Thailand: Armee bereitet sich auf Stürmung vor

Das thailändische Militär ist bereit, gegen das Lager Tausender Regierungsgegner im Bangkoker Geschäftsviertel Ratchaprasong vorzugehen. Ein tödlicher Zusammenstoß zeichnet sich ab. Auf Geheiß der Regierung wurde dem Protestlager der Zugang zu Lebensmitteln, Wasser, Elektrizität und dem Mobilfunknetz entzogen. Die Armee erklärte zwei Gebiete der Hauptstadt zu "Scharfschuss-Zonen".

In den vom Militär nun um einiges härter geführten Straßenkämpfen der vergangenen vier Tage wurden bereits mindestens 31 Menschen getötet und 230 verletzt. Alle Toten sind Demonstranten, was den ungleichen Charakter des Konflikts offenbart. Den sogenannten Rothemden, die sich hinter notdürftig errichteten Barrikaden verschanzen und mit Steinschleudern, Benzinbomben, Stahlrohren und Feuerwerk bewaffnet sind, stehen schwerbewaffneten Truppen mit gepanzerten Fahrzeugen gegenüber.

Die New York Times berichtete am Samstag, ein Opfer der Kämpfe sei ein Rettungssanitäter. Weiter wird von einem Photographen berichtet, der zwei tote oder verletzte Körper für lange Zeit von niemandem beachtet am Boden liegen sah. Die Armee erlaubt der Ambulanz nicht, die Straßensperren zu umgehen. Die Rettungskräfte riskieren ihr Leben indem sie kauernd versuchen, Opfer mit der Krankenbahre wegzuschaffen.

Während Premier Abhisit Vejjajiva und Sprecher des Militärs nicht müde werden zu betonen, dass die Armee sich nur selbst verteidige, wird immer klarer, dass die Truppen und auch geübte Scharfschützen bewusst mit scharfer Munition auf die Demonstranten schießen. Letzten Donnerstag wurde der Ex-General Khattiya Sawasdiphol, der als militärischer Berater der Demonstranten gilt, schwer verletzt, als ihm während eines Gesprächs mit ausländischen Reportern in den Kopf geschossen wurde.

Die Schussabgabe auf Khattiya ließ die Spannungen wieder aufflammen nachdem am vorherigen Tag Verhandlungen zwischen der Regierung und der oppositionellen Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD) gescheitert waren. Abhisit widerrief sein Angebot, die Parlamentswahlen auf den November vorzuziehen, nachdem UDD-Führer weitere Forderungen gestellt hatten. Die Proteste wurden weitergeführt.

Abhisit rechtfertigte die Tötungen in einer Fernsehansprache vom Samstag und erklärte: "Wir können nicht zulassen, dass gesetzlose Elemente Bangkok als Geisel nehmen... Es gibt kein Zurück in unserem Bestreben, den Rechtsstaat aufrecht zu erhalten. Verluste müssen hingenommen werden. Es ist der Weg zur Rechtschaffenheit." Er sagte weiter, eine militärische Intervention sei der einzige Weg, die Proteste zu beenden. Die Truppen würden "nach vorne drängen". Er stellte aber kein Ultimatum.

Der UDD-Führer Nattawatt Saikua forderte das Militär gestern auf, sich zurückzuziehen und verlangte von der UNO vermittelte Gespräche mit der Regierung, um weitere Todesopfer zu verhindern. Die Regierung wies die Forderungen jedoch umgehend zurück. Abhisits Sekretär, Korbsak Sabhavasu, sagte den Medien: "Wenn sie wirklich Gespräche führen wollen, sollten sie nicht solche Forderungen stellen wie den Rückzug der Truppen." In seiner sonntäglichen Fernsehansprache erklärte Abhisit: "Wir können uns jetzt nicht zurückziehen." Er behauptete erneut, unter den Demonstranten befänden sich "Terroristen" - ein fadenscheiniger Vorwand für eine Stürmung.

Etwa 5.000 Demonstranten, darunter etwa 1.000 Frauen und Kinder, sind nun von allen Seiten eingeschlossen. Der heutige und morgige Tag wurden zu Feiertagen erklärt. Alle Schulen in Bangkok wurden für eine Woche geschlossen. Eine Ausgangsperre für die gestrige Nacht wurde erst angekündigt, dann aber wieder aufgehoben. Die Regierung forderte die Frauen und Kinder auf, das Lager der Demonstranten bis Montagnachmittag zu verlassen.

Premierminister Abhisit scheint nun gewillt zu sein, zuzuschlagen, egal wie viele Leben es kostet. Ein Versuch am 10. April, das Lager der Demonstranten in der Nähe der Phan Fah-Brücke im Zentrum Bangkoks zu stürmen endete in heftigen Straßenkämpfen bei denen 25 Menschen ums Leben kamen, darunter fünf Soldaten, und mehr als 850 verletzt wurden. Bis jetzt waren Regierung und Militär besorgt, jede neue Offensive würde in Bangkok und anderen Teilen des Landes noch mehr Widerstand provozieren.

Die UDD, die den früheren Premierminister Thaksin Shinawatra unterstützt, erhält viel Unterstützung aus dem verarmten ländlichen Norden und Nordosten des Landes. Thaksin, ein Milliardär und Telekommunikationsmagnat, kam 2001 im Strudel der asiatischen Finanzkrise von 1997/98 mit dem Versprechen an die Macht, thailändischen Unternehmen zu helfen und die Armen zu unterstützen. Im Zuge seiner wirtschaftlichen Stimulusprogramme verteilte er ein paar Almosen - finanzielle Darlehen an Dörfer, Billigkredite und ein kostengünstigeres Gesundheitswesen.

Die traditionellen Eliten Thailands - das Militär, die Monarchie und die Staatsbürokratie - stärkten Thaksin anfangs den Rücken, wendeten sich jedoch gegen ihn, als er die Politik des offenen Marktes weiter trieb und mehr Macht erlangte, während er gleichzeitig die Macht etablierter Seilschaften untergrub. Mit dem Rückhalt der Monarchie enthob die Armee Thaksin 2006 seines Amtes. Doch bei den Neuwahlen Ende 2007 gewann das Pro-Thaksin-Lager der People Power Party (PPP). Nach monatelangen Protesten der Peoples Alliance for Democracy (PAD), die Thaksin feindlich gesinnt ist, und zwei Gerichtsurteilen gegen Premierminister der PPP wurde Abhisit mit Hilfe des Militärs im Dezember 2008 an die Macht gebracht.

Vier Jahre erbitterter parteiinterner Streitigkeiten innerhalb des politischen Establishments in Thailand treffen nun auf zunehmende, durch die globale Wirtschaftskrise angetriebene Klassenspannungen. Die UDD-Demonstranten, die seit zwei Monaten durchgehend für Neuwahlen protestieren, haben begonnen, ihre eigenen Interessen zu formulieren und gegen die weitverbreitete Armut, die Arbeitslosigkeit und die Kluft zwischen Arm und Reich zu protestieren. Ihre Entschlossenheit erwies sich als Hindernis für die Führer der UDD, die letzte Woche mehr als Willens gewesen waren, einem Kompromiss mit Abhisit zuzustimmen.

Alle Teile der Bourgeoisie, die von der UDD vertretenen eingeschlossen, geraten in Panik angesichts einer breiteren sozialen Bewegung der Arbeiter und der Armen. Teile des Stadtproletariats schlossen sich den UDD-Demonstranten bereits an und lieferten sich Kämpfe mit den Sicherheitskräften.

Im Rahmen der Vorbereitung einer militärischen Stürmung weitete Abhisit den Notstand letzte Woche auch auf fünfzehn Provinzen im Norden und Nordosten des Landes aus, die als UDD-Hochburgen gelten. Gestern wurden fünf neue Provinzen in die Notverordnung dazugenommen.

Trotz den Notstandsmaßnahmen organisierten UDD-Unterstützer im Norden und Nordosten Proteste und lieferten sich Kämpfe mit den Sicherheitskräften. In der Provinz Ubon Ratchathani setzten Demonstranten auf mehreren Strassen Reifen in Flammen und eine Gruppe versuchte, auf militärisches Gelände vorzudringen, wurde jedoch von Soldaten zurückgedrängt, die in die Luft schossen. ABC News berichtete, dass ein Militärbus in der nördlichen Stadt Chang Mai angezündet wurde und Demonstranten sich in den nordöstlichen Städten Nongkhai und Udon Thani versammelten.

Die USA und andere Großmächte, die den Kompromiss von letzter Woche unterstützten, sind besorgt, dass die fortschreitende Erhebung in Thailand auch in den angrenzenden Ländern soziale Unruhen heraufbeschwören könnte. Es wurden Warnungen vor einem Bürgerkrieg in Thailand ausgesprochen. Reuters zitierte den in Singapur wohnhaften Akademiker Federico Ferrara mit den folgenden Worten: "Das Potential für einen zivilen Großkonflikt ist groß. Es ist denkbar, dass nach einer Räumung Bangkoks von den Rothemden ein noch viel größeres Problem entsteht - vor allem, wenn während der Stürmung Hunderte von Leuten sterben sollten."

Dies jedoch ist genau die Absicht, welche die Regierung von Abhisit momentan hegt.

Siehe auch:
Der Klassenkampf in Thailand
(16. April 2010)
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