Kochs Rücktritt: Rechter im Wartestand

Die Ankündigung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), er werde Ende August von seinem Amt als Regierungschef zurücktreten und auf dem Parteitag im Juni auch nicht mehr für den CDU-Landesvorsitz kandidieren, ist ein gezielter Affront gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Mit seiner Entscheidung verschärft Koch den Richtungsstreit in der CDU.

Koch war bisher ein führender Vertreter des rechten Flügels der Unionsparteien. In den Medien wird er oft als Mischung aus Neoliberalem und Nationalkonservativem bezeichnet. Mehrmals hatte er versucht, in der Bundespolitik Fuß zu fassen. Im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte er Merkels so genanntem Kompetenzteam an und forderte eine wirtschaftspolitische Wende in Richtung Markliberalisierung, Sozialabbau und Privatisierung. Doch nach der Wahl bot ihm die Kanzlerin keinen Ministerposten an.

Auch 2009, als Merkel zum zweiten Mal die Regierung bildete, berief sie Koch nicht an den Kabinettstisch. Stattdessen machte sie den gesundheitlich stark angeschlagenen Wolfgang Schäuble zum Finanzminister. Als sich vor einigen Wochen Schäubles Gesundheitszustand verschlechterte und er während den dramatischen Verhandlungen über das 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket in Brüssel ins Krankenhaus eingeliefert wurde, brachte sich Koch erneut ins Gespräch. Doch wieder bremste ihn die Kanzlerin aus. Stattdessen setzt sie nach den verheerenden Stimmenverlusten der CDU in der NRW-Wahl auf eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit der SPD.

Kochs Rücktritt muss im Zusammenhang mit dieser Entwicklung gesehen werden. Er distanziert sich damit deutlich von Merkels politischem Kurs. Er steht ihr auch nicht länger als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU zur Verfügung. Seine Ankündigung, er werde einen Posten in der Wirtschaft übernehmen, sollte aber nicht als endgültiger Abschied von der politischen Bühne gewertet werden. Vieles deutet darauf hin, dass hinter seiner Entscheidung politisches Kalkül steckt.

Derzeit kann sich Koch mit seiner Forderung nach einer verschärften Gangart beim Sozialabbau in der Bundespartei nicht durchsetzen. Das wurde kurz vor seinem Rücktritt deutlich, als er öffentlich Kürzungen im Bildungsbereich forderte und damit in der CDU und bei Merkel selbst auf Widerspruch stieß. Er erwartet aber, dass die Politik von Merkel und Schäuble die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise verschärfen wird. Ertönt dann der Ruf nach einem "starken Mann" und mehr politischer Führung, kann sich der Demagoge aus Wiesbaden politisch zurück melden.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die CDU im Strudel der Krise auseinanderbricht und der rechte Flügel eine eigene Partei bildet. Auch eine bundesweite Ausdehnung der bayrischen Schwesterpartei CSU, die dann als Konkurrenz zur CDU auftreten würde, ist möglich. Die CSU hatte bereits in den Krisen der 1970er und 80er Jahre mit einem solchen Schritt gedroht.

Über die Formierung einer neuen Rechtspartei war bereits vor zwei Jahren spekuliert worden, als Friedrich Merz, der damals die CDU-Bundestagsfraktion führte und im Streit mit Merkel unterlag, seine Parteiämter niederlegte und in die Wirtschaft ging. Gemeinsam mit dem SPD-Rechten Wolfgang Clement, der mittlerweile der SPD den Rücken gekehrt hat, veröffentlichte Merz Anfang des Jahres ein Buch, in dem er eine Agenda 2020 und "Mut zu mehr Sozialabbau" forderte. Ganz ähnlich forderte Koch kurz vor seinem Rücktritt einschneidende Sozialkürzungen in allen Bereichen, auch in der Bildungspolitik und bei der Kinderbetreuung.

Mit Roland Koch würde eine neue Rechtspartei einen Frontmann gewinnen, der seit langem als Sprecher des rechten Flügel der Union fungiert, enge Verbindungen zur Wirtschaft unterhält und gute Kontakte zu ultrarechten Kreisen hat.

Am deutlichsten zeigte sich Kochs Rechtsdrall in der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, mit der er sich 1999 bundesweit in die Schlagzeilen katapultierte und die hessische Landtagswahl gewann. Mit der Unterschriftensammlung gegen das neue Staatbürgerschaftsrecht der rot-grünen Koalition appellierte er offen und ungeniert an nationalistische und ausländerfeindliche Vorurteile. Damals sei es ihm vor allem darauf angekommen, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, denn als hessischer Oppositionsführer sei es schwer, in die Medien zu kommen, erklärte er später.

Den Respekt der Betonköpfe in der CDU sicherte er sich dann nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten, indem er den Spendenskandal der hessischen CDU eisern durchstand. Während sich in der Bundes-CDU wegen eines vergleichbaren Skandals die Rücktritte häuften, verharrte Koch unbeirrt im Amt. Die hessische CDU hatte Millionenbeträge am Parteiengesetz vorbeigeschleust und dies dreist mit angeblichen "jüdischen Vermächtnissen" bemäntelt. Koch selbst hatte die Öffentlichkeit schamlos belogen.

Die Unverfrorenheit, mit der Koch eigene Gesetzesverstöße verniedlicht, während er gleichzeitig drakonische Strafen für Kleinkriminelle verlangt und der Jugend "Autorität, Disziplin und Leistung" predigt, erinnert an die republikanische Rechte in den USA und an den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Kochs konservative Standpunkte kommen nicht von ungefähr. Er war schon, bevor er die Führung des hessischen Landesverbands übernahm, ein Bewunderer seiner Vorgänger Alfred Dregger und Manfred Kanther. Dregger stand der hessischen CDU von 1967 bis 1982 vor und Kanther von 1991 bis 1998.

Alfred Dregger war jahrzehntelang eine Galionsfigur der Nationalkonservativen. Im Zweiten Weltkrieg Kommandeur eines Wehrmacht-Bataillons, setzte er den Feldzug gegen die Sowjetunion nach 1945 unbeirrt als fanatischer kalter Krieger fort. Der leidenschaftliche Antikommunist stritt unermüdlich für die Wiedervereinigung Deutschlands und die Rettung der "Ehre" der Wehrmacht. Seine engsten ideologischen Mitstreiter waren der Verleger Axel Springer und ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal. Auch sozialpolitisch stand Dregger auf dem rechten Flügel der Union. So wandte er sich in den siebziger Jahren gegen die Mitbestimmung und verdächtigte die CDU-Sozialausschüsse sogar des "Sozialismus".

Manfred Kanther galt bundesweit als Inbegriff des Law-and-order-Politikers. Der "schwarze Sheriff", wie sein Spitzname lautete, profilierte sich ab 1993 als Bundesinnenminister durch eine harte Linie in der Asylpolitik und der Kriminalitätsbekämpfung.

Vieles deutet darauf hin, dass Kochs Rücktritt nur ein Intermezzo ist und der Vorbereitung einer rechten Offensive dient, wenn die Regierung Merkel scheitert, die sich derzeit auf die Gewerkschaften und die SPD stützt, um im Interesse der Wirtschaft soziale Kürzungen durchzusetzen.

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