Perspektive

EU-Gipfel: Ein Rettungsschirm für die Banken

Nach tagelangem heftigem Streit haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel auf erste Schritte für einen permanenten Krisenmechanismus geeinigt, der 2013 den bestehenden Euro-Rettungsschirm ablösen soll.

Lässt man die schönen Worte über „europäische Solidarität“ und „einen guten Tag für Europa“ beiseite, die solche Gipfelbeschlüsse routinemäßig begleiten, läuft der europäische Krisenmechanismus auf zwei Dinge hinaus: Erstens garantiert er den internationalen Finanzinvestoren, dass sie auch weiterhin mit öffentlichen Geldern entschädigt werden, falls ihre Spekulationsgeschäfte schief laufen; und zweitens stellt er sicher, dass die Kosten für solche Rettungsaktionen durch drakonische Sparmaßnahmen auf die Bevölkerung abgewälzt werden.

Die Gipfelteilnehmer einigten sich spät in der Nacht darauf, den Lissabon-Vertrag um zwei Sätze zu ergänzen, die das bisher bestehende Verbot gegenseitiger Finanzhilfen aufheben. Die deutsche Regierung hatte auf eine solche Vertragsänderung gedrängt, weil sie fürchtete, das Bundesverfassungsgericht werde eine Verlängerung des derzeitigen Euro-Rettungsschirms über das Jahr 2013 hinaus sonst untersagen.

Nun wollen sich die Mitglieder der Eurozone auch nach 2013 gegenseitig finanziell unter die Arme greifen, wenn ein Land ins Visier der internationalen Finanzspekulation gerät. Dies wird aber mit extrem harten Bedingungen verbunden sein. Die deutsche Regierung hat durchgesetzt, dass finanzielle Hilfen an strenge Auflagen geknüpft werden und der Krisenmechanismus nur dann greift, wenn die Eurozone als Ganze bedroht ist. Ein Land, das sich mit europäischer Unterstützung gegen spekulative Angriffe schützen will, muss sich dem Spardiktat des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission noch bedingungsloser unterwerfen, als dies Griechenland und Irland bereits getan haben.

Der ursprüngliche Vorschlag, bei Zahlungsschwierigkeiten eines Staates auch die privaten Gläubiger automatisch an den finanziellen Lasten zu beteiligen, wurde in Brüssel dagegen begraben. Dies soll jetzt nur noch in Einzelfällen geschehen.

Wie der zukünftige Krisenmechanismus im Einzelnen aussehen und welchen Umfang er haben wird, blieb am Donnerstag offen. Darüber sollen erst zukünftige Gipfel entscheiden.

Auch ein gemeinsamer Vorschlag des luxemburgischen Regierungschefs Jean-Claude Juncker und des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti, einen Teil der Staatsschulden aller Euro-Länder durch gemeinsame Anleihen zu finanzieren, wurde von Deutschland und zuletzt auch von Frankreich schroff zurückgewiesen. Juncker und Tremonti hatten sich von diesem Vorschlag einen besseren Schutz gegen spekulative Angriffe auf den Euro sowie niedrigere Zinsen für hochverschuldete Länder versprochen. Doch die deutsche Regierung war nicht bereit, im Interesse einer gemeinsamen Front einen geringen Anstieg der eigenen Schuldzinsen in Kauf zu nehmen. Zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Juncker war es deswegen im Vorfeld des Gipfels zu einem heftigen öffentlichen Schlagabtausch gekommen.

Nach dem Gipfel sprach die deutsche Kanzlerin dann von „einem guten Tag für den Euro“ und behauptete, mit dem neu vereinbarten Krisenmechanismus hätten sich die Gipfelteilnehmer verpflichtet, „die Stabilität des Euro als Ganzes sicherzustellen“.

Tatsächlich verschärft sich die Krise des Euro unvermindert weiter. Nur einen Tag vor dem Brüsseler Gipfel drohte die US-Rating-Agentur Moody's die Kreditwürdigkeit Spaniens herabzustufen. Das Land musste daraufhin für neue Schulden die höchsten Zinsen seit 13 Jahren bezahlen. Einen Tag später drohte dieselbe Rating-Agentur auch Griechenland mit einer weiteren Senkung seiner Kreditwürdigkeit.

Seit im Dezember 2009 mehrere Ratingagenturen Griechenland heruntergestuft und damit die gegenwärtige Eurokrise ausgelöst hatten, geht die internationale Finanzaristokratie stets nach demselben Muster vor. Als erstes wird ein Land heruntergestuft, als nächstes werden die Zinsen für neue Schulden deutlich erhöht. Gerät das Land dann in eine Schuldenfalle, weil die Zinslast schneller wächst als die öffentlichen Ausgaben gesenkt werden können, wird es in den europäischen Rettungsschirm gedrängt. Dieser garantiert den Banken die volle Rückzahlung ihrer Einlagen, während die betroffene Regierung zu noch härteren Sparmaßnahmen verpflichtet wird.

Für die Banken ist dies ein glänzendes Geschäft. Sie kassieren hohe Zinssätze für Anleihen, deren Risiko vom europäischen Rettungsfonds getragen wird. Gleichzeitig nutzen sie das Eingreifen der EU, um ihre eigenen Gelder ins Trockene zu bringen. Mohamed El-Erian, Chef der Investmentgesellschaft Pimco, hat dies kürzlich in der Financial Times unumwunden zugegeben. „Die Anleger und Gläubiger haben durch die Bereitstellung von Liquidität für die Peripherieländer kein neues Vertrauen gefasst, sondern den Rettungsfonds benutzt, um ihren Besitz abzuziehen“, schrieb er.

Seit Griechenland knüpfen sich die internationalen Banken nach demselben Muster ein Land nach dem anderen vor. Sie provozieren eine Krise, indem sie die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe treiben, und erzwingen so ein Rettungspaket und ein Sparprogramm, das den Lebensstandard der Arbeiterklasse dezimiert. Auf Griechenland folgte Irland, als nächstes sind Portugal, Spanien und möglicherweise Italien an der Reihe.

Der Klassencharakter dieser Maßnahmen wird dabei immer offensichtlicher. Hatte die hohe griechische Staatsverschuldung noch eine lange und komplexe Vorgeschichte, war die irische eine unmittelbare Folge der Spekulationsorgien der Banken. Die Verschuldung des Landes war relativ niedrig, bevor die Regierung in Dublin beschloss, in vollem Umfang für die Verluste der irischen Banken zu haften. Nun werden öffentliche Arbeitsplätze, Sozialausgaben, Einkommen und Renten dezimiert, um die Schulden der Banken zu begleichen.

Es gibt nicht eine einzige europäische Regierung – ob konservativ, liberal oder sozialdemokratisch –, die bereit wäre, dem Diktat der internationalen Finanzaristokratie entgegenzutreten. Wie einem unersättlichen Moloch bringen sie ihr ständig neue Opfer, bis auch die letzten sozialen Errungenschaften der vergangenen sechs Jahrzehnte zerstört und abgebaut sind.

Gleichzeitig verschärfen sie die nationalen Spannungen in Europa. Während die Regierungen dem internationalen Finanzkapital zu Füssen liegen, versuchen sie die Hauptlast der Krise auf ihre Nachbarn abzuwälzen. Damit droht eine wirtschaftliche Zersplitterung und politische Balkanisierung des Kontinents. Das Schüren von Nationalismus geht dabei Hand in Hand mit Ausländerhetze und Angriffen auf demokratische Rechte.

So ist in Deutschland die Gründung einer Anti-Euro-Partei im Gespräch. Wirtschaftsnationalisten, wie der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, und Rassisten, wie das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin, werden zu diesem Zweck von der Boulevardpresse und Talkshows gezielt gesponsert. Sie finden Unterstützung am rechten Rand der Union, der FDP und in Teilen der SPD. Das kompromisslose Auftreten der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel auf der europäischen Bühne ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sie ein Auseinanderbrechen der eigenen Partei befürchtet.

In Griechenland wiederum versuchen rechte und pseudolinke Demagogen die Empörung über die Sparpolitik der Regierung Papandreou in antideutschen Nationalismus umzumünzen.

Eine entscheidende Rolle in dieser nationalistischen Front spielen die Gewerkschaften, die sich überall offen – oder verdeckt, indem sie Protestbewegungen auf Sparflamme halten – hinter ihre jeweilige Regierung stellen. Sie unterstützen deren Sparprogramm und sabotieren jeden Versuch, eine gesamteuropäische Bewegung der Arbeiterklasse zu entwickeln.

Der marxistische Revolutionär Leo Trotzki hatte schon 1924 vor den Folgen einer Zersplitterung Europas gewarnt. „Bürgerliche Ökonomen, Pazifisten, Profitjäger, Phantasten und Schwätzer neigen heutzutage dazu, von den Vereinigten Staaten Europas zu sprechen“, schrieb er. „Aber die durch und durch von Widersprüchen zersetzte europäische Bourgeoisie ist dieser Aufgabe nicht gewachsen. Nur das siegreiche Proletariat wird Europa vereinigen können. Wo die Revolution auch anfangen mag, in welchem Tempo sie sich auch entfalten mag – die unbedingte Voraussetzung für den sozialistischen Umbau Europas ist ein wirtschaftlicher Zusammenschluss.“ (Leo Trotzki, „Europa und Amerika“, Essen 2000, S. 300)

Diese Worte sind heute wieder hochaktuell. Europa steht am Scheideweg. Die Alternative lautet: Kapitalistische Herrschaft, Dominanz der Finanzmärkte, sozialer Niedergang und Rückfall in wirtschaftliche und nationale Konflikte; oder Einheit der europäischen Arbeiter, Kampf für Arbeiterregierungen, sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft und Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.

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