Parlamentswahlen in Großbritannien:

Leserbrief zum Wahlmanifest der Socialist Equality Party

An die Socialist Equality Party.

Ich bin in East Oxford wahlberechtigt und würde gerne mehr über Ihre Partei erfahren. Ich unterstütze die Ziele, die in Ihrem Manifest formuliert werden, bin jedoch besorgt, weil einige der Ansichten nicht realitätsnah sind.

Insbesondere in Bezug auf ökonomische Fragen: Wie kann eine wahre Umverteilung des Reichtums und die Regulierung von Finanzinstituten erreicht werden, ohne dass der ganze Wohlstand eines Landes mit schädlichen Folgen abgezogen wird? Kann eine Nation solche Veränderungen wirklich mit Erfolg durchführen? Und falls nicht, welche Aussicht gibt es, dass wir jemals so eine Veränderung erleben?

Antwort der SEP:

Lieber Joe

Ich bin sehr erfreut zu hören, dass Sie unserem Programm zustimmen und erwägen, die SEP in East Oxford zu wählen.

Ihre Bedenken über die Kapitalflucht aus einem Land, das sich entschlossen hat, eine sozialistische Politik zu verfolgen, sind völlig verständlich. Aber lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit auf die Kapitalflucht in Griechenland lenken, einem Land, das nicht im Geringsten eine sozialistische Politik betreibt.

Die Märkte weigern sich, griechische Staatsanleihen zu kaufen, außer zu einem unerschwinglich hohen Zins. Am Mittwochmorgen lagen die Kosten für eine Kreditausfall-Versicherung einer Fünfjahres-Staatsanleihe bei 911.6 Basispunkten. Dies ist die höchste Rate der Welt. Wohlhabende griechische Bürger zogen in den letzten drei Monaten acht Milliarden Euro aus den Banken des Landes ab. Dennoch legte die griechische Regierung ein Sparpaket nach dem anderen auf, kürzte die Löhne im öffentlichen Dienst und die Renten und beschnitt öffentliche Dienstleistungen.

Der gleiche Prozess droht auch dem Rest der hochverschuldeten Euro-Länder, den sogenannten PIIGS (neben Griechenland auch Portugal, Italien, Irland und Spanien). Auch ein Überschwappen nach Großbritannien wird erwartet.

George Soros, der 1992 mittels Spekulationen gegen das britische Pfund eine Milliarde Dollar einnahm, geht davon aus, dass die neue Regierung diesem Schicksal entrinnen kann, indem sie eine Abwertung des Pfundes zulässt. Aber seit Anfang 2007 ist das Pfund auf einer handelsbewerteten Basis schon um fünfundzwanzig Prozent gefallen.

Soros Plan enthält keinen Plan B. Für die Arbeiterklasse würde er steigende Lebenshaltungskosten bedeuten, weil Nahrungsmittel und Öl importiert und in Dollar bezahlt werden müssen. Mit den staatlichen Sparmassnahmen, sowie Lohnkürzungen und Kurzarbeit im privaten Sektor, käme ein weiterer Verfall des Pfunds einem Grossangriff auf den Lebensstandard der Mehrheit der britischen Bevölkerung gleich. Er würde viele in die Armut zwingen.

Schließlich könnte eine Währungsabwertung die Kapitalflucht aus Großbritannien oder den nationalen Bankrott gar nicht verhindern, denn das Pfund würde auf ein so tiefes Niveau fallen, dass Investitionen in das Pfund oder in die Staatsschulden sich nicht mehr lohnen würden.

Das Phänomen, das wir in Griechenland erleben, ist Ausdruck eines hochgradig integrierten, globalen Finanzmarktes. Billionen von Dollar werden ständig weltweit verschoben. Es ist nicht so sehr eine Frage, ob dieser Spekulationswahn Großbritannien erreichen wird, sondern vielmehr wann. Die Europäische Zentralbank warnte, dass die Schuldensituation in Großbritannien, Japan und Amerika in mehrfacher Hinsicht noch schlimmer ist als die der Eurozone.

Die Finanzkrise hat dem Anwachsen internationaler Finanzspekulationen keinen Einhalt geboten, vielmehr haben sich die Praktiken, die zum Kollaps von 2007/2008 führten, noch verstärkt. Die Banken-Rettungsaktionen haben die Finanzeliten gestärkt, und sie kehren so schnell wie möglich an den Rouletttisch zurück, fest davon überzeugt, dass sie in Zukunft gar nicht scheitern können. Die Banken und Hedge-Fonds lassen sich die Chance, aus der Verschuldung Griechenlands Profit zu schlagen, nicht entgehen. Sie jagen die Zinssätze in die Höhe und reißen den Staatskörper in Stücke, noch ehe das Leben erloschen ist. Ihr nächstes Opfer könnte jedes beliebige Land sein.

In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte täglich mit dem Privateigentum kollidiert, ist das finanzielle Parasitentum zur einzigen Möglichkeit geworden, Gewinn zu scheffeln.

Es findet eine gewaltige Verschiebung von Reichtum zu den Superreichen statt. Jedes Mal, wenn griechische Arbeiter auf der Straße protestieren, verschärft die Finanzelite ihre Forderungen. Premier Papandreou hat "schmerzhafte Eingriffe" angekündigt. Doch die Hedge-Fonds und Banken schreien nach Mehr. Das Argument, man müsse die "Opfer gleichmäßig verteilen", trägt nicht zu ihrer Beschwichtigung bei. Es dient bloß als Rechtfertigung für die Plünderung.

Wie unser Manifest darlegt, können diese Parasiten nur gestoppt werden, indem ihre unrechtmäßig erworbenen Gewinne enteignet werden.

Es ist sicher wahr, dass ein Land, das eine wirklich sozialistische Politik verfolgte, unter den Druck von Finanzspekulanten geriete. Genauso wenig wie die Sowjetunion nach der Oktoberrevolution 1917 wäre es von den Bedingungen des Weltmarkts befreit. Aber genauso, wie die Bolschewiki die Russische Revolution nicht isoliert vom Rest der Welt betrachteten, ist auch die Perspektive der SEP eine internationale.

Wir rufen zu einer internationalen Gegenoffensive gegen das globale Kapital auf. Eine europaweite Bewegung von Arbeitern und der Jugend zeichnet sich ab. Dies ist die Bedeutung der Proteste in Griechenland. Wir sprechen also nicht über "unilaterale" Aktionen. Unsere Partei basiert auf der internationalen Einheit der Arbeiterklasse. Auch wenn wir an nationalen Wahlen teilnehmen und nationale Sektionen bilden, so geschieht dies nur aus politisch-historischen Gründen der kapitalistischen Gesellschaften. Wir beschränken uns selbst nicht auf diese nationalen Grenzen.

Lenin und Trotzki betrachteten die Russische Revolution als den ersten Akt der Weltrevolution. Heute ist wohl noch klarer, dass jede Revolution der Beginn eines globalen Umsturzes des Kapitalismus wäre.

Freundliche Grüsse

David O’Sullivan

Siehe auch:
Wahlmanifest der Socialist Equality Party zu den britischen Parlamentswahlen 2010
(10. April 2010)
Loading