Perspektive

EU verschärft Austeritätskurs

Die Europäische Union hat in dieser Woche den Druck auf hochverschuldete Mitgliedstaaten deutlich erhöht, ihre Haushalte durch harte Sparmaßnahmen zu sanieren. Den Ton gab dabei die deutsche Regierung an.

In der Nacht zum Dienstag trafen sich die Finanzminister der 27 EU-Staaten, Zentralbank-Chef Jean-Claude Trichet und Ratspräsident Herman Van Rompuy, um entsprechende Vorschläge zu diskutieren. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte zuvor in einem Brief an alle Teilnehmer scharfe Sanktionen gegen Länder verlangt, die gegen die europäischen Haushaltsregeln verstoßen. Neben empfindlichen Bußgeldern und dem Entzug von EU-Fördergeldern schlug Schäuble auch vor, ihnen das Stimmrecht im Ministerrat, dem höchsten EU-Gremium, zu entziehen. 

Schäuble konnte sich zwar mit seinen Vorschlägen nicht durchsetzen. Er stieß auf den Widerstand südeuropäischer Länder und der französischen Finanzministerin Christine Lagarde, die sich gegen automatische Sanktionen wandte. Doch die Finanzminister waren sich im Grundsatz einig, dass die Strafen für überschuldete Staaten spürbar verschärft werden müssen.

Am Mittwoch stellte EU-Finanzkommissar Olli Rehn dann ein Gesetzespaket zur Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts vor. Es sieht eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild, harte Sanktionen bei Überschreiten der Defizitgrenze, feste Vorgaben für den Schuldenabbau sowie hohe Geldbußen für Staaten vor, die die verschärften Vorgaben nicht erfüllen. Rehn hatte sich zuvor eng mit Berlin abgestimmt, das seine Forderungen voll unterstützt.

Werden Rehns Vorschläge Gesetz, müssen EU-Mitglieder bereits bei Eröffnung eines Defizitverfahrens – d.h. wenn die Neuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreitet – ein „Zwangspfand“ in Höhe von 0,2 Prozent des BIP in Brüssel hinterlegen. Verstoßen sie dann weiter gegen Sparvorgaben, wird dieses Geld als Strafe einbehalten. Die Strafmaßnahmen treten „halbautomatisch“ in Kraft – d.h. die Kommission kann sie ohne Ratsbeschluss anordnen. Die Mitgliedsländer können sie nur verhindern, wenn sie innerhalb von zehn Tagen mit qualifizierter Mehrheit dagegen stimmen. Bisher konnten hohe Geldstrafen nur verhängt werden, wenn zwei Drittel der Mitgliedsländer dies vorher entschieden hatten – was in der Praxis nie vorkam.

Rehn will außerdem direkten Einfluss auf die Finanz- und Lohnpolitik der einzelnen Regierungen nehmen. Zu diesem Zweck will die Kommission deren Wirtschaftspolitik überwachen und einschreiten, sobald es bei wichtigen ökonomischen Indikatoren zu Abweichungen kommt. Dabei will sie auch Lohnsenkungen anordnen.

Die Gehälter im öffentlichen Sektor seien ein wichtiges Element für die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten, begründete dies Rehns Sprecher Amadeu Altafej. Im Falle Griechenlands seien die hohen Löhne im öffentlichen Dienst eine Ursache der Krise gewesen. Der Chefbeamte der EU-Kommission für Wirtschaftsfragen, Marco Buti, sagte der Tageszeitung Die Welt: „Wenn Löhne im öffentlichen Sektor offensichtlich der Wettbewerbsfähigkeit und der Preisstabilität schaden, dann wird es eine Aufforderung an das Land geben, diese Entwicklung zu korrigieren. Und natürlich beeinflusst die Lohnentwicklung im öffentlichen Sektor die private Wirtschaft stark.“ 

Rehns Vorschläge müssen zwar noch von den Mitgliedsstaaten und den Gremien der EU gebilligt werden. Das wird Wochen oder Monate dauern und nicht ohne Änderungen abgehen. Trotzdem ist unübersehbar, dass die EU einen deutlich härteren Kurs einschlägt. Nachdem sie bereits Ungarn, Rumänien, Griechenland, Spanien und Portugal drastische Sparprogramme verordnet hat, verschärft sie jetzt auch den Druck auf die übrigen Länder, den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten deutlich zu senken.

Sie betätigt sich dabei als Ausführungsorgan der mächtigsten europäischen Finanz- und Wirtschaftskreise. Diese bestehen darauf, dass die gewaltigen Löcher, die Wirtschaftskrise und Bankenrettungspakete in die öffentlichen Haushalte gerissen haben, auf Kosten der Löhne und Sozialausgaben gestopft werden. Die Regierung Deutschlands, der führenden deutschen Exportmacht, spielt dabei die treibende Rolle.

Es fehlt nicht an Stimmen, die diese Politik für kurzsichtig halten. So warnten am Montag vier führende europäische Ökonomen in der Financial Times, die herbe aber nötige Medizin sei riskant. Sie drohe eine Depression mit Auswirkungen auf die ganze Eurozone auszulösen. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Spannungen könnten die Eurozone zerstören. Sie schlugen deshalb eine europäische Lösung vor: Der im Frühjahr geschaffene Europäische Stabilitätsfonds müsse in eine ständige Einrichtung verwandelt werden, der hochverschuldeten Ländern unter die Arme greift.[1]

Der Vorschlag Ökonomieprofessoren wurde von vier Politikern unterstützt, die sich zu unterschiedlichen Zeiten für die EU eingesetzt hatten: Den ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors und Romano Prodi, dem früheren deutschen Außenminister Joschka Fischer und dem ehemaligen belgischen Regierungschef Guy Verhofstadt.

Doch die Politik der EU wird nicht von langfristigen Überlegungen geleitet, sondern von kurzfristigen Interessen bestimmt. Sie vertritt die Anliegen einer verantwortungslosen Finanzaristokratie, die jedes übergeordnete gesellschaftliche Ziel eigennützigen Profitinteressen opfert. Das Europa von 2010 gleicht mehr und mehr jenem der 1930er Jahre, das offenen Auges von einem Weltkrieg in den nächsten taumelte.

Die internationale Finanz- und Wirtschaftkrise hat die nationalen Gegensätze in Europa zugespitzt. Deutschland, dessen Bankensektor nach wie vor kriselt, während sein Exportsektor (nicht zuletzt dank der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften) gestärkt aus der Krise hervorging, ist entschlossen, diesen Vorteil auf Kosten des restlichen Europa zu verteidigen. England akzeptiert keine Maßnahme, die den Interessen der City of London zuwider läuft. Und Frankreich versucht sich des deutschen Nachbarn zu erwehren, indem es nach neuen Verbündeten im Süden Europas Ausschau hält.

Die herrschende Elite Europas reagiert auf die wachsenden sozialen Spannungen, indem sie Nationalismus und Fremdenhass schürt. In Ungarn, Italien, Dänemark und Holland sitzen rassistische Parteien am Kabinettstisch oder unterstützen die Regierung. In Frankreich heizt der Präsident höchstpersönlich eine Kampagne gegen Roma und Muslims an. 

Während Finanzkommissar Olli Rehn in Brüssel den verschärften Austeritätskurs der EU verkündete, demonstrierte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) auf der Straße dagegen. Doch dieser Protest ist hohl und verlogen. Die Perspektive des EGB geht nicht darüber hinaus, die EU-Kommission zu einer sanften Kurskorrektur zu bewegen. Der EGB hat nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass er den Sparkurs der EU grundsätzlich unterstützt. Er versucht die Kommission lediglich zu beraten, wie sie diesen Kurs konfliktfreier – und damit effektiver – durchsetzen kann. 

Die nationalen Mitgliedsverbände des EGB spalten die europäischen Arbeiter, indem sie einen „Standort“ gegen den anderen ausspielen und Lohnsenkungen vereinbaren, um „ihre“ Unternehmen im internationalen Konkurrenzkampf zu stärken. Sie verteidigen die Interessen der Konzerne, indem sie die Arbeiter gegeneinander ausspielen, disziplinieren und unterdrücken.

Der Sparkurs der EU, die nationalen Spannungen und die Kriegsgefahr, die damit einher gehen, lassen sich nur durch eine unabhängige Bewegung der europäischen Arbeiterklasse bekämpfen. Arbeiter müssen mit den Gewerkschaften, den sozialdemokratischen Parteien und ihren „linken“ Verteidigern brechen und sich einer sozialistischen Perspektive zuwenden. Banken und große Konzerne müssen vergesellschaftet werden, um die Wirtschaft im Interesse der ganzen Gesellschaft zu reorganisieren. An die Stelle der Europäischen Union, einem Werkzeug der Banken und Konzerne, müssen die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa treten.

 

[1] Peter Bofinger, Henrik Enderlein, Tommaso Padoa-Schioppa and André Sapir, „Eurozone needs a permanent bail-out fund”, Financial Times September 27 2010

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