Perspektive

Was steht hinter der Wahlschlappe der US-Demokraten?

Nur einen Tag nach den Halbzeitwahlen haben sich die amerikanischen Medien schnell auf ein Interpretationsmuster geeinigt, das vom gesamten politischen Establishment geteilt wird. Es lautet: Der Sieg der Republikanischen Partei bedeutet, dass die Wähler sich gegen die angeblich zu linke Politik der Obama-Regierung ausgesprochen haben. In seiner Pressekonferenz am Mittwoch übernahm auch Obama selbst diese Analyse und versprach, von nun an eng mit der Republikanischen Partei zusammenzuarbeiten. Er werde einen Kompromiss für die Steuersenkungen für die Reichen finden und die Beziehungen zur Wirtschaft verbessern.

Diese Behauptung wird durch zwei Prämissen gestützt, die beide falsch sind: Erstens, dass Obama in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit ein wirtschaftsfeindliches Programm vertreten habe; und zweitens, dass die gesamte Bevölkerung begeisterte Zustimmung für den Kapitalismus und die Wirtschaft ausgedrückt habe. Diese Prämissen sind nicht nur absurd, sie widersprechen auch den offensichtlichen Tatsachen.

In der Flut politischer Kommentare in den etablierten Medien wagt es niemand, eine plausiblere Erklärung zu geben: Nach seinem Wahlsieg als Tribun der „Hoffnung“ und des „Wandels, auf den ihr vertrauen könnt“ ist es Obama mit seiner wirtschaftsfreundlichen Politik und seinen Kriegen gelungen, die Teile der Bevölkerung zu enttäuschen und politisch zu demoralisieren, die vor zwei Jahren für ihn gestimmt hatten.

Das Ereignis, das Obamas Wahlsieg sicherstellte, war der spektakuläre Kollaps der Wall Street im September 2008, der den letzten Rest an politischer Glaubwürdigkeit der Bush-Regierung zerstörte und das kapitalistische System selbst stark diskreditierte. Obama verfügte bei seiner Amtsübernahme über ein starkes Mandat für radikale Reformen.

Die Regierung eilte jedoch den Banken zu Hilfe. Noch vor seiner Amtsübernahme sprach sich Obama bedingungslos für die Bankenrettung aus, die er später noch erweiterte. Er stellte eine Regierungsmannschaft zusammen, die von den Interessen des Finanzkapitals beherrscht war. Das beste Beispiel dafür war die Berufung von Wirtschaftsberater Lawrence Summers und Finanzminister Timothy Geithner.

Die Regierung lehnte jede Begrenzung von Vorstandsgehältern ab und wies Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Wirtschaftskatastrophe von vorneherein zurück. In den letzten beiden Jahren haben die reichsten Personen ihren Anteil am Nationaleinkommen deutlich erhöht, und die größten Banken werden wahrscheinlich wieder Rekordgehälter verteilen.

Die Wirtschaftskrise hat zu einer Beschäftigungskrise wie niemals seit der Großen Depression geführt. Die Regierung hat Arbeitsbeschaffungsprogrammen des Staates eine klare Absage erteilt. Obama wiederholte in der Zeit ständig, dass die Arbeitslosigkeit lediglich ein „hinterher hinkender Wirtschaftsindikator“ sei.

Nachdem er die Wall Street gerettet hatte, betrieb Obama die Insolvenz von General Motors und Chrysler. Er forderte von den Arbeitern, hohe Arbeitsplatzverluste, Lohnkürzungen und Verschlechterungen der Sozialleistungen hinzunehmen. Daraufhin sprangen die Profite der Autokonzerne wieder in die Höhe, während der Angriff auf die Löhne der Autoarbeiter zum Modell für Lohnkürzungen in allen Teilen der Wirtschaft und des Landes geworden ist.

Das Wahldebakel der Demokratischen Partei im industriellen Mittelwesten ist das Ergebnis davon. Hier fuhren die Demokraten die Hälfte ihrer Verluste im Repräsentantenhaus ein. In Michigan, einem Zentrum der Autoindustrie, kassierten die Republikaner alle Ämter auf Staats- und kommunaler Ebene ein. Die Wahlbeteiligung betrug nur 45 Prozent. In Detroit, wo Obama 2008 einen überwältigenden Sieg errungen hatte, bequemten sich nur zwanzig Prozent der Wähler ins Wahllokal.

Das wichtigste innenpolitische Vorhaben, mit dem Obama identifiziert wird, ist die Umgestaltung des Gesundheitswesens. Das Gesetz ist vollkommen auf die Interessen von Versicherungen und großen Konzernen zugeschnitten. Um es beiden Parteien recht zu machen, entfernte Obama alles aus dem Gesetzentwurf, was die Reform ansatzweise fortschrittlich hätte machen können, so zum Beispiel die „Public Option“, eine staatlich geführte Versicherung als Alternative zu den privaten Versicherungen. Besonders ältere Wähler sahen das ganze Projekt völlig zu Recht als Schritt hin zur Kürzung der Leistungen von Medicare und der Rationierung der Versorgung. Deswegen gab es in diesem Alterssegment einen deutlichen Umschwung zu den Republikanern, die bei den über 60-jährigen achtzehn Prozent vor den Demokraten liegen.

Außenpolitisch kam Obama auf einer Welle der Antikriegsstimmung ins Amt. Bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei 2008 war sein wichtigstes Argument gegen seine Rivalin Hillary Clinton, dass er nicht für den Irakkrieg gestimmt habe. Aber schon bald bestätigte Obama die Verantwortlichen für den Krieg unter Bush, Verteidigungsminister Robert Gates und General David Petraeus, in ihren Ämtern. Seine Regierung hat die Besetzung des Irak fortgesetzt und den Krieg in Afghanistan und Pakistan deutlich verschärft. Gegen Jemen und den Iran drohen neue Kriege, und in vielen Teilen der Welt werden CIA-Drohnen eingesetzt, um Menschen zu ermorden.

Bei jeder Wahl seit 2002 hat die Kriegsfrage eine wichtige Rolle gespielt. Die Praxis der Obama-Regierung hat aber Millionen Menschen vor Augen geführt, dass es unmöglich ist, die Kriege mit einer Stimmabgabe für die Demokraten zu beenden. Bei jungen Leuten, die besonders stark gegen Krieg sind, ging die Wahlbeteiligung am Dienstag besonders stark zurück. 2008 waren achtzehn Prozent der Wähler 18 bis 29 Jahre alt, bei dieser Wahl nur zehn Prozent.

Die Liste rechter politischer Initiativen in Obamas ersten beiden Jahren muss noch durch Folgendes ergänzt werden: Der Angriff auf demokratische Rechte wurde verschärft, die Strafverfolgung der Verantwortlichen für Folter und für die Ausspähung der eigenen Bevölkerung wurde behindert, die Profite des Energieriesen BP, der für die größte Umweltkatastrophe der amerikanischen Geschichte verantwortlich ist, wurden verteidigt, ein Moratorium für Zwangsversteigerungen wurde abgelehnt, obwohl bekannt wurde, dass die Banken, die Millionen Menschen aus ihren Häusern werfen, massiven Betrug begingen.

Unter den besonderen Bedingungen des amerikanischen Zwei-Parteien-Systems, das jede Opposition gegen die zwei Parteien der Wirtschaft unmöglich macht, nahm die Abwendung von den Demokraten die Form eines Sieges der Republikaner an. Die Republikaner konnten also von der geringen Wahlbeteiligung Demokratischer Wähler profitieren. Darüber hinaus konnten sie aber auch die Tatsache ausnutzen, dass der Verrat Obamas und sein Mangel an Prinzipienfestigkeit die Unernsthaftigkeit und die Doppelzüngigkeit der Demokratischen Partei und ihrer liberalen Anhänger offenlegten. Auch fand die Propaganda der Republikaner in Teilen der Bevölkerung einen gewissen Widerhall, die den Eindruck hatten, getäuscht worden zu sein.

Das Scheitern der Obama-Regierung ist nicht einfach das Scheitern einer Person. Es ist ein Ausdruck des Scheiterns eines ganzen politischen und wirtschaftlichen Systems. Angesichts seines langfristigen wirtschaftlichen Niedergangs hat der amerikanische Kapitalismus auf die kapitalistische Krise keine andere Antwort als immer schärfere Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Die Gewerkschaften und die liberalen und kleinbürgerlichen Organisationen, die Obamas Wahl propagiert haben, werden unter Hinweis auf den Sieg der Republikaner jetzt erneut betonen, dass die Demokraten unterstützt werden müssten. Das ist vollkommen bankrott. Die Behauptung, dass das Anwachsen extrem rechter Kräfte durch die Wahl von Demokraten gestoppt werden könne, ist alles andere als wahr. Die Demokratische Partei zu unterstützen, ermöglicht ihr, ihre eigene arbeiterfeindliche Politik durchzuführen, und schafft gleichzeitig die Bedingungen für den Aufstieg noch rechterer Kräfte.

Die Wahl muss als eine Warnung verstanden werden. Das politische System bewegt sich mit den beiden Parteien immer weiter nach rechts. Nach der Wahl wird es mehr Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne, eine weiterer Schwächung demokratischer Rechte und eine Ausweitung des Kriegs geben. Auch die Gefahr eines globalen Konflikts mit unvorstellbaren Folgen wird größer.

Die Krise verleiht der amerikanischen Politik einen krankhaften Charakter. Wie ein unbehandelter Zahn, der zu einer Infektion führt, können Wut und Unzufriedenheit von Millionen Menschen sich nirgendwo ausdrücken. Solange die Arbeiterklasse in der Falle der Demokratischen Partei und des kapitalistischen Zwei-Parteien-Systems festsitzt, werden die Rechten die Lage zu ihrem Vorteil nutzen.

Arbeiter und Jugendliche müssen die Folgen genau durchdenken. Es gibt keinen Weg vorwärts mit der Demokratischen Partei und mit kapitalistischer Politik. Notwendig ist der Aufbau einer unabhängigen, revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus. Für diese Perspektive kämpft die Socialist Equality Party.

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