Antwort auf einen Leserbrief zum Streik der spanischen Fluglotsen

Wir bringen hier einen Leserbrief zu dem Artikel “Spanish air traffic controllers’ union facilitates government persecution of its members ” mit einer Antwort des WSWS 

Als langjähriger Leser und Sympathisant der WSWS muss ich meine Enttäuschung über den gestrigen Artikel (7. Januar) kundtun, der die spanischen Fluglotsen unterstützt. Die Fluglotsen sind eine Bande von Klassengeiern, und sie sind das schon immer gewesen. Eure verwirrten Journalisten in Madrid hätten die Meinung der Menschen auf der Straße und der Arbeiterklasse insgesamt berichten sollen. Unsere Fluglotsen verdienen im Durchschnitt seit Jahren fast dreimal soviel wie ihre europäischen Kollegen, nämlich 300.000 Euro im Jahr (und nicht selten bis zu 600.000 Euro).

Damit hat die sozialistische Regierung Spaniens im Februar 2010 definitiv Schluss gemacht, als diese Geier auch noch glaubten, mit 52 in Rente gehen zu können, aber ihren vollen Lohn lebenslang weiter beziehen zu können. Ein weiterer Punkt war das „Recht“, alleine darüber zu entscheiden, wer Fluglotse auf den Flughäfen werden konnte. Dieses Privileg gibt ihnen die Kontrolle über sämtliche Flugbewegungen des ganzen Landes in die Hand.

Es ging also nicht um Löhne oder Schichtpläne, wie es in eurem Artikel dargestellt wird. Im Gegenteil, unsere reichen Fluglotsen erhalten oben drauf noch dreifachen Stundenlohn für jeden einzelne „Überstunde“. Als „Zumutung“ lehnten sie jede Verminderung des Überstundenzuschlags auf eine akzeptable Höhe ab. Das war und ist der Kern der Angelegenheit. Warum haben eure Korrespondenten diese Umstände in ihrem Bericht nicht einmal erwähnt? Ein solcher Umgang mit Informationen passt nicht zur üblichen Linie der WSWS.

Mit besten Grüßen

Amando, Madrid

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Lieber Amando,

Wir halten an unserer Berichterstattung über die spanischen Fluglotsen fest. Wenn jemand seine falsche und politisch gefährliche Reaktion auf den beispiellosen Angriff des Staates, den die sozialistische PSOE-Regierung durchgeführt hat, überdenken muss, dann bist du das.

Entgegen deiner Behauptung, sind die hohen Löhne einiger Fluglotsen nicht der “Kern der Angelegenheit”. Dieser Tatbestand wird zu Propagandazwecken genutzt, um einen grundlegenden Angriff auf die demokratischen Rechte der Fluglotsen zu rechtfertigen, der Folgen für die gesamte spanische Arbeiterklasse hat. Das Ziel der PSOE ist, die Systemkrise des Kapitalismus mittels einer brutalen Sparpolitik, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung abzuladen. Darin unterscheidet sie sich nicht von den herrschenden Eliten in aller Welt. Um diese Ziele zu erreichen, muss sie vor allem jede unabhängige Regung des Widerstands der Arbeiterklasse zerschlagen und zu immer diktatorischeren Maßnahmen greifen.

Du erwähnst in deinem Brief nicht einmal den “Alarmzustand”, der aufgrund von Gesetzen aus der faschistischen Ära verhängt wurde. Auf dessen Grundlage wurden die Fluglotsen zusammengetrieben und unter militärischer Disziplin zur Arbeit gezwungen. Man drohte ihnen mit Gefängnisstrafen wegen Meuterei und mit Schadensersatzklagen, die sie in den Ruin getrieben hätten. Jetzt werden sie unter Druck gesetzt, neue Arbeitsverträge zu unterschreiben oder entlassen zu werden.

Aber es wurden ja auch nicht nur die Fluglotsen so behandelt. Ähnliche Meuterei-Paragraphen wurden letztes Jahr gegen Arbeiter eingesetzt, die den Flughafen von Barcelona besetzten, um ihre Auslagerung in andere Firmen zu verhindern, die zum Verlust von Arbeitsplätzen und niedrigeren Löhnen geführt hätte. Auch den Beschäftigten der Madrider U-Bahn wurde mit dem Einsatz von Militär gedroht, wenn sie nicht einen Mindestservice gewährleisteten. Sind auch diese Arbeiter überbezahlte „Klassengeier“? Hatten sie es verdient, von „dem Mann auf der Straße und der Arbeiterklasse insgesamt“ verteidigt zu werden? Wenn ja, was ist dann der Grund, warum sie ebenfalls von der PSOE und den Gerichten angegriffen und von den Gewerkschaften im Stich gelassen wurden?

Im letzten Jahr haben wir die Legitimierung des Einsatzes von Militär in Arbeitskämpfen erlebt. Ein Militäreinsatz wird inzwischen als akzeptable Reaktion auf gleich welche Berufsgruppe gesehen, die es wagt, sich den Diktaten der Finanzaristokratie entgegenzustellen – den wirklichen „Geiern“ der Gesellschaft.

Über diese Entwicklungen und über den Preis, den die Arbeiterklasse zahlen wird, wenn sie dies widerstandslos akzeptiert, sagst du nichts. Das ist umso alarmierender, weil Spanien in seiner Geschichte das Eingreifen des Militärs durchaus erlebt hat. Stattdessen käust du die Vorurteile, Lügen und Verdrehungen der kapitalistischen Politiker und der Medien über „privilegierte“ Arbeiter wieder. Auf die Weise wurden auch die Raffineriearbeiter in Frankreich, die LKW-Fahrer in Griechenland und das Kabinenpersonal bei British Airways (BA) in Großbritannien isoliert.

Wie sehen die Tatsachen hinsichtlich der “Privilegien” der Fluglotsen aus, die die Regierung und die Medien andauernd beschwören?

Die Einführung der Politik des “Offenen Himmels” in den 1990er Jahren hat zu Streiks und Streikdrohungen in ganz Europa geführt. Die Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber haben in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Arbeitsplatzverluste und Lohnsenkungen durchgesetzt. Der Zusammenschluss von Iberia mit BA und die Teilprivatisierung der spanischen Flughäfen und der Luftraumkontrolle (Aeropuertos Españoles y Navegación Aérea, AENA) in Spanien, der größten noch in staatlicher Hand verbleibenden Organisation in Europa, sind die jüngsten Auswirkungen dieser Strategie. Der Sieg über die Fluglotsen war ein wichtiges Ziel im Rahmen dieses Prozesses.

1999 willigten die Fluglotsen in einen fünfjährigen Rahmentarifvertrag auf der Grundlage von 1.200 Jahresarbeitsstunden ein. Der Überstundentarif sollte das 2,65-Fache des normalen Stundenlohns betragen. Die Schichtpläne sollten in Übereinstimmung mit internationalen Luftsicherheitsbestimmungen erstellt werden. Das Abkommen war im Sinne von AENA, weil es billiger war, in der Hochsaison im Sommer hohe Überstundenzuschläge zu zahlen, als mehr Vollzeitlotsen einzustellen.

Seit 2005 wehren sich die Fluglotsen gegen Versuche von AENA und der Fluglotsengewerkschaft (USCA), einen neuen Tarifvertrag mit drastisch verschlechterten Löhnen und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Anfang 2010 schaltete sich die PSOE-Regierung ein und erließ ein Königliches Dekret, das die Jahresarbeitstunden auf 1.750 erhöhte und die Zahl der Überstunden auf 80 im Jahr begrenzte. Es gab der AENA die nahezu unbeschränkte Kontrolle über die Schichtpläne und verpflichtete die Lotsen, mit 57 Jahren in Rente zu gehen.

Die Presse wiederholte die Behauptungen der Regierung, dass ein Fluglotse im Durchschnitt 305.000 Euro im Jahr verdiene. Untersuchungen der USCA ergaben allerdings einen Nettoverdienst von 42.000 Euro an einem kleinen Flughafen und bis 90.000 Euro für einen erfahrenen Lotsen an einem großen internationalen Flughafen. Das entspricht ungefähr dem Verdienst von Fluglotsen anderswo in Europa. Diese Erkenntnisse wurden ignoriert. Doppelt so hohe Verdienste in einigen Fällen ergaben sich nur aus Personalmangel, wenn entsprechend viele Überstunden geleistet werden mussten. Das waren manchmal bis zu 550 Stunden im Jahr. Andernfalls hätte die Zahl der Flugbewegungen um vierzig bis fünfzig Prozent verringert werden müssen.

Ein Fluglotse wies uns darauf hin, dass deine Aussage, dass sie mit 52 Jahren in Rente gehen und ihre volles Gehalt bis ans Lebensende erhalten, nicht zutreffend ist. Alle europäischen Tarifverträge beinhalten Regelungen für Frührente, und in einigen Ländern müssen Fluglotsen mit 55 Jahren in Rente gehen. Wenn sie in Spanien 65 Jahre alt sind, bekommen sie eine ganz normale staatliche Rente entsprechend ihrer eingezahlten Beiträge, wie jeder andere Arbeiter auch. Auch deine Behauptung, dass die Lotsen das Recht hätten zu entscheiden, wer Fluglotse werden könne, sei falsch. Unsere Quelle erklärt: „Wir hatten nie etwas mit der Zulassung zu unserem Beruf zu tun, Die Beurteilung der Prüfungen für eine Stelle liegt in der alleinigen Verantwortung von AENA. Und auch die Bewerbungsgespräche sind ihre Sache.“

Die Lotsen haben eine Verringerung der Überstunden nicht als “Zumutung” abgelehnt. Sie haben uns gesagt, das sei „ohne Murren akzeptiert worden, als das Dekret im Februar bekannt gegeben wurde…Deswegen haben sie die Löhne um ungefähr vierzig Prozent verringert.“

Im August ergab die Ablehnung der Auswirkungen dieser Veränderungen und anderer von der USCA ausgehandelter Verschlechterungen eine fast einstimmige Urabstimmung für Streik. Die USCA ignorierte die Abstimmung und forderte die Regierung auf zu vermitteln. Die Regierung reduzierte die Jahresarbeitsstunden leicht auf 1.670 und machte achtzig Überstunden verpflichtend, wenn AENA sie verlangt. Den Lotsen wurde ein endgültiger Tarifvertrag für Ende 2010 versprochen.

Anfang Dezember hatten viele Lotsen dann schon mehr als die zulässigen 1.670 Stunden gearbeitet und durften eigentlich nicht mehr arbeiten. AENA und die Regierung reagierten darauf mit einer „Erläuterung“ des Königlichen Dekrets und erhöhten die Arbeitszeit auf 1.844 Stunden im Jahr. Krankheitstage und Weiterbildungstage usw. gingen nicht in die Berechnung ein. Verärgert über die wachsende Arbeitsbelastung und über die Gefahr für Gesundheit und Sicherheit, begannen die Fluglotsen, sich krank schreiben zu lassen. AENA begann daraufhin, systematisch Flughäfen wegen Personalmangels zu schließen.

Die Regierung verhängte dann den Alarmzustand, unterstellte die Fluglotsen militärischer Disziplin und drohte ihnen Strafen nach dem Militärstrafrecht an, wenn sie sich weigerten, zu arbeiten. Danach wurde ein Notfallplan entwickelt, damit ein solcher Streik „nie wieder“ vorkommen könne. Unter anderem wurden hundert Offiziere ausgebildet, Flugleitstellen zu führen.

An dreizehn Flughäfen ist die Privatisierung der Flugsicherung inzwischen bekannt gegeben worden, und mehr sollen folgen.

Die Gewerkschaft, die Anfang 2010 noch versprach, bis zum bitteren Ende gegen die Privatisierung der AENA zu kämpfen, hat kapituliert und bittet jetzt nur noch darum, dass die Beschäftigten die Möglichkeit haben sollten, in den neuen Firmen arbeiten zu dürfen.

Das Vorgehen gegen die Fluglotsen ist ein klarer Beleg dafür, dass der spanische Staat und die Verfassung, die in den 1970er Jahren nach dem Übergang vom Faschismus zur Demokratie geschaffen wurden, nicht nur den Kriminellen des Franco-Regimes eine politische Amnestie gewährten. Sie ließen auch viele der unterdrückerischen Gesetze in Kraft, für den Fall, dass sie wieder gebraucht würden. Die Zeit ist jetzt gekommen.

Du hältst uns die angebliche Meinung des “Mannes auf der Straße” entgegen und bezeichnest unsere Haltung als das Ergebnis „verwirrter Journalisten in Madrid“. Aber du fragst dich nicht, welche Faktoren zu diesem Zustand der öffentlichen Meinung und zu diesem gefährlichen Schweigen beigetragen haben, wenn die PSOE mit faschistischen Methoden gegen die Arbeiterklasse vorgeht.

Früher hätte das zu einem Aufschrei geführt. Die Gewerkschaften wären gezwungen gewesen, zu Massenprotesten gegen einen solchen Angriff auf das demokratische Recht zu Streiks aufzurufen. 1972 rief der Gewerkschaftsdachverband in Großbritannien angesichts großen Unmuts zu einem nationalen Streik auf, um fünf Vertrauensleute, die Pentonville Five, aus dem Gefängnis zu holen, die wegen Streikposten Stehens inhaftiert worden waren. Großbritannien kam zum Stillstand, Tausende zogen vor das Gefängnis. Die Regierung wurde gezwungen, einen Rückzieher zu machen, und ordnete die Freilassung der Vertrauensleute an.

Dass die Arbeiterklasse nicht machtvoll auf den Angriff auf die Fluglotsen geantwortet hat, ist das Ergebnis der Desorientierung, die die alten, inzwischen degenerierten Parteien und Gewerkschaften im Bewusstsein der Arbeiter angerichtet haben. Die gleiche Rolle spielen die zahllosen kleinbürgerlichen pseudolinken Gruppen, die um diese bürokratischen Apparate im Dienste der Wirtschaft herumschwirren.

Das ist aber nur ein vorübergehender Zustand. Ihre eigenen bitteren und oftmals schmerzhaften Erfahrungen werden Arbeiter veranlassen, mit diesen korrupten Führungen zu brechen. In Spanien und auf der ganzen Welt entwickelt sich ein Kampf gegen die Anstrengungen der herrschenden Eliten, die Last der kapitalistischen Krise der Arbeiterklasse aufzuladen. Millionen werden dagegen den Kampf aufnehmen. Die Aufgabe der World Socialist Web Site ist es, die Arbeiterklasse für diese entscheidenden Kämpfe zu bewaffnen, und diejenigen, die kämpfen wollen, auf der Grundlage einer revolutionären Perspektive zu informieren, auszubilden und zu mobilisieren.

Paul Mitchell

 

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