Perspektive

Australien: Wahlslogans rufen Abscheu hervor

Schon in der ersten Woche des Wahlkampfs in Australien wird der hohle und verkümmerte Zustand der gesamten bürgerlich-parlamentarischen Demokratie sichtbar.

Der liberalen Theorie zufolge müssten Wahlen dazu da sein, damit "das Volk" über die nächste Regierung und deren Programm abstimmen kann, nachdem die verschiedenen Parteien zuvor über ihre Politik und ihre Führer informiert haben und jeder sich eine Meinung bilden konnte.

Dieser Mythos der "Volkssouveränität" hat schon durch den politischen Putsch vom 23./24. Juni einen tödlichen Schlag erlitten, als der gewählte Ministerpräsident Kevin Rudd gestürzt wurde, noch ehe er seine erste Amtszeit beenden konnte. Jetzt wird dieser Mythos durch den Wahlkampf selbst noch weiter entlarvt.

Was war in den ersten Wahlkampftagen besonders bemerkenswert? Nicht etwa die offizielle Bekanntgabe von Programmen der großen Parteien, geschweige denn eine Auseinandersetzung über Ideen und Argumente, sondern die gähnende Langeweile, die Abscheu und zuweilen offene Feindseligkeit, welche die endlosen, leeren Parolen der Parteiführer hervorrufen.

Bei ihrer Eröffnung des Wahlkampfs am vergangenen Samstag benutzte Premierministerin Julia Gillard in einer 31 Minuten dauernden Pressekonferenz nicht weniger als 39 Mal den Begriff "vorwärts gehen".

Als sie in einem Fernsehinterview am Montag gefragt wurde, warum sie dieses Zauberwort ständig wiederhole, antwortete Gillard mit weiteren abgedroschenen Phrasen und erklärte, "vorwärts gehen" drücke ihren Optimismus in die Zukunft und ihre Auffassung aus, dass die besten Tage Australiens noch bevorständen.

Der Wahlkampf stößt in der Bevölkerung auf tiefe Ablehnung, und das muss Ausdruck tieferer Prozesse sein. Es erfüllt einen Teil der wirtschaftsfreundlichen Medien mit Sorge um die Stabilität des gesamten politischen Systems. In einem Leitartikel vom Samstag, d.h. noch bevor der Wahlkampf offiziell begonnen hatte, bezeichnete der Sydney Morning Herald Gillard als "hohle Frau". Am Montag schob er einen Leitartikel nach, der folgende Überschrift trug: "Die hohle Frau schlägt eine hohle Trommel". Darin wurde die Befürchtung ausgedrückt, dass das gesamte parlamentarische Establishment junge Menschen abstoße.

"Beiläufige Hinweise von den Universitäten und anderen Zentren der Jugend scheinen darauf hinzudeuten, dass die australische Jugend Labor und die liberal-nationale Koalition links liegen lässt und sich den Grünen zuwendet, wenn nicht Schlimmerem." Die Schreiber hielten zwar fest, dass die Wahlvereinbarungen der Grünen mit Labor darauf hinauslaufen, diese Opposition wieder in den Rahmen des Zwei-Parteien-Systems einzufangen, aber offenbar sind sie besorgt, dass oppositionelle Stimmungen über kurz oder lang offenere Formen annehmen könnten.

Das Thema wurde auch in einem Leitartikel des Australian vom Montag angesprochen: "Australien geht offensichtlich mit mehr Vorbehalten denn je gegen seine politische Klasse zur Wahl", und weiter: "Zwischen den Parteien gibt es in vielen Fragen kaum noch einen Zentimeter Unterschied."

In einem Interview mit dem Finanzminister der Labor Party, Wayne Swan, verglich der erfahrene Journalist Laurie Oakes den aktuellen Wahlkampf mit dem Wahlkampf der Labor Party unter Gough Whitlam in 1972. Er bezeichnete die damalige Parole Labors "Es ist Zeit" als ihre "beste überhaupt" und fügte hinzu: "Aber Gough Whitlam hat nicht in jeder Rede ein Dutzendmal wiederholt ’es ist Zeit, ’es ist Zeit’, ’es ist Zeit’, sondern er behandelte uns als intelligente Menschen, die auch ganze Sätze und etwas von Politik verstehen."

Ein Kommentator wies treffend darauf hin, dass die heutige Wahlkampagne etwas von einer "Hundedressurtechnik" habe.

Der Unterschied zu 1972 hat seine Ursache in objektiven Bedingungen. Damals, am Ende des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegszeit, traten Whitlam und die Labor Party noch für ein Programm von Sozialreformen ein. Zwar stellte keine dieser Maßnahmen auch nur im Entferntesten die Grundlagen des Profitsystems in Frage. Das war auch nicht beabsichtigt. Aber sie bedeuteten doch für breite Schichten der Arbeiterklasse einen gewissen Fortschritt.

Als die globale Wirtschaftskrise sich 1974-75 durchzusetzen begann und der Nachkriegsboom schnell zu Ende ging, wurde die Whitlam-Regierung in einem Putsch gestürzt, der vom Generalgouverneur inszeniert und von der CIA unterstützt wurde. Whitlam hatte die beispiellose Offensive der Arbeiterklasse nach der Abwahl der Liberalen 1972 nicht unter Kontrolle bringen können. Die wirtschaftliche und politische Landschaft erfuhr danach eine Reihe grundlegender Veränderungen.

Die Labour-Regierung von Hawke und Keating, die 1983 ins Amt gewählt wurde, verfolgte kein Reformprogramm mehr, sondern begann mit "wirtschaftlichen Umstrukturierungen" und Angriffen auf die soziale Lage der Arbeiterklasse. Das entsprach der Politik, die auf internationaler Ebene von Präsident Reagan in den USA und Premierministerin Thatcher in Großbritannien gemacht wurde. Seit der Zeit hat sich keine Partei mehr für ein Programm sozialer Reformen eingesetzt.

Der Inhalt des Begriffs "Reform" hat in den letzten drei Jahrzehnten an sich schon eine Orwellsche Verwandlung durchgemacht. Früher meinte "Reform" eine Politik, die die Lebensbedingungen der breiten Bevölkerungsschichten verbesserte: Eine allgemeine Gesundheitsversorgung und kostenlose Universitätsausbildung waren z.B. zwei zentrale politische Initiativen Whitlams. Heute bedeutet Wirtschaftsreform die immer direktere Unterordnung des gesellschaftlichen Lebens unter das Diktat des kapitalistischen Marktes. Das erinnert an Orwells Parole "Krieg ist Frieden". Heute werden Dinge, die einst garantierte Sozialleistungen waren, dem Prinzip der "Selbstverantwortung" unterworfen.

In den letzten 25 Jahren haben unablässige "Marktreformen" Myriaden sozialer und ökonomischer Probleme hervorgebracht. Darauf reagieren Labor und die liberal-nationale Koalition in zweierlei Weise: Zum einen versuchen sie, soziale Unzufriedenheit nach dem Motto der "Sicherung der eigenen Grenzen" in Feindschaft gegen Einwanderer und Flüchtlinge umzumünzen, und zum andern reduzieren sie gleichzeitig jede politische Diskussion im Wahlkampf auf bedeutungslose Plattitüden.

Dieser Wahlkampf verfolgt einen definitiven politischen Zweck. Angesichts der globalen Krise des kapitalistischen Systems und der Forderungen der Finanzmärkte nach immer brutaleren Sparmaßnahmen hat keine der großen Parteien ein Interesse daran, in einer Diskussion ihre wirklichen wirtschaftlichen und politischen Ziele offenzulegen. Die Grünen haben versprochen, dafür zu sorgen, dass die nächste Regierung "stabil" ist, ob es nun eine Labor-Regierung oder eine liberal-nationale Koalition ist.

Aber die Tatsache, dass dieser Wahlkampf eine solche Abscheu hervorruft, weist auf andere, nicht weniger wichtige, politische Prozesse hin. Hohle Parolen und die Entschlossenheit, "nicht vom Kurs abzuweichen", wurden nicht von Gillard erfunden, sie waren auch schon ein zentrales Kennzeichen von Rudds Labor-Wahlkampf 2007. Aber damals wurde dieser Aspekt von dem Wunsch überlagert, die liberale Howard-Regierung loszuwerden.

In den drei Jahren seither hat das politische Bewusstsein der breiten Bevölkerung mehrere Schocks verkraften müssen. Obwohl sich die Politiker ständig bemühen, die Doktrin des australischen Exzeptionalismus zu beschwören, hat die globale kapitalistische Krise Millionen Menschen vor Augen geführt, dass ihre Arbeitsplätze, ihr Lebensstandard, ihre demokratischen Rechte und die Zukunft ihrer Kinder von Kräften bedroht sind, die sie nicht kontrollieren können. Sie verstehen, dass diese Probleme durch die endlose Wiederholung von sinnentleerten Parolen nicht gelöst werden können.

Die Antwort werden sie nicht beim bankrotten politischen Establishment finden, sondern nur in der globalen Analyse des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und in dem Programm des sozialistischen Internationalismus, für das die Socialist Equality Party im australischen Wahlkampf eintritt.

Siehe auch:
SEP stellt Kandidaten für eine sozialistische Alternative auf - Premierministerin Gillard ruft vorgezogene Neuwahlen aus
(22. Juli 2010)
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