Perspektive

Die Afghanistan-Dokumente und der Kampf gegen Krieg

Die Veröffentlichung der 92.000 geheimen Dokumente über den Afghanistankrieg auf WikiLeaks und die Reaktion der Medien und des offiziellen Establishments haben enorme politische Bedeutung für den Antikriegskampf in den USA und international.

Diese Einsatzberichte amerikanischer Militärs dokumentieren die Tötung von über 20.000 Afghanen - die nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl der Opfer ausmachen - und die Zerstörung einer ganzen Gesellschaft. Sie stellen eine Anklage gegen einen Aggressionskrieg dar, bei dem die Morde geheimer Killerkommandos, Erschießungen an Straßensperren und Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung das Ziel verfolgen, den breiten Widerstand der Bevölkerung gegen ausländische Besatzung zu zerschlagen.

Aber schon innerhalb weniger Tage ist die fraglos größte Enthüllung offizieller Geheimdokumente in der US-Geschichte von der Titelseite der meisten amerikanischen Zeitungen verbannt worden. Dem gingen zahlreiche Kommentare voraus, die versicherten, dass in den Berichten nichts „wirklich Neues“ stehe.

Das Totschweigen des Themas ist begleitet von einer zunehmend bedrohlicheren Kampagne gegen WikiLeaks-Herausgeber Julian Assange, den die Medien beschuldigen, das Leben afghanischer Kollaborateure und Informanten zu gefährden.

Die von Wirtschaftsinteressen gesteuerten Medien begegneten der Veröffentlichung der Dokumente mit unverhüllter Feindseligkeit. Von Anfang an arbeiteten sie mit der Obama-Regierung und dem Pentagon an einem Plan, wie man die WikiLeaks-Enthüllungen der Öffentlichkeit so verkaufen konnte, dass die Auswirkungen auf die Kriegsführung möglichst gering gehalten würden.

Wie bei früheren Gelegenheiten, so der Verbreitung der Lügen über die angeblichen “Massenvernichtungswaffen“ als Rechtfertigung für den Irakkrieg, definiert die NYT auch jetzt die Haltung der nationalen Medien. Die Dokumente zeigen ihrer Meinung nach vor allem, dass dem Militär in Afghanistan die Hände gebunden sind, und die Regierung in Pakistan doppelzüngig ist. Auf diese Weise deutete die vorgeblich „maßgebende Zeitung“ Material, das die Verbrechen der USA und der Nato gegen die afghanische Bevölkerung belegt, in eine Rechtfertigung für die Verschärfung und Ausdehung des Kriegs um.

Die Reaktion der Medien ist identisch mit der des offiziellen Washington, wo die Enthüllungen von WikiLeaks keinen Aufschrei der Empörung über den Inhalt der Dokumente hervorgerufen haben. Vielmehr spielt man ihre Bedeutung herunter und diffamiert gleichzeitig die, die sie veröffentlicht haben.

All dies ereignet sich kurz vor dem neunten Jahrestag der amerikanischen Invasion  Afghanistans, während die amerikanische Truppenstärke auf 100.000 Mann steigt und eine neue blutige Offensive gegen Kandahar, die zweitgrößte Stadt Afghanistans vorbereitet wird. Gleichzeitig befinden sich immer noch 90.000 Soldaten und Marines und Zehntausende Söldner im Irak. Und alles deutet darauf hin, dass Zehntausende von ihnen noch jahrelang dort bleiben werden.

Eine gespenstische Ruhe herrscht in den Vereinigten Staaten angesichts dieser andauernden Kriege. Es gibt keine sichtbaren Proteste, geschweige denn eine nennenswerte Opposition im Kongress. Offensichtlich hofft die Obama-Regierung - und die Medien nehmen es als gegeben an -, dass ein Punkt erreicht ist, an dem die Antikriegsstimmung sich erschöpft hat und die Regierung freie Hand hat, ihre Kriege nach Belieben und so lange sie will weiterzuführen,.

Wo ist die Massenopposition gegen den Krieg geblieben? Sobald der Schock vom 11. September nachließ und die Bush-Regierung den Krieg gegen den Irak vorbereitete, war diese Opposition unübersehbar. Im Februar 2003 demonstrierten Millionen Menschen am Vorabend des Überfalls auf den Irak.

In den Jahren darauf war jede Wahl von der Opposition gegen den Krieg bestimmt, obwohl die Kandidaten der - nominellen - Opposition, der Demokraten, keine Alternative zu dem ungezügelten Militarismus Bushs boten

Trotzdem taten die Organisatioren der Antikriegsproteste alles nur Erdenkliche, um die Antikriegsbewegung der Demokratischen Partei unterzuordnen und die Massenopposition gegen Krieg für Demokratische Wahlkämpfe nutzbar zu machen. So wurde die Antikriegsstimmung in Schach gehalten und zur Harmlosigkeit verurteilt.

Dieser Prozess gipfelte in der Wahl Barack Obamas im Nobember 2008, der die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten hauptsächlich deswegen gewann, weil er sich als der eindeutigere Antikriegskandidat präsentiert hatte als seine wichtigsten Konkurrenten. Sobald er im Amt war, stellte er eine Regierungsmannschaft zusammen, die die militärische Aggression mit noch größerer Rücksichtslosigkeit und Berechnung vorantrieb  als sein Republikanischer Vorgänger.

Durch diesen konkreten politischen Prozess wurde die Massenopposition gegen den Krieg blockiert und ihr verwehrt, öffentlichkeitswirksam zu werden. Jede weitere Wahl hat aber gezeigt, dass diese Opposition nicht verschwunden ist. Sie ist lediglich in den Untergrund gedrängt worden, aber nach wie vor im politischen Bewusstsein breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung der USA verankert.

Die weitsichtigeren Elemente im Staatsapparat sind sich darüber bewusst. WikiLeaks hatte schon früher einen CIA-Bericht über Afghanistan mit dem Titel „Warum es nicht ausreichen könnte, sich auf Apathie zu verlassen“ enthüllt. Zwar ging es in dem Bericht darum, dass europäische Regierungen wegen des Kriegs gestürzt werden könnten, aber diese Befürchtung gibt es auch hinsichtlich der Bevölkerung in den USA selbst.

Wie wird diese Opposition wieder auferstehen? Die Kräfte, die vielleicht gehofft hatten, die Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente würde einen ähnlichen Effekt haben wie die Pentagon Papers während des Vietnamkriegs - wie vielleicht der Herausgeber von WikiLeaks selbst -, sehen ihre Illusionen sofort enttäuscht.

Seitdem sind 40 Jahre ins Land gegangen.. In diesem Zeitraum hat sich die amerikanische Politik grundlegend verändert. Die Reaktion wurde gestärkt, beide kapitalistische Parteien sind moralisch bankrott, und die Außenpolitik ist offen imperialistisch. Das gesamte öffentliche Leben ist von beispielloser sozialer Ungleichheit überschattet. Eine herrschende Oligarchie ist entstanden, die demokratischen Rechten und Prozessen feindlich gesinnt ist und dem Blutvergießen und menschlichen Leid, hervorgerufen durch ihr Streben nach Reichtum und Profit, auch mit militärischen Mitteln, völlig gleichgültig gegenübersteht.

Die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party sehen das Wiedererstehen einer massenhaften Antikriegsbewegung eng mit Klassenfragen verbunden. Der Kampf gegen Krieg ist eine revolutionäre Frage.

Die unter der Oberfläche des politischen Lebens brodelnde Feindschaft gegen Krieg kann sich heute nur im Rahmen einer unabhängigen Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus, die beiden Parteien der Wirtschaft und die Polit-Soziopathen an der Spitze des Systems äußern. Der Kampf gegen Krieg muss mit dem Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Angriffe auf den Lebensstandard und Kürzungen von Sozialleistungen verbunden werden. Die Antwort auf die Angriffe des Profitsystems auf die arbeitende Bevölkerung, und auf seine Kriege liegt in der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft.

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