Obamas Finanzreform: Wall Streets "Seufzer der Erleichterung"

Keine Tatsachen "sprechen für sich selbst", aber einige sind zweifellos beredsamer als andere. Zum Beispiel diese Meldung von Associated Press vom 21. Mai: "Finanzwerte zogen am Freitag an, einen Tag nachdem die Verabschiedung des Gesetzes zur Finanzreform im Senat die drohende Unsicherheit beseitigte, die über der Finanzwirtschaft hing."

Der amerikanischen Öffentlichkeit, oder zumindest ihren weniger kritischen Elementen, kann man verzeihen, wenn sie aufgrund der Berichterstattung in den Medien den Eindruck hat, mit der Verabschiedung des Finanzreformgesetzes in beiden Häusern des Kongresses sei etwas Wesentliches passiert. (Ein Ausschuss aus Vertretern des Senats und des Repräsentantenhauses wird in den nächsten Wochen eine endgültige Version des Gesetzes ausarbeiten und dabei ohne Zweifel weitere Punkte streichen, die die Wall Street beanstandet.)

Typische Schlagzeilen lauteten: "Wall Street bekommt Grenzen aufgezeigt", "Vergnügungsfahrt für die Wall Street beendet", "Mängel im Finanzsystem behoben", "Senat verabschiedet weitreichende Reform der Großbanken und Kredit-Rating-Agenturen", "Meilenstein in der Finanzreform durch das Gesetz des Senats" usw.

Die Erklärungen von Politikern der Demokratischen Partei waren gleichermaßen hochtrabend und hohl. Der Senator aus Massachusetts und frühere Präsidentschaftskandidat John Kerry erklärte am Donnerstag: "Die Gier der Wall Street kostete die amerikanischen Steuerzahler Arbeitsplätze und zehrte ihre Ersparnisse auf, und dann wurden sie auch noch gezwungen, die großen Banken und die großen Wirtschaftsinteressen, die den Schlamassel angerichtet hatten, zu retten, damit nicht die ganze Wirtschaft in den Abgrund gerissen wurde. Es war unumgänglich,Vertrauenswürdigkeit und Verantwortlichkeit wiederherzustellen. Die heutige Abstimmung ist ein wichtiger Schritt dabei."

Über welche Verantwortlichkeit spricht Kerry? Es werden keine Firmen aufgelöst oder übernommen, keine Bankenvorstände oder Geschäftsführer an der Wall Street haben auch nur einen Anflug von strafrechtlicher Verfolgung zu befürchten und schon gar keine Gefängnisstrafe. Wenn es um die Milliardäre geht, die den Karren vor die Wand gefahren haben, dann heißt die Losung: "Wir müssen nach vorne schauen!"

Kerry verbreitet Unsinn, von dem er und die anderen Demokraten hoffen, dass er die aufgebrachte Bevölkerung besänftigt. Niemand in Washington oder an der Wall Street glaubt auch nur eine Minute daran. Die nüchternen Männer und Frauen, die mit Finanzwerten handeln, gaben ihr Urteil am Freitag ab. Ein Kommentar lautete: "Die Aktien vieler ETFs [an der Börse gehandelte Fonds] stiegen plötzlich, als man von dem Gesetz in den Nachrichten hörte." Das traf auf iShares Dow Jones U.S. Financial Services Index Fund, Merrill Lynch Regional Bank HOLDRS und iShares S&P Global Financials Sector Index Fund zu, die alle ein Plus von zwei Prozent verzeichneten.

AP lieferte weitere Einzelheiten: "JP Morgan Chase & Co. stiegen im Nachmittagshandel um 2,02 Dollar oder 5,4 Prozent auf 39,85 Dollar. Bank of America Corp. stiegen um 59 Cent oder 3,8 Prozent auf 15,89 Dollar. Citigroup Aktien legten 12 Cent oder 3,3 Prozent auf 3,75 Dollar zu. Auch die Aktien früherer Investmentbanken hatten Aufwind. Morgan Stanley Aktien stiegen um 1,27 Dollar oder fünf Prozent auf 26,91 Dollar und Goldman Sachs stieg um 6,15 Dollar oder 4,5 Prozent auf 142,25 Dollar."

Falls die Großbanken und Finanzinstitute kurz davor stehen, "dass man ihnen Schranken setzt", dann sagt es ihnen wohl niemand. Natürlich hätte es Wall Street noch lieber, wenn gar keine Vorschriften gemacht würden. Aber die zweitbeste Lösung ist ein System von zahnlosen Maßnahmen, wie die von Obama, die im Wesentlichen auf mehr bürokratische Formalitäten hinauslaufen. Findige Anwälte und Finanzexperten sind schon dabei, die besten Wege zu finden, wie die neuen "scharfen" Regulierungen ausgetrickst und umschifft werden können. Wir prophezeien, dass sie das vor keine große Herausforderung stellt.

Ein Artikel in der New York Times fasste die Stimmung in der Finanzindustrie zusammen: "Jetzt, wo die Reform Gestalt annimmt, stellt sich Erleichterung an der Wall Street ein." Weiter heißt es in der Times : "Wall Streets erste Einschätzung scheint zu sein, dass es viel härter hätte ausfallen können. ‚Wenn man mit jemandem privat spricht, gibt es einen Seufzer der Erleichterung’, so ein erfahrener Investmentbanker, der wegen des delikaten Charakters der Angelegenheit auf Anonymität bestand. ‚Der Gesamtprofit wird anfänglich um fünfzehn bis zwanzig Prozent zurückgehen und die Kosten für Beaufsichtigung und die Einhaltung der Regelungen werden steigen, aber es werden keine Institute zusammenbrechen und es gibt keine drückenden neuen Steuern."

Die Times fährt fort: "Großbanken und Brokerhäuser, sagen Experten, werden sich an die Änderungen anpassen und neue Einnahmequellen erschließen, um die geringeren Profite wett zu machen, und die neuen Regulierungen umgehen. Mit anderen Worten, das Gesicht der Branche wird sich wohl eher nicht grundlegend ändern."

Niemanden, der auch nur im Mindesten mit der amerikanischen politischen Landschaft und den Ereignissen seit September 2008 vertraut ist, wird das schockieren. Die Obama-Regierung hat wie ihre Vorgängerin in der Wirtschaftskrise mit dem zentralen Ziel eingegriffen: die Profite und Interessen der großen Banken und Wall Street Firmen zu schützen. Billionen wurden den Banken zur Verfügung gestellt, selbst als Millionen ihre Arbeitsplätze verloren, ihre Häuser weggenommen bekamen oder ihre Häuser rapide an Wert verloren und wichtige Sozialleistungen vernichtet wurden.

Die Politiker beider großen Parteien haben sich komfortabel bei den großen und kleineren Finanzinstituten eingerichtet. OpenSecrets.org erklärt: "Trotz der Subprime-Hypothekenkrise und dem folgenden Zusammenbruch der Wall Street während des Wahlkampfs 2008 waren die Banken in der Lage, den Kandidaten und Parteien in dieser Zeit auf Bundesebene mehr als 37 Millionen Dollar zukommen zu lassen." Barack Obama, Hillary Clinton, die Senatoren Kerry, Christopher Dodd, Charles Schumer und Richard Shelby gehörten zu den Favoriten der Handels- und Geschäftsbanken bei den Wahlkampfspenden in den letzten Jahren.

Nur politisch sehr Naïve, politische Idioten oder der Herausgeber des Magazins Nation können glauben, dass die amerikanische herrschende Elite sich unter diesen Bedingungen gegen ihre Freunde an der Wall Street wenden und irgendetwas tun würde, was deren Geldscheffelei erschwert oder sie daran hindert, erneut weitere und noch größere Finanzkatastrophen auszulösen.

Fast gleichzeitig mit der Verabschiedung der "weitreichenden" Finanzreform wurde bekannt, dass Obamas Justizministerium entschieden hat, keine Anklage gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied der American International Group zu erheben, dessen Handel mit Hypothekenpapieren fast zum Bankrott der Firma geführt hatte und die Regierung zu einem 180 Mrd. Dollar teuren Rettungsprogramm zwang.

Sparprogramme für die Bevölkerung, die "über ihre Verhältnisse gelebt hat" und "den Gürtel enger schnallen muss"... während die Plünderer in den teuren Anzügen weiter ihren Geschäften nachgehen.

Ein wachsendes Verständnis dieser Realität lässt die Wut in der Bevölkerung gegen die Großindustrie hoch kochen. Sie findet in dem existierenden politischen System aber keine Ausdrucksmöglichkeit, da es sich im Besitz der Wirtschafts- und Finanzaristokratie befindet und von ihr gesteuert wird. Bloomberg zog aus einer von ihm selbst kürzlich durchgeführten Umfrage die Schlussfolgerung: "Wall Street wird in einer Umfrage verachtet. Die Umfrage zeigt, die meisten wollen eine Regulierung". Nach einer kürzlichen Harris-Umfrage äußerten nur acht Prozent der Bevölkerung "großes Vertrauen" in die Wall Street. Ein Grad an Unzufriedenheit, dem nur das Misstrauen und die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber dem Kongress gleichkommt.

Die Instinkte der Bevölkerung sind absolut zutreffend, aber einen wirklichen "Instandsetzung" des Finanzsystems wird es nur auf der Grundlage eines völligen Bruchs mit dem existierenden politischen System geben.

Die einzige progressive Alternative ist die Entwicklung einer breiten sozialistischen Bewegung in der Arbeiterklasse und der Jugend. Eine solche Bewegung würde für die Forderung nach strafrechtlicher Verfolgung der Verantwortlichen des Finanzkollaps mobilisieren, für die Beschlagnahme der Billionen Dollar, die von den amerikanischen Unternehmen gestohlen wurden, für ein Ende der Zwangsversteigerungen und Beschlagnahmungen von Häusern, für Milliarden Dollar für Arbeitsplätze, Bildung und Gesundheitsversorgung und für die Vergesellschaftung der riesigen Banken und Wall-Street-Konzerne.

Siehe auch:
Obamas "Scheinreform" des Finanzsystems
(28. April 2010)
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