Perspektive

Die Rückkehr der Sozialdemokratie

Die SPD hat seit 1998, als sie unter Gerhard Schröder im Bündnis mit den Grünen die Bundesregierung übernahm, einen kontinuierlichen Niedergang erlebt. Sie verlor einen Großteil ihrer Wähler und musste in den meisten Ländern die Macht an die CDU abgeben. Nun ist sie in Hamburg nach zehn Jahren in der Opposition mit absoluter Mehrheit an die Regierung zurückgekehrt. Bereits im vergangenen Sommer hatte sie nach fünf Jahren CDU-Herrschaft ihre einstige Hochburg Nordrhein-Westfalen zurückgewonnen. Dort ist sie allerdings auf ein Bündnis mit den Grünen und die Tolerierung durch die Linkspartei angewiesen.

Wie ist diese Rückkehr der Sozialdemokratie zu verstehen?

Parteichef Sigmar Gabriel führt sie darauf zurück, dass es der SPD gelungen sei, „wirtschaftliche Kraft und wirtschaftliche Entwicklung wieder mit sozialer Verantwortung zu paaren“. Die SPD sei „eine Partei, die aufs Gemeinwohl setzt“, erklärte er dem Deutschlandfunk. Das bedeute „Bündnis zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern“. Sozialdemokratische Politik stelle „das Gemeinwohl in den Mittelpunkt und macht eben nicht eine Klientelpolitik“.

Glaubt man dem SPD-Parteivorsitzenden, so kündigen die Wahlerfolge der SPD also eine Rückkehr zur Politik des sozialen Ausgleichs mit den Methoden der Sozialpartnerschaft an. Nach drei Jahrzehnten Sozialabbau, steigender Arbeitslosigkeit, sinkenden Realeinkommen und hemmungsloser Bereicherung der Finanzelite soll nun wieder das Gemeinwohl im Mittelpunkt stehen und klassenübergreifend verwirklicht werden!

Nichts könnte weiter entfernt von der Wahrheit sein. Das zeigen sowohl eine Analyse des Hamburger Wahlergebnisses wie des Programms der SPD. In Wirklichkeit dient die Rückkehr der SPD der Vorbereitung neuer Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung, die Gerhard Schröders‘ Agenda 2010 weit in den Schatten stellen werden.

Überall in Europa sind die Regierungen dazu übergegangen, die Kosten der sogenannten Bankenrettungspakte durch drastische Kürzungen der öffentlichen Ausgaben wieder reinzuholen. Deutschland bildet hier keine Ausnahme. Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit ist keines der Probleme gelöst, die die Krise hervorgerufen haben. Bund und Länder bürgen mit Hunderten Milliarden Euro für faule Kredite der Banken, die jederzeit fällig werden können. Außerdem tritt jetzt die von Union und SPD 2009 in der Verfassung verankerte Schuldenbremse in Kraft, die die öffentlichen Haushalte zu weiteren drastischen Einschnitten zwingt.

Unter diesen Umständen übernimmt die SPD wieder Regierungsverantwortung. Sie verdankt ihre Rückkehr an die Macht der Unterstützung bürgerlicher Schichten, die der Ansicht sind, dass sich derart massive Einsparungen nicht ohne Unterstützung der Sozialdemokratie verwirklichen lassen.

Ein Grund dafür ist die Krise der konservativ-liberalen Bundesregierung, die sich der Regierungsbildung vor eineinhalb Jahren durch innere Streitereien und Skandale gelähmt ist. Ein weiterer Grund ist die Erfahrung in anderen europäischen Ländern. In Griechenland, Spanien und Portugal verwirklichen sozialdemokratische Regierungen weit drastischere Sparprogramme als die konservativen Regierungen Italiens und Frankreichs. Während die Sozialdemokraten die Unterstützung der Gewerkschaften und pseudolinker kleinbürgerlicher Organisationen genießen, sind die konservativen Parteien durch Krisen und Skandale gelähmt.

Auch die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten haben sich auf das Hamburger Wahlergebnis ausgewirkt. Dort sind langjährige Diktaturen, die jede Regung von unten brutal unterdrückten, unter dem Ansturm von Volksaufständen wie Kartenhäuser eingeknickt. Die westlichen Regierungen, die Diktatoren wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi bis zur letzten Minute unterstützt haben, suchen nun intensiv nach neuen Verbündeten, die die Massen mit flexibleren Methoden unter Kontrolle halten und sich dabei der Unterstützung der Gewerkschaften und diverser Oppositionsparteien bedienen können.

In Hamburg war jedenfalls der Ruf nach einer Rückkehr der SPD bereits vor der Wahl unüberhörbar. Einige Medien wie Stern und Focus veröffentlichten lange Lobeshymnen auf den SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz, einen langweiligen und abstoßenden Apparatschik. Am Wahltag erhielt die SPD nicht nur dann von ihren traditionellen Wählern, sondern auch in den Reichen-Vierteln auffallend viel Unterstützung. Sie lag dort rund 20 Prozent vor der CDU.

Dabei gab nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten gültige Stimmen ab. 43 Prozent boykottierten die Wahl, weil es zwischen den Programmen der verschiedenen Parteien so gut wie keinen Unterschied gab. Hinzu kamen 3,3 Prozent ungültige Stimmen und 5,6 Prozent für Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde verfehlten. Die Wahlbeteiligung von 57 Prozent ist ein absoluter Negativrekord in einer Stadt, in der früher 70 bis 90 Prozent üblich waren.

Die SPD ihrerseits wurde nicht müde, der Hamburger Wirtschaft ihre Verlässlichkeit und Unterstützung zu versichern. Obwohl Spitzenkandidat Olaf Scholz kein Schattenkabinett aufstellte, um bürgerliche Unterstützer nicht durch Personaldebatten zu verunsichern, machte er eine Ausnahme. Das Wirtschaftsressort versprach er dem parteilosen Manager und ehemaligen Chef der Hamburger Handelskammer Frank Horch.

Nach Bildung des neuen Senats will Scholz als erstes einen Kassensturz machen. Es wird erwartet, dass sich neben den hohen Summen für die Rettung der HSH Nordbank und den überbordenden Kosten für das Prestigeobjekt Elbphilharmonie noch weitere Haushaltslöcher auftun werden und dass die SPD darauf mit weiteren Kürzungen bei den Sozialausgaben reagieren wird.

Dabei ist die soziale Lage in Hamburg schon jetzt hoch explosiv. Während die Hafenstadt mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 3.000 Euro einen Spitzenplatz unter den Bundesländern einnimmt und mehr Millionäre beherbergt als jede andere deutsche Großstadt, sind die Einkommen extrem ungleich verteilt. Im Januar waren 77.000 Einwohner der 1,8-Millionen-Stadt arbeitslos; das entspricht einer Quote von 8,3 Prozent. 60.000 Einwohner waren auf Hartz-IV angewiesen.

Aktuelle Zahlen über die Einkommensverteilung gibt es kaum. Vom Statistischen Amt der Stadt gibt es lediglich eine Studie über die Durchschnittseinkommen in verschiedenen Stadtteilen im Jahr 2004. Berücksichtigt werden ausschließlich Lohn- und Einkommensteuerpflichtige, d.h. die niedrigen Einkommen von Leistungsempfängern und viele Kapitaleinkünfte sind darin nicht berücksichtigt. Dennoch sind die Unterschiede enorm.

Die höchsten durchschnittlichen Jahreseinkommen gibt es in den Elbvororten Nienstedten (150.000 Euro), Blankenese (94.500 Euro) und Othmarschen (88.900 Euro), während das jährliche Durchschnittseinkommen im Bezirk Mitte, einigen nördlichen Bezirken und in Harburg unter 20.000 Euro pro Steuerpflichtigem liegt.

Das Wahlprogramm der SPD und die Person des zukünftigen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, der als Gerhard Schröders Generalsekretär die Agenda 2010 gegen innerparteiliche Widerstände durchgeboxt hat, lassen keinen Zweifel daran, dass der neue Hamburger Senat mit aller Härte gegen die Armen, die Arbeiter und die Jugend vorgehen wird. Er kann sich dabei auf die Gewerkschaften und die vier Oppositionsparteien in der Bürgerschaft stützen, die peinlich genau darauf achten werden, dass die Sparvorhaben eingehalten werden. Die Grünen und die Linkspartei, die sich beide als mögliche Koalitionspartner der SPD betrachten, werden Scholz auch den Rücken freihalten, wenn er in Konflikt mit der Arbeiterklasse gerät.

Arbeiter und Jugendliche in Hamburg, Deutschland und ganz Europa können den bevorstehenden Angriffen nur entgegentreten, wenn sie mit der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und ihren pseudolinken Verteidigern brechen und sich unabhängig, auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms organisieren. Dafür kämpfen die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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