Griechenland, die Krise des Euro und die Aufgaben der Arbeiterklasse

Die Entscheidung der amerikanischen Rating-Agentur Standard & Poor´s (S&P), griechische Staatsanleihen auf Ramschniveau abzustufen, und die anschließende Senkung der Kreditwürdigkeit Portugals und Spaniens leiten ein neues Stadium der europäischen und internationalen Finanzkrise ein.

Die Spekulation auf einen Staatsbankrott Griechenlands weitet sich zur Spekulation auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone aus. Während das Handelsblatt vor einem finanzpolitischen Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen warnt, schreibt der Spiegel, der "fiskale Dominoeffekt" sei bereits in vollem Gange. Am Ende dieser Entwicklung stehe das Aufbrechen der Eurozone, vielleicht sogar das Ende der Gemeinschaftswährung.

Sämtliche Regierungen und Parteien reagieren auf diese Entwicklung mit dramatischen Angriffen auf die Arbeiterklasse. Löhne, Renten, Arbeitslosengeld und jegliche Art von Sozialleistungen werden massiv gesenkt, während gleichzeitig die Preise für die Güter des täglichen Lebens durch die Erhöhung der Verbrauchersteuern nach oben getrieben werden.

Dieselbe internationale Finanzaristokratie, die im Herbst 2008 das internationale Finanz- und Wirtschaftssystem mit rücksichtslosen Spekulationsgeschäften an den Rand des Zusammenbruchs brachte und anschließend hunderte Milliarden Euro Staatsgeldern kassierte, treibt nun die europäischen Regierungen vor sich her und beharrt auf der Zerschlagung des Sozialstaatssystems.

Am Donnerstag sprach sich der deutsche Bundespräsident Horst Köhler gegen die uneingeschränkte Macht des Finanzkapitals aus. Auf einem Wirtschaftstreffen in München, dem so genannten "Munich Economic Summit", forderte er drastische Maßnahmen gegen die internationalen Finanzjongleure. "Die aktuelle Krise zeigt ein Muster, das nicht akzeptabel ist - die Gewinne stecken wenige ein, die Verluste muss die Allgemeinheit tragen", sagte Köhler und fügte hinzu: "Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen." Sie habe "den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen". Dadurch habe sich der Staat erpressbar gemacht. Das dürfe nicht länger hingenommen werden.

Die mahnenden Worte des Bundespräsidenten haben den schalen Beigeschmack von Moralappellen in einem Bordell. In den Chefetagen der Banken werden sie nur belächelt, denn Köhler war in den neunziger Jahren als Staatssekretär im Finanzministerium und später als Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) einer der Architekten der unkontrollierten Machtausdehnung des Finanzkapitals.

Es gibt nur eine Möglichkeit, die Offensive und Zerstörungswut der Finanzaristokratie zu stoppen: Die Arbeiterklasse muss selbstständig und unabhängig in die gesellschaftliche Entwicklung eingreifen. Arbeiter in Berlin, London, Paris und allen anderen Städten Europas dürfen nicht zulassen, dass eine Bande von Börsenspekulanten in ihrer Habgier und Profitsucht das europäische Sozialsystem und die Existenzgrundlage von Millionen Arbeitern und ihrer Familien zerschlägt.

Man muss die Frage aufwerfen: Wo führt das hin? Was sind die politischen Konsequenzen dieser Entwicklung?

Als das kapitalistische Profitsystem vor siebzig Jahren zusammenbrach und die Last der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung abwälzte, zögerte die herrschende Elite nicht, die Demokratie abzuschaffen. Sie errichtete in mehreren Ländern Diktaturen, um jeden Widerstand zu unterdrücken. In Deutschland brachte sie Hitler an die Macht, der die Arbeiterorganisationen zerschlug, den Nationalismus und Antisemitismus schürte und den Weltkrieg vorbereitete.

Das drohende Auseinanderbrechen der Währungsunion und die systematische Zerschlagung des Sozialstaats rufen die Gespenster der dreißiger Jahre wieder hervor. Schon wachsen wieder extrem nationalistische und offen faschistische Parteien, wie in Ungarn. Sie werden von einflussreichen Institutionen wie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Aber auch in anderen Ländern werden chauvinistische Stimmungen geschürt. In Deutschland hetzen Publikationen wie Bild und Stern gegen die griechische Bevölkerung ; in Frankreich und Belgien schüren die Regierungen Moslemfeindlichkeit, und in Italien erlässt die Regierung Berlusconi rassistische Ausländergesetze.

Die Arbeiterklasse muss all diesen Versuchen, den wachsenden sozialen Widerstand in rassistische und nationalistische Bahnen zu lenken, mit Macht entgegentreten.

Die Spekulationswelle gegen Griechenland, Portugal, Spanien und das Aufbrechen des Euro-Raums zeigen, dass eine Vereinigung Europas im Interesse seiner Einwohner nur von unten, durch die Mobilisierung der europäischen Arbeiterklasse möglich ist.

Die Entwicklung der unabhängigen politischen Stärke der Arbeiterklasse erfordert den Bruch mit den korrupten Gewerkschaftsapparaten. In Griechenland - und auch in allen anderen europäischen Ländern - stehen die Gewerkschaften auf der Seite von Regierung und Staat. Sie akzeptieren das Diktat des Kapitals und beschränken den Widerstand auf fruchtlosen Protest. Als Folge wächst die Frustration und Verzweiflung unter Teilen der Bevölkerung. Als am Donnerstag die Gewerkschaftsführer in Athen mit Regierungschef Papandreou verhandelten und ihre Unterstützung für seinen rabiaten Sozialabbau signalisierten, lieferten sich einige hundert Demonstranten zur gleichen Zeit eine heftige Straßenschlacht mit der Polizei.

Die Absprachen und Vereinbarungen zwischen Gewerkschaftsführern und Regierung müssen für null und nichtig erklärt werden. Die korrupten Bürokraten haben kein Mandat, im Namen der Arbeiter zu sprechen. Arbeiter und Jugendliche müssen sich unabhängig von den Gewerkschaften organisieren und Aktionskomitees aufbauen, die an die Tradition von Arbeiterräten anknüpfen. In diesen Komitees muss eine internationale Strategie für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Offensive der internationalen Banken und die hinter ihnen stehenden EU-Institutionen und Regierungen entwickelt werden.

Der Bruch mit den Gewerkschaften erfordert auch eine politische Abrechnung mit den kleinbürgerlichen Verteidigern der Bürokratie. Politische Gruppierungen wie SYRIZA, die sich als "Koalition der Radikalen Linken" bezeichnet, und Antarsya, die im Frühjahr vergangenen Jahres als "Kooperation der Antikapitalistischen Linken für den Umsturz" gegründet wurde, sind Bestandteil der Gewerkschaftsbürokratie. Sie arbeiten eng mit der Regierung zusammen und betrachten jede unabhängige Mobilisierung von Arbeitern mit Feindschaft. Je stärker der Widerstand wird und je mehr Arbeiter beginnen, die Zwangsjacke der Gewerkschaften zu durchbrechen, desto deutlicher rücken diese Gruppierungen nach rechts. Viele ihrer Anhänger stecken tief im Milieu der Sozialpartnerschaft und werfen sich angesichts der offenen Klassenauseinandersetzung in die Arme von Regierung und Staat.

Eine vergleichbare Rolle spielen die Linkspartei in Deutschland, Rifondazione Comunista in Italien und die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich (NPA). Sie alle sehen ihre Hauptaufgabe darin, die Arbeiterklasse an die Gewerkschaften zu binden, und erfüllen damit eine wichtige Funktion zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung.

Arbeiter in Deutschland und anderen Industrieländern müssen direkt mit den griechischen Arbeitern Kontakt aufnehmen und gemeinsame Kampfmaßnahmen organisieren.

Das erfordert eine Zurückweisung der vorherrschenden Propaganda. Die Behauptung, Griechenland habe "über seine Verhältnisse gelebt" und das "Rettungspaket" mit seinen "harten Auflagen" werde seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, ist eine üble Verdrehung.

Wer hat in Griechenland über seine Verhältnisse gelebt? Die steinreiche Elite, die Teil des europäischen Geldadels ist, enge Beziehungen zu den Brüsseler EU-Institutionen unterhält und sich an den internationalen Spekulationen gegen das eigene Land beteiligt, oder die Arbeiter, deren Einkommen weit unter dem europäischen Durchschnitt liegen, während die von europäischen Lebensmittelkonzernen diktierten Preise in den Supermärkten oft weit darüber liegen? Oder haben die Rentner mit ihrer Durchschnittsrente von 500 bis 600 Euro über ihre Verhältnisse gelebt?

Und wer wird mit dem "Rettungspaket" gerettet? Nicht die arbeitende Bevölkerung, die in den Ruin getrieben wird, sondern die europäischen und internationalen Banken, die an den hohen Zinsen für griechische Staatsanleihen prächtig verdient haben. Die Krise ist nicht anonym über das Land gekommen wie ein Unwetter oder eine Vulkanaschenwolke. Die Profiteure tragen Namen - wie Andrew Hall von der US-Bank Citigroup, der im Krisenjahr 2008 knapp hundert Millionen Dollar Gehalt kassierte. Oder den der deutschen Bank, die im ersten Quartal 2010 den zweithöchsten Gewinn ihrer Firmengeschichte einfuhr.

Dieselben Banken, die gestützt auf Steuermilliarden Rekordgewinne machen und Millionen-Boni an ihre Mitarbeiter zahlen, erklären der europäischen Arbeiterklasse den Krieg. Der Kampf dagegen erfordert eine internationale sozialistische Perspektive und den Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale in allen europäischen Ländern.

Sie kämpfen für folgendes Programm:

- Keine Entlassungen und keine Lohnsenkungen! Besetzung der Betriebe zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne! Der gesellschaftliche Reichtum darf nicht den Profitinteressen des Kapitals dienen, sondern den sozialen Bedürfnissen der Arbeiter.

- Enteignung der Banken und großen Konzerne, um sie unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung zu stellen! Ohne öffentliche Kontrolle der Banken treiben sie nach Belieben ganze Länder in den Ruin, verknappen das Geld, um die Zinsen entsprechend ihren Bedürfnissen hochzutreiben, und zerschlagen die Sozialsysteme im Namen der Wettbewerbsfähigkeit.

- Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Wachsende Spannungen in Europa und die Furcht vor einem möglichen Zusammenbruch des Euro unterstreichen den Bankrott des EU-Projekts. Es droht die Balkanisierung Europas, die einen Handelskrieg zwischen europäischen Handelsblöcken und schließlich einen heißen Krieg vorbereiten würde. Europäische Arbeiter müssen den internationalen Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufnehmen, als Schritt zum weltweiten Sozialismus.

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