Ölkatastrophe im Golf: Das amerikanische Tschernobyl

Mit jedem Tag nimmt das Ausmaß der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko zu, die durch die Explosion einer Ölbohrinsel ausgelöst wurde. Zwischen 5.000 und 25.000 Barrel Öl strömen jeden Tag in den Golf. Bis die Techniker das Problem im Griff haben, könnten Millionen, wenn nicht Dutzende Millionen Liter Öl an die amerikanischen Küsten und Feuchtgebiete geschwemmt werden.

Elf Arbeiter sind in dieser jüngsten industriellen Katastrophe der amerikanischen Energieindustrie gestorben. Jetzt ist die Fischerei und Meeresfrüchteindustrie entlang der Golfküste bedroht und muss für Jahre, vielleicht für eine ganzen Generation, dicht machen. Die Zerstörung des empfindlichen Ökosystems der Region könnte sich als irreparabel herausstellen.

In die Katastrophe verwickelt ist einer der weltgrößten Konzerne, British-Petroleum, und seine Partner und Subunternehmer, wie der Betreiber der Ölplattform, Transocean Ltd, und der Konzern Halliburton, der nur eine Woche vor der Explosion umfangreiche Arbeiten am Bohrloch vorgenommen hat.

Die riesigen Konzerne haben keine Lösung für die Katastrophe, die sie verursacht haben. Als BP vor fünfzehn Monaten das Tiefwasserbohrprojekt in Angriff nahm, versicherte der Konzern, es sei "unwahrscheinlich, dass die geplanten Aktivitäten zu einer unbeabsichtigten Ölverseuchung führen". Selbst im Fall eines Ölaustritts, behauptete die Firma, "sind aufgrund der großen Entfernung (75 km) zur Küste und der verfügbaren Gegenmaßnahmen keine bedeutsamen negativen Auswirkungen zu befürchten".

Die Behauptungen nach der Explosion sind genauso wenig glaubhaft. BP und seine Partner versicherten zuerst, die Plattform sei stabil, und die Quelle sei ohne Ölaustritt verschlossen worden. Nach dem Untergang der Plattform und dem Bruch des Förderrohres sagte BP, es gebe nur einen minimalen Ölaustritt. Noch nach dem Eingeständnis, dass Öl ausläuft, versuchte der Konzern, das Ausmaß der Verschmutzung herunterzuspielen. Die Schätzungen mussten seitdem mehrfach nach oben korrigiert werden. Ein Worst-Case-Szenario besagt, dass der Ölaustritt sich auf bis zu 100.000 Barrel pro Tag erhöhen könnte.

Von Donnerstagmorgen bis Freitagabend verdreifachte sich die Ausdehnung des Ölteppichs auf mehr als 10.000 km2. Der Ölteppich hat nicht nur Auswirkungen auf Lousiana, Alabama und Mississippi, sondern er könnte sich durch den Golfstrom der ganzen Golfküste entlang, bis zu den Florida Keys und um die Spitze Floridas herum die Ostküste hinauf ausbreiten.

Die Katastrophe ist jetzt schon die größte Ölverschmutzung auf dem amerikanischen Festland. Wenn die Anstrengungen scheitern, die Ölquelle zu verschließen, die ein Beobachter als "einen Unterwasservulkan" beschrieb, dann könnte der Austritt weitergehen, bis die gesamte angebohrte Ölblase sich erschöpft hat. Das wäre die bei weitem größte Ölkatastrophe der Geschichte.

Es werden jetzt gelegentlich Vergleiche mit "Hurricane Katrina" angestellt, aber ein anderer Vergleich wäre vielleicht passender. Tschernobyl. Die Kernschmelze des Atomreaktors im Jahre 1986 verseuchte weite Teile der Ukraine und Weißrusslands und forderte schätzungsweise 50.000 Todesopfer. Das Ereignis demonstrierte, dass das stalinistische Regime in der UdSSR trotz angeblicher wirtschaftlicher Prosperität und militärischer Stärke verknöchert und hohl geworden war.

Die erste Reaktion der stalinistischen Bürokratie bestand darin, das Ausmaß der Katastrophe zu verheimlichen und kleinzureden. Erst mit der Zeit wurde das ganze Ausmaß bekannt. Dadurch traten die Inkompetenz der Bürokratie und ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Bevölkerung in aller Schärfe hervor.

Für den amerikanischen Kapitalismus waren die vergangenen drei Jahrzehnte eine Periode der Fäulnis - gesellschaftlich, ökonomisch, kulturell und politisch. Die Vereinigten Staaten klammern sich an ihre Position als weltstärkste Militärmacht, aber ihr innerer Verfall hat sich nur weiter verstärkt.

Nach dem Motto, man müsse "die Regierung zurückdrängen" und "die Macht des freien Marktes entfesseln", erhielt die amerikanische Wirtschaft die Lizenz zur Ausplünderung des Landes, während die Infrastruktur drastisch zerfiel. Dies zeigte sich besonders dramatisch, als 2005 die Dämme in New Orleans dem Hurricane Katrina nicht stand hielten.

Die Obama-Regierung steht der Bush-Regierung nicht nach, wenn es um die Unterwürfigkeit unter die Wirtschaftselite und um die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohlergehen der amerikanischen Bevölkerung geht. Gerade mal einen Monat vor der Katastrophe vom 20. April hatte Obama die Erlaubnis zu Offshore-Ölbohrungen vor der Golfküste und der Atlantischen Küste erteilt. Er hatte seine Unterwürfigkeit unter die Ölkonzerne demonstriert, indem er behauptet hatte, die Bohrungen seien absolut sicher.

Seit der Explosion geht es der Regierung vor allem darum, den Volkszorn von den Ölkonzernen abzulenken. BP darf weiter die Leitung über die Arbeiten an der Ölquelle ausüben. D.h. dem Täter wird quasi weiterhin die Kontrolle über den Tatort überlassen.

Der oberste Regierungsvertreter vor Ort, der Kommandant der Küstenwache, Thad Allen, verteidigte BP am Freitag gegen die Kritik, keine Vorkehrungen gegen den Ausfall der Ausrüstung getroffen zu haben, der offenbar die Katastrophe verursacht hat. "Es ist schwer, einen Plan für eine Katastrophe in der Schublade zu haben, die ohne Beispiel ist. Und das ist hier der Fall", sagte er. "Was hätte man planen können für ein Ereignis, das nicht vorhersehbar war?"

Eine solche Erklärung zeugt von der Verantwortungslosigkeit der amerikanischen herrschenden Klasse, die zwanghaft auf die Börsenkurse vom nächsten Tag fixiert ist. Tatsächlich war eine Explosion, wie sie nun eingetreten ist, vollkommen vorhersehbar. Ähnliche Unfälle sind anderswo schon passiert, z.B. vor der australischen Küste im vergangenen Jahr. Ähnlich wie bei Hurricane Katrina haben Wissenschaftler schon seit Jahren auf den "großen Ernstfall" gewartet, d.h. auf ein nicht zu schließendes Leck bei einer Tiefseequelle vor der amerikanischen Küste.

Nachdem das Weiße Haus die Katastrophe fast eine Woche lang ignorierte, hofft die Regierung jetzt, die Probleme mit einem Phototermin irgendwie in den Griff zu bekommen. Aber Obamas Besuch an der Golfküste kann die Tatsache nicht verbergen, dass weder er, noch die Regierung eine Vorstellung davon haben, wie die drohende Katastrophe abgewendet werden kann. Die Regierung gibt selbst zu, dass das Öl noch Monate lang auslaufen könnte.

Erneut wird die Weltbevölkerung mit Macht auf das enorme zerstörerische Potential der riesigen Konzerne gestoßen, die die Weltwirtschaft beherrschen. Von der globalen Finanzkrise, über Umweltzerstörung und Klimawandel bis hin zu Massenarmut und Krankheit: die Unterordnung der Massengesellschaft unter die Profitinteressen dieser Konzerne führt zu einer Katastrophe nach der anderen.

Die Verantwortlichen für diese jüngste Katastrophe, Wirtschaftsbosse und Regierungsvertreter, müssen zur Verantwortung gezogen und vor Gericht gestellt werden. Vor allem müssen diese Konzerne dringend in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert werden. Das ermöglicht eine bewusste Planung ihrer Beziehung zu Natur und Gesellschaft und ihre Ausrichtung auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse.

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