Achtstundenstreik in Italien: FIOM lenkt von Verrat der Gewerkschaften ab

Fiat-Arbeiter aller italienischen Standorte beteiligten sich vergangenen Freitag, den 28. Januar 2011, an einem achtstündigen Proteststreik und an Demonstrationen in Turin, Mailand, Rom, Cassino, Melfi und weiteren Städten. Die Protestaktion richtete sich gegen den neuen Tarifvertrag bei Fiat, der die Bedingungen der Arbeiter deutlich verschlechtert. Nach dem Werk in Pomigliano D’Arco wird er nun auch im Stammwerk Turin-Mirafiori eingeführt.

Der neue Fiat-Vertrag greift grundlegende Rechte der Arbeiterklasse an und verschärft massiv die Ausbeutung der Fließbandarbeiter. Er enthält längere Arbeitszeiten, weniger Pausen, obligatorische Überstunden, ein Streikverbot und das Ende einer frei wählbaren Gewerkschaftsvertretung im Betrieb. Damit setzt er sogar den nationalen Gesamtarbeitsvertrag außer Kraft. (Siehe auch: „Abstimmung bei Fiat in Turin: Gewerkschaften unterstützen historischen Angriff auf italienische Arbeiter“, wsws vom 22. Januar 2011).

Über diesen Schandvertrag mussten vor vierzehn Tagen fünfeinhalb tausend Arbeiter in Turin-Mirafiori abstimmen. Fiat-Chef Sergio Marchionne hatte die Montage eines neuen Chrysler-Jeeps in Turin von der Annahme des Vertrags abhängig gemacht und gedroht, bei Ablehnung die Produktion aus Italien zu verlagern. Unter diesem Damoklesschwert stimmten schließlich 54 Prozent der Arbeiter und Angestellten dem Vertrag zu.

Der Fiat-Vorstand seinerseits meldete am vergangenen Mittwoch für das Jahr 2010 positive Ergebnisse. Nach einem Verlust von über 800 Millionen Euro im Jahr 2009 stieg der Nettogewinn vergangenes Jahr wieder auf 600 Millionen Euro, bei einem um zwölf Prozent gestiegenen Umsatz. Für das Jahr 2011 erwartet der Fiat-Vorstand weitere kräftige Umsatz- und Gewinnsteigerungen.

Rufe nach Generalstreik

Der Angriff auf die Fiat-Arbeiter ist nur die Speerspitze massiver sozialer Angriffe auf die ganze italienische Arbeiterklasse. Deshalb beteiligten sich an den Demonstrationen vom Freitag außer Fiat- und andern Metallarbeitern auch andere Schichten, prekär Beschäftigte, Arbeitslose und Studenten.

Sie riefen: „Wir zahlen nicht für eure Krise“ und „Mirafiori – Schandvertrag“. Arbeiter in Turin sagten der Presse: „Wir protestieren gegen ein schändliches Abkommen, das die Rechte der Arbeiter beschneidet.“ Und: „Der nationale Arbeitsvertrag darf nicht angetastet werden – unter keinen Umständen.“ Immer wieder forderten Arbeiter auf Spruchbändern und in ihren Parolen einen Generalstreik.

An den Streiks beteiligten sich die Belegschaften zahlreicher Metallbetriebe wie der Turiner Fiat-Partner Powertrain, Iveco und Bertone. Die Belegschaften der Karosserie- und Press-Abteilung von Fiat-Mirafiori hatten Kurzarbeit. In den Fiat-Werken von Cassino (Frosinone) und Melfi streikte etwa die Hälfte der Belegschaft. Bestreikt wurden auch andere Betriebe, zum Beispiel der Hafen von Ancona, das ThyssenKrupp-Werk in Terni und die Stahlwerke von Marcegaglia in Alessandria und Asti. 

Die Beschäftigten der Marcegaglia-Werke spielen eine wichtige Rolle. Die Chefin des Stahlwerks Emma Marcegaglia leitet seit einigen Jahren den Unternehmerverband Confindustria. Sie hat in den USA ihren Master of Business Administration gemacht und versucht amerikanische Ausbeutungsmethoden in Italien durchzusetzen. Den Schandvertrag von Mirafiori bezeichnete sie als „eine wichtige Wende für Italien“.

Den streikenden Fiat-Arbeitern schlossen sich auch Studenten an, die gegen die so genannte Bildungs-„Reform“ und gegen Privatisierung von Forschung und Lehre protestieren. Ein Zug blieb auf der Strecke zwischen Rom und Cassino in Colleferro stehen, weil etwa 400 Studenten, die in Cassino mit den Fiat-Arbeitern demonstrieren wollten, keine Fahrkarten gelöst hatten. Als die Arbeiter davon erfuhren, blockierten sie die Schienen im Bahnhof von Cassino und verlangten, die Studenten durchzulassen. Um die Situation zu entschärfen, griff die Gewerkschaftsführung der CGIL ein und bezahlte aus Mitgliederbeiträgen die Tickets der Studenten.

Auf der Schlusskundgebung in Turin wurde Enrico Panini, Sekretär des größten Gewerkschaftsverbands CGIL, ausgepfiffen, als er der spontanen Forderung nach einem Generalstreik entgegen trat. Panini rief aufgeregt ins Mikrophon: „Über Generalstreik entscheiden wir in den Führungsgremien. Eine Jubeltruppe nützt da gar nichts.“ Auch in Termini Imerese auf Sizilien wurde die Rede der Gewerkschaftssekretärin Serena Sorrentino (CGIL) durch „Generalstreik“-Rufe unterbrochen.

Rolle der Gewerkschaften

Die gelben und katholischen Gewerkschaften der Dachverbände CISL und UIL stimmten dem neuen Fiat-Vertrag schon im Dezember zu. Was die größte Gewerkschaft CGIL betrifft, so hat ihre neue Sekretärin, Susanna Camusso, von Anfang an erklärt, man müsse „das Votum der Arbeiter“ respektieren. Sie versucht seit Wochen, wieder mit Fiat ins Gespräch zu kommen.

Die Metallergewerkschaft FIOM, die zu CGIL gehört, hat den Vertrag bisher nicht unterzeichnet. Dafür wird sie von kleinbürgerlichen Gruppierungen hoch gelobt. Marco Ferrando (früher langjähriges Führungsmitglied von Rifondazione Comunista) pries FIOM in den höchsten Tönen: „Die FIOM spielte bisher eine wertvolle Rolle und spielt sie noch. Sie weist die Erpressung durch Fiat zurück und hält dem gleichen Druck auch stand, wenn er aus der CGIL-Mehrheit kommt.“

In Wirklichkeit trägt FIOM entscheidend zum Verrat bei. Weit von einer prinzipiellen Opposition gegen das Diktat des Kapitals entfernt, will sie die Fiat-Direktion von einer „besseren“ Industriepolitik für Italien überzeugen. Zu keinem Zeitpunkt hat FIOM versucht, die Arbeiter gegen das Ultimatum zu mobilisieren oder mit andern Teilen der Arbeiterklasse zusammenzuschließen, um Arbeitsplätze und den Lebensstandard prinzipiell zu verteidigen.

Zu dem Achtstundenstreik rief FIOM gemeinsam mit CGIL und den Basisgewerkschaften Cobas auf, um ein Ventil für die aufgestaute Wut zu schaffen und von der eigenen Rolle abzulenken. Im Hintergrund strebt FIOM eine neue Zusammenarbeit mit Marchionne an.

Am Freitag erklärte FIOM-Sekretär Maurizio Landini auf dem Domplatz in Mailand, schuld an der krassen Ausbeutung sei die „Modernität“. „Wir sagen Nein zu einer Modernität, die im Namen der Konkurrenz einen Arbeiter gegen den andern stellt.“ Er forderte „Innovation, Forschung und öffentliche Intervention“ und erklärte: „Wir wollen ja Verträge abschließen; wir wollen, dass die Unternehmen funktionieren und dass die Grundrechte erweitert werden, deshalb bieten wir eine Plattform der Verhandlungen und Auseinandersetzungen.“

Landinis Vorbild sind die deutschen Volkswagenwerke, die er immer wieder in höchsten Tönen preist. In der TV-Sendung “Che tempo che fa“ sagte er am 15. Januar: „Warum können wir es nicht wie in Deutschland machen? … Man muss sich doch fragen, warum ein Metallarbeiter in Deutschland doppelt so viel verdient, wie in Italien, und warum er weniger lange arbeitet. Warum wird in Deutschland viel mehr in die Fabriken investiert? Warum haben sie Produkte von viel höherer Qualität?“ Laut Landini werde in deutschen Autofabriken sogar ernsthaft dafür gesorgt, dass die Gesundheit der Arbeiter nicht ruiniert wird.

Diese Argumente machen Landinis Haltung sehr deutlich. Er strebt ein System der Klassenzusammenarbeit und des Korporatismus nach deutschem Vorbild an. Ein Heer von hoch bezahlten Betriebsräten organisiert die so genannte „Sozialpartnerschaft“, die darauf ausgerichtet ist die Arbeitsproduktivität und -intensität systematisch zu steigern und gleichzeitig jede selbstständige Regung der Beschäftigten zu unterdrücken. 

Für diesen Dienst im Interesse der Konzernleitung werden die Betriebsräte fürstlich bezahlt und mit einer Vielzahl von Privilegien bedacht. Die Bordellbesuche und Sex-Reisen einiger VW-Betriebsräte, die vor fünf Jahren Schlagzeilen machten, sind vielen Arbeitern noch gut in Erinnerung. Unmittelbar danach stimmten die IG Metall-Betriebsräte im Geheimen einer Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und anderen Verschlechterungen zu, damit im Gegenzug die Golf-Produktion in Deutschland bleibe. Daraufhin wurden Werke wie Brüssel-Forest geschlossen und hunderte belgischer Arbeiter entlassen.

All das weiß Landini natürlich ganz genau, doch ist die Position der IG-Metall-Funktionäre bei Volkswagen für ihn verlockend. Als Co-Manager spielen sie im Unternehmen eine Schlüsselrolle. Bei vielen Arbeitern sind sie aber zu Recht verhasst.

Die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze ist nur im Kampf gegen diesen nationalistischen und korrupten Kurs der Gewerkschaften, durch den Aufbau einer neuen Führung der Arbeiterklasse möglich.

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