Die politische Bedeutung der WikiLeaks-Enthüllungen

Den folgenden Bericht gab Nick Beams, der Nationale Sekretär der SEP (Australien) auf öffentlichen Versammlungen der SEP in Melbourne und Sydney am 21. und 22. Dezember 2010.

Nick Beams Nick Beams

Gegen WikiLeaks und ihren Gründer Julian Assange haben die Vereinigten Staaten und andere imperialistische Regierungen ganz außerordentliche Maßnahmen ergriffen. Das allein weist schon auf die große Bedeutung der Enthüllung der amerikanischen Depeschen hin.

Die vergangenen zehn Jahre waren reich an wichtigen politischen Erfahrungen, die ihre Spuren im Massenbewusstsein hinterlassen haben. Es begann mit dem Diebstahl der Präsidentschaftswahl von 2000 in den Vereinigten Staaten. Dann folgten die Ereignisse vom 11. September 2001, die bis heute nicht aufgeklärt sind, die Invasion Afghanistans und 2003 der Krieg gegen den Irak, der mit der Lüge begründet wurde, dass das irakische Regime „Massenvernichtungswaffen“ besitze.

Die Veröffentlichungen auf WikiLeaks haben auf der ganzen Welt für Unruhe gesorgt, weil sie das wirkliche Wesen der so genannten Diplomatie bloßlegen.

Das erinnert an einen früheren Fall, bei dem diplomatische Geheimnisse enthüllt wurden: als Leo Trotzki die Geheimverträge der imperialistischen russischen Regierung veröffentlichte. Trotzki war damals Volkskommissar für Äußeres der sowjetischen Regierung, die im November 1917 durch die russische Revolution an die Macht gekommen war.

In einer Erklärung zur Offenlegung der Dokumente der zaristischen Regierung schrieb Trotzki: „Geheimdiplomatie ist das notwendige Mittel einer besitzenden Minderheit, die die Mehrheit betrügen muss, um sie ihren Interessen unterzuordnen. Der Imperialismus mit seinen dunklen Eroberungsplänen und seinen räuberischen Allianzen und Abkommen hat das System der Geheimdiplomatie aufs Höchste entwickelt. Der Kampf gegen den Imperialismus, der die Völker Europas erschöpft und zerstört, ist gleichzeitig ein Kampf gegen kapitalistische Diplomatie, die zurecht das Tageslicht scheut. Das russische Volk und die Völker von Europa und der ganzen Welt, sollten die dokumentarische Wahrheit über die Pläne, die im Geheimen von den Finanzmännern und den Industriellen zusammen mit ihren parlamentarischen und diplomatischen Agenten geschmiedet werden, lernen. Die Völker von Europa haben mit unzähligen Opfern und universaler wirtschaftlicher Verwüstung für das Recht auf diese Wahrheit bezahlt.“

Obwohl diese Worte vor mehr als neunzig Jahren geschrieben wurden, wirken sie auch heute noch sehr stark, weil nach wie vor imperialistische Intrigen gegen die Völker der Welt geschmiedet werden. Das haben die WikiLeaks-Dokumente klar gemacht. Trotzki veröffentlichte damals die Dokumente mitten im Ersten Weltkrieg und enthüllte damit den wahren Charakter des Kriegs. Die Dokumente, die heute veröffentlicht werden, fallen in eine Zeit, in der ein nicht enden wollender „Krieg gegen den Terror“ schon in das zweite Jahrzehnt eintritt, und in der imperialistische Politiker und Generale über akute Kriegsvorbereitungen gegen China diskutieren.

Als der australische Außenminister Kevin Rudd seinen ersten Kommentar zu den WikiLeaks-Enthüllungen abgab, sprach er im Namen aller imperialistischen Regierungen, als er die Notwendigkeit von Geheimdiplomatie betonte. Es lohnt sich, seine Bemerkungen vollständig zu zitieren:

“Ich glaube, es nützt niemandem, wenn klassifizierte Informationen veröffentlicht werden. Diplomatie ist notwendig. Diplomatie wird im Geheimen betrieben, weil Diplomatie Probleme zu lösen versucht, für die es keine öffentliche Lösung gibt. Es geht also im Kern darum, wie wir mit internationalen Problemen umgehen, d.h. um die Methoden, wie wir mit internationalen Problemen umgehen, um die Sprache, mit der wir mit internationalen Problemen umgehen. Wenn das alles an die Öffentlichkeit gezerrt wird, dann haben wir ein Problem, wie wir mit einigen unserer grundlegenden Probleme umgehen sollen. Deshalb verurteilen wir hier in Australien die Veröffentlichung dieses Materials. Es hilft niemandem. Es ist in Wirklichkeit für uns alle ein echtes Problem.“

Worin bestehen nun diese Fragen, für die es „keine öffentliche Lösung“ gibt, und die “für uns alle ein echtes Problem“ sind?

Hillary Clintons Anweisung an amerikanische Diplomaten, Passwörter, biometrische Daten und Kreditkartennummern von UN-Vertretern auszuspionieren, fällt gewiss in diese Kategorie. Das Sammeln solcher Informationen ist illegal und dient dem Zweck der Erpressung. Solche Informationen sind extrem nützlich: So kann ein UN-Diplomat unter der Hand darauf hingewiesen werden, dass peinliche Informationen, die seine Kreditkartenabrechnung, oder anderen Daten verraten, an die Öffentlichkeit dringen könnten, sollte er nicht in einer bestimmte Weise abstimmen.

Und es ist sicher “für uns alle ein echtes Problem”, wenn die Bemerkungen des damaligen Labor-Führers Kim Beazley gegenüber der US-Botschaft vom September 2006 veröffentlicht werden. In der Depesche heißt es: „Wie Beazley bestätigt, hatten die Regierung und besonders Außenminister Downer völlig Unrecht, als Downer 2004 in Peking erklärte, ein Konflikt zwischen den USA und China wegen Taiwan würde nicht notwendigerweise den Bündnisfall für Australien nach dem ANZUS-Vertrag auslösen. Im Fall eines Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und China hätte Australien absolut keine andere Wahl, als sich militärisch an die Seite der USA zu stellen, sagte Beazley. Andernfalls sei das Bündnis nur noch ein toter Buchstabe, was sich Australien überhaupt nicht leisten könne.“

In dem gleichen Gespräch, in dem Beazley Australien verpflichtete, die USA in einem Krieg gegen China zu unterstützen, betonte er, die Labor Party unterstütze das militärische Engagement in Afghanistan und werde „daran festhalten, bis die Hölle zufriert“.

Dann das Gespräch Rudds mit der neuen Außenministerin der USA, Hillary Clinton, am 24. März 2009. Rudd nannte sich selbst einen „brutalen Realisten in der China-Frage“ und sprach sich dafür aus, China in die internationale Gemeinschaft „zu integrieren“, aber „sich gleichzeitig auch auf die Anwendung von Gewalt vorzubereiten, wenn alles schief läuft“. Mit anderen Worten: Falls China den von den USA definierten geopolitischen Rahmen nicht akzeptiere – denn das bedeutet ’Integration in die internationale Gemeinschaft’ – dann werde Krieg das Ergebnis sein.

So geht die Liste immer weiter. Diese Gespräche, die hinter dem Rücken der Völker der Welt geführt werden, haben nichts anderes zum Inhalt als das, was Trotzki damals mit den Worten „düstere Eroberungspläne… Räuberallianzen und Kuhhandel“ bezeichnete.

Ich will mich jetzt den weitergehenden Fragen zuwenden, die von den WikiLeaks-Enthüllungen aufgeworfen werden. Warum werden sie von so vielen Menschen in aller Welt so aufmerksam gelesen und verfolgt? Eine junge Frau sagte auf einer Demonstration zur Unterstützung von Assange in Sydney: „George Orwell sagte einmal: ’In einer Zeit universeller Lüge wird die Verbreitung der Wahrheit zur revolutionären Handlung’. Und wir leben heute in einer Zeit universeller Lüge.“

Sie hat Recht. Aber dieser universelle Betrug ist nicht einfach das Produkt von Einzelpersonen, er ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen Systems.

Trotzki erklärte, die Lüge sei eine Funktion der Klassenstruktur der Gesellschaft: “Die Unterdrücker bauen die Lüge zu einem System der Verdummung der Massen aus, um ihre Herrschaft zu bewahren. … Die Revolution sprengt die gesellschaftliche Lüge. Die Revolution spricht die Wahrheit. Die Revolution beginnt damit, den Dingen und gesellschaftlichen Beziehungen ihren richtigen Namen zu geben.“

Und wir können umgekehrt sagen, dass die Suche nach Wahrheit, das Verlangen nach Wahrheit und die dankbare Aufnahme der Wahrheit den Beginn einer neuen Periode sozialer Revolution ankündigt.

Die Lüge hat nicht nur in der Sphäre der Diplomatie und in den Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten eine wesentliche Funktion. Betrug und Mystifikation sind in die Struktur der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft eingebaut. Die gesamte Analyse von Marx, vor allem in Das Kapital, ist der Verdeutlichung der tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse gewidmet, die hinter den tagtäglichen „Realitäten“ oder Erscheinungsformen des Kapitalismus liegen, aber von ihnen überdeckt werden.

Die wissenschaftliche Perspektive des Marxismus hat vor allem die Aufgabe, den Schleier von den gesellschaftlichen Verhältnissen wegzuziehen und die Wahrheit der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Klassenstruktur offenzulegen. Nur auf dieser Grundlage kann eine revolutionäre Bewegung aufgebaut werden, die diese Gesellschaft stürzen wird.

Die wissenschaftliche Analyse des Marxismus kann von breiten Massen nur in dem Maße verstanden und zur Grundlage ihres politischen Strebens und ihrer Kämpfe gemacht werden, wie die objektive Entwicklung es Millionen Menschen möglich macht, zu sehen und zu verstehen, wozu sie vorher nicht in der Lage waren.

Die WikiLeaks-Dokumente verschaffen Einblick in die Krise des Weltkapitalismus. Aus dieser Krise entstehen die objektiven Bedingungen, die es erlauben, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Beziehungen aufzudecken, die Jahrzehntelang lang von Lügen und Verschleierungen verdeckt waren.

Betrachtet die letzten dreißig Jahre. In den 1980er Jahren prägte die britische Premierministerin Margret Thatcher die Parole der herrschenden Eliten: „Es gibt keine Alternative“. Scheinbar war eine Alternative zur Herrschaft des „Marktes“ und zu den Interessen, denen er diente, nicht einmal vorstellbar. Jede Forderung nach Sozialreformen wurde mit dem Schlachtruf: „Es ist kein Geld da!“ beantwortet. An der wachsenden sozialen Ungleichheit war nicht etwa die Klassenstruktur der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft, sondern ganz allein der Einzelne schuld.

Aber als im September 2008 die globale Finanzkrise ausbrach und Lehman Brothers kollabierte, war auf einmal genug Geld da, um die Banken und Finanzhäuser zu retten. Die Summe, die ihnen ausgehändigt wurde, entsprach schätzungsweise einem Viertel des globalen BIP. Alleine die amerikanische Notenbank Federal Reserve übereignete den Banken und Finanzfirmen insgesamt drei Billionen Dollar, ohne dass der Kongress dazu überhaupt seinen Segen gab. Die Financial Times schrieb dazu: „Wall Street Institutionen, die heute schon wieder vor Kraft kaum laufen können, haben nur überlebt, weil der Steuerzahler sie gerettet hat.“ Goldman Sachs ist die Regierung 84mal um Geld angegangen, Morgan Stanley 212 mal.

Eine andere politische Fiktion betrifft die Rolle des Staates. Wie viele Liter Tinte sind verspritzt worden, um Marx’ Analyse zu widerlegen, der zufolge die Leitung des modernen Staates nichts weiter ist als ein Ausschuss für die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten der Bourgeoisie. Aber was lehren uns die historischen Ereignisse?

Sobald die globale Finanzkrise ausbrach, handelten Regierungen und Zentralbanken in jedem Land genau so, wie Marx es analysiert hatte. Sie übernahmen die toxischen Papiere der Banken und Finanzhäuser in ihre Bücher. Heute organisieren diese Regierungen unter dem Druck der Finanzmärkte die Zerstörung der letzten Reste des Sozialstaats, um die Mittel zur Rückzahlung der Schulden aufzubringen, die die Banken durch ihre oftmals kriminellen oder halbkriminellen Aktivitäten aufgehäuft haben.

Die politische Theorie der Liberalen hat sich immer an der marxistischern Konzeption gestoßen, dass der Staat letztlich aus bewaffneten Formationen besteht, die die Diktatur des Kapitals durchsetzen. „Keineswegs!“ rufen die Akademiker, Journalisten und Experten aus. „Das ist nur wieder so eine marxistische Vereinfachung!“

Der Staat, sagen sie, beruhe auf Gesetzen und arbeite im Rahmen der parlamentarischen Demokratie. Aber die marxistische Analyse wird täglich von den Einsätzen von Armee und Polizei in Spanien, Griechenland, Großbritannien und anderen europäischen Ländern gegen Studenten und Arbeiter bestätigt, wenn diese gegen Haushaltskürzungen protestieren und demonstrieren, die von den Finanzmärkten diktiert werden.

Und hier in Australien setzt die Labor-Regierung mit wohl organisierten Polizeiangriffen eine Arbeitsgesetzgebung durch, die praktisch alle gewerkschaftlichen Kämpfe zur Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen illegalisiert.

Gerade die Verfolgung von Julian Assange durch die Justizbehörden, die unter Druck der US-Regierung handeln, widerlegt Tag für Tag die Behauptung, dass die Justiz über Klasseninteressen erhaben sei.

Wer glaubt, die Maßnahmen gegen Assange seien von juristischen Überlegungen bestimmt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.

Auch große historische Lügen werden entlarvt. Eine besonders große lautet, die russische Revolution sei eine kriminelle Verschwörung gewesen und habe die liberale Demokratie Russlands genau in dem Moment zerstört, als diese dabei war, aufzublühen. Die Liberalen des Kalten Kriegs wiederholten Jahr für Jahr, dass die Demokratie in der Sowjetunion und in Osteuropa aufblühen werde, sobald der Kapitalismus wieder eingeführt sei. Vor zwanzig Jahren wurde ihr Wunsch erfüllt. Und mit welchem Ergebnis? Russland wird von dem kriminellen Putin-Regime mit Mafiamethoden regiert und in Ungarn, um nur ein osteuropäisches Land zu nennen, müssen Juden den Wiederaufstieg antisemitischer Parteien fürchten.

Die WikiLeaks-Depeschen haben eine wichtige politische Realität offengelegt: Sie zeigen, wie stark sich die Vereinigten Staaten in jeden Aspekt des politischen Lebens Australiens einmischen. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Australien praktisch ein Vasallenstaat der USA ist. Die wichtigsten Übertragungsriemen dieses Zustands sind die australische Labor Party und die Gewerkschaftsbürokratie.

Alle Beteiligten am Sturze Rudds vom 23./24. Juni letzten Jahres standen in regelmäßigem Kontakt mit Vertretern der US-Botschaft. Eine Schlüsselfigur, der rechte Senator von New South Wales, Mark Arbib, war ein „geschützter“ Kontakt, der seit Beginn seiner Karriere in der NSW-Labor-Party mit amerikanischen Vertretern kollaborierte. Der Ex-CIA-Agent Philip Agee, der damals in seinem Buch „CIA Intern“ die Arbeitsweise der CIA beschrieb, unterschied zwischen zwei Arten von Agenten. Die einen, Operatives, waren direkt bei der CIA angestellt. Die andere, Agents genannt, berichteten ihr und handelten in ihrem Interesse. In diesem Sinne ist Arbib ein Agent des amerikanischen Staates.

Als seine Rolle bekannt wurde, erklärte einer seiner Mentoren, der ehemalige rechte Labor-Party-Funktionär und LP-Senator aus NSW, Stephen Loosley, Arbib habe nichts getan, was ungewöhnlich oder anstößig sei. Kontakte zwischen der Hierarchie der Labor Party und der amerikanischen Botschaft seien üblich. Loosley sagte, 1991 habe er selbst die Botschaft informiert, dass Keating Hawke an der Spitze der Labour Party und als Premierminister ersetzen werde.

Loosley machte klar, dass das, was Arbib getan habe, seit Jahrzehnten gang und gäbe sei. Arbib musste den Kontakt mit der Botschaft gar nicht aufnehmen. Er war integriert in ein schon bestehendes Netzwerk.

Die Existenz dieses Netzwerks ist unter Journalisten bekannt. Der Journalist des Australian, Paul Kelly, erklärte dazu: „Die Tradition intimen politischen Kontakts zwischen dem rechten Flügel der Labour Party und den USA ist auf eine neue Generation übergegangen; siehe Chris Bowen, Stephen Conroy, Bill Shorten und Arbib, die alle in das amerikanische Netzwerk eingebunden sind.“ [The Australian, 10. Dezember 2010]

Mit anderen Worten, die Enthüllungen über Arbib und andere zeigen nur den aktuellen Zustand einer langen historischen Beziehung. Schauen wir uns die Anfänge an und untersuchen wir die Fragen, die dadurch aufgeworfen werden.

Die Labor Party und die Sozialdemokratie allgemein spielen, wie wir wissen, nicht die Rolle, die Arbeiterklasse zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft zu mobilisieren. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die Arbeiterklasse der kapitalistischen Herrschaft unterzuordnen.

Die Sozialdemokraten anerkennen ist erster Linie die Bourgeoisie als Herrn des Geschickes der Gesellschaft. Aber die Beziehungen innerhalb der Bourgeoisie eines gegebenen Landes und zwischen unterschiedlichen Bourgeoisien international verändern sich infolge historischer Entwicklungen. Diese Veränderungen finden ihren Ausdruck in der Orientierung der Sozialdemokratie.

In den 1920er Jahren schrieb Trotzki über die Lage in Europa und analysierte diese Frage. Die Sozialdemokraten in Europa waren ihrer „eigenen“ Bourgeoisie gegenüber kritisch geworden, schrieb er. Wie war das zu erklären? Es hatte nichts mit oppositionellen Stimmungen ihrer Führer zu tun, die nach der russischen Revolution samt und sonders eine Schlüsselrolle dabei gespielt hatten, die Kämpfe der europäischen Arbeiterklasse zu verraten. Es widerspiegelte die veränderte Position der europäischen Bourgeoisie selbst.

Mit dem Aufstieg des amerikanischen Imperialismus unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und seinem Eingreifen in Europa hatte ein neuer Herr das Feld betreten. Die Sozialdemokraten, erklärte Trotzki, erkannten jetzt, dass sie sich dem „Herrn der Herren“ anzupassen hatten, d.h. dem amerikanischen Imperialismus.

Die historische Entwicklung in Australien nahm einen leicht anderen Verlauf. Die australische Bourgeoisie definierte ihre Interessen und Privilegien im Rahmen des britischen Empires, und ihre Haltung spiegelte sich in der Position der Labor Party wider. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs erklärte der Führer der Labor Party, Andrew Fisher, eine Labor-Regierung werde das britische Empire „bis zum letzten Mann und zum letzten Shilling“ verteidigen.

Die Nachkriegssituation brachte große Veränderungen und den Aufstieg neuer imperialistischer Mächte. In den 1930er Jahren erklärte die Vierte Internationale, dass sich die australische Bourgeoisie in den kommenden Konflikten mit der imperialistischen Macht verbünden werde, die sie am besten gegen Japan verteidigen könne. Sobald am 7. Dezember 1941 mit der Bombardierung von Pearl Harbour der Krieg im Pazifik ausbrach, war klar, dass Großbritannien diese Aufgabe nicht leisten konnte. Die Geschwindigkeit des japanischen Vormarsches zeigte, dass die britische Kontrolle über den „Fernen Osten“ zusammengebrochen war.

In seiner Neujahrsbotschaft Ende 1941 verkündete Labor-Premierminister John Curtis die neue Orientierung seiner Regierung: “Ohne Zögern erkläre ich unmissverständlich und ohne Wehmut hinsichtlich unserer traditionellen Freundschaft mit dem Vereinigten Königreich, dass Australien auf Amerika schaut.“

Ich bezweifle sehr, dass Kim Beazley je Trotzkis Broschüre „Europa und Amerika“ gelesen hat, welche die Umorientierung der Sozialdemokratie analysiert. Aber der ehemalige Labor-Führer lieferte in seiner Unterhaltung mit dem amerikanischen Botschafter im September 2006 eine knappe Zusammenfassung von Trotzkis Schlussfolgerungen.

In dem Protokoll der Diskussion heißt es: “Beazley bekräftigte Rudds Äußerungen über Labors historisch starke Unterstützung für die Allianz. Er erinnerte daran, dass die liberale Menzies-Regierung unmittelbar nach dem Krieg echte Bedenken gegen die Politik Washingtons hegte, weil sie die Entkolonialisierung Südostasiens zu destabilisieren drohte. Labor hingegen war geprägt von der Freundschaft Premierminister Curtins zu den Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg. Von ihr hing seiner Ansicht nach ein dauerhafter Friede nach dem Krieg ab. … Die Australier blieben stark auf die Vereinigten Staaten orientiert und folgten sklavisch jedem Schritt Washingtons, vielleicht zu ihrem Nachteil.“

Mit anderen Worten warf sich Labor im Krieg und unmittelbar danach dem neuen “Herrn der Herren“ an den Hals, d.h. dem US-Imperialismus, während die Liberalen unter Menzies dazu tendierten, dem schnell niedergehenden britischen Empire die Stange zu halten.

Heute haben wir eine neue Verschiebung der Lage: die offenkundige Krise des US-Imperialismus. Mit der Schwächung seiner ökonomischen Position und mit dem Aufstieg neuer Rivalen konfrontiert, greift er zu Militarismus und Unterdrückung, die er tagaus, tagein hinter den Kulissen organisiert. Das große Verdienst von WikiLeaks besteht darin, einige dieser Aktivitäten aufgedeckt zu haben.

Zu Recht reagieren Millionen Menschen in aller Welt mit Empörung auf den Angriff auf WikiLeaks und die Verfolgung von Julian Assange. Beleuchten diese Enthüllungen doch einige bittere Erfahrungen des letzten Jahrzehnts: den betrügerischen „Krieg gegen den Terror“, die Lügen, mit denen der Irakkrieg gerechtfertigt wurde, die Angriffe auf demokratische Rechte, die Bereicherung einer winzigen Gesellschaftsschicht mittels krimineller Finanzaktivitäten, das Anwachsen sozialer Ungleichheit, um nur einige zu nennen.

Immer breitere Bevölkerungsschichten, besonders die Jungen, haben ein starkes Bedürfnis nach Wahrheit. Sie befürchten, dass die kapitalistischen Politiker aller Couleurs hinter einem Schleier von Lügen eine Politik betreiben, die die Zukunft der Menschheit selbst bedroht.

Diese Befürchtungen sind vollkommen berechtigt. Aber bisher fehlt ihnen eine klare politische Perspektive. Dazu ist es notwendig, zu verstehen, dass sich im Krieg, in der Bedrohung demokratischer Rechte und in den sozialen und ökonomischen Verwerfungen der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung selbst ausdrückt.

Der Kampf für die Wahrheit und für demokratische Rechte bedeutet einen Kampf zum Sturz des Gesellschaftssystems, das seinem Wesen nach die Quelle von Lüge und Unterdrückung ist. Und er verlangt eine Hinwendung zur internationalen Arbeiterklasse, der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die in der Lage ist, die imperialistische Ordnung zu stürzen. Sie muss mit einer revolutionären Perspektive und einem revolutionären Programm bewaffnet werden.

Die Art und Weise, wie die Regierungen aller Welt WikiLeaks angreifen und Julian Assange verfolgen, zeigt schon, dass es in den herrschenden Kreisen keine Bereitschaft gibt, demokratische Grundrechte zu verteidigen. Wie könnte es auch anders sein, wenn alle Regierungen die soziale Position der Arbeiterklasse angreifen, während sie gleichzeitig hinter den Kulissen vorbereiten, gegen rivalisierende Mächte Krieg zu führen.

Und niemand, ich betone es, niemand darf glauben, Australien schlage bei der Verteidigung demokratischer Rechte einen Sonderweg ein, weil führende Medienkreise und Politiker dieses Landes die Angriffe auf WikiLeaks abgelehnt haben. Die gleichen Medien, die ihre Sorge über den Angriff auf WikiLeaks zum Ausdruck bringen und für eine „freie und furchtlose Presse“ eintreten, haben die Lügen über „Massenvernichtungswaffen“ nachgeplappert. Ihre Hauptsorge ist nicht die Verteidigung der Demokratie, sondern sie fürchten, dass Australien, das immer mehr von China abhängig wird, an den blutigen Kampfwagen des amerikanischen Imperialismus auf seinem Weg in den Krieg gekettet bleibt.

Die Verteidigung demokratischer Rechte ist eine Klassenfrage. Sie ist nur möglich auf der Grundlage einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse. Das erfordert den Aufbau einer neuen, revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Ein völliger Bruch mit der Labor Party und dem gesamten Gewerkschaftsapparat ist notwendig. Sie sind Agenturen im Sold des Imperialismus. Aber auch die pseudolinken Organisationen, die auf die eine oder andere Weise versuchen, die Arbeiterklasse an diese Apparate zu fesseln, müssen zurückgewiesen werden.

Die globale Finanzkrise hat auf der ökonomischen Ebene gezeigt, dass alle Probleme der Arbeiterklasse von internationalem Ausmaß sind. Die WikiLeaks-Depeschen haben das jetzt für die politische Ebene erwiesen.

Der Weg vorwärts geht über den Aufbau einer Partei, die mit ihrem Programm und ihrer Orientierung für die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse kämpft. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der Weltpartei der Sozialistischen Revolution und ihrer australischen Sektion, der Socialist Equality Party. Ihr solltet Mitglied dieser Partei werden.

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