explosion vom 5. April in der Zeche Upper Big Branch als die größte bezeichnet, die sie je gesehen haben. Es ist fast sicher, dass diese Explosion durch eine gewaltige Konzentration von Methangas verursacht und durch zu hohe Konzentration von Kohlenstaub noch verschlimmert wurde.

Es gab zahlreiche Warnsignale, dass eine solche Katastrophe drohte. Aufsichtsbeamte der Mine Safety and Health Administration (MSHA) haben in den letzten sechzehn Monaten mehr als sechzigmal die vorübergehende Schließung der Grube oder von Teilen von ihr angeordnet.

2008 wurde die Zeche wegen 458 Verletzungen der Sicherheitsbestimmungen belangt, von denen fünfzig als "unwarrantable failures to comply" (unverantwortliche Nicht-Einhaltung der Regeln) bezeichnet wurden. Das ist ein Ausdruck für absichtliche oder grobe Nachlässigkeit.

Informationen zufolge, die am Donnerstag auf der Web Site der MSHA erschienen, klagte die Behörde den Bergwerksbetreiber an, weil er Bergarbeiter dazu zwang, sich in bis zu 1,20 Meter tiefem, schmutzigem Wasser zu bewegen und dort zu arbeiten. Die MSHA erklärte, das führe "zur Gefahr des Stolperns und ins Wasser Fallen ... was zum Ertrinken führen kann".

Im folgenden Monat beschuldigte die MSHA die Zeche "verschärften Fehlverhaltens", weil sie eine "bekannte Gefährdung" in Form von "brennbaren Materialien" nicht beseitigt hatte. Diese Materialien hatten sich unter einem Förderband in der Mine angesammelt.

Im März warf die MSHA dem Betreiber vor, "Schlamm und Schmutzwasser" bis zu zehn Zentimeter hoch im Bergwerk zuzulassen. Die Behörde berichtete, der Betreiber habe "offenbar keinerlei Schritte" unternommen, als die Missstände neun Tage später erneut begutachtet wurden.

Am Donnerstag teilte ein Sprecher der MSHA mit, die Zeche Upper Big Branch habe eine elffach höhere Beanstandungsquote bei ernsten Sicherheitsproblemen als der nationale Durchschnitt. Aber trotz alledem lehnte die MSHA ab, die Zeche wegen "systematischer Verletzung der Vorschriften" zu melden, was den überwachenden Bundesbehörden ermöglicht hätte, eine strengeres Überwachungsregime, bis hin zur Schließung des Bergwerks, anzuwenden.

In einem Brief an den Bergwerksbetreiber vom Dezember 2007 schrieb die MSHA, dass das Bergwerk doppelt so häufig wie im nationalen Durchschnitt wegen ernster Sicherheitsverletzungen ermahnt worden sei. Der Brief kündigte an, dass das Bergwerk wegen "systematischer Verstöße" gemeldet werden würde, wenn sich nichts ändere.

Aber nach einem Bericht in der New York Times "gab die Behörde bekannt, dass die Zeche Upper Big Branch und neunzehn andere, die im Dezember ermahnt worden waren, Pläne umgesetzt hätten, durch welche sie mit den Problemen fertig werden könnten. Sie seien nur noch in wenigen Fällen gerügt worden. Keine einzige wurde der verschärften Aufsicht unterstellt.... Nachdem die Beanstandungen zurückgegangen waren, stiegen sie im folgenden Jahr wieder um mehr als das Doppelte."

Am 25. März 2008 schrieb die MSHA in einem Brief, in dem die Upper Big Branch darüber informiert wurde, dass sie nicht wegen systematischer Verstöße zur Verantwortung gezogen würde: "Wir gratulieren zu dem Erfolg."

Vor sechs Monaten untersuchte die MSHA die Zeche erneut auf systematische Verstöße, aber konnte erneut kein System erkennen.

MSHA-Sprecher geben an, die Behörde habe tatsächlich noch nie von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, Anordnungen oder Verfügungen von Bundesgerichten gegen Zechen wegen systematischer Verfehlungen oder wegen der Gefährdung der Sicherheit von Bergarbeitern zu erwirken.

Unabhängig davon hat die MSHA nur geringe Möglichkeiten, die Bergwerkssicherheitsgesetze der Bundesregierung durchzusetzen. Bergwerksgesellschaften, die bewusst Sicherheitsstandards wie Vorschriften über Staubkonzentrationen oder Deckenstabilität missachten, können nur wegen Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden.

Zudem berichtete USA Today am Freitag, dass Bergwerksbetreiber regelmäßig sogar relativ geringe Geldstrafen für schwerwiegende Verstöße nicht bezahlen, die von der MSHA verhängt werden. Die Zeitung berichtete aufgrund eigener Analysen von Zahlen der Bundesregierung, dass Grubengesellschaften nur sieben Prozent der Geldstrafen bezahlt hätten, die in den letzten drei Jahren gegen sie verhängt worden waren.

Massey und die anderen Kohlekonzerne legen einfach Einspruch gegen hohe Geldstrafen ein und bestreiten Verstöße. So schaffen sie einen riesigen Rückstau von Verfahren, was praktisch dazu führt, dass sie die Strafen nicht bezahlen müssen. Die Zeche Upper Big Branch hat zum Beispiel seit 2007 nur eine einzige größere Geldstrafe über 10.750 Dollar bezahlt. Sie hat gegen 21 höhere Geldstrafen über insgesamt 505.000 Dollar Einspruch eingelegt oder ist einfach mit der Zahlung im Rückstand.

Insgesamt haben die amerikanischen Kohlekonzerne seit April 2007 von 113 Millionen Dollar an größeren verhängten Geldstrafen nur acht Millionen tatsächlich bezahlt. Die Strafen sind unter dem Bergarbeitergesetz von 2006 erhöht worden.

Auf diese Weise ermöglichen es Demokratische genauso wie Republikanische Regierungen Massey und den anderen Kohlekonzernen, Produktion und Profite zu erhöhen, indem sie eine schrumpfende Zahl von Bergarbeitern immer stärker ausbeuten. Arbeitsunfälle, tödliche Krankheiten wie die Staublunge und Todesfälle durch Grubenexplosionen sind für sie einfach Bestandteil des Produktionsprozesses.

Seit 1978 ist die Kohleproduktion fast verdoppelt worden, während die Zahl der Bergarbeiter von 220.000 auf 110.000 glatt halbiert wurde. Im Tiefbergbau ist die Produktion um 56 Prozent gestiegen, während die Zahl der Bergarbeiter um 60 Prozent zurückgegangen ist.

Massey Energy erlangte 2009 einen Profit von 104 Millionen Dollar, d.h. doppelt so viel wie im Jahr davor, obwohl die Nachfrage nach Kohle zurückgegangen ist. Das wurde durch Sparprogramme erreicht, die 700 Entlassungen, die Senkung von Löhnen und Sozialleistungen, eine Erhöhung des Arbeitstempos, Überstunden und Einsparungen durch die Nichtbeachtung von Sicherheits- und Arbeitsschutzvorschriften beinhalten. Blankenship selbst raffte 24 Millionen Dollar im Jahr 2007 und ca. 28 Millionen im Jahr 2008.

Bei einer Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses ging Präsident Obama am Freitag auch auf die Bergwerkstragödie in West Virginia ein. Er trug Sympathie mit den trauernden Familien und der Bergwerksgemeinde zur Schau, vermied aber peinlich jede Kritik an Massey Energy. Er dichtete der Firma im Gegenteil völlig ungerechtfertigt Sorge um das Wohlergehen der Bergarbeiter an, als er sagte: "Aber ihre Regierung und ihre Arbeitgeber wissen um ihre Verpflichtung, dass sie es diesen Familien schulden, alles für ihre Sicherheit zu tun, wenn sie jeden Morgen wieder zur Arbeit gehen."

Dann zitierte Obama aus dem Brief eines der bei der Explosion getöteten Bergarbeiter an seine Freundin und seine Tochter, bevor er am Montagmorgen zur Arbeit fuhr. "Wenn mir etwas geschehen sollte", schrieb der 25-jährige Bergarbeiter, "dann werde ich vom Himmel auf euch herabschauen."

Der Präsident schwieg sich darüber aus, was ein solcher Brief über die Bedingungen aussagt, unter denen die Bergarbeiter zu arbeiten gezwungen sind, und dass es für alle - die Bergwerksbesitzer, die Überwachungsbehörden und die Arbeiter selbst - offensichtlich war, was für ein Pulverfass der Schacht darstellte.

Siehe auch:
Die Gewerkschaft United Mine Workers of America und die Wiederkehr der Staublunge
(22. Januar 2010)
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