Perspektive

Großes Verbrechen und groß angelegte Verschleierung

Die Obama-Regierung bemüht sich derzeit nach Kräften, das Ende der Ölkrise im Golf zu verkünden. Ganz so als ob nichts geschehen wäre, wird die Rückkehr der Ölindustrie in den Golf vorbereitet. Der Bevölkerungsteil, dessen Lebensgrundlage durch die Deepwater Horizon-Katastrophe zerstört wurde, wird derweil sich selbst überlassen.

Die Regierung verbreitet das Märchen, dass der größte Teil des Öls, das sich aus dem Leck in den Golf ergossen hat, entweder eingefangen worden oder verdunstet sei. Nur noch ein Viertel der Menge bedrohe die Region.

Die Behauptung stammt aus einem Bericht der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten NOAA und wird vom Nationalen Krisenstab am Golf weiter verbreitet. Sie ist nur die jüngste Lüge in einer langen Reihe von Falschinformationen. Von Anfang an haben BP und die Obama-Regierung das wirkliche Ausmaß der Umweltverschmutzung heruntergespielt. Die NOAA verbreitete in den Tagen unmittelbar nach der Havarie der Ölplattform am 20. April, dass nur 5.000 Barrel Öl pro Tag austreten, und hat in dem gesamten Zeitraum der Krise das Ausmaß der Ölpest unterschätzt.

Ebenso wie diese ersten falschen Zahlen wurden auch die aktuellen Behauptungen von unabhängigen Wissenschaftlern umgehend in Frage gestellt. Zu ihnen gehört Susan Shaw, Leiterin des Instituts für Meeresumweltforschung. Sie sagte gegenüber der Presse: „Die Öffentlichkeit hat die undifferenzierte Erklärung so verstanden, dass das meiste Öl schon verschwunden sei. Das ist nicht wahr. Ungefähr 50 Prozent ist noch im Wasser.“ Andere, wie der Ozeanograf und Chemiker David Hollander von der Universität von Südflorida, nannte die Zahlen der Regierung „lächerlich“. 75 Prozent des Öls belasteten die Natur noch.

Selbst wenn die Angaben der Regierung stimmten, bedeutete dies immer noch, dass nach wie vor 400 Millionen Liter Öl im Golf schwimmen – ungefähr zehn Mal so viel, wie von der Exxon Valdez beim großen Tankerunglück vor Alaska freigesetzt wurde.

Die Befürchtungen der Wissenschaftler halten die Regierung nicht von ihrer Öffentlichkeitskampagne ab. Carol Browner, Leiterin der Energie- und Klimaschutzbehörde beruhigte am Sonntag in der NBC-Sendung „Meet the Press“ die amerikanische Bevölkerung mit den Worten: „Der weitaus größte Teil des Öls ist schon weg“. Am gleichen Tag trat der Chef des Krisenstabs Thad Allen in der CBS-Sendung „Face the Nation“ auf und gratulierte BP mit den Worten, der Konzern hätte am Bohrloch „gute Arbeit geleistet“. Seine einzige Kritik an dem Ölkonzern lautete, dass er sich Fehleinschätzungen in der Öffentlichkeitsarbeit geleistet habe.

Die Ölindustrie übt inzwischen schon wieder Druck aus, das Moratorium für Bohrungen außerhalb der Küstengewässer, das bis 30. November läuft, vorzeitig aufzuheben. Michael Bromwich, Leiter der staatlichen Aufsichtsbehörde für die Verwaltung der US-Bodenschätze, deutete diese Woche bereits seine Bereitschaft dazu an. Er sagte: „Wir alle hoffen, dass wir das Moratorium deutlich vor dem 30. November aufheben können.“

Die Ölkonzerne werden dann mit den Bohrungen fortfahren, ohne ihre Sicherheitsvorkehrungen verändert zu haben. Der Vorsitzende der Demokratischen Mehrheitsfraktion im Senat Harry Reid zog kürzlich einen Gesetzentwurf zurück, der eine strengere Regulierung von Offshore-Bohrungen und höher Geldstrafen für Umweltverschmutzung vorsah.

Die Kampagne, die Auswirkungen der Ölpest kleinzureden, verfolgt auch das Ziel, die Profitabilität von BP zu sichern. Der von vornherein unzureichende Kompensationsfond über zwanzig Milliarden Dollar, auf den sich die Obama-Regierung mit BP geeinigt hat, dient lediglich dem Zweck, den Konzern vor unüberschaubaren Schadensersatzforderungen zu schützen. Der Fond wird von Kenneth Feinberg verwaltet, Präsident Obama hatte ihn mit diesem Amt betraut. Nun hat sich herausgestellt, dass Feinberg auf der Gehaltsliste von BP steht. Feinberg wird auf seinem Posten festlegen, welche Ansprüche gegen BP „als legitim“ anzusehen sind und gleichzeitig kostspielige Prozesse von dem Unternehmen abwenden.

Schließlich wird niemand zur Verantwortung gezogen – weder bei BP, noch auf Seiten der staatlichen Behörden. Letztere haben die Katastrophe dadurch ermöglicht, dass sie den Konzern Sicherheits- und Umweltbestimmungen nach Belieben ignorieren ließen. Die Untersuchung zu der Ursachen der Deepwater Horizon-Katastrophe durch die Obama-Regierung erweist sich als völlige Farce. Die Anhörungen in New Orleans wurden unter anderem von William Reilly, einem Aufsichtsratsmitglied des Ölkonzerns ConocoPhillips geleitet. Diese Veranstaltung gewährte im Wesentlichen den Vertretern von BP und der amerikanischen Küstenwache die Gelegenheit, den Standpunkt des Konzerns darzulegen und keine Kritik daran gelten zu lassen.

Diese Ereignisse zeigen, dass Konzerne wie BP praktisch über die amerikanische Gesellschaft herrschen. Sie geben den Blick frei auf ein politisches System, in dem die Demokraten und Republikaner als direkte Handlanger für die Wirtschaftselite arbeiten. Genauso wie die Finanzspekulanten an der Wall Street nicht zur Verantwortung gezogen wurden für ihre kriminellen Aktivitäten, die zur globalen Wirtschaftskrise führten , so werden auch die Chefs von BP die Deepwater Horizon-Katastrophe unbeschadet überstehen, wenn die Regierung sich durchsetzt.

Die Regierung, das gesamte politische Establishment und die Medien zeigen eine unverhüllte Verachtung für die Bevölkerung. Sie glauben, es reiche, „Mission vollendet“ zu verkünden, um die schlimmste Umweltkatastrophe in der amerikanischen Geschichte hinter sich lassen zu können.

Aber sie könnten sich täuschen. Die offen kriminelle Energie, die bei der BP-Ölpest sichtbar wurde, und das vollkommen korrupte und zynische Verhalten der Regierung haben die Öffentlichkeit in den USA nur noch weiter in Rage versetzt. Diese Wut wird sich früher oder später einen politischen Weg bahnen. Eine solche politische Entwicklung muss von der Erkenntnis ausgehen, dass eine ernsthafte Reaktion auf Katastrophen wie die Ölpest im Golf nur möglich ist und die nächste Katastrophe nur dann verhindert werden kann, wenn sie sich mit der Quelle des Problems beschäftigt: dem kapitalistischen System.

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